Verfahrensgang

SG Düsseldorf (Urteil vom 14.03.1990)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14. März 1990 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat dem Beigeladenen zu 1) dessen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Im übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten über das Vorliegen eines sonstigen Schadens in Höhe von DM 17,56.

Der Beigeladene zu 1), ein Arzt für innere Krankheiten, verordnete im April 1985 der Patientin H. B. Arzneimittel zum Preis von DM 22,70 brutto. Aufgrund der Angaben der Patientin, die keinen Krankenschein vorlegte, stellte der Beigeladene zu 1) das Rezept zu Lasten der klagenden Krankenkasse aus. Die Klägerin zahlte für die Arzneimittelverordnung DM 17,56 netto. Die Patientin war nicht bei der Klägerin, sondern bei einer anderen Innungskrankenkasse versichert.

Die Klägerin beantragte im Dezember 1986 bei dem RVO-Prüfungsausschuß, das Vorliegen eines durch den Beigeladenen zu 1) verursachten sonstigen Schadens festzustellen. Der Prüfungsausschuß wies mit Bescheid vom 25. März 1987 den Antrag ab. Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Bescheid vom 27. September 1988 zurück.

Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid des Beklagten aufgehoben und den Beklagten verurteilt, unter Abänderung des Bescheides des Prüfungsausschusses RVO vom 25. März 1987 festzustellen, daß der Beigeladene zu 1) der Klägerin einen Schaden in Höhe von DM 17,56 zu ersetzen hat.

Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte sei für die Feststellung des sonstigen Schadens zuständig gemäß § 34 Abs 3 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä). Es liege eine schuldhafte Verletzung kassenärztlicher Pflichten durch den Beigeladenen zu 1) vor. Dieser habe entgegen § 29 Abs 1 Satz 1, § 8 Abs 4 BMV-Ä keine Verordnung auf Privatrezept ohne Angabe der Kassenzugehörigkeit mit dem Vermerk „mangels Krankenscheines” vorgenommen. Durch diesen Pflichtenverstoß sei der Klägerin ein Schaden in Höhe von DM 17,56 entstanden. Dieser Schaden bestehe hier unabhängig von der Frage, ob der Klägerin ein Erstattungsanspruch gemäß §§ 105, 110 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) gegen die eigentlich zuständige Krankenkasse zustehe, da aus der Grundregel des § 255 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) folge, daß der Geschädigte sich nicht auf Erstattungsansprüche gegen Dritte verweisen lassen müsse. Die Klägerin habe auch keinen Vorteil durch die Schädigung seitens des Beigeladenen zu 1) erlangt, den sie sich im Wege der Vorteilsausgleichung auf ihren Schadensersatzanspruch anrechnen lassen müsse. Die Vorteile, die der Klägerin (in anderen Fällen) aus der Regelung des § 110 Satz 2 SGB X zukämen, seien nicht konkret zu bemessen, da es völlig ungewiß sei, ob die Klägerin gemäß § 110 Satz 2 SGB X im Laufe der Zeit mehr Vor- oder Nachteile habe. Es fehle hier an dem für einen Vorteilsausgleich erforderlichen adäquaten Kausalzusammenhang zwischen schädigendem und vorteilsstiftendem Ereignis. § 110 Satz 2 SGB X enthalte auch keine allgemeine Bagatellgrenze derart, daß Schäden und Ansprüche unterhalb von DM 50,– nicht geltend gemacht werden könnten. Es widerspreche auch dem gesetzgeberischen Zweck des § 110 Satz 2 SGB X, pflichtwidrig handelnde Kassenärzte zu entlasten.

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Sprungrevision.

