Beteiligte
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. September 1998 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20. Juni 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 1995 verurteilt wird, den Bescheid vom 20. März 1995 zurückzunehmen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt die Rücknahme eines bestandskräftigen Bescheides, mit dem die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) ab 18. März 1995 aufgehoben hat.
Die Beklagte bewilligte der im Jahre 1960 geborenen Klägerin im Juni 1994 Alg ab 1. Juni 1994 mit einer Anspruchsdauer von 312 Tagen. Ab 18. März 1995 übernahm die Klägerin auf Vermittlung des Kreisjugendamtes P. die Tagespflege für die 1 1/2 Jahre alten Zwillinge eines 17jährigen Mädchens. Die Betreuung fand montags bis freitags in der Zeit von 7.30 Uhr bis 12.30 Uhr und von 14.30 Uhr bis 18.30 Uhr statt. Zwischen der Kindesmutter und der Klägerin wurden keine Vereinbarungen über die Durchführung der Pflege getroffen. Die Klägerin erhielt vom Jugendamt für die Betreuung der beiden Kinder je 505,00 DM im Monat. Die Klägerin teilte der Beklagten am 17. März 1995 mit, daß sie ab 18. März 1995 als Tagesmutter tätig sei.
Mit Bescheid vom 20. März 1995 hob die Beklagte die Bewilligung von Alg mit Wirkung zum 18. März 1995 auf, weil die Klägerin eine Arbeit aufgenommen habe. Den hiergegen am 12. Mai 1995 erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch bestandskräftigen Widerspruchsbescheid vom 24. Mai 1995 als verspätet zurück. Den ebenfalls am 12. Mai 1995 gestellten Antrag der Klägerin, die Aufhebungsentscheidung vom 20. März 1995 nochmals zu überprüfen, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 20. Juni 1995 und Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 1995 ab; außerdem lehnte sie die Wiederbewilligung von Alg ab 12. Mai 1995 ab (Bescheid vom 25. Juli 1995).
Auf die hiergegen zum Sozialgericht (SG) Detmold erhobene Klage hat das SG – nach entsprechender Beschränkung des streitigen Zeitraums durch die Klägerin – die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20. März 1995 und des Bescheides vom 20. Juni 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 1995 verurteilt, der Klägerin ab 18. März 1995 bis 11. Mai 1995 Alg zu gewähren (Urteil des SG vom 5. Februar 1997).
Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 16. September 1998 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Der Klägerin habe im Zeitraum vom 18. März 1995 bis 11. Mai 1995 ein Anspruch auf Alg zugestanden, weshalb die entgegenstehenden Bescheide aufzuheben gewesen seien. Die Klägerin sei arbeitslos gewesen iS des § 101 Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Eine abhängige Beschäftigung der Klägerin gemäß § 102 AFG habe nicht vorgelegen. Die Klägerin habe nicht in einem Beschäftigungsverhältnis zu der Kindesmutter gestanden. Sie habe nicht dem Direktionsrecht der Mutter unterlegen. Absprachen über die Durchführung der Tagespflege seien nicht getroffen worden. Die Klägerin sei hinsichtlich der Gestaltung und Durchführung der Betreuung der Kinder frei gewesen und habe auch hinsichtlich Art, Ort und Zeit der Betreuung keinerlei Weisungen durch die natürliche Mutter unterlegen. Auch mit dem Jugendamt habe kein Beschäftigungsverhältnis bestanden, weil dieses lediglich als Vermittler aufgetreten sei. Auch sei die Klägerin nicht als Selbständige gemäß § 101 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG tätig geworden, weil bei ihr keine Absicht vorgelegen habe, Einkommen zu erzielen. Für die Betreuung der Kinder in Tagespflege sei lediglich ein Aufwendungsersatz vom Jugendamt gezahlt worden. Hierdurch seien nur die Aufwendungen gedeckt worden, die durch die aufgenommenen Kinder entstanden seien. Die Klägerin habe für den Senat glaubhaft dargelegt, daß ihr bei der Betreuung der beiden Kleinstkinder für deren Versorgung besonders hohe Kosten entstanden seien, die die Aufwandsentschädigung im wesentlichen aufgezehrt hätten. Auch steuerrechtlich sei die Aufwandsentschädigung für die Betreuung von lediglich zwei Kindern nicht als Einkommen zu behandeln.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision. Sie rügt eine Verletzung der §§ 100 Abs 1, 101 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 1, 102, 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG und des § 48 Abs 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Zur Begründung trägt sie vor, die Klägerin sei nicht arbeitslos gewesen. Zum einen sei zwischen der Kindesmutter und der Klägerin zumindest konkludent ein Dienstvertrag zustande gekommen. Hieraus sei auch ein Anspruch auf Aufwendungsersatz entstanden. Die pro Kind gezahlten 505,00 DM monatlich stellten einen erheblichen Betrag dar, der weit über dem gezahlten Kindergeld liege. Dies zeige, daß die Klägerin auch mit „Gewinnerzielungsabsicht” gehandelt habe. Auch die objektive Verfügbarkeit der Klägerin habe nicht vorgelegen; sie sei nicht lediglich karitativ tätig geworden. Infolge der Übernahme der Tagespflege für die beiden Kleinstkinder sei die Klägerin nicht mehr in der Lage gewesen, eine abhängige beitragspflichtige Beschäftigung mit einem zeitlichen Umfang, der der Höhe des geltend gemachten Anspruchs auf Alg entspreche, auszuüben. Es wäre der Klägerin auch nicht möglich gewesen, die Pflegetätigkeit an einem Pflegetag zu unterbrechen bzw vor Ablauf dieses Tages zu beenden. Hierfür spreche bereits die Lebenserfahrung. Die vom 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) angenommene Verfügbarkeit bei Tätigkeiten im Bereich der kulturellen, sportlichen und gesundheitlichen Interessen, zu deren Aufgabe der Arbeitslose jederzeit bereit und in der Lage sei, werde § 103 AFG nicht gerecht. Objektive Verfügbarkeit verlange grundsätzlich das Fehlen solcher Umstände, die eine gleichzeitige Ausübung abhängiger Beschäftigung ausschlössen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 5. Februar 1997 und das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. September 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung.
II
Die zulässige und statthafte Revision der Beklagten ist unbegründet. Allerdings waren die Urteile des SG und des LSG nach der entsprechenden Korrektur des Klageantrags durch die Klägerin und der übereinstimmenden Teilerledigungserklärungen der Beteiligten abzuändern, soweit diese den Bescheid vom 20. März 1995 selbst aufgehoben und die Beklagte zusätzlich zur Zahlung verurteilt haben. Insofern war – wie im Rahmen einer Prüfung gemäß § 44 Abs 1 SGB X ohnedies richtig – die Beklagte lediglich zu verurteilen (unter Aufhebung des Bescheides vom 20. Juni 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 1995), den Bescheid vom 20. März 1995 zurückzunehmen (vgl hierzu BSG SozR 3-1300 § 44 Nr 8, S 19).
In der Revisionsinstanz von Amts wegen zu beachtende Verfahrensverstöße, die einer Sachentscheidung durch das Revisionsgericht entgegenstünden, liegen nicht vor. Insbesondere war die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG gemäß §§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft; denn sie betraf einen Geldleistungsanspruch mit einem unmittelbaren Beschwerdegegenstandswert von mehr als 1.000,00 DM (vgl BSG SozR 3-1500 § 144 Nr 12, S 23).
Der angefochtene Bescheid vom 20. Juni 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 1995 erweist sich als rechtswidrig, weil die Beklagte es zu Unrecht abgelehnt hat, den Bescheid vom 20. März 1995 gemäß § 44 Abs 1 SGB X zurückzunehmen. Soweit sich im Einzelfall ergibt, daß bei Erlaß eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs 1 Satz 1 SGB X).
Der Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 20. März 1995 war ein Bescheid, mit dem Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind iS des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X. Auch die Rücknahme eines auf § 48 SGB X gegründeten Aufhebungsbescheides ist nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X möglich. Zwar hat der frühere 4b-Senat des BSG 1986 entschieden, daß ein Verwaltungsakt, durch den allein Leistungen bewilligende Verwaltungsakte zurückgenommen worden sind, kein Verwaltungsakt iS des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X sei, mit dem Sozialleistungen „zu Unrecht nicht erbracht” worden sind (BSG SozR 1300 § 44 Nr 22; offengelassen in BSG SozR 3-5870 § 2 Nr 13, S 13). Diese Meinung, die zu Recht im Schrifttum auf Kritik gestoßen ist (vgl Wiesner in Schroeder-Printzen, SGB X, 3. Aufl 1996, Anm 2 zu § 44 mwN), wird vom Senat nicht geteilt. Erweist sich der Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 20. März 1995 als rechtswidrig, so wurde der Klägerin für den Zeitraum ab 18. März 1995 die Sozialleistung Alg zu Unrecht nicht erbracht. Inwiefern diese Fallgestaltung anders zu behandeln wäre als die Ablehnung eines erstmaligen Antrags auf Alg, nur weil sie hier in Form der Aufhebung einer Bewilligung erforderlich ist, wurde von dem damaligen 4b-Senat weder begründet noch sind Gründe hierfür ersichtlich. Dementsprechend hat später der 11. Senat des BSG entschieden (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr 19), daß der Regelungszweck des § 44 Abs 1 SGB X nicht nur Fälle erfasse, in denen dem Betroffenen ein rechtlicher Nachteil durch unrechtmäßiges Vorenthalten einer Sozialleistung entstanden sei, sondern auch solche, in denen der Bürger zwar Sozialleistungen erhalten habe, die Leistungsbewilligung aber nachträglich zurückgenommen worden sei. Zweck der Vorschrift des § 44 Abs 1 SGB X sei es gerade, der Verwaltungsbehörde die Möglichkeit der Fehlerkorrektur und der Herstellung materieller Gerechtigkeit zu eröffnen (BSG aaO, S 34). Da jedoch auch eine Rückforderung im Streit stehe, weiche er (der 11. Senat) aufgrund der anderen Sachverhaltsgestaltung nicht von dem Urteil vom 16. Januar 1986 (BSG SozR 1300 § 44 Nr 22) ab.
Auch der erkennende Senat ist nicht gehalten, nach § 41 Abs 3 SGG vorzugehen. Der 4b-Senat besteht nicht mehr. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des BSG für das Jahr 1986 war dieser Senat für Kriegsopferversorgung und Soldatenversorgung (jeweils bestimmte Endnummern bzw Jahrgänge der Revisionseinlegung) zuständig. Eine Anfrage käme daher lediglich in Betracht beim 9. Senat des BSG, der nunmehr zur Entscheidung über Ansprüche aus dem Gebiet der Kriegsopfer- und Soldatenversorgung ausschließlich zuständig ist. Dieser Senat hat sich jedoch – wenn auch ohne ausdrückliche Aufgabe der Rechtsprechung des 4b-Senats – bereits anders geäußert (vgl insoweit BSGE 65, 144, 153 = SozR 6710 Art 4 Nr 8). Der 9. Senat hält § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X in Fällen der vorliegenden Art für anwendbar (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr 24); das Urteil vom 16. Januar 1986 (aaO) hält er nur bei „einer ausschließlich rückwirkenden Entziehung in der Vergangenheit erbrachter Sozialleistungen ohne Rückforderung” für einschlägig (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr 24, S 55). Eine solche ausschließlich rückwirkende Entziehung in der Vergangenheit erbrachter Sozialleistungen ist aber im vorliegenden Fall gerade nicht im Streit, weil die Beklagte mit dem Bescheid vom 20. März 1995 im wesentlichen die Bewilligung mit Wirkung für die Zukunft gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X (wohl ab 23. März 1995; vgl § 37 Abs 2 SGB X) aufgehoben hat, weil die Klägerin ab 18. März 1995 eine Beschäftigung aufgenommen habe.
Der Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 20. März 1995 war jedoch rechtswidrig, weil die Voraussetzungen einer Aufhebung der Alg-Bewilligung gemäß § 48 SGB X nicht vorlagen. Mit der Aufnahme der Tätigkeit der Klägerin als Tagesmutter ab 18. März 1995 ist keine wesentliche Änderung gegenüber den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten, die beim Erlaß des Verwaltungsakts mit Dauerwirkung – der Alg-Bewilligung – vorgelegen haben. Da der Klägerin auch über den 18. März 1995 hinaus weiterhin ein Anspruch auf Alg gemäß §§ 100 ff AFG zustand – mithin keine Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X eingetreten ist – kann auch dahinstehen, daß der Aufhebungsbescheid vom 20. März 1995 hinsichtlich des vor seinem Wirksamwerden liegenden Zeitraums (§ 37 Abs 2 SGB X) eine Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit aussprach, deren Rechtmäßigkeit bereits unter dem Gesichtspunkt Bedenken begegnet, daß die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nrn 1 bis 4 SGB X nicht vorgelegen haben dürften und insoweit auch der Tatbestand des § 152 Abs 3 AFG (idF des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993, BGBl I 2353) nicht gegeben war.
