Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsopferversorgung - Ordnungspolizei - Schutzmannschaftsbataillone - Polizeibataillone - Lettland - Partisanenbekämpfung - militärähnlicher Dienst für eine deutsche Organisation - unmittelbare Kriegseinwirkung - Versagung von Versorgungsleistungen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Angehörigen der Anfang 1943 hinter der Front zur Partisanenbekämpfung ("Unternehmen Winterzauber") eingesetzten lettischen "Schutzmannschaftsbataillone" haben keinen "militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation" geleistet., ,
2. Ein Angehöriger dieses Personenkreises kann jedoch durch "unmittelbare Kriegseinwirkung" geschädigt sein; dies gilt nicht, wenn er bei Terrormaßnahmen gegen die unbewaffnete Zivilbevölkerung verwundet worden ist., ,
3. Zum Anwendungsbereich des § 1a BVG (Versagung von Versorgungsleistungen).
Normenkette
BVG § 1 Abs. 2 Buchst. a, § 3 Abs. 1 Buchst. b, §§ 1a, 3 Abs. 1 Buchst. k, § 5 Abs. 1 Buchst. a, § 7 Abs. 1 Nr. 3, § 8 S. 1
Beteiligte
Landesversorgungsamt Baden-Württemberg |
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Januar 2001 aufgehoben und der Rechtsstreit an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf Beschädigtenversorgung.
Der 1926 geborene Kläger ist lettischer Staatsangehöriger und lebt in Lettland. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) wurde er am 22. Februar 1943 als Angehöriger des der Ordnungspolizei zuzurechnenden 273. Lettischen Schutzmannschaftbataillons („Polizeibataillons”) in der Gegend von Sebesch während der der Partisanenbekämpfung dienenden Operation „Winterzauber” verwundet. Die Operation „Winterzauber” fand auf Grund des Einsatzbefehls des seinerzeit in Riga eingesetzten „Höheren SS- und Polizeiführers für das Ostland und Russland Nord” (Jeckeln) vom 5. Februar 1943 in der Zeit vom 19. Februar bis 7. März 1943 statt und spielte sich auf russischem, unmittelbar östlich der südlichen lettischen Ostgrenze gelegenem Gebiet ab. Eingesetzt wurden mehrere Tausend Mann in zwei „Gruppen” ua die „Gruppe Schröder”, die aus lettischen Schutzmannschaftbataillonen, darunter dem Schutzmannschaftbataillon 273 und kleineren, der Ordnungspolizei unterstellten Einheiten der deutschen Wehrmacht bestand. Das Schutzmannschaftbataillon 273 hatte laut Auskunft des historischen Staatsarchivs Lettland eine Stärke von 436 Mann, darunter 19 Führungs- und 55 Unterführungsoffiziere, und war mit vier Granatwerfern und 38 Maschinengewehren ausgestattet. Laut Auskunft der deutschen Dienststelle (WASt) Berlin wurde dem Kläger am 22. Februar 1943 der rechte Unterschenkel amputiert.
Seinen Antrag auf Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 29. November 1991 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 28. September 1994 und Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 1995 mit der Begründung ab, der Kläger gehöre nicht zu dem nach dem BVG anspruchsberechtigten Personenkreis, denn das 273. lettische „Polizeibataillon” sei ein Verband der Ordnungspolizei gewesen, der nur zeitweise dem militärischen Oberbefehl unterstanden habe. Für den fraglichen Zeitraum sei ein Oberbefehl der deutschen Wehrmacht nicht nachzuweisen.
Auch Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Urteile vom 30. März 2000 und vom 19. Januar 2001). Das Sozialgericht Stuttgart (SG) hat ein militärhistorisches Gutachten vom 21. August 1999 des Dr. G. von der „Auskunftei Deutsche Militärgeschichte Emmendingen” erstellen lassen, das LSG Unterlagen eines Parallelverfahrens (L 8 V 2856/98) beigezogen und ein weiteres Gutachten des Sachverständigen Dr. G. vom 21. Oktober 2000 eingeholt. Der Kläger hat vor dem LSG ein militärhistorisches Gutachten des Rigaer „Militärhistorikers” V. vom 26. August 2000 vorgelegt. Danach war den lettischen Polizeibataillonen je ein im Dienstrang nachgeordneter, aber faktisch weisungsbefugter Verbindungsoffizier der deutschen Wehrmacht zugeteilt.
