Beteiligte
Präsidenten des Landesamtes für Versorgung und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt |
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 26. Februar 1998 und des Sozialgerichts Halle vom 18. Juli 1996 sowie der Bescheid des Beklagten vom 10. Juni 1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 1995 geändert.
Der Beklagte wird verurteilt, bei dem Kläger als weitere Schädigungsfolge im Sinne der Verschlimmerung eine „Hüftgelenkluxation links” anzuerkennen.
Im übrigen wird auf die Revisionen des Klägers und des Beklagten das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 26. Februar 1998, soweit es den Anspruch des Klägers auf Beschädigtenrente betrifft, aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei dem kriegsbeschädigten Kläger auch ein Hüftgelenksleiden als Schädigungsfolge anzuerkennen ist und ob er Anspruch auf Beschädigtenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) hat.
Mit Bescheid vom 11. Juni 1948 stellte die Sozialversicherungskasse G. – Rentenstelle – bei dem Kläger als Körperschaden ua eine
„Hüftgelenkluxation links, ganz leicht hinkend, linkes Bein 2 cm kürzer als rechtes, leichte Ermüdbarkeit”
fest und erkannte diese – iS der Verschlimmerung – als Wehrdienstbeschädigung (WDB) an. Die (Gesamt-)Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) durch die im Kriege erlittene Körperbeschädigung wurde mit 40 % festgestellt. Der Bescheid enthielt folgenden Hinweis:
„Da Kriegsbeschädigten-Teilrenten nach den früheren Versorgungsgesetzen noch nicht gewährt werden, haben Sie deshalb keinen Anspruch auf Rente. Rente kann nur gezahlt werden, wenn Sie Invalide sind, dh, daß Ihre Erwerbsminderung mehr als 66 2/3 % betragen muß und Sie nicht in der Lage sind, ein Drittel dessen zu verdienen, was körperlich und geistig gesunde Personen derselben Art durch Arbeit zu verdienen pflegen.”
Nach Wiederherstellung der deutschen Einheit erließ der Beklagte am 30. Oktober 1992 zunächst einen Teil- und Vorbehaltsbescheid, mit dem er neben anderen Gesundheitsstörungen eine „Hüftgelenksluxation links” als Schädigungsfolge anerkannte und Beschädigtenrente nach einer (Gesamt-)MdE um 30 vH ab 1. Januar 1991 gewährte. Im – vorbehaltslosen – Erstanerkennungsbescheid vom 10. Juni 1994 wurde das Hüftgelenksleiden nicht mehr als Schädigungsfolge anerkannt. Bei diesem Leiden handele es sich um eine schicksalhafte, auf eine angeborene Hüftdysplasie zurückzuführende Krankheit. Die verbleibenden Schädigungsfolgen wurden mit einer MdE um 25 vH bewertet und Versorgungsbezüge in unveränderter Höhe gewährt.
Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger das Hüftgelenksleiden als zusätzliche Schädigungsfolge geltend und verlangte, die MdE höher zu bewerten. Der Beklagte kam zu der Überzeugung, die MdE für die noch anerkannten Schädigungsfolgen betrage nur 10 vH. Er hörte den Kläger an und nahm den Erstanerkennungsbescheid mit Wirkung für die Zukunft – ab 1. Juli 1995 – zurück (Bescheid vom 7. Juni 1995). Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Bescheid vom 3. Juli 1995).
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 18. Juli 1996). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) den Rücknahmebescheid vom 7. Juni 1995 aufgehoben und die Berufung zurückgewiesen, soweit die Anerkennung der Hüftgelenkserkrankung als zusätzliche Schädigungsfolge umstritten war (Urteil vom 26. Februar 1998). Der Rücknahmebescheid vom 7. Juni 1995 sei rechtswidrig. Der Kläger genieße Vertrauensschutz. Ausschlaggebend dafür seien der lange zeitliche Abstand zwischen Bewilligung und Rücknahme sowie das grobe Verschulden des Beklagten an der – zunächst – fehlerhaften medizinischen Beurteilung. Dagegen habe der Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung der Hüftgelenkserkrankung. Diese Gesundheitsstörung lasse sich nicht auf den Militärdienst zurückführen. Durch den Bescheid der Sozialversicherungskasse G. aus dem Jahre 1948 sei ein solcher Ursachenzusammenhang auch nicht mit verbindlicher Wirkung für den Versorgungsanspruch nach dem BVG festgestellt worden.
Der Kläger macht mit der Revision eine Verletzung des § 85 BVG und verschiedener Vorschriften des Einigungsvertrages (EinigVtr) geltend und beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 26. Februar 1998, das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 18. Juli 1996 und den Bescheid vom 10. Juni 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 1995 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, die Hüftgelenkserkrankung wieder als Schädigungsfolge anzuerkennen und dem Kläger Beschädigtenversorgung nach einer MdE um mehr als 30 vH zu gewähren.
Der Beklagte rügt mit seiner – vom Senat zugelassenen – Revision Verfahrensfehler und eine Verletzung der §§ 45, 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Er beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen, das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 26. Februar 1998 zu ändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 18. Juli 1996 vollen Umfangs zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
II
Die Revision des Klägers hat Erfolg, soweit er das Hüftgelenksleiden als weitere Schädigungsfolge geltend macht. Im übrigen ist das angegriffene Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Nach den im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen läßt sich weder entscheiden, ob der Kläger Anspruch auf Beschädigtenrente nach einer höheren MdE als 30 vH hat, noch ob ihm die nach einer MdE um 25 vH bewilligte Leistung weiter zu gewähren ist und nicht einmal, ob er überhaupt Anspruch auf Beschädigtenrente hat.
Entgegen der Auffassung des LSG sind dem Kläger die bewilligten Leistungen nicht schon mit der Begründung weiter zu gewähren, der Beklagte habe die Leistungsbewilligung nicht nach § 45 SGB X zurücknehmen dürfen. Die nach der genannten Vorschrift zugelassene Durchbrechung der Bindungswirkung von Verwaltungsakten (§ 77 SGG) geht von dem Gedanken der Recht- und Gesetzmäßigkeit jeden Verwaltungshandelns aus, der es grundsätzlich verlangt, rechtswidrige Verwaltungsakte zu beseitigen. Dem steht allerdings gegenüber, daß der für die Rechtswidrigkeit nicht verantwortliche Betroffene grundsätzlich auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns vertrauen darf und vor der Rücknahme geschützt sein soll. Um den Widerstreit zwischen diesen beiden Grundsätzen zu lösen, muß im Einzelfall eine Abwägung erfolgen, welches Interesse überwiegt, das der Allgemeinheit an der Herstellung eines gesetzmäßigen Zustandes, oder das des betroffenen Bürgers an der Aufrechterhaltung der ihn rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsentscheidung. Bei Verwaltungsakten, mit denen Dauerleistungen bewilligt worden sind, ist das öffentliche Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes in der Regel höher einzuschätzen als bei der ungerechtfertigten Gewährung einmaliger Leistungen. Denn eine Dauerleistung belastet die Allgemeinheit regelmäßig stärker als eine einmalige Leistung. Das gilt jedenfalls für Dauerleistungen, die – wie hier – für sehr lange Zeit weiter erbracht werden müßten (BSGE 81, 156, 159 f mwN = SozR 3-1300 § 45 Nr 37).
Den gewichtigen öffentlichen Interessen gegenüber kommt dem einzigen zugunsten des Klägers sprechenden Gesichtspunkt keine durchschlagende Bedeutung zu. Der Beklagte ist zwar allein verantwortlich für die – möglicherweise grob – fehlerhafte Einschätzung der MdE im Bescheid vom 10. Juni 1994. Der Anwendungsbereich des § 45 SGB X würde aber übermäßig stark eingeengt, wollte man diesen Umstand für sich genommen bereits genügen lassen, das öffentliche Interesse an der Einstellung rechtswidrig bewilligter Dauerleistungen als weniger gewichtig zu bewerten, weil, abgesehen von den Fällen des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X, in denen das Gesetz generell Vertrauensschutz versagt, die Ursache für den Erlaß des rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsaktes regelmäßig in den Verantwortungsbereich der Verwaltung fällt.
Im vorliegenden Fall kann auch nicht – wie das LSG meint – auf den Umstand eines „langen zeitlichen Abstandes zwischen der Bewilligung, dem erstmaligen Bezug der Versorgungsrente und der Rücknahme” abgestellt werden. Zwar wird mit zunehmendem zeitlichen Abstand vom Zeitpunkt der Leistungsbewilligung die Stellung des rechtswidrig Begünstigten gestärkt (vgl dazu BSGE 81, 156, 161 = SozR 3-1300 § 45 Nr 37). Hier lag die rechtswidrige Bewilligung aber – anders als vom LSG angenommen – bei Rücknahme des Bescheides nicht bereits mehrere Jahre, sondern noch nicht einmal ein Jahr zurück. Dieser Zeitraum reicht nicht aus, um ihn bei der Vertrauensschutzprüfung zugunsten des Klägers heranzuziehen. Maßgebend ist nicht, daß dem Kläger bereits mit dem Teil- und Vorbehaltsbescheid vom 30. Oktober 1992 Beschädigtenrente bewilligt worden war, und zwar rückwirkend ab 1. Januar 1991. Abzustellen ist vielmehr auf den Erstanerkennungsbescheid vom 10. Juni 1994. Denn bis dahin konnte der Kläger nach den dem Bescheid vom 30. Oktober 1992 beigefügten umfangreichen Vorbehalten und Einschränkungen weder auf die Anerkennung der Schädigungsfolgen, noch auf die dafür geschätzte MdE, noch auf den Behalt der gezahlten Beschädigtenrente vertrauen.
Mit diesem für den Kläger negativen Ergebnis der Vertrauensschutzprüfung ist aber noch nicht gesagt, daß der auf § 45 SGB X gestützte Rücknahmebescheid vom 7. Juni 1995 Bestand haben muß. Denn die dafür notwendige und vom LSG bejahte Grundvoraussetzung, daß der Erstanerkennungsbescheid vom 10. Juni 1994 den Kläger rechtswidrig begünstigt hat, ist zweifelhaft. Hierüber kann erst aufgrund weiterer, vom LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren noch zu treffende Feststellungen entschieden werden.
Die Bewilligung der Beschädigtenrente nach einer MdE um 25 vH wäre nur dann rechtswidrig, wenn ausschließlich die im Erstanerkennungsbescheid genannten Schädigungsfolgen bestehen sollten. Denn diese mindern die Erwerbsfähigkeit des Klägers nach den Feststellungen des LSG nicht in rentenberechtigendem Grade. Die Frage der Rechtswidrigkeit kann der Senat aber noch nicht abschließend beurteilen. Zusätzlich ist nämlich bei der Bildung der Gesamt-MdE das Hüftgelenksleiden des Klägers zu berücksichtigen. Das folgt aus § 85 BVG. Danach übernimmt das BVG eine Entscheidung als rechtsverbindlich, soweit mit ihr nach versorgungsrechtlichen Vorschriften, die vor dem 1. Oktober 1950 gegolten haben, die Frage des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung (wie sie jetzt § 1 BVG beschreibt) bejaht oder verneint worden ist. Eine solche – positive – Entscheidung hat hier die Sozialversicherungskasse G. im Bescheid vom 11. Juni 1948 getroffen. Der Beklagte hat sie bisher nicht zurückgenommen und wird sie – auch nach der im Recht der Kriegsopferversorgung geltenden Sondervorschrift des § 1 Abs 3 Satz 3 BVG – nicht mehr zurücknehmen können, weil inzwischen mehr als 50 Jahre vergangen sind (vgl BSGE 61, 295 = SozR 3100 § 1 Nr 38; BSGE 65, 60, 63 = SozR 3100 § 1 Nr 43).
In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist anerkannt, daß ein aufgrund des Wehrmachtsfürsorge- und Versorgungsgesetzes (WFVG) bis zu dessen Aufhebung am 20. August 1946 (durch Art III ≪Kontrollrats≫Gesetz Nr 34, Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Nr 10, S 172) von einem Versorgungsamt der sowjetischen Besatzungszone erlassener Bescheid, der eine Entscheidung über den ursächlichen Zusammenhang des Todes mit einer Wehrdienstbeschädigung enthält, unter § 85 BVG fällt (SozR BVG § 85 Nr 27). Für den vorliegenden Fall ist diese Rechtsprechung unmittelbar zwar schon deshalb nicht einschlägig, weil der Bescheid nicht von einem Versorgungsamt, sondern von der Sozialversicherungskasse G. als Nachfolgebehörde (vgl van Nuis/Vorberg, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, 1957, Teil I, 96) erlassen worden ist, und zwar zu einem Zeitpunkt, als das WFVG bereits außer Kraft getreten war. Die zitierte Rechtsprechung muß nach ihrem Grundgedanken aber auf alle Entscheidungen angewendet werden, die nach den herkömmlichen Grundsätzen des Versorgungsrechts den ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Kriegsbeschädigung und einer Gesundheitsstörung bejahen oder verneinen. Als „bisherige versorgungsrechtliche Vorschriften” (die Neufassung von „bisherige” in „vor dem 1. Oktober 1950” durch das 12. KOV-Anpassungsgesetz vom 20. Dezember 1982 ≪BGBl I S 1857≫ hat sachlich nichts geändert) iS des § 85 sind deshalb – unabhängig von dem früher in § 84 Abs 1 und 2 BVG aF und jetzt in § 11 Nr 1 der Verwaltungsvorschrift zu § 40a BVG enthaltenen Katalog – auch pensionsrechtliche Regelungen für frühere Angehörige der Wehrmacht und ihre Hinterbliebenen angesehen worden, nach denen neben einer Dienstzeitversorgung zusätzliche Leistungen wegen einer durch Dienstbeschädigung verursachten Gesundheitsstörung gewährt werden konnten (BSG SozR BVG § 85 Nr 25). Auf einer insoweit vergleichbaren Entscheidungsgrundlage beruhte auch der Bescheid der Sozialversicherungskasse G. vom 11. Juni 1948. Damals galt – noch – die „Verwaltungsverordnung über die vorläufige Versorgung von Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen” ≪VerwAO≫ vom 15. August 1946 (RegBl für das Land Thüringen, Teil II, Amtsbl, S 335). Dort wird im II. Abschnitt bestimmt:
5. Kriegsbeschädigte sind:
- Angehörige der ehemaligen Wehrmacht, die einen Körperschaden erlitten haben, der durch kriegerische Ereignisse oder durch militärische Dienstverrichtungen oder durch einen während des Militärdienstes erlittenen Unfalls oder durch besondere, dem Krieg eigentümliche Verhältnisse herbeigeführt worden ist,
- Personen, die, ohne der ehemaligen Wehrmacht angehört zu haben, durch kriegerische Ereignisse oder Unternehmungen oder durch die Flucht vor solchen Geschehnissen einen Körperschaden erlitten haben.
Diese Definition entsprach – in dem hier interessierenden Teil – nahezu wörtlich § 2 Abs 1 Reichsversorgungsgesetz ≪RVG≫ (idF vom 1. April 1939 ≪RGBl I S 663≫):
Dienstbeschädigung ist die gesundheitsschädigende Einwirkung, die durch militärische Dienstverrichtungen oder durch einen während der Ausübung des Militärdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Militärdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist.
Die VerwAO machte somit ihre Leistungen von denselben persönlichen und sachlichen Voraussetzungen abhängig, unter denen zuvor das RVG und später das BVG Versorgung gewährt haben. Deshalb ist die VerwAO als versorgungsrechtliche Vorschrift iS des § 85 BVG anzusehen, ungeachtet ihrer im I. Abschnitt niedergelegten Zielsetzung, nicht etwa frühere Ansprüche aus dem RVG bzw dem späteren Wehrmachtsfürsorge- und Versorgungsgesetz wiederaufleben zu lassen, sondern Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen sozialrechtliche Unterstützung zu gewähren.
