Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung für schuldhaftes Verhalten. Unternehmerrisiko. Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme im sozialgerichtlichen Verfahren
Orientierungssatz
1. Die Vorstandsmitglieder bürgerlich-rechtlicher Vereine persönlich treffende Gefahr der Haftung für durch schuldhaftes Verhalten entstandene Schäden ist kein typisches Unternehmerrisiko; denn eine Haftung für schuldhaftes Verhalten trifft (wenn auch unter Umständen eingeschränkt) ebenso Arbeitnehmer.
2. Die - in § 103 SGG nicht angesprochene - Art und Weise der Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts unterliegt den in §§ 117, 118 SGG normierten Regeln. Danach ist das Gericht grundsätzlich verpflichtet, den Sachverhalt "unmittelbar" festzustellen, dh nicht durch andere Stellen - insbesondere nicht durch Versicherungsträger, Versicherungsbehörden oder andere Gerichte - feststellen zu lassen oder die Protokolle von Beweisaufnahmen in anderen Verfahren anstelle eigener Ermittlungen zu verwerten.
3. Die Durchbrechung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme durch Einverständnis der Beteiligten beschränkt sich auf Unterlagen, die das Ergebnis ordnungsgemäßer Beweisaufnahme sind. Dazu gehören allerdings nicht nur Vernehmungsniederschriften; auch außergerichtlich schriftlich niedergelegte Erklärungen von Zeugen können verwertet werden, wenn es sich dabei - im Rahmen einer förmlich angeordneten Beweisaufnahme - um die unter eidesstattlicher Versicherung ihrer Richtigkeit abgegebene schriftliche Beantwortung einer Beweisfrage handelt und die besonderen Voraussetzungen des § 377 Abs 3 und 4 ZPO hinsichtlich der Art der zu bekundenden Tatsachen erfüllt sind (§ 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 377 ZPO).
Leitsatz (amtlich)
1. Vorstandsmitglieder bürgerlich-rechtlicher Vereine können deren abhängig Beschäftigte sein (Fortführung von BSG 1978-11-30 12 RK 33/76 = BSGE 47, 201 = SozR 2200 § 165 Nr 32).
2. Voraussetzung für die Verwertung einer Zeugenaussage aus einer beigezogenen Akte anstelle der Vernehmung des Zeugen ist die Zustimmung der Beteiligten.
Eine in einem Zivilprozeß zur Glaubhaftmachung des Antrages auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung iS des § 936 iVm § 920 Abs 2 ZPO eingereichte Versicherung an Eides Statt (§ 294 ZPO) darf im sozialgerichtlichen Verfahren nicht anstelle des Zeugenbeweises verwertet werden.
3. Ein Beigeladener kann als Zeuge vernommen werden, soweit er Tatsachen bekunden soll, die in verbundenen Verfahren ausschließlich den für ihn nicht entscheidungserheblichen Sachverhalt betreffen.
Normenkette
RVO § 165 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1970-12-21; SGG § 75 Fassung: 1953-09-03, § 117 Fassung: 1953-09-03, § 118 Fassung: 1974-12-20; ZPO §§ 294, 936, 920 Abs. 2; SGG § 118 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1974-12-20; ZPO § 377 Abs. 3-4
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beigeladenen zu 3. und 4., die Vorstandsmitglieder des Klägers sind, im Rahmen ihrer Tätigkeit für den Kläger versicherungspflichtig beschäftigt sind.
Der Kläger ist ein rechtsfähiger Verein, in dem sich zahlreiche in Frankfurt am Main ansässige Taxiunternehmer zusammengeschlossen haben. Der Beigeladene zu 3. ist erster Vorsitzender, der Beigeladene zu 4. zweiter Vorsitzender des Klägers, dessen Vorstand aus neun Mitgliedern besteht. Aufgabe des Vereins ist es im wesentlichen, die wirtschaftlichen Ziele der Vereinsmitglieder zu fördern. Dazu sind insbesondere Verhandlungen mit Behörden und Wirtschaftsunternehmen erforderlich. Diese Verhandlungen werden im Regelfall vom Beigeladenen zu 3. und im Falle seiner Verhinderung oder im Bedarfsfall auch vom Beigeladenen zu 4. geführt. Der Kläger zahlte dem Beigeladenen zu 3. in der ersten Zeit eine "Aufwandsentschädigung", die zunächst nach einem Stundensatz von 15,-- DM je tatsächlich geleisteter Arbeitsstunde berechnet war und im Monatsdurchschnitt 970,-- DM erreichte. Ab November 1975 erhält der Beigeladene zu 3. einen Festbetrag von 3.600,-- DM zuzüglich einer Spesen- und Telefonpauschale und einer Entschädigung von 0,40 DM je zurückgelegtem Fahrkilometer. Der Beigeladene zu 4. erhält vom Beginn an nur die nach den zuvor dargelegten Grundsätzen berechnete Fahrtkosten- und Aufwandsentschädigung.