In den Entscheidungsgründen seines Urteils führt das LSG im Wesentlichen aus, der Kläger falle nicht unter den Personenkreis des § 7 Abs 1 Nr 3 BVG. Er habe keinen Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht geleistet. Zwar habe er im April 1944 dem zur Waffen-SS gehörenden 4. Freiwilligen Regiment 1 der 19. Lettischen Freiwilligen Division angehört, diese Division sei aber erst Ende 1943/Anfang 1944 aufgestellt worden. Er falle auch nicht unter die „dritte Alternative” des § 7 Abs 1 Nr 3 BVG, weil er zur Zeit der Schädigung Angehöriger einer Polizeieinheit – und nicht Zivilperson – gewesen sei. Aber auch die „zweite Alternative” (Schädigung im ursächlichen Zusammenhang mit einem militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation) sei auf ihn nicht anwendbar. Denn er habe keiner der in § 3 BVG genannten Organisationen angehört. Auch ein von § 3 BVG nicht erfasster „militärähnlicher Dienst für eine deutsche Organisation” habe nicht vorgelegen. Denn bei der Partisanenbekämpfung habe es sich um eine Aufgabe gehandelt, die zwar auch von Verbänden der Wehrmacht hätte wahrgenommen werden können. Sie sei aber hier von einer ordnungspolizeilichen Organisation im Rahmen ihrer Aufgabenstellung erfüllt worden, ohne dass konkret ein Einsatzbefehl der deutschen Wehrmacht vorgelegen habe.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Kläger eine Verletzung des materiellen Rechts und macht ua geltend: Anders als das LSG meine, habe er „militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation” iS des § 7 Abs 1 Nr 3 2. Alt iVm § 3 Abs 1 Buchst b BVG geleistet. Diese Bestimmung sei als Auffangtatbestand zu verstehen. Die Schutzmannschaften seien auf Anregung der Heeresgruppe Nord vom August 1941 aufgestellt worden. Zudem habe ein „militärähnlicher Dienst für eine deutsche Organisation” iS des § 7 Abs 1 Nr 3 2. Alt iVm § 3 Abs 1 Buchst k BVG vorgelegen. Die im Interesse der deutschen Wehrmacht aufgestellten lettischen Polizeibataillone seien der auf Grund der „Notdienstverordnung” gebildeten deutschen „Polizeireserve” gleichzustellen. Schließlich erfülle er, der Kläger, die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Nr 3 „3. Alt” BVG, denn er sei bei Kampfhandlungen auf besetztem Gebiet verwundet worden.
Er beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Januar 2001 sowie das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. März 2000 und den Bescheid des Beklagten vom 28. September 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 1995 aufzuheben und den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von Beschädigtengrundrente zu verurteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG für richtig. Er weist ua darauf hin, dass der Senat in seinem Urteil vom 9. Dezember 1998 (B 9 V 46/97 R) § 7 Abs 1 Nr 3 BVG nicht als „besonderen, selbstständigen Versorgungsgrund für Ausländer” angesehen habe.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung an die Vorinstanz begründet. Entgegen der Meinung des LSG kann der Kläger gemäß § 7 BVG zum versorgungsberechtigten Personenkreis gehören. Nach Abs 1 Nr 1 und 2 dieser Vorschrift findet das BVG in erster Linie Anwendung auf Deutsche und deutsche Volkszugehörige, zu denen der Kläger nicht zählt. Unter bestimmten Voraussetzungen wird nach Abs 1 Nr 3 dieses Gesetz jedoch auch auf andere Kriegsopfer angewendet.
