Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 26.01.1994) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Januar 1994 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Auslegung des § 19 Abs 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) in der bis zum 31. Dezember 1993 geltenden Fassung.
Die Klägerin, eine Innungskrankenkasse, gewährte dem bei ihr freiwillig versicherten J. … K. … (K) wegen einer wehrdienstbedingten Arbeitsunfähigkeit (AU) vom 23. November 1989 bis 30. April 1990 Krankengeld (Krg). Für die ersten sechs Wochen war nur Versorgungs-Krg zu zahlen, seit 4. Januar 1990 zusätzlich auch Krg nach krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften. Für die Zeit vom 4. Januar bis 30. April 1990 leistete die Klägerin daher neben dem Versorgungs-Krg noch Krg nach § 44 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – (SGB V), soweit dieses das Versorgungs-Krg überstieg und nicht nach § 49 Abs 1 Nr 3 SGB V ruhte (Spitzbetrag), im ganzen 6.515,73 DM. Die Klägerin verlangt vom Beklagten Erstattung auch dieses Spitzbetrages.
Die Erstattungsklage hatte in den ersten beiden Rechtszügen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Detmold vom 5. November 1991 und Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen vom 26. Januar 1994). In den Gründen seiner Entscheidung führt das LSG im wesentlichen aus: Vor Änderung des § 183 Abs 6 Reichsversicherungsordnung (RVO) aF durch Art 4 § 1 Nr 1 des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I S 1497) sei die Erstattung des Spitzbetrages durch den Versorgungsträger unumstritten gewesen (vgl RdSchr des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung ≪BMA≫ vom 11. Juli 1978 – BVBl 78, 52). Seit dieser zum 1. Januar 1982 in Kraft getretenen Gesetzesänderung habe der Krg-Anspruch des Beziehers von Versorgungs-Krg vollständig geruht, womit insoweit auch kein Erstattungsanspruch mehr habe entstehen können. Nachdem aber § 186 Abs 6 RVO idF des AFKG insoweit für verfassungswidrig erklärt worden sei (BVerfG SozR 2200 § 183 Nr 54), und der Gesetzgeber diesem Beschluß des BVerfG mit der Neufassung der Nachfolgevorschrift (§ 49 Abs 1 Nr 3 SGB V) zum 1. Januar 1990 Rechnung getragen habe, habe wieder dasselbe gegolten wie vor dem 1. Januar 1982, dh der Spitzbetrag sei wieder zu erstatten gewesen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die – vom LSG zugelassene – Revision des Beklagten, die im wesentlichen wie folgt begründet wird: Der Regelung des § 19 Abs 2 BVG aF habe das Auftragsprinzip zugrunde gelegen. Hiernach habe der Beauftragte Erstattung nur im Rahmen derjenigen Leistungen verlangen können, die sonst der Auftraggeber (Geschäftsherr) nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften hätte gewähren müssen. Zu erstatten seien daher nur die Leistungen in Höhe des Versorgungs-Krg. Diese Betrachtungsweise entspreche auch der Ansicht des BMA (RdSchr vom 8. Februar 1990 – BABl 90, 4/74) und des 11. Ausschusses des Bundestages (vgl BT-Drucks 11/5530 S 60 f). Wenn den Beziehern von Versorgungs-Krg der Anspruch auf den Krg-Spitzbetrag durch die Neufassung des § 49 Abs 1 Nr 3 SGB V wieder eingeräumt worden sei, so habe das nur das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, nicht aber die Erstattungsregelung des § 19 Abs 2 BVG aF betroffen. Der Spitzbetrag sei daher seit dem 1. Januar 1990 sowenig zu erstatten gewesen wie vorher.
Er beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Januar 1994 und des Sozialgerichts Detmold vom 5. November 1990 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Diesem Antrag schließt sich die Beigeladene an. Sie weist darauf hin, daß die Rechtsauffassung des LSG zur Folge habe, daß die Belastung des Bundeshaushalts durch Leistungen an arbeitsunfähige Selbständige, die freiwillig versichert seien, von der jeweiligen Beitragseinstufung durch die Krankenkassen abhängig werde.
Die Klägerin beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält die Urteile der Vorinstanzen für richtig.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen der Klägerin einen Erstattungsanspruch auch hinsichtlich des dem K gewährten Krg-Spitzbetrages zugesprochen.
