Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. Landesrahmenvertrag gemäß § 75 Abs 1 SGB 11 über die ambulante pflegerische Versorgung. Streit über Rechtmäßigkeit eines durch Schiedsspruch eingefügten „Leistungskomplexkatalogs"
Orientierungssatz
Zum Streit über die Rechtmäßigkeit eines durch Schiedsspruch eingefügten „Leistungskomplexkatalogs" mit Leistungsbeschreibungen und Bewertungsrelationen in Gestalt von Punktzahlvolumina als Anlagen in einen Landesrahmenvertrag gemäß § 75 Abs 1 SGB 11 über die ambulante pflegerische Versorgung.
Normenkette
SGB XI § 75 Abs. 1 S. 1 Hs. 2, S. 4, Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Abs. 4, §§ 76, 85 Abs. 5, § 86 Abs. 1 S. 2, § 89; SGB X §§ 31, 33 Abs. 1, §§ 35, 37 Abs. 1 S. 2, § 39 Abs. 1 Sätze 1-2, § 40 Abs. 1; SGG § 54 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revisionen der Beigeladenen zu 3. bis 17. werden zurückgewiesen.
2. Die Beigeladenen zu 3. bis 17. tragen jeweils 1/15 der Kosten des Verfahrens. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen zu 1., 2., 18., 19. und 20. sind nicht zu erstatten.
3. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des durch Schiedsspruch eingefügten "… Leistungskomplexkatalogs" als Anlagen 3, 3a und 3b in den Rahmenvertrag für das Land N über die ambulante pflegerische Versorgung.
Der Kläger zu 1. nimmt als gemeinsamer Bevollmächtigter mit Abschlussbefugnis Aufgaben der Landesverbände der Pflegekassen (der Ersatzkassen) wahr. Die Kläger zu 2. bis 4. nehmen die Aufgaben der Landesverbände der gesetzlichen Pflegekassen in N selbst wahr, ebenso die Beigeladenen zu 1. und 2. Beklagte ist die Schiedsstelle für die Pflegeversicherung. Die Beigeladenen zu 3. bis 17. sind Vereinigungen der ambulanten Pflegeeinrichtungen sowohl in freigemeinnütziger als auch in privater Trägerschaft. Die Beigeladenen zu 18. bis 20. nehmen Aufgaben der örtlichen Träger der Sozialhilfe wahr.
Im April 2013 wurden die Kläger von den Beigeladenen zu 3. bis 17. zu Verhandlungen des Rahmenvertrags für das Land N über die ambulante pflegerische Versorgung nach § 75 SGB XI idF vom 1.1.2011 (im Folgenden: RV, hier aF) aufgefordert. Bis Mitte Mai 2014 wurden Änderungen des RV teilweise einvernehmlich beschlossen und für offengebliebene Punkte wurde das Scheitern der Verhandlungen erklärt. Nach Abschluss eines Schiedsverfahrens sollten die durch Schiedsspruch festgesetzten Änderungen den RV ergänzen.
Im Juni und Juli 2014 ersuchten die Beigeladenen zu 3. bis 17. die beklagte Schiedsstelle um Entscheidung über die streitig gebliebenen Punkte des RV. Nach weiteren Verhandlungen blieb am Ende ua die Einbeziehung des "Leistungskomplexsystems" in den RV offen. Während die Beigeladenen zu 3. bis 17. eine Einbeziehung in den RV befürworteten, waren die Kläger und die Beigeladenen zu 1. und 2. der Ansicht, dass es sich dabei um ein einheitliches und unteilbares Vergütungssystem bestehend aus Leistungsbeschreibung, Punktzahlen und Punktwerten handele, das nicht im RV, sondern in einrichtungsindividuellen Vergütungsvereinbarungen festzulegen sei.
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Nach mündlicher Verhandlung vom 28.5.2015 erging folgender Schiedsspruch der Beklagten, der dem Antrag der Beigeladenen zu 3. bis 17. folgte: |
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"1. Die Inhalte der Leistungs- und Vergütungsstruktur regelt der … Leistungskomplexkatalog, der als Anlage 3 dem Rahmenvertrag beigefügt ist. Der Leistungskomplexkatalog gem. Satz 1 gilt, sofern und soweit die … Pflegevergütungskommission keine anderen Regelungen dazu trifft. Abweichende Regelungen sind im Einzelfall zwischen den Vertragspartnern nach § 89 Abs. 2 SGB XI möglich. |
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2. Mit Ausnahme des Leistungskomplexes Nr.7 werden der … Leistungskomplexkatalog, die Leistungsbeschreibung der Grundpflege nach Zeit und Betreuung nach Zeit als Anlagen 3, 3a + 3b als weitere Bestandteile dem Rahmenvertrag beigefügt." |
Die Beklagte stützte ihre Entscheidung auf das Urteil des BSG vom 29.1.2009 (B 3 P 8/07 R - SozR 4-3300 § 89 Nr 1), dem sie eine Verpflichtung entnommen habe, ein Vergütungsmodell im RV nach § 75 SGB XI zu bestimmen. Dadurch sei ein einheitliches, effektives Vergütungsmodell für alle ambulanten Leistungserbringer im Land etabliert worden. Zwar sei es zutreffend, dass die Weiterentwicklung des Leistungskomplexsystems an sich der Pflegevergütungskommission obliege. Allerdings würden Entscheidungen dort blockiert werden. Die vorrangige Verantwortlichkeit der Pflegevergütungskommission für Vergütungsfragen sei im Schiedsspruch berücksichtigt worden, weil jederzeit abweichende Regelungen vom RV möglich seien. Die konkrete Vergütung werde weiterhin allein durch den Punktwert bestimmt, der auch weiterhin einrichtungsindividuell verhandelt werde (schriftliche Fassung Schiedsspruch vom 25.7.2015). Darüber hinaus durch den Schiedsspruch getroffene Regelungen wurden von den Beteiligten nicht gerichtlich angefochten.
Die Kläger haben gegen die Ziffern zu 1. und 2. des Schiedsspruchs im September 2015 Klagen erhoben. Nach Beiladung weiterer Beteiligter hat das LSG die Ziffern zu 1. und 2. des Schiedsspruchs - dem Antrag der Kläger entsprechend - mit folgender Begründung aufgehoben: Die auf die Aufhebung vorgenannter Ziffern gerichtete reine Anfechtungsklage sei zulässig (§ 54 Abs 1 SGG). Der Schiedsspruch sei gesetzeswidrig, weil die Beklagte im Schiedsverfahren nach § 75 Abs 4, § 76 SGB XI keine Kompetenz zur Bestimmung eines landesweiten Vergütungsmodells zur ambulanten pflegerischen Versorgung habe, worum es sich mit der Einfügung von Leistungskomplexen, Leistungsbeschreibungen und Punktzahlen hier aber handele (Hinweis auf BSG vom 17.12.2009 - B 3 P 3/08 R - BSGE 105, 126 = SozR 4-3300 § 89 Nr 2 und vom 29.1.2009 - B 3 P 8/07 R - SozR 4-3300 § 89 Nr 1). Die Befugnisse seien auf den in § 75 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB XI genannten Zweck der Sicherstellung einer wirksamen und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgung der Versicherten begrenzt bzw auf die in § 75 Abs 2 und 3 SGB XI genannten einzelnen Vertragsgegenstände. Davon sei aber die Festlegung von Kriterien für die Vergütung bzw Abrechnung ambulanter Pflegeleistungen nicht erfasst. Vergütungsvereinbarungen seien als Individualvereinbarungen mit den Pflegediensten abzuschließen (Hinweis auf BSG aaO). Bei Nichteinigung im Rahmen von Verhandlungen der Pflegevergütungskommission könne die Schiedsstelle nach § 89 Abs 3 SGB XI iVm § 86 Abs 1 Satz 2 und § 85 Abs 5 SGB XI angerufen werden. Auch gesetzessystematisch sei die Ausgestaltung der Leistungserbringung nach § 75 SGB XI von den nach § 89 SGB XI zu treffenden Vergütungsvereinbarungen zu trennen (Urteil vom 16.8.2018).
Mit ihren Revisionen rügen die Beigeladenen zu 3. bis 17. die Verletzung von § 75 SGB XI. Die beklagte Schiedsstelle sei nach § 75 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB XI bzw dem nicht abschließenden Katalog von § 75 Abs 2 SGB XI berechtigt, Leistungskomplexe mit Leistungsbeschreibungen und Bewertungsrelationen in Gestalt von Punktzahlvolumina im RV festzulegen. Der Vereinbarungszweck, eine wirksame und wirtschaftliche pflegerische Versorgung der Versicherten nach § 75 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB XI sicherzustellen, sei weit zu verstehen und lasse ohne Weiteres auch die Festlegung von Leistungskomplexen mit Punktzahlvolumina zu. Der Schiedsspruch enthalte zudem eine Öffnungsklausel dergestalt, dass abweichende Regelungen zwischen den Vertragspartnern im Einzelfall nach § 89 SGB XI möglich seien unter Einbeziehung der Pflegevergütungskommission nach § 86 SGB XI.
Die Beigeladenen zu 3. bis 17. beantragen sinngemäß schriftsätzlich,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 16. August 2018 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß schriftsätzlich,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 16. August 2018 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Sie schließt sich den Ausführungen der Beigeladenen zu 3. bis 17. an.
Die Kläger beantragen schriftsätzlich,
die Revisionen zurückzuweisen.
Ihrer Ansicht nach gehe die Festlegung von Leistungskomplexen über den Regelungsgehalt von § 75 SGB XI hinaus.
Der Beigeladene zu 1. schließt sich den Ausführungen des Klägers zu 1. an und stellt keinen Antrag. Die Beigeladene zu 2. hat von einer Stellungnahme abgesehen und stellt keinen Antrag.
Die Beigeladenen zu 18., 19. und 20. haben sich nicht zum Verfahren geäußert.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs 2 SGG entscheiden.
A. Die Revisionen der Beigeladenen zu 3. bis 17. sind zulässig. Sie sind alleinige Revisionsführer und zur Einlegung der Revision rechtsmittelbefugt. Für die Rechtsmittelbefugnis der Beigeladenen bedarf es auch im Revisionsverfahren (vgl § 165 iVm §§ 143 ff SGG) stets einer materiellen Beschwer durch das angegriffene Urteil im Sinne einer möglichen Verletzung in eigenen subjektiven Rechten (vgl zuletzt BSG vom 28.3.2019 - B 3 KR 2/18 R - BSGE 127, 288 = SozR 4-2500 § 130b Nr 3, RdNr 20). Diese ergibt sich hier bereits daraus, dass die Beigeladenen zu 3. bis 17. Verhandlungspartner des streitigen RV sind und das LSG ihnen das Recht zur Ergänzung des RV um ein landesweites Vergütungsmodell versagt hat. Die formelle Beschwer ergibt sich aus der Erfolglosigkeit ihres Klageabweisungsantrags vor dem LSG.
B. Die Revisionen der Beigeladenen zu 3. bis 17. sind aber unbegründet und waren daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat den Anfechtungsklagen (dazu unter 1.) im Ergebnis zu Recht stattgegeben und auf Antrag der Kläger die Festsetzungen des Schiedsspruchs zu den Ziffern 1. und 2. aufgehoben. Deren Rechtswidrigkeit ergibt sich indes bereits aus der Verletzung von allgemeinen Verfahrensvorschriften, die zur Unwirksamkeit der angegriffenen Regelungen des Schiedsspruchs führen (dazu unter 2.). Auf die Erwägungen des LSG zum materiellen Recht der sozialen Pflegeversicherung (§§ 75, 85, 86, 89 SGB XI) kommt es daher nicht an, wenngleich es sich um Fragen von grundsätzlicher Bedeutung handelt und der Senat deshalb die Revisionen zugelassen hatte.
1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigenden Sachurteilsvoraussetzungen der Klagen sind erfüllt.
a) Die Klagen gegen den Schiedsspruch der Beklagten vom 25.7.2015 sind als reine Anfechtungsklagen iS des § 54 Abs 1 SGG statthaft und zulässig. Die erstinstanzliche Zuständigkeit des LSG folgt aus § 29 Abs 2 Nr 1 SGG. Der Schiedsspruch über die streitig gebliebenen Punkte im RV stellt einen Verwaltungsakt dar; richtiger Klagegegner ist deshalb die beklagte Schiedsstelle (stRspr; vgl nur BSG vom 25.1.2017 - B 3 P 3/15 R - BSGE 122, 248 = SozR 4-3300 § 76 Nr 1, RdNr 16 mwN), die beteiligtenfähig ist (§ 70 Nr 4 SGG). Einer weitergehenden Verpflichtungsklage bedarf es nicht. Mit der Anfechtungsklage ist als eigenständiger und abtrennbarer Teil die Ergänzung des RV um den Leistungskomplexkatalog angefochten. Nach Aufhebung der im Streit stehenden Regelungen können der Schiedsspruch und der RV mit ihren nicht angefochtenen Teilen selbstständig fortbestehen.
b) Eines Vorverfahrens bedurfte es nicht, weil es sich bei den Klägern um Versicherungsträger bzw deren Verbände handelt (§ 78 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGG). Im Übrigen ist trotz Fehlens einer ausdrücklichen Regelung im SGB XI kein Vorverfahren für eine Klage gegen den Schiedsspruch über einen RV nach § 75 Abs 4 SGB XI erforderlich (vgl bereits BSG vom 25.1.2017 - B 3 P 3/15 R - BSGE 122, 248 = SozR 4-3300 § 76 Nr 1, RdNr 17 mwN).
c) Die Kläger nehmen die Aufgaben der Landesverbände der gesetzlichen Pflegekassen wahr (§ 52 Abs 1 SGB XI) und sind als (Mit-)Adressaten des Schiedsspruchs und als Vertragspartner des Rahmenvertrags von § 75 SGB XI klagebefugt. Der Kläger zu 1. ist als gemeinsamer Bevollmächtigter der Ersatzkassen nach § 52 Abs 1 Satz 2 SGB XI iVm § 212 Abs 5 Satz 4 ff SGB V zudem ermächtigt, für diese als Prozessstandschafter in diesem Rechtsstreit aufzutreten.
2. Die mit den Klagen angegriffene Entscheidung der Schiedsstelle verstößt bereits in Bezug auf das Sozialverwaltungsverfahrensrecht (§§ 31, 33, 37, 39 SGB X) gegen Bundesrecht nach § 162 SGG(vgl allgemein zum revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstab BSG vom 25.1.2017 - B 3 P 3/15 R - BSGE 122, 248 = SozR 4-3300 § 76 Nr 1, RdNr 18 ff).
a) Die Rechtmäßigkeit der hier allein streitigen Ergänzungen des RV um die in den Ziffern 1. und 2. des Schiedsspruchs genannten "Anlagen 3, 3a + 3b als weitere Bestandteile des RV" scheitert bereits daran, dass diese Anlagen den Beteiligten nicht bekannt gegeben worden sind. Diese Unterlagen sind weder zusammen mit dem Schiedsspruch noch zu einem anderen Zeitpunkt den Beteiligten übersandt worden (auf Hinweis des Senats im Revisionsverfahren: so die Mitteilung des Vorsitzenden der Schiedsstelle vom 23.9.2021, deren Inhalt von den Klägern und den Beigeladenen zu 3. bis 17. bestätigt worden ist). Ob dieser Umstand auf einem Redaktionsversehen oder auf einer zwischen den Beteiligten geübten Praxis beruht, mag dahinstehen.
Bei dem Schiedsspruch der Schiedsstelle nach dem SGB XI handelt es sich um einen Verwaltungsakt gemäß § 31 SGB X mit vertragsgestaltender Wirkung (stRspr; vgl nur BSG vom 14.12.2000 - B 3 P 19/00 R - BSGE 87, 199, 201 ff = SozR 3-3300 § 85 Nr 1 S 3 f; BSG vom 17.12.2009 - B 3 P 3/08 R - BSGE 105, 126 = SozR 4-3300 § 89 Nr 2, RdNr 20; für das SGB XII vgl nur BSG vom 23.7.2014 - B 8 SO 2/13 R - BSGE 116, 227 = SozR 4-3500 § 77 Nr 1; zuvor schon BVerwG vom 1.12.1998 - 5 C 17.97 - BVerwGE 108, 47, 49; BVerwG vom 28.2.2002 - 5 C 25.01 - BVerwGE 116, 78, 81).
Die beabsichtigte Wirkung der vertraglichen Ergänzung des RV um einen landesweiten "Leistungskomplexkatalog" durch die Anlagen 3, 3a und 3b konnte wegen der unterbliebenen Bekanntgabe der neu aufzunehmenden Regelungen aber nicht eintreten. Die Anlagen 3, 3a und 3b haben keine rechtliche Existenz erlangt und mithin keine Rechtswirksamkeit iS von § 37 Abs 1 Satz 2, § 39 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB X(vgl allgemein Engelmann in Schütze, 9. Aufl 2020, SGB X, § 37 RdNr 57; Roos/Blüggel aaO § 39 RdNr 8 f mwN).
Entgegen der Ansicht der Beigeladenen zu 3. bis 17. können die Anlagen 3, 3a und 3b auch nicht durch die "Anlage 1, 1a, 1b" des RV mit Stand 1.9.2015 ersetzt oder in diese umgedeutet werden. Wenn dazu ausgeführt wird, dass die Beteiligten sich darauf geeinigt haben, im Anschluss an die Schiedsverhandlung in einer Redaktionskonferenz die Anlagen zum Schiedsspruch zu bearbeiten und diese dann als "Anlage 1, 1a, 1b" in den RV mit Stand 1.9.2015 aufzunehmen, sind diese "redaktionellen" Änderungen jedenfalls weder Gegenstand des Schiedsspruchs noch des LSG-Urteils gewesen und können daher auch nicht im Revisionsverfahren überprüft werden.
Die mangelnde rechtliche Existenz der allein im Streit stehenden Anlagen 3, 3a und 3b schließt eine weitere revisionsrechtliche Überprüfung aus. Der Schiedsspruch enthält keine darüber hinaus angefochtenen Regelungen, sondern lediglich Begründungselemente iS von § 35 SGB X. Damit ist die Entscheidung des LSG, das die Ziffern 1. und 2. antragsgemäß aufgehoben hat, im Ergebnis zu bestätigen. Die Revisionen waren schon deshalb zurückzuweisen.
Die von den Klägern aus Gründen der materiellen Rechtswidrigkeit des Schiedsspruchs (ua §§ 75, 89 SGB XI) erhobenen Anfechtungsklagen sind zulässig geblieben. Den Klägern drohen zwar aus einer nicht wirksam gewordenen Vertragsregelung keine Rechtsnachteile; sie können sich aber aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes mit der Anfechtungsklage dagegen wehren (vgl BSG vom 26.10.1989 - 4 RA 90/88 - juris RdNr 9).
b) Neben der fehlenden Bekanntgabe der Anlagen 3, 3a und 3b des Schiedsspruchs, die allein schon zur Aufhebung der Ziffern zu 1. und 2. des Schiedsspruchs führen musste, ist der Schiedsspruch insoweit auch materiell rechtswidrig. Er ist entgegen § 33 Abs 1 SGB X inhaltlich nicht hinreichend bestimmt. Die Unbestimmtheit des Regelungsgehalts der Ziffern zu 1. und 2. des Schiedsspruchs führt zu seiner anfechtbaren Rechtswidrigkeit. Der Mangel des Schiedsspruchs ist nicht derart offensichtlich iS von § 40 Abs 1 SGB X, dass er von vornherein die Nichtigkeit zur Folge hatte (vgl allgemein Engelmann in Schütze, 9. Aufl 2020, SGB X, § 33 RdNr 18; Mutschler in Kasseler Komm, Stand Mai 2021, § 33 SGB X RdNr 16 mwN).
Allgemein gilt, dass ausgehend vom objektiven Empfängerhorizont der Regelungsgehalt des Verwaltungsakts klar und unmissverständlich sein muss (vgl BSG vom 15.5.2002 - B 6 KA 25/01 R - SozR 3-2500 § 85 Nr 46 S 384 mwN). Unbestimmt iS von § 33 SGB X ist ein Verwaltungsakt hingegen dann, wenn sein Verfügungssatz nach seinem Regelungsgehalt in sich nicht widerspruchsfrei ist und davon Betroffene bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers nicht in der Lage sind, ihr Verhalten daran auszurichten. Es genügt zwar, wenn der eindeutige Regelungsgehalt ggf erst durch Auslegung - etwa unter Zuhilfenahme der Begründung oder anderer auf der Hand liegender Umstände des Einzelfalls - zu ermitteln ist (stRspr; vgl nur BSG aaO). Hingegen ist es nicht ausreichend, wenn die Beteiligten Verhandlungsergebnisse für sich selbst in ihren Unterlagen dokumentieren oder sich die Bestimmtheit der Regelung erst unter Rückgriff der Akten herstellen lässt (vgl Engelmann in Schütze, 9. Aufl 2020, SGB X, § 33 RdNr 18).
Die Beteiligten berufen sich für den Inhalt der Anlagen 3, 3a und 3b auf bloße synopsenartige Darstellungen und Zusammenfassungen ihrer Verhandlungsergebnisse im elektronischen Korrekturmodus. Überdies finden sich mehrere unterschiedliche Fassungen des Leistungskomplexkatalogs in den Akten. Die lediglich synopsenartige Darstellung des mehrfach geänderten Vertragsentwurfs schließt aber eine eindeutige Rekonstruktion des festgelegten Vertragsinhalts aus. Es ist auch nicht ausreichend, wenn die Beteiligten von einem konsentierten Ergebnis ausgehen, ohne dass sich dieses in nachvollziehbarer Weise den Akten entnehmen lässt. Der Inhalt des RV muss eindeutig festgehalten sein. Das gilt nicht nur für die Verhandlungspartner, sondern für alle vom RV betroffenen Akteure und folgt auch aus § 75 Abs 1 Satz 4 SGB XI, der die unmittelbare Verbindlichkeit von RVen für die Pflegekassen und zugelassene Pflegeeinrichtungen im Inland bestimmt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 und 3, § 162 VwGO.
Fundstellen
KrV 2022, 80 |
NZS 2022, 759 |