Zwar muss der Beschädigte grundsätzlich seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BVG haben. § 8 Satz 1 BVG iVm Nr 3 Buchst b der „Regelungen für die Versorgung von Kriegsopfern in Ost- und Südosteuropa” (Richtlinien Ost 1990 ≪ROst 1990≫) des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 7. Dezember 1990 (Az: VI a4-53340-9, veröffentlicht in dem vom Sozialverband VdK Deutschland eV herausgegebenen „Handbuch des sozialen Entschädigungsrechts” 1999/2000 S 267, 268) macht davon aber bei solchen Kriegsopfern eine Ausnahme, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem der in § 1 der Auslandsversorgungsverordnung vom 30. Juni 1990 (BGBl I S 1321) idF der Ersten Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Auslandsversorgung nach § 64e des BVG vom 27. Mai 1994 (BGBl I S 1162) genannten Länder – darunter Lettland – haben. Angehörige dieses Personenkreises erhalten eine im Umfange nach §§ 64 ff BVG geminderte Versorgung, wenn sie die in § 7 Abs 1 Nr 3 BVG genannten sonstigen Voraussetzungen erfüllen.
Diese Bestimmung enthält zwei Alternativen, deren Erste zwei Unterfälle erfasst. Nach der ersten Alternative muss die Schädigung mit einem „Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht” (erster Unterfall) oder einem „militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation” (zweiter Unterfall) in ursächlichem Zusammenhang stehen. Nach der zweiten Alternative ist Voraussetzung, dass die Schädigung in Deutschland oder in einem zur Zeit der Schädigung von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet durch unmittelbare Kriegseinwirkung eingetreten ist.
1. (Erste Alternative) Der Kläger hat zum Zeitpunkt seiner Verwundung weder Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht noch militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation im Sinne der ersten Alternative geleistet:
a) (Erster Unterfall) Das 273. lettische Polizeibataillon war – wie die gesamte „Gruppe Schröder” – in der fraglichen Zeit nicht organisatorisch in die deutsche Wehrmacht eingegliedert. Die von den Deutschen aufgestellten lettischen Verbände (bis zum Juli 1943 sog „Schutzmannschaft-Bataillone” ≪vgl Absolon in der vom Bundesarchiv herausgegebenen „Sammlung wehrrechtlicher Gutachten und Vorschriften” Heft 20/21, 1983, auf S 188, 191≫), unterstanden – jedenfalls im Bereich des Reichskommissariats Ostland – dem Befehlshaber der Ordnungspolizei; dies war seinerzeit (Anfang 1943) der sog „Höhere SS- und Polizei-Führer” Jeckeln (Loock in Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte München, Bd II, Stuttgart, 1966, S 201, 203; zur Tätigkeit dieses „Höheren SS- und Polizei-Führers” in Litauen vgl Mommsen, ebendort S 323 ff und Wilhelm, Die Einsatzgruppe A der Sicherheitspolizei und des SD 1941/42 Frankfurt am Main 1996, S 483). Die allgemein zugänglichen Veröffentlichungen über den Zweiten Weltkrieg, insbesondere über die Vorgänge im Hinterland der deutschen Ostfront, decken sich insoweit mit den vom LSG anhand des Gutachtens des Dr. G. getroffenen Feststellungen. Ihnen lässt sich auch entnehmen, dass zum Zeitpunkt der Verwundung des Klägers während der Operation „Winterzauber” im Februar/März 1943, das Schutzmannschaftbataillon 273 nicht zur Waffen-SS, sondern zur Ordnungspolizei gehörte.
b) (Zweiter Unterfall) Auch der zweite Unterfall der ersten Alternative des § 7 Abs 1 Nr 3 BVG (vom LSG als „zweite Alternative” bezeichnet) – militärähnlicher Dienst für eine deutsche Organisation – liegt nicht vor. Dieser Tatbestand – wie überhaupt die erste Alternative des § 7 Abs 1 Nr 3 BVG – enthält keine Erweiterung zu § 3 BVG. Als „militärähnlicher Dienst für eine deutsche Organisation” ist nur der militärähnliche Dienst iS des § 3 BVG anzusehen (vgl BSGE 83, 171, 173 ff = SozR 3-3100 § 7 Nr 5; ferner BSGE 30, 115, 116 ff = SozR Nr 8 zu § 7 BVG). Die Vorschrift des § 7 Abs 1 Nr 3 1. Alt BVG erweitert, wie das Bundessozialgericht (BSG) in der zuletzt zitierten Entscheidung ausgeführt hat, nicht den Kreis der anspruchsbegründenden Tatbestände für Ausländer, sie schränkt ihn vielmehr ein. Mit der Bezeichnung „Dienst für eine deutsche Organisation” ist kein Dienst für eine beliebige Organisation gemeint. Es muss sich um einen Dienst für eine in § 3 Abs 1 BVG genannte Organisation gehandelt haben (s auch Fehl in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl, RdNr 12 zu § 7 BVG).
In Betracht kommt hier insbesondere ein unter § 3 Abs 1 Buchst b BVG fallender Dienst (vgl Rohr/Sträßer, Bundesversorgungsrecht mit Verfahrensrecht, Anm 7 zu § 7 BVG auf S § 7-K 11). Zu Recht hat das LSG aber die Voraussetzungen für einen militärähnlichen Dienst iS dieser Bestimmung nicht als erfüllt angesehen. Nach § 3 Abs 1 Buchst b BVG gilt als militärischer Dienst der auf Grund einer Einberufung durch eine militärische Dienststelle oder auf Veranlassung eines militärischen Befehlshabers für Zwecke der Wehrmacht geleistete freiwillige oder unfreiwillige Dienst. Eine Einberufung durch eine militärische Dienststelle lag unstreitig nicht vor. Aber auch die zweite Alternative von Buchst b ist nicht zu bejahen, da das entscheidende Merkmal „Veranlassung eines militärischen Befehlshabers” nicht erfüllt ist. Die von der Revision für das Vorliegen dieses Merkmals angeführten Gesichtspunkte rechtfertigen keine andere Beurteilung. Dass die Aktion (auch) Zwecken der deutschen Wehrmacht (insbesondere der Nachschubsicherung) diente, erfüllt nur eine der in § 3 Abs 1 Buchst b BVG aufgestellten Voraussetzungen. Der Wunsch der Wehrmacht nach Aufstellung entsprechender lettischer Verbände betrifft nur die Entstehung der „Schuma-Bataillone”, nicht aber Zeit, Ort, Art und Umfang ihres Einsatzes; die im August 1941 von Kreisen der Wehrmacht ausgehende Anregung kann daher nicht als „Veranlassung” eines Befehlshabers der Wehrmacht iS des § 3 Abs 1 Buchst b BVG gelten, obwohl dieser Tatbestand keine organisatorische Eingliederung in die Kommandostruktur der Wehrmacht erfordert (vgl BSG, Urteil vom 2. Februar 1966 – 8 RV 857/64 –, SozEntsch BSG IX/III, § 3 Nr 34). Maßgeblich ist, ob der konkrete Einsatz auf Veranlassung eines militärischen Befehlshabers erfolgt ist. Das hat das BSG in der vorzitierten Entscheidung zwar für den Einsatz von Polizeitruppenverbänden im Heeresgebiet Russland-Mitte bejaht. Die Entscheidung betraf jedoch eine Aktion, für die in der zugrundeliegenden Berufungsentscheidung ein Einsatzbefehl des Oberkommandos des Heeres festgestellt worden war. Eine derartige Feststellung hat hier das LSG für die im Gebiet „Ostland und Russland Nord” abgelaufene Aktion „Winterzauber” nicht getroffen. Die Wehrmacht hat die von der Ordnungspolizei und der SS bei der Aktion eingesetzten lettischen Einheiten lediglich mit kleineren eigenen Einheiten unterstützt, die ebenfalls dem Oberbefehl der Ordnungspolizei und SS unterstanden. Dass den zahlenmäßig weit überwiegenden lettischen Einheiten deutsche Verbindungsoffiziere beigegeben waren, hat in diesem Zusammenhang