Das vom Senat gefundene Ergebnis steht im Einklang mit der Maßgabe in Anlage I Kapitel VIII K III Nr 1 Buchst h und m des EinigVtr. Danach gilt § 85 BVG nicht für eine den ursächlichen Zusammenhang verneinende Entscheidung, die nach dem 8. Mai 1945 in dem in Art 3 des Vertrages genannten Gebiet getroffen worden ist. Hier handelt es sich um eine den Ursachenzusammenhang bejahende Entscheidung. Solche Entscheidungen sind – im Umkehrschluß aus der genannten Bestimmung des EinigVtr – verbindlich (vgl Sailer in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl 1992, § 85 BVG RdNr 11).
Der Senat weicht nicht vom Urteil des 8. Senats vom 22. November 1966 - 8 RV 149/64 - (BSGE 25, 272, 274 f = SozR BVG § 48 Nr 4) ab. Danach gehörten in der sowjetisch besetzten Zone nach dem 8. Mai 1945 ergangene Vorschriften wie die Verordnung über die Zahlung von Renten an Kriegsinvaliden und Kriegshinterbliebene vom 21. Juli 1948 nicht zu den „bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften” iS des § 85 BVG und sind die aufgrund dieser Verordnung ergangenen Entscheidungen zur Zusammenhangsfrage für Entscheidungen nach dem BVG nicht rechtsverbindlich. Die vom 8. Senat beispielhaft genannte Verordnung vom 21. Juli 1948 (Zentralverordnungsblatt 1948 S 363) fordert für die dort geregelten Leistungen an Kriegsinvaliden und Kriegshinterbliebene aber nicht mehr die herkömmlichen versorgungsrechtlichen Voraussetzungen, sondern erklärt in § 2 Abs 1 zu – leistungsberechtigten – Invaliden solche Personen, „die als Angehörige der früheren deutschen Wehrmacht arbeitsunfähig geworden sind” und beschreibt in Abs 2 der genannten Vorschrift als arbeitsunfähig denjenigen, „der während der Zeit militärischer Dienstleistung durch Krankheit oder äußere Einwirkungen Gesundheitsstörungen erlitten hat und dadurch mindestens 66 2/3 % dauernd oder vorübergehend erwerbsgemindert ist”. Damit – und erst damit – wurden die herkömmlichen, in § 2 RVG kodifizierten Grundsätze des Versorgungsrechts verlassen. Auch der erkennende Senat nimmt – wie der 8. Senat – nicht an, daß sowjetzonale Vorschriften wie die Verordnung vom 21. Juli 1948 zu den „bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften” iS des § 85 BVG rechnen.
Das LSG wird nunmehr im wiedereröffneten Berufungsverfahren zunächst den MdE-Grad der zusätzlich anzuerkennenden Schädigungsfolge und dann – unter Einschluß dieser Schädigungsfolge – die Gesamt-MdE zu ermitteln haben. Je nach dem Ergebnis dieser Ermittlungen wird sich der Erstanerkennungsbescheid als rechtswidrig begünstigend (Gesamt-MdE nicht rentenberechtigenden Grades), als rechtmäßig (MdE um 25 vH) oder als rechtswidrig belastend (MdE um mehr als 25 vH) erweisen. Sollte der Erstanerkennungsbescheid den Kläger rechtswidrig begünstigt haben, so wird der Rücknahmebescheid vom 7. Juni 1995 jedenfalls nicht deshalb aufzuheben sein, weil der Kläger Vertrauensschutz genießt. Sollte die Rücknahmeentscheidung des Beklagten aus anderen Gründen – wofür der Senat allerdings keinen Anhaltspunkt sieht – rechtswidrig sein, so wird das LSG zu entscheiden haben, ob sie nicht als Feststellungsbescheid über die Unrichtigkeit des Erstanerkennungsbescheides auszulegen und mit diesem Inhalt aufrechtzuerhalten ist. Damit wäre der Grund für künftige Leistungsabschmelzungen gelegt (vgl BSGE 79, 92, 96 f = SozR 3-1300 § 45 Nr 30).
Die Entscheidung über die Kosten auch des Revisionsverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.
Fundstellen
AuA 1999, 461 |
SGb 1999, 515 |
SozSi 1999, 416 |