Die Klägerin war auch nach dem 18. März 1995 weiterhin arbeitslos iS des § 101 AFG (idF, die die Vorschrift durch Art 2 des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch ≪SGB IV≫ vom 23. Dezember 1976 - BGBl I 3845 - gefunden hat). Nach § 101 Abs 1 Satz 1 AFG ist arbeitslos im Sinne des Gesetzes ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht oder nur eine kurzzeitige Beschäftigung ausübt. Kurzzeitig iS des § 101 Abs 1 AFG ist eine Beschäftigung, die auf weniger als 18 Stunden wöchentlich der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegt oder im voraus durch einen Arbeitsvertrag beschränkt ist (§ 102 Abs 1 Satz 1 AFG idF, die die Vorschrift durch das Gesetz zur Änderung des AFG und zur Förderung eines gleitenden Übergangs älterer Arbeitnehmer in den Ruhestand vom 20. Dezember 1988 - BGBl I 2343 - gefunden hat). Kernbestand eines Beschäftigungsverhältnisses iS des § 101 AFG und des § 7 SGB IV ist eine faktische Beziehung, die die Leistung von Arbeit unter persönlicher Abhängigkeit einer Person von einer anderen zum Inhalt hat, wobei sich diese Abhängigkeit auf der einen Seite in der tatsächlichen Verfügungsmacht (Direktionsrecht) und auf der anderen Seite in der faktischen Dienstbereitschaft auswirkt (BSGE 82, 118, 121 = SozR 3-4100 § 101 Nr 8; BSGE 73, 90, 93 f mwN = SozR 3-4100 § 101 Nr 4). Hierbei kommt es, wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, auf eine Gesamtwürdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls an (BSG SozR 3-4100 § 101 Nr 9, S 31; BSGE 73, 90, 94 = SozR 3-4100 § 101 Nr 4).
Ausgehend von den den Senat mangels erhobener Verfahrensrüge bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) lagen keinerlei Abreden zwischen der leiblichen Mutter der Zwillinge und der Klägerin vor. Die Klägerin unterlag keinen Weisungen durch die Kindesmutter und war in der Gestaltung der Pflegetätigkeit, die sie im eigenen Haushalt durchführte, vollständig frei. Der Senat ist an diese Feststellungen des LSG zur rein tatsächlichen Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen der leiblichen Mutter der Kinder und der Klägerin gebunden (§ 163 SGG). Der Senat setzt sich damit auch nicht in Gegensatz zu der Entscheidung des 2. Senats des BSG vom 17. Februar 1998 (SozR 3-2200 § 539 Nr 40), weil der 2. Senat in dem dort zu entscheidenden Fall ebenfalls aufgrund der bindenden Feststellungen des LSG zu der tatsächlichen Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen der Tagesmutter und der leiblichen Mutter zu dem gegenteiligen Ergebnis gekommen war (aaO, S 158). Mithin kommt es jeweils auf die konkrete, tatsächliche Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen der leiblichen Mutter und der Tagesmutter an, zumal die Regelung des § 23 Abs 3 Sozialgesetzbuch Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) gerade keine bestimmten Rechtsformen für die Ausgestaltung der Erbringung von Tagespflege zwingend vorschreibt (hierzu Grube in Hauck, SGB VIII, K § 23 RdNrn 35 ff und Stranz, Tagespflege nach § 23 SGB VIII, 1995, S 30 ff). Mangels irgendwelcher Abreden zwischen der leiblichen Mutter und der Klägerin dürfte es sich im vorliegenden Fall um eine Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 677 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) seitens der Klägerin gehandelt haben. Den Anspruch auf Aufwendungsersatz gemäß § 683 BGB hätte dann das Jugendamt für die Kindesmutter geleistet.