keine Bedeutung; denn diese hatten – auch faktisch – keine Befehlsgewalt über die lettischen Verbände. Nach den unangegriffenen und damit für den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG führte die Kommandostruktur von den das Unternehmen „Winterzauber” befehligenden Offizieren ohne Zwischenschaltung von Befehlshabern der Wehrmacht zum höheren Polizei- und SS-Führer Jeckeln und von dort hinauf bis zum Reichsführer SS. Auch der Umstand, dass die Aktion „Winterzauber” – jedenfalls streckenweise – unter militärischen Bedingungen und unter Einsatz von größeren Verbänden gegen einen bewaffneten Feind ablief, ersetzt nicht die „Veranlassung” durch einen militärischen Befehlshaber. Zwar hat der 4. Senat des BSG seiner Entscheidung vom 29. November 1979 (BSGE 49, 170, 171 = SozR 2200 § 1251 Nr 73) den Leitsatz vorangestellt, dass, wer als Angehöriger der bewaffneten Verbände der SS einen Dienst geleistet hat, der sonst, wenn es diese Verbände nicht gegeben hätte, von einem Soldaten der Wehrmacht geleistet worden wäre, in der Regel militärähnlichen Dienst geleistet hat. Diese Entscheidung bezog sich aber – wie die bereits zitierte Entscheidung des Senats vom 9. Dezember 1998 (BSGE 83, 171 = SozR 3-3100 § 7 Nr 5) – nur auf Einheiten der Waffen-SS. Außerdem ist das BSG in beiden Entscheidungen davon ausgegangen, dass sich der Einsatz der SS-Verfügungstruppe unter dem Oberbefehl des Heeres vollzog.
Militärähnlichen Dienst hat der Kläger schließlich auch nicht im Zusammenhang mit § 3 Abs 1 Buchst k BVG geleistet. Zwar hat das LSG Nordrhein-Westfalen in seiner Entscheidung vom 4. November 1959 (Breithaupt 1963, 990) angenommen, der Dienst in lettischen Polizeieinheiten während des Zweiten Weltkrieges sei als militärähnlicher Dienst iS des § 3 Abs 1 Buchst k BVG anzusehen. Diesem Urteil ist jedoch nicht zu folgen. Ein Dienst auf Grund der „Dritten Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung” vom 15. Oktober 1938 (Notdienstverordnung – RGBl I 1441), wie er in der Polizeireserve abzuleisten war (vgl Fehl in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl RdNr 22 zu § 3 BVG; Rohr/Sträßer, aaO Anm 13 zu § 3 BVG), lag schon deswegen nicht vor, weil die Notdienstverordnung nur für „Bewohner des Reichsgebiets” galt. Eine Gleichstellung mit dem Dienst der deutschen Polizeireservisten nach § 3 Abs 1 Buchst k BVG kommt nicht in Betracht, weil, wie schon dargelegt, der Tatbestand des § 7 Abs 1 Nr 3 BVG, so weit er auf den „militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation” abstellt, nicht den Katalog des § 3 BVG erweitert.
2. (Zweite Alternative) Indessen kann – entgegen der Meinung des LSG – ggf die zweite Alternative des § 7 Abs 1 Nr 3 BVG (vom LSG als „dritte Alternative” bezeichnet) auf den Kläger zutreffen. Nach dieser Bestimmung zählt zum versorgungsberechtigten Personenkreis auch ein Nicht-Deutscher, der in Deutschland oder einem zur Zeit der Schädigung von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet durch unmittelbare Kriegseinwirkung geschädigt worden ist. Das Gebiet, auf dem der Kläger 1943 verletzt worden ist, war seinerzeit durch die deutsche Wehrmacht besetzt. Was die Schädigung „durch unmittelbare Kriegseinwirkung” betrifft, enthält die zweite Alternative eine stillschweigende Verweisung auf die „unmittelbare Kriegseinwirkungen” betreffenden Bestimmungen des § 1 Abs 2 Buchst a und des § 5 Abs 1 BVG. Die Anwendung dieser Bestimmungen ist hier nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Kläger seine Verletzungen bei einem Kampfeinsatz als Angehöriger einer nicht nach § 3 BVG in den Versorgungsschutz einbezogenen Organisation erlitten hat. Allerdings hat der Senat in seiner Entscheidung vom 24. November 1977 (BSGE 45, 166 auf S 169 ff = SozR 3100 § 7 Nr 5) ausgeführt, die – hier allein in Betracht zu ziehende – Regelung des § 5 Abs 1 Buchst a BVG könne sowohl Angehörige der Streitkräfte, die sich befehlsgemäß an Kampfhandlungen beteiligen, als auch Zivilpersonen, die ungewollt und zufällig in solche Geschehnisse geraten, erfassen. Greife aber die erste Alternative des § 7 Abs 1 Nr 3 BVG nicht ein, so sei der nicht erfasste ausländische Kombattant auch nicht nach der zweiten (letzten) Alternative des § 7 Abs 1 Nr 3 BVG geschützt. Dies gilt aber nur für Angehörige ausländischer Einheiten der ehemaligen Verbündeten des deutschen Reiches, nicht aber für ausländische Angehörige von Verbänden, die von Deutschen aufgestellt waren. Auf den letztgenannten Personenkreis ist vielmehr die zweite Alternative des § 7 Abs 1 Nr 3 BVG anzuwenden, auch wenn sie nicht bei einer privaten Betätigung, sondern bei der Ausübung ihres Dienstes, insbesondere während ihres bewaffneten Einsatzes, „durch unmittelbare Kriegseinwirkung” geschädigt worden sind.
Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der – unveröffentlichten – Entscheidung des 11. Senats vom 18. Februar 1959 (Az 11/8 RV 1087/56), in der das BSG den Versorgungsschutz für einen Angehörigen der deutschen Polizei bejaht hat, der nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Rahmen des polizeilichen Ordnungsdienstes in Kattowitz tätig gewesen war und dort während eines privaten Aufenthalts in der Wohnung des Ortspfarrers von zwei unbekannten maskierten Männern niedergeschossen worden war. Zur Begründung wird in dem Urteil hervorgehoben: Seien Personen bei bewaffneten Überfällen von Partisanen geschädigt worden, so beruhe das in der Regel auf „unmittelbaren Kriegseinwirkungen” iS des § 1 Abs 2 Buchst a iVm § 5 Abs 1 Buchst a BVG. Auch die von der Revision angeführten Urteile des BSG aus den Jahren 1963 und 1964 sprechen dafür, dass eine Schädigung durch unmittelbare Kriegseinwirkung bzw durch Kampfhandlungen auch bei Angehörigen bewaffneter Verbände denkbar ist. Die Entscheidung vom 25. Juni 1963 (BSGE 19, 197) betrifft einen Angehörigen der im März 1944 nur mehr oder weniger widerwillig auf deutscher Seite verbliebenen ungarischen Armee, der im Oktober 1943 bei einem Bombenangriff verletzt worden war. Ob sich der Verletzte seinerzeit in Ausübung des Dienstes oder gar – wie hier – in bewaffnetem Einsatz befunden hat, ist dem Urteil allerdings nicht zu entnehmen. Das Urteil des Senats vom 28. August 1964 (BSGE 21, 266 = SozR Nr 5 zu § 7 BVG) befasst sich mit dem Versorgungsanspruch eines Angehörigen der jugoslawischen Cetnik-Verbände, der im November 1944 bei einem Fliegerangriff verschüttet worden war. In dieser Entscheidung hat der Senat (aaO S 270 ff) die zweite Alternative des § 7 Abs 1 Nr 3 BVG für – möglicherweise – anwendbar gehalten, weil der (damalige) Kläger seine Gesundheitsstörungen durch unmittelbare Kriegseinwirkungen erlitten haben könnte. Nach allem genießen Nicht-Deutsche, die Dienst für eine nicht unter § 7 Abs 1 Nr 3 iVm § 3 BVG fallende Organisation geleistet haben, zwar keinen umfassenden Versorgungsschutz – etwa gegen Unfälle, die sie bei der Ausübung ihres Dienstes erleiden, oder gegen Erkrankungen oder gegen die in § 1 Abs 2 Buchst b – f genannten Schädigungen –, ihnen können aber Versorgungsleistungen auf Grund einer in Deutschland oder in einem von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet durch unmittelbare Kriegseinwirkung iS des § 1 Abs 2 Buchst a iVm § 5 BVG eingetretenen Schädigung zustehen, auch wenn sie diese bei einem bewaffneten Einsatz im Rahmen ihres Dienstes erlitten haben.
Der Senat musste den Rechtsstreit gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG an das LSG zurückverweisen. Den Feststellungen des LSG lässt sich nicht entnehmen, unter welchen näheren Umständen der Kläger geschädigt worden ist. Als „Kampfhandlungen” iS der genannten Bestimmungen können nämlich nur einseitige Anschläge der Partisanen oder der Austausch von Feindseligkeiten unter bewaffneten Einheiten verstanden werden, nicht aber etwaige Notwehrmaßnahmen gegen Gewaltmaßnahmen oder Exzesse, die sich gegen die unbewaffnete Zivilbevölkerung richteten. Im Zweiten Weltkrieg ist es im Zusammenhang mit der Partisanenbekämpfung, insbesondere durch die Sicherheitspolizei, auch zu Massenerschießungen von lediglich der Unterstützung der Partisanen verdächtigen oder von zur Unterstützung der Partisanen gezwungenen Zivilisten gekommen (vgl etwa Wilhelm aaO, S 266 f, insbesondere Anmerkung 26). Sollte der Kläger bei solchen Aktionen verletzt worden sein, ist er nicht „Kampfhandlungen” iS des § 5 Abs 1 Buchst a BVG, sondern – versorgungsrechtlich nicht geschützten – Notwehrmaßnahmen gegen unmenschliche Handlungen zum Opfer gefallen. Nach den bisherigen Feststellungen des LSG lässt sich dies nicht ausschließen. Das LSG wird daher die insoweit erforderlichen Feststellungen noch zu treffen haben. Lassen sich indessen keine Umstände ermitteln, die für das Vorliegen des genannten Ausnahmetatbestands sprechen, ist zu Gunsten des Klägers von einer Schädigung durch Kampfhandlungen auszugehen.
Darüber hinaus wird das LSG aufzuklären haben, ob der Kläger unter die Regelung des durch das Gesetz vom 14. Januar 1998 (BGBl I 66) in das BVG eingefügten § 1a BVG fällt, was auch wegen Handlungen der Fall sein kann, die vor oder nach der Aktion „Winterzauber” begangen worden sind. Zwar könnten Versorgungsleistungen nach Abs 1 dieser Vorschrift nur dann unter bestimmten Voraussetzungen versagt werden, wenn der Geschädigte nach dem maßgeblichen Stichtag (13. November 1997) Antrag auf Leistungen gestellt hat. Der Kläger hat seinen Leistungsantrag bereits 1991 gestellt. Da aber gemäß § 1a Abs 2 BVG bei Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 auch (bereits zuerkannte) Leistungen zu entziehen oder zu mindern sind (außer in dem hier nicht denkbaren Fall, dass das Vertrauen des Berechtigten auf eine „fortwährende Gewährung” im Einzelfall überwiegend schutzbedürftig ist), bleibt eine Versagung oder Minderung einer dem Kläger ggf sonst zustehenden Leistung gemäß § 1a BVG wegen mit der Aktion „Winterzauber” nicht in Zusammenhang stehender Umstände denkbar. Liegen entsprechende Umstände vor, was das LSG noch zu klären haben wird, stünde dem Kläger der etwaige Anspruch möglicherweise nicht oder jedenfalls nicht voll zu. Denn so weit eine Leistung sofort wieder zu entziehen oder zu mindern ist, kann ihre Gewährung aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen nicht gefordert werden (vgl Heinrichs bei Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 61. Aufl RdNr 52 zu § 242).
Die Kostenentscheidung ist der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorzubehalten.
Fundstellen
BSGE 89, 207 |
BSGE, 207 |
FA 2002, 364 |
SGb 2003, 410 |
SozR 3-3100 § 7, Nr. 7 |
AUR 2002, 359 |