Die Beklagte hat durch Bescheid vom 15. März 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 1977 die Beigeladenen zu 3. und 4. als versicherungspflichtig beschäftigte Arbeitnehmer des Klägers angesehen und vom Kläger die Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von insgesamt 24.192,96 DM gefordert. Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 19. Januar 1979 die angefochtenen Bescheide aufgehoben; es hat die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 3. und 4. mit der Begründung verneint, sie seien als Vorstandsmitglieder des Klägers tätig geworden und bei der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht persönlich abhängig oder weisungsgebunden gewesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat hingegen mit Urteil vom 16. September 1981 die Klage abgewiesen: Aufgrund der Akten der Beklagten und der eidesstattlichen Versicherung des Beigeladenen zu 4. vom 6. Januar 1977, die dieser zur Glaubhaftmachung des beim Landgericht Frankfurt am Main unter dem Az 2/3 0 14/77 gestellten Antrages auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung gegen einzelne Vorstandsmitglieder des Klägers eingereicht hatte, stehe fest, daß die Beigeladenen zu 3. und 4. abhängige Arbeit für den Kläger leisteten und die ihnen gezahlten Entschädigungen versicherungspflichtiges Entgelt seien.
Gegen dieses Urteil richtet sich die - vom erkennenden Senat zugelassene - Revision des Klägers: Das angefochtene Urteil beruhe auf einem wesentlichen Verfahrensmangel, weil das LSG seine Entscheidung nicht auf die vorgenannte eidesstattliche Versicherung des Beigeladenen zu 4. habe stützen dürfen. Überdies habe das LSG aber auch fehlerhaft angenommen, daß die Beigeladenen zu 3. und 4. abhängig beschäftigt seien. Vielmehr verrichteten sie ihre Tätigkeit für den Kläger weisungsfrei; sie hätten auch insofern ein Unternehmerrisiko zu tragen, als sie der Gefahr von unmittelbar gegen sie erhobenen Schadenersatzansprüchen Dritter ausgesetzt seien.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. September 1981 aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte und die Beigeladene zu 1. beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladenen zu 2. bis 4. haben keinen Antrag gestellt.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet, weil das angefochtene Urteil auf einem im Revisionsverfahren nicht behebbaren wesentlichen Mangel des Verfahrens beruht.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Entscheidung über die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 3. und 4. maßgeblich davon abhängt, ob die Beigeladenen zu 3. und 4. neben ihrer Organstellung auch in wesentlichem Umfange dem allgemeinen Erwerbsleben zugängliche Verwaltungsfunktionen für den Kläger verrichten. Dabei kann Versicherungspflicht auch dann vorliegen, wenn die Verwaltungsgeschäfte den Vorsitzenden durch die Satzung übertragen worden sind (BSG SozR 2200 § 165 Nr 32 S 41). Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Zuordnung solcher Verwaltungstätigkeiten zur versicherungspflichtigen Beschäftigung bisher zwar nur für die Organe einer juristischen Person des öffentlichen Rechts (vgl BSGE 47, 201, 204 = SozR 2200 § 165 Nr 32 mwN für den Vorsteher eines öffentlich-rechtlichen Verbandes und SozR 2200 § 165 Nr 44 für einen ehrenamtlichen Gemeindebürgermeister) sowie für den Vorsitzenden des Vorstandes einer Genossenschaft (BSGE 16, 73), jedoch noch nicht für Vorstandsmitglieder eines rechtsfähigen Vereins iS der §§ 21 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) entschieden. Der Senat hat aber keine Bedenken, diese Grundsätze zumindest auch auf diejenigen bürgerlich-rechtlichen Vereine anzuwenden, deren Zweck darauf gerichtet ist, ihren Mitgliedern Hilfen für die Erreichung ihrer wirtschaftlichen Ziele zu gewähren. Denn auch die bei einem solchen Verein zur Erreichung des Vertragszweckes anfallenden allgemeinen Verwaltungsgeschäfte, die von Vorstandsmitgliedern verrichtet werden, wären dem allgemeinen Erwerbsleben zugänglich.
Nach den unangefochtenen Feststellungen des LSG zur Zielsetzung des Klägers führt dieser mit einem kaufmännisch organisierten Betrieb Geschäfte aus, die teils unmittelbar, teils mittelbar der Erreichung der wirtschaftlichen Ziele der gewerblichen Einzelunternehmen der Vereinsmitglieder dienen. Dementsprechend bestehen auch keine Bedenken gegen die Richtigkeit des rechtlichen Ausgangspunktes des LSG, daß Vereinsmitglieder eines Vereines mit wirtschaftlicher Zielsetzung unabhängig von ihrer mitgliedschaftsrechtlichen Stellung für den Verein abhängige Arbeit im versicherungsrechtlichen Sinne leisten können. Insbesondere ist die Verrichtung der zur Erreichung der Ziele eines wirtschaftlich orientierten Vereines erforderlichen Geschäfte nicht notwendig an die vereinsrechtliche Stellung der Beigeladenen zu 3. und 4. als Vorsitzender oder stellvertretender Vorsitzender des Klägers gebunden. Die von ihnen ausgeführten Tätigkeiten hätten (nach Änderung der Satzung) in gleicher Weise durch einen angestellten Geschäftsführer ausgeführt werden können.
Darüber hinaus ist das LSG in seiner Entscheidung auch von zutreffenden Kriterien für die Abgrenzung der versicherungspflichtigen abhängigen Beschäftigung und der versicherungsfreien selbständigen Tätigkeit ausgegangen. Das gilt entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung insbesondere für das Abgrenzungsmerkmal der Weisungsfreiheit, die das LSG im Hinblick auf die in der Satzung des Klägers geregelten Abstimmungsverfahren in der Mitgliederversammlung und im Vorstand zutreffend verneint hat. Da danach die gesamte Geschäftsführung im Innenverhältnis dem gesamten Vorstand obliegt (§ 12 Nr 1 der Satzung) und der Vorstand mit einfacher Mehrheit abstimmt, können die Beigeladenen zu 3. und 4. bei Vorstandsbeschlüssen jederzeit überstimmt und damit angewiesen werden, den Verein nach außen in einer bestimmten Weise zu vertreten oder in sonstiger Weise für ihn tätig zu werden. Nicht begründet sind schließlich die Bedenken der Revision gegen die Annahme des LSG, daß die Beigeladenen zu 3. und 4. bei ihrer Tätigkeit für den Kläger kein Unternehmerrisiko tragen. Die Beigeladenen zu 3. und 4. haben zwar für den Kläger auch Entscheidungen zu treffen, die den wirtschaftlichen Erfolg des Klägers oder seiner Mitglieder beeinflussen können und damit ein Geschäftsrisiko bergen. Mit ihren Entscheidungen begründen die Beigeladenen jedoch kein unmittelbares eigenes Unternehmerrisiko, auf das das LSG zu Recht allein abgehoben hat, sondern ein Risiko des Vereins. Die sie persönlich treffende Gefahr der Haftung für durch schuldhaftes Verhalten entstandene Schäden ist kein typisches Unternehmerrisiko; denn eine Haftung für schuldhaftes Verhalten trifft (wenn auch unter Umständen eingeschränkt) ebenso Arbeitnehmer. Das LSG ist infolgedessen zutreffend davon ausgegangen, daß die den Beigeladenen zu 3. und 4. gezahlten Entschädigungen Entgelte für geleistete abhängige Arbeit sein können.
Ob das der Fall ist, hängt maßgeblich davon ab, in welchem Umfange die von den Beigeladenen zu 3. und 4. für den Kläger verrichteten Tätigkeiten repräsentative oder verwaltende Geschäfte waren. Das LSG hat seine gesamten hierzu getroffenen Feststellungen ua auch auf die Tatsachen gestützt, die der Beigeladene zu 4. in seiner eidesstattlichen Versicherung iS der §§ 936, 920 Abs 2 iVm § 294 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zur Glaubhaftmachung der Voraussetzungen für den Erlaß der von ihm gegen andere Vorstandsmitglieder beim Landgericht Frankfurt a.M. beantragten einstweiligen Verfügung angegeben hat. Die Berücksichtigung dieser eidesstattlichen Versicherung als Beweismittel verstößt - wie die Revision zu Recht rügt - gegen den in § 117 SGG normierten Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und gegen die in § 118 SGG getroffene Regelung über die Durchführung der Beweisaufnahme.
Im sozialgerichtlichen Verfahren hat das Gericht einer Tatsacheninstanz den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (§ 103 SGG). Es darf aber bei der Durchführung der Amtsermittlung nicht willkürlich vorgehen, vielmehr unterliegt die - in § 103 SGG nicht angesprochene - Art und Weise der Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts den in §§ 117, 118 SGG normierten Regeln. Danach ist das Gericht grundsätzlich verpflichtet, den Sachverhalt "unmittelbar" festzustellen, dh nicht durch andere Stellen - insbesondere nicht durch Versicherungsträger, Versicherungsbehörden oder andere Gerichte - feststellen zu lassen oder die Protokolle von Beweisaufnahmen in anderen Verfahren anstelle eigener Ermittlungen zu verwerten (§ 117 SGG; Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl, Anm 4 ff zu § 117; Kopp, VwGO, 4. Aufl, RdNr 1 zu § 96; vgl zum Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme auch allgemein statt vieler: Baumbach/Lauterbach, ZPO, 42. Aufl, Anm 1 zu § 355 und Eyermann/Fröhler, VwGO, 8. Aufl, RdNr 1 zu § 96). Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme erlaubt - von sonstigen Voraussetzungen abgesehen - lediglich dann eine Durchbrechung, wenn die Beteiligten sich einverstanden erklären, daß Niederschriften anderer Gerichte über Zeugenvernehmungen anstelle einer erneuten Vernehmung verwertet werden (BVerwG, NJW 1956, 236; Meyer-Ladewig aa0, Anm 5 zu § 117). Das Einverständnis ist stets erforderlich, weil durch den Verzicht auf die unmittelbare Vernehmung eines Zeugen auch die Mitwirkungsmöglichkeiten der Beteiligten, insbesondere die Möglichkeit, ergänzende Fragen zu stellen, eingeschränkt oder ausgeschlossen werden. Diese Grenzen hat das LSG jedoch überschritten. Es hat zwar in der mündlichen Verhandlung am 16. September 1981 die Akten Az 2/3 0 14/77 des Landgerichts Frankfurt am Main "zum Gegenstand der Verhandlung" gemacht. Die Einführung dieser Akten als Beiakten zum LSG-Verfahren allein machte aber die Einholung des Einverständnisses mit der Verwertung des Akteninhalts anstelle unmittelbarer Beweisaufnahme nicht entbehrlich. Die Gründe des angefochtenen Urteils lassen auch nicht erkennen, daß das LSG das Einverständnis des Klägers mit der Verwertung der eidesstattlichen Versicherung des Beigeladenen zu 4. vom 6. Januar 1977 eingeholt hat oder daß das LSG trotz der Hinweise des Klägers im Schriftsatz vom 25. November 1978 über seine mangelnde Kenntnis des Inhalts der beigezogenen Akten auf ein stillschweigend erteiltes Einverständnis des Klägers mit der Verwertung hat schließen können. Der Kläger hätte sich zwar Kenntnis durch Akteneinsicht verschaffen können. Das ist in diesem Zusammenhang aber ohne Bedeutung, da selbst bei Aktenkenntnis nicht ohne weiteres ein Einverständnis mit der Verwertung von eidesstattlichen Versicherungen unterstellt werden kann. Im übrigen hätte der Kläger auch noch widersprechen können, nachdem er Akteneinsicht genommen hatte. Es ist nicht der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG), der hier berührt wird, sondern es ist vom Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme abgewichen worden. Diese Abweichung setzt Einverständnis der Beteiligten bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung voraus.
Darüber hinaus durfte das LSG die vorgenannte eidesstattliche Versicherung des Beigeladenen zu 4. in diesem Verfahren auch mit Einverständnis der Beteiligten nicht anstelle unmittelbarer Beweisaufnahme verwerten. Die Durchbrechung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme durch Einverständnis der Beteiligten beschränkt sich auf Unterlagen, die das Ergebnis ordnungsgemäßer Beweisaufnahme sind. Dazu gehören allerdings nicht nur Vernehmungsniederschriften; auch außergerichtlich schriftlich niedergelegte Erklärungen von Zeugen können verwertet werden, wenn es sich dabei - im Rahmen einer förmlich angeordneten Beweisaufnahme - um die unter eidesstattlicher Versicherung ihrer Richtigkeit abgegebene schriftliche Beantwortung einer Beweisfrage handelt und die besonderen Voraussetzungen des § 377 Abs 3 und 4 ZPO hinsichtlich der Art der zu bekundenden Tatsachen erfüllt sind (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 377 ZPO). In einer früheren Entscheidung hat das BSG auch die Verwertung einer durch den Berichterstatter eingeholten, unter eidesstattlicher Versicherung abgegebenen Auskunft eines Zeugen zugelassen (BSGE 4, 60). Ob dieser Entscheidung weiterhin zu folgen ist, kann hier indes dahinstehen, da es sich bei der vom LSG verwerteten Äußerung auch nicht um eine derartige Auskunft handelte. Die von dem Beigeladenen zu 4. zur Glaubhaftmachung seines Antrages auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung dem Landgericht Frankfurt am Main eingereichte eidesstattliche Versicherung vom 6. Januar 1977 hatte nur in dem dortigen Verfahren Bedeutung als zulässiges Mittel der Glaubhaftmachung des Verfügungsgrundes iS des § 936 iVm § 920 Abs 2 ZPO. Die Berücksichtigung einer solchen eidesstattlichen Versicherung stellt im Ergebnis eine Umgehung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 117 SGG) dar (vgl auch BGH MDR 1970, 135). Inwieweit eine Verwertbarkeit als Entscheidungsgrundlage anstelle einer Vernehmung gegeben wäre, wenn eine unmittelbare Beweiserhebung nicht mehr möglich ist, kann hier dahinstehen, da der Fall dazu keine Veranlassung gibt.
Das angefochtene Urteil beruht auf diesem Verfahrensverstoß. Es ist nicht auszuschließen, daß das LSG zu einer abweichenden Tatsachenfeststellung und alsdann auch zu einer anderen rechtlichen Schlußfolgerung gelangt wäre, wenn es, statt sich auf die eidesstattliche Versicherung des Beigeladenen zu 4. vom 6. Januar 1977 zu stützen, den Beigeladenen zu 4. unmittelbar gehört hätte.
Bei der erneuten Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts wird das LSG zu berücksichtigen haben, daß die Vernehmung der Beigeladenen zu 3. und 4. - wenn auch in beschränktem Umfange - als Zeugen in Betracht kommen kann. In Rechtsprechung und Schrifttum zum SGG wird zwar allgemein, jedoch durchweg ohne nähere Begründung, die Auffassung vertreten, daß der Beigeladene nicht Zeuge sein könne (Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, Stand 38. Nachtrag, Anm 7a zu § 75 SGG; Rohwer-Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, Bd II, RdNr 126 zu § 75; Meyer-Ladewig aa0, Anm 17 zu § 75; vgl auch Redeker-von Oertzen, VwGO, 7. Aufl, Anm 2 zu § 66). Diese Abgrenzung beruht auf der Überlegung, daß der Beigeladene im sozialgerichtlichen Verfahren am Ausgang des Verfahrens interessiert ist und gerade wegen seines Interesses zwar nicht als Partei, sondern als Dritter mit teilweise eingeschränkten verfahrensrechtlichen Befugnissen am Prozeß beteiligt werden soll. Da aber der Beigeladene gerade am Verfahrensausgang interessiert und im Gegensatz hierzu der Zeuge unbeteiligter Dritter ist, soll er im Rahmen der Sachverhaltsermittlung die volle Stellung eines Beteiligten haben und insbesondere nicht als Zeuge vernommen werden können. Diese im Ansatz richtige Auffassung bedarf indessen der Modifizierung. Die Beiladung - auch die notwendige Beiladung iS des § 75 Abs 2 SGG - wirkt nur, soweit und solange die Interessen des Beigeladenen berührt werden (erkennender Senat, Beschluß vom 23. Januar 1980 - 12 RK 53/79 - SozR 1500 § 75 Nr 27). Sie räumt dem Beigeladenen daher die Beteiligtenstellung stets nur hinsichtlich des ihn betreffenden Verfahrensgegenstandes ein. Seine Rechtsstellung ist insoweit mit der eines Streitgenossen (§ 74 SGG) vergleichbar, für den im Zivilprozeß allgemein anerkannt ist, daß er jedenfalls insoweit nicht als Zeuge ausgeschlossen ist, wie er Tatsachen bekunden soll, die ausschließlich für die anderen Streitgenossen in Betracht kommen (Baumbach/Lauterbach, ZPO, 42. Aufl, Übersicht vor § 373, Anm 2 B, Stichwort Streitgenosse, mit zahlreichen weiteren Nachweisen). In gleicher Weise schließt auch die Beteiligteneigenschaft eines Beigeladenen (§ 69 Nr 3 SGG) seine Vernehmung als Zeuge über solche Tatsachen nicht aus, die seine durch § 75 SGG geschützten Interessen nicht berühren. Eine solche gegenüber dem Gesamtverfahrensgegenstand eingeschränkte Interessenlage des einzelnen Beigeladenen besteht in der Regel bei Streitigkeiten zwischen der Einzugstelle und dem Arbeitgeber über die Versicherungspflicht mehrerer Beschäftigter. Bei mehreren Beschäftigten beruht jedes dieser Beschäftigungsverhältnisse auf einem individuellen Lebenssachverhalt, das einzelne Beschäftigungsverhältnis ist dementsprechend auch dann Gegenstand eines eigenständigen Prozeßrechtsverhältnisses, wenn die äußeren Umstände einander entsprechen oder gleichen und deshalb mehrere Verfahren über die Versicherungspflicht der einzelnen Beschäftigten miteinander verbunden worden sind (§ 113 SGG). Das LSG darf daher grundsätzlich sowohl den Beigeladenen zu 3. bezüglich der für das Versicherungsverhältnis des Beigeladenen zu 4. entscheidungserheblichen Tatsachen und umgekehrt den Beigeladenen zu 4. bezüglich des den Beigeladenen zu 3. betreffenden Sachverhalts als Zeugen vernehmen. Ihre Vernehmung als Zeuge würde lediglich ausgeschlossen sein, wenn die Beigeladenen zu 3. und 4. noch Vorstandsmitglieder des Klägers sind und für den Kläger als gesetzliche Vertreter handeln (§ 71 Abs 3 SGG; s dazu Baumbach/ Lauterbach, ZPO, 42. Aufl aa0 Stichwort: Verein).
Feststellungen hierzu hat das LSG nicht getroffen. Ebensowenig hat es die Handlungsbefugnis derjenigen Personen festgestellt, die die Vollmacht Bl 26 der SG-Akte unterschrieben haben. Schließlich hat das LSG bisher auch noch keine Feststellungen zur rechnerischen Richtigkeit der in den angefochtenen Bescheiden als versicherungspflichtiges Entgelt angesetzten Beträge getroffen. Bei seiner neuen Entscheidung wird das LSG daher auch im einzelnen festzustellen haben, welche der an die Beigeladenen zu 3. und 4. erfolgten Zahlungen Entgelt im versicherungsrechtlichen Sinne oder beitragsfreier Kostenersatz für Aufwendungen sind (vgl dazu BSGE 47, 201, 207).
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Fundstellen
BB 1984, 985-986 (LT1) |
RegNr, 12151 |
Das Beitragsrecht Meuer, B 42 A 51a 26 (LT1) |
USK, 83188 (LT1-3) |
Breith 1984, 626-631 (LT1-3) |
DBlR 2913a, AFG/§ 168 (LT1) |
Die Beiträge 1984, 276-280 (LT1) |
HV-INFO 1984, Nr 13, 57-64 (LT1-3, ST 1-3) |
SGb 1985, 199-201 (LT1-3) |
SozR 1500 § 117, Nr 3 (LT2-3) |
SozR 2200 § 165, Nr 73 (LT1) |
SozSich 1984, 160 (LT1) |
Breith. 1984, 626 |