Nach § 19 Abs 2 Satz 1 BVG in der hier maßgebenden Fassung des Gesetzes vom 23. Juni 1986 (BGBl I S 519) waren „Krankengeld und die Aufwendungen für Betriebshilfe für Landwirte” zu erstatten, wenn die AU oder die Krankenhauspflege durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden war. Die Bestimmung unterschied nicht zwischen „Versorgungs-Krg” und Krg aufgrund krankenversicherungsrechtlicher Vorschriften „Krg im engeren Sinn”). Sie erfaßte vielmehr den von der Krankenkasse zu leistenden Gesamtbetrag „Krg im weiteren Sinn”), dh sowohl das kraft gesetzlichen Auftrages zu leistende Versorgungs-Krg (§ 16 Abs 1 Buchst a iVm § 18c Abs 1 Satz 3 BVG) als auch das „Krg im engeren Sinn” (§ 182 Abs 1 Nr 2 RVO aF, später § 44 SGB V). Die Erstattungsregelung des § 19 Abs 2 Satz 1 BVG aF war vom Verursacher-, nicht vom Auftragsprinzip geprägt (vgl Verwaltungsvorschrift Nr 1 zu § 19 BVG sowie Fehl bei Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7 Aufl RdZiff 4 ff zu § 19 und Sträßer in Rohr/Sträßer Anm 2 zu § 19). Nur hinsichtlich des nach § 19 Abs 2 Satz 1 BVG aF ebenfalls zu erstattenden Versorgungs-Krg galt ausnahmsweise das Auftragsprinzip. Da die Bestimmung grundsätzlich die uneingeschränkte Erstattung des Krg durch den Versorgungsträger vorsah, wenn nur der Leistungstatbestand (AU) durch ein Versorgungsleiden verursacht war, hatte der Versorgungsträger das „Krg im weiteren Sinn” auch insoweit zu erstatten, wie es nicht als Auftragsleistung, sondern als Eigenleistung der Kasse (Krg im engeren Sinn) zu leisten war (so zum bis 31. Dezember 1981 bestehenden Rechtszustand auch RdSchr des BMA vom 11. Juli 1978 – BVBl 78, 72 ff). Insoweit griff das die Bestimmung prägende Verursacherprinzip durch.
§ 19 Abs 2 Satz 1 BVG aF ist von 1978 bis 31. Dezember 1993 nur durch das Gesetz vom 23. Juni 1986 geändert worden. Dieses Gesetz brachte die Ausdehnung der Erstattungspflicht des Versorgungsträgers auf die Aufwendungen für Betriebshilfe für Landwirte. Auch und gerade diese Novellierung des § 19 Abs 2 Satz 1 BVG aF ging eindeutig vom Verursacherprinzip und von der Vollerstattung auch versorgungsfremder Leistungen aus, denn die Betriebshilfe war eine rein sozialversicherungsrechtliche Leistung, die im BVG nicht vorgesehen war (vgl § 9 Abs 2 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte). Im übrigen blieb die Vorschrift unverändert. Das galt insbesondere bei Inkrafttreten der Neufassung des § 49 Abs 1 Nr 3 SGB X zum 1. Januar 1990, worauf der Beklagte zu Recht hinweist. Aus dem Unterbleiben einer Änderung des § 19 Abs 2 Satz 1 BVG aF zum 1. Januar 1990 ist aber – im Gegensatz zur Auffassung des Beklagten – gerade der Schluß zu ziehen, daß der Spitzbetrag seither wieder zu erstatten war. Denn auch wenn das Krg nicht nur teilweise, sondern überhaupt nicht geruht hätte, wäre es in vollem Umfang zu erstatten gewesen, da das Gesetz eine höhenmäßige Beschränkung der Erstattungspflicht nicht vorsah. Dafür spricht auch die in den frühesten Fassungen des § 19 BVG im Zusammenhang mit der Erstattung von Krg wegen stationärer Behandlung gebrauchte Formulierung „das satzungsgemäße Krg” (vgl § 19 Abs 3 BVG idF vom 20. Dezember 1950 – BGBl I S 791). Schon seinerzeit war nämlich auch bei ambulanter Behandlung das volle „satzungsmäßige” Krg zu erstatten (vgl van Nuis-Vorberg „Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen” III. Teil 1958 S 127 und BMA vom 20. April 1951 – BVBl S 219).Daß die Bezeichnung „satzungsgemäßes” Krg seit Inkrafttreten des 2. Neuordnungsgesetzes (NOG) vom 21. Februar 1964 (BGBl I S 85) in § 19 BVG nicht mehr verwendet wurde, bedeutete demgegenüber keine Rechtsänderung; vielmehr wurde die Erstattung in dem damals neugefaßten Abs 2 der Vorschrift bewußt nach dem Grundsatz der Vollkostenerstattung geregelt (BT-Drucks 1831 S 4 zu Art I Nr 15 des Entwurfs).
An der Erstattungsfähigkeit des Spitzbetrages ändert der Umstand nichts, daß nach dem von 1982 bis 1989 geltenden Recht bei Bezug von Versorgungs-Krg der Anspruch auf Krg in voller Höhe – und damit auch hinsichtlich des Spitzbetrages – geruht hatte. In dieser Zeit sahen § 183 Abs 6 RVO idF des Art 4 § 1 Nr 1 AFKG und seit 1. Januar 1989 die Nachfolgevorschrift des § 49 Nr 3 SGB V idF des Gesundheitsreformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477) vor, daß der Anspruch des Beziehers von Versorgungs-Krg auf Krg auch insoweit ruhte, als das Krg das Versorgungs-Krg überstieg. Da somit der Anspruch des krankenversicherten Beschädigten auf den Krg-Spitzbetrag entfiel, entfiel zwangsläufig insoweit auch der Erstattungsanspruch der Krankenkasse. Nachdem der Gesetzgeber die verfassungswidrige Regelung des § 183 Abs 6 RVO und deren Fortschreibung durch § 49 Nr 3 SGB V idF des GRG berichtigt hatte (vgl BVerfGE 79, 87 = SozR 2200 § 183 Nr 54 und Art 4 Nr 5 Rentenreformgesetz ≪RRG≫), war der vor dem 1. Januar 1982 bestehende Rechtszustand wieder eingetreten. Wie zuvor hatte der Bezieher von Versorgungs-Krg wieder Anspruch auf den Spitzbetrag gegen die Krankenkasse. Zugleich gewann aber auch die Krankenkasse insoweit ihren Anspruch auf Erstattung zurück. Denn sie hatte (auch) den Spitzbetrag wegen einer Schädigungsfolge, dh wegen schädigungsbedingter AU zu leisten.
Die Neufassung des § 49 Abs 1 Nr 3 SGB V zum 1. Januar 1982 hatte nur mittelbar auch zu einer Entlastung des Versorgungsträgers geführt. Diese Entlastung verdankte der Versorgungsträger nur einer Einschränkung krankenversicherungsrechtlicher Leistungsansprüche. Mithin hing seine Entlastung davon ab, daß im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung die Regelung Bestand behielt, wonach der Versicherte, dem Versorgungs-Krg zu leisten war, keinen erfüllbaren Anspruch auf den Krg-Spitzbetrag hatte. Sobald dem krankenversicherten Beschädigten wieder ein echter Anspruch auf den Spitzbetrag eingeräumt wurde, wie es nach der Neufassung der Ruhensbestimmung in § 49 Abs 1 Nr 3 SGB V zum 1. Januar 1990 der Fall gewesen ist, fiel auch die Entlastung des Versorgungsträgers hinsichtlich der Erstattungspflicht wieder fort. Sie ließ sich nicht auf Kosten des Krankenversicherungsträgers in der Weise aufrechterhalten, daß nunmehr der Versorgungsträger den im wesentlichen unverändert gebliebenen § 19 Abs 2 Satz 1 BVG aF anders auslegte als vor dem 1. Januar 1982. Der gegenteiligen, anläßlich der Neufassung des § 49 SGB V durch das RRG geäußerten Rechtsansicht des 11. Ausschusses (vgl BT-Drucks 11/5530, S 60 f) und des BMA in seinen RdSchr vom 9. Februar 1990 (aaO) und 8. März 1993 (unveröffentlicht, GeschZ VI 3-52320-3) ist nicht zu folgen. Wenn der Gesetzgeber den Versorgungsträger damals hinsichtlich des Krg nur eingeschränkt ersatzpflichtig machen wollte, hätte er das durch eine Änderung des § 19 Abs 2 BVG aF zum Ausdruck bringen müssen. Diese Bestimmung ist durch die Abänderung des krankenversicherungsrechtlichen Leistungsrechts zum 1. Januar 1990 (Wiedereinräumung des Anspruchs auf den Spitzbetrag) auch nicht etwa lückenhaft geworden. Nach allem war seit dem 1. Januar 1990 der Spitzbetrag wieder ebenso zu erstatten wie vor dem 1. Januar 1982.
Daß auf diese Weise bestimmte Erstattungsansprüche anläßlich von Krankenversicherungsleistungen an die einzelnen Versorgungsberechtigten verschieden hoch ausfielen, ist nicht ungewöhnlich oder systemwidrig. Verschieden hohe Kosten für gleiche Leistungszeiträume waren etwa auch im Fall stationärer Behandlung zu erstatten (vgl § 19 Abs 1 Satz 1 BVG aF), da die einzelnen Krankenhäuser verschieden hohe Pflegesätze verlangten. Daß diese verschiedene Belastung des Versorgungsträgers bei der Erstattung von Krankenhauskosten auf die zur Festsetzung der Pflegesätze befugten Stellen zurückging, hinsichtlich der Erstattung von gewährtem Krg aber auf die Satzungspolitik der Kassen selbst, begründet keinen wesentlichen Unterschied.
Im übrigen hat die hier entschiedene Rechtsfrage nur noch Bedeutung für die Erstattung derjenigen Krg-Spitzbeträge, die bis zum 31. Dezember 1993 entstanden sind. Denn seit 1. Januar 1994 gilt eine Pauschalregelung (vgl insoweit die Neufassung der §§ 19 und 20 BVG durch Art 4 des Gesetzes vom 21. Juli 1993 – Zweites Gesetz zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes – BGBl I S 1262).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Abs 4 SGG.
Fundstellen