Ebensowenig bestand ein Beschäftigungsverhältnis der Klägerin mit dem Jugendamt. Dieses trat – wie in § 23 Abs 3 Satz 1 SGB VIII vorgesehen – lediglich als Vermittler auf. Die Vermittlungstätigkeit des Jugendamtes ist dabei im wesentlichen eine Leistung für den Personensorgeberechtigten, auf dessen Vermittlungsbegehren hin das Jugendamt durch die Benennung von geeigneten Tagesmüttern tätig wird (hierzu Klinger, in LPK/SGB VIII, RdNr 11 zu § 23). Zwar obliegt dem Jugendamt gemäß § 79 SGB VIII die „Gesamtverantwortung” auch für den Bereich der Tagespflege. Hieraus folgt aber nicht, daß das Jugendamt konkreter Arbeitgeber mit Direktionsrecht gegenüber der einzelnen Tagesmutter wird. Dies unterstreicht auch die Regelung des § 44 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB VIII, nach der die Klägerin nicht einmal einer Pflegeerlaubnis des Jugendamtes für ihre Tätigkeit bedurfte. Eine solche Pflegeerlaubnis wäre erst erforderlich geworden, wenn die Klägerin mehr als drei Kinder als Tagesmutter betreut hätte. Insoweit ist die rechtliche Wertung des LSG, zwischen der Klägerin und dem Jugendamt habe ebenfalls kein Beschäftigungsverhältnis iS des § 101 AFG bestanden, nicht zu beanstanden. Zwar können die Rechtsverhältnisse im Einzelfall durchaus so ausgeprägt sein, daß die Tagespflegeperson als Angestellte des Jugendamtes tätig wird. So lagen die Verhältnisse hier indes nicht. Soweit die Beklagte hinsichtlich der Rechtsbeziehungen zwischen Jugendamt, Kindesmutter und Klägerin andere Rechtsansichten geäußert hat, beruhen diese lediglich auf einer anderen tatsächlichen Wertung, ohne daß die Beklagte dargelegt hätte, gegen welche das sozialgerichtliche Verfahren regelnde Vorschrift das LSG bei der Ermittlung des Sachverhalts verstoßen haben soll.
Die Klägerin war auch nicht als Selbständige iS des § 101 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG tätig. Nach dieser Vorschrift ist der Arbeitnehmer nicht arbeitslos, wenn er eine Tätigkeit als Selbständiger ausübt, die die Grenze des § 102 AFG überschreitet. Nach der Rechtsprechung des Senats ist Merkmal der Selbständigkeit iS des § 101 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG, daß eine Tätigkeit in eigener wirtschaftlicher Verantwortung und in persönlicher Unabhängigkeit mit dem Ziel ausgeübt wird, aus dieser Tätigkeit Einkommen zu erzielen (BSG SozR 4100 § 102 Nr 7, S 18). Eine Tätigkeit als Selbständiger liegt also nur vor, wenn sie zu Erwerbszwecken ausgeübt wird (BSGE 16, 56, 58 f = SozR Nr 6 zu § 75 AVAVG). Die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit iS des § 101 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG kann mithin bejaht werden, wenn bei der Klägerin die Absicht bestanden hätte, aus der ständigen Wiederholung (Regelmäßigkeit) der Betreuung von Pflegekindern eine Erwerbsquelle zu machen (Erwerbsmäßigkeit) (vgl hierzu Steinmeyer in Gagel, AFG, RdNr 10 zu § 101 AFG, Stand November 1997). Auch insofern hat das LSG für den Senat bindend festgestellt (§ 163 SGG), daß bei der Klägerin gerade keine Absicht vorgelegen hat, Einkommen zu erzielen. Das LSG hat dies ua mit der Hilfstatsache begründet, die Klägerin habe praktisch den gesamten Betrag von 1.010,00 DM monatlich tatsächlich für die beiden Kleinstkinder aufgewandt. Dies entspricht im übrigen der Konzeption des § 23 Abs 3 Satz 1 SGB VIII, der gerade nicht davon ausgeht, daß für die Tagesmutter eine Vergütung gezahlt wird. Vielmehr sollen nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB VIII der Tagesmutter lediglich die entstehenden Aufwendungen einschließlich der Kosten der Erziehung ersetzt werden.
Die Klägerin stand auch über den 18. März 1995 hinaus der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gemäß § 103 AFG (idF, die die Vorschrift durch das Gesetz zur Änderung von Fördervoraussetzungen im AFG und in anderen Gesetzen vom 18. Dezember 1992 - BGBl I 2044 - gefunden hat). Nach § 103 Abs 1 Nr 1 AFG steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer eine zumutbare, nach § 168 AFG die Beitragspflicht begründende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts ausüben kann und darf. Der Senat hat hierzu entschieden, daß eine Betätigung, die auf längere Dauer angelegt und planvoll gestaltet ist, sowie derart betrieben wird, daß sie die für eine Berufstätigkeit erforderliche Zeit vollständig in Anspruch nimmt, die mithin für jeden Tag, an dem sie stattfindet, die Möglichkeit ausschließt, berufstätig zu sein, die objektive Verfügbarkeit auch dann ausschließt, wenn der Arbeitslose jederzeit bereit war, im Fall eines Arbeitsangebots diese Tätigkeit aufzugeben (BSGE 62, 166, 170 = SozR 4100 § 103 Nr 39). Der 11. Senat des BSG hat andererseits die objektive Verfügbarkeit auch dann bejaht, wenn der Arbeitslose eine karitative, sportliche oder kulturelle Tätigkeit ausübt, die er jederzeit abbrechen könnte (vgl BSG SozR 3-4100 § 103 Nr 4, insbesondere S 26). Darauf kommt es vorliegend indes nicht entscheidend an. Denn hier jedenfalls ist zu berücksichtigen, daß die Klägerin anstelle der eigentlich Personensorgeberechtigten während der Tagespflege die Personensorge über und für die beiden Kleinkinder ausübt. Die Führung eines Familienhaushalts mit Kindern ist vom Gesetzgeber bereits durch die gesetzliche Regelung des § 103 Abs 1 Satz 3 Nr 1 AFG privilegiert worden. Der Gesetzgeber hat dabei zwar grundsätzlich an berufstätige Mütter gedacht. Der 11. Senat hat jedoch klargestellt, daß auf diese Privilegierung sich auch andere Personen berufen können, soweit sie sich in zeitlich annähernd gleichem Umfang wie die Mutter dem Kind widmen (vgl BSG SozR 3-4100 § 134 Nr 7, S 21). Darüber hinaus hat der 11. Senat klargestellt, daß allein die Tatsache, daß eine Arbeitslose ihr Kind während ihrer Arbeitslosigkeit allein betreut, die Verfügbarkeit nicht ausschließt, soweit die Betreuung nach einer Arbeitsaufnahme anderweitig erfolgt (BSG aaO, S 20). Dem schließt sich der Senat aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art 6 Abs 2 und Abs 4 Grundgesetz aber auch aufgrund der gesellschaftlichen Erwünschtheit der Aufsicht und Betreuung von Kindern an (vgl auch BSG SozR 3-4100 § 103 Nr 4, S 26). Bei der zeitlichen Erstreckung der von der Klägerin vorgenommenen Tagespflege kann es insofern auch keinen sachlichen Unterschied machen, daß die Klägerin nicht die leibliche Mutter der Zwillinge war. Der Senat sieht insofern auch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten keine Veranlassung, die Klägerin schlechter zu stellen, als wenn sie als leibliche Mutter ihre eigenen Kinder betreut hätte (zur Gleichstellung von Pflegepersonen nach § 69 Abs 2 Bundessozialhilfegesetz vgl BSGE 51, 18, 22 = SozR 4100 § 103 Nr 32). Insoweit hat die Klägerin hier jedenfalls eine „karitative Tätigkeit” im weiteren Sinne ausgeübt. Maßgebend für den Senat ist, daß sie als Tagesmutter die Kinderbetreuung sichergestellt hat wie eine leibliche Mutter. Insofern ist also bei einer Tagesmutter das Vorliegen von objektiver Verfügbarkeit iS des § 103 Abs 1 Nr 1 AFG zu bejahen, wenn sichergestellt ist, daß bei Vorliegen eines Arbeitsangebots die Kinderbetreuung sofort anderweitig übernommen werden kann (BSG SozR 3-4100 § 134 Nr 7, S 20). Dies war hier nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG der Fall. Da die Klägerin nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG auch erreichbar iS des § 103 Abs 1 Nr 3 AFG war und schließlich auch die subjektive Verfügbarkeit vorlag (§ 103 Abs 1 Nr 2 AFG), bestanden an der Verfügbarkeit der Klägerin über den 18. März 1995 hinaus keine Zweifel.
Eine Anrechnung des Aufwendungsersatzes für die Betreuung der beiden Kinder als Einkommen gemäß § 115 AFG (idF, die die Vorschrift durch das Beschäftigungsförderungsgesetz vom 26. Juli 1994 - BGBl I 1786 - erhalten hat) kommt im übrigen nicht in Betracht, weil die Klägerin weder in einer Beschäftigung stand noch selbständig tätig war.
Mithin war der Aufhebungsbescheid vom 20. März 1995 rechtswidrig, weil sich an den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen hinsichtlich eines Alg-Anspruchs der Klägerin gemäß §§ 100 ff AFG auch durch die Übernahme einer Tätigkeit als Tagesmutter nichts geändert hatte. Diesen Bescheid muß die Beklagte daher gemäß § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X zurücknehmen, weshalb die eine solche Rücknahme im Zugunstenwege ablehnenden Bescheide vom 20. Juni 1995 und 13. Juli 1995 rechtswidrig waren.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
FA 2000, 203 |
AuA 1999, 566 |
FEVS 2000, 253 |
ZfJ 2000, 150 |
SozSi 2000, 364 |