Der Beklagte rügt eine Verletzung der § 106 Abs 5 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V); § 110 SGB X; §§ 249, 254 BGB. Er rügt zunächst die Zuständigkeit des Beklagten für die begehrte Entscheidung. Die Feststellung eines sonstigen Schadens stelle „eine Wirtschaftlichkeitsprüfung im weiteren Sinne” dar. Aus dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22. Juni 1983 – 6 RKa 3/81 – folge, daß der Beklagte einen sonstigen Schaden nur im Zusammenhang mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot feststellen könne. Im vorliegenden Falle stehe der vermeintliche Pflichtenverstoß des Beigeladenen zu 1) aber in keinerlei Zusammenhang mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Schließlich ergebe sich auch aus der Neufassung des § 106 Abs 5 SGB V, daß der Beklagte ausschließlich für Entscheidungen darüber zuständig sei, ob gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen worden sei.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14. März 1990 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und der Beigeladene zu 2) beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie tragen vor, aus § 34 Abs 3 BMV-Ä und den entsprechenden gesamtvertraglichen Regelungen folge, daß die Prüfungseinrichtungen alle sonstigen Schäden festzustellen hätten, die der Kassenarzt infolge schuldhafter Verletzung seiner kassenärztlichen Pflichten einer Krankenkasse verursacht habe. Eine Beschränkung der Schadensfeststellung auf Wirtschaftlichkeitsprüfungen im weiteren Sinne könne dem § 34 BMV-Ä nicht entnommen werden.

Die Beigeladenen zu 1) und 3) haben sich zur Sache nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist begründet.

Der Beklagte hat zu Recht den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses zurückgewiesen. Die Entscheidung des Prüfungsausschusses, dem Antrag der Klägerin nicht stattzugeben, war rechtmäßig. Die Prüfungsinstanzen sind nicht zuständig, über den Antrag der Klägerin in der Sache zu entscheiden.

Nach der – mit § 34 Abs 3 BMV-Ä wörtlich übereinstimmenden -Vorschrift des § 38 Abs 3 des Bundesmantelvertrages-Ärzte vom 28. September 1990, die hier anzuwenden ist, haben die Prüfungseinrichtungen auch den sonstigen Schaden festzustellen, den ein Kassenarzt infolge schuldhafter Verletzung kassenärztlicher Pflichten einer Krankenkasse verursacht hat. Sachverhaltsgestaltungen der vorliegenden Art können nicht unter den Begriff des sonstigen Schadens des § 38 Abs 3 BMV-Ä subsumiert werden.

Der erkennende Senat hat bereits mehrfach entschieden, daß die den Prüfgremien von den Vertragspartnern des BMV-Ä zugewiesene Kompetenz, auch über das Vorliegen sogenannter sonstiger Schäden zu befinden, an die den Prüfgremien gesetzlich vorgegebene Aufgabe der „Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung” gebunden ist. Die Zuständigkeit der Prüfgremien hat er damit begründet, daß die Partner des BMV-Ä nach § 368g Abs 1 und 3 RVO berechtigt seien, ihnen eine innerhalb des Rechtszwecks der „Gewährleistung einer wirtschaftlichen Versorgung der Kranken” liegende Schadensfeststellungskompetenz zuzuweisen (vgl Urteile vom 22. Juni 1983 – 6 RKa 3/81 – = BSGE 55, 144, 150 = SozR 2200 § 368n Nr 26; vom 18. April 1984 – 6 RKa 38/82 – = SozR 5540 § 34 Nr 1; vom 20. Juli 1988 – 6 RKa 36/87 -= SozR 5545 § 24 Nr 2). § 72 Abs 2 SGB V bestimmt im wesentlichen übereinstimmend mit der früheren Regelung in § 368g Abs 1 RVO, daß die kassenärztliche Versorgung durch schriftliche Verträge der Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄV'en) mit den Verbänden der Krankenkassen so zu regeln (ist), daß eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemeinen Standes der medizinischen Erkenntnisse gewährleistet ist und die ärztlichen Leistungen angemessen vergütet werden. Während § 72 SGB V den allgemeinen Ermächtigungsrahmen umschreibt, der den Vertragspartnern des Bundesmantelvertrages und der Gesamtverträge vom Gesetz vorgegeben wird (vgl hierzu Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Anm 4 zu § 368g, Stand: 31. Januar 1988), wird in § 106 Abs 5 SGB V der Aufgabenbereich der Prüfungsgremien einengend auf die Prüfung der Wirtschaftlichkeit festgeschrieben. Nach § 106 Abs 5 Satz 1 SGB V entscheidet der Prüfungsausschuß auf Antrag der Krankenkasse oder der KÄV, ob der Kassenarzt … „gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche Maßnahmen zu treffen sind”.

In der Bestimmung des § 38 Abs 3 BMV-Ä wird an § 106 Abs 5 SGB V angeknüpft. § 38 Abs 3 BMV-Ä räumt nach seinem Wortlaut den Prüfungseinrichtungen zwar eine Zuständigkeit zur Feststellung sonstiger Schäden in umfassendem Sinn ein. Indessen muß der Senat die Bestimmung einschränkend dahin auslegen, daß den Prüfungseinrichtungen nur eine Schadensfeststellungskompetenz innerhalb des Rechtszwecks der Gewährleistung einer wirtschaftlichen Versorgung der Kranken zugewiesen wird. Wenn den Prüfungseinrichtungen, die nach § 106 SGB V die Wirtschaftlichkeit prüfen, völlig andere Aufgaben übertragen werden sollten, müßte dies in der vertraglichen Bestimmung deutlich zum Ausdruck kommen. Diese gegenüber dem Wortlaut einschränkende Auslegung des § 38 Abs 3 BMV-Ä hält der Senat auch deshalb für geboten, weil die Vertragspartner bei Vereinbarung des BMV-Ä vom 28. September 1990 die bisherige Bestimmung des § 34 Abs 3 BMV-Ä aF übernommen haben in Kenntnis der Rechtsprechung des Senats, nach der die Prüfungseinrichtungen nur in dem eingeschränkten Sinn zuständig sind.

Im vorliegenden Fall steht hingegen die Wirtschaftlichkeit der durch den Beigeladenen zu 1) veranlaßten Verordnung nicht im Streit. Von keinem Beteiligten wurde vorgetragen oder nur in Zweifel gezogen, daß die Verordnung des Arzneimittels für die Patientin H. B. nicht ausreichend und zweckmäßig war oder das Maß des Notwendigen iS des § 368e RVO aF bzw der §§ 12, 31 ff SGB V überschritt. Ein Antrag auf einen Arzneimittelregreß wurde nicht gestellt. Die behauptete „Pflichtverletzung” des Beigeladenen zu 1) besteht hier vielmehr darin, daß er einen falschen Leistungsträger auf dem Verordnungsblatt vermerkte bzw kein Privatrezept mit dem Vermerk „mangels Krankenscheines” bzw „ohne Versicherungsnachweis” ausstellte (vgl § 8 Abs 4 BMV-Ä aF bzw § 18 Abs 7 BMV-Ä). Diese Pflicht berührt aber das Wirtschaftlichkeitsgebot im eigentlichen Sinne nicht, da dieses auf die Qualität und den Umfang der ärztlichen Leistungserbringung gegenüber dem Patienten und dessen Krankenkasse abstellt. Die Frage der korrekten Zuordnung der – hier unstreitig – wirtschaftlichen Leistungen zu dem richtigen, dh zuständigen Leistungsträger iS der §§ 12 ff SGB I, §§ 102 ff SGB X berührt einen Teilbereich der ärztlichen Tätigkeit, der jedenfalls mit der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung gemäß § 12 SGB V auch in einem weiteren Sinne nichts zu tun hat.

Das LSG Rheinland-Pfalz hat in seinen Urteilen vom 20. Dezember 1990 (L 5 Ka 6 bis 10/90) die Zuständigkeit der Prüfungsinstanzen in Fällen der vorliegenden Art angenommen, obwohl die Entscheidung über das Begehren der Krankenkasse hier nicht zur Wirtschaftlichkeitsprüfung gehöre. Dies hat das LSG damit begründet, daß für die Abwicklung solcher Fälle nicht die KÄV zuständig sein könne. Wenn und soweit kein Ausgleich zwischen den beteiligten Krankenkassen nach §§ 102 ff SGB X erfolge, verbleibe nur der Weg über die Bestimmungen des § 34 Abs 3 BMV-Ä aF/§ 38 Abs 3 BMV-Ä nF. Dieser Meinung kann sich der Senat nicht anschließen (vgl dazu Urteile vom 16. Oktober – 6 RKa 7/91, 8/91, 9/91 und 11/91).

Der BMV-Ä enthält keine Regelung über Schadensersatzansprüche wegen Verordnungen zu Lasten einer unzuständigen Krankenkasse. Insbesondere stimmt der Senat mit dem LSG Rheinland-Pfalz darin überein, daß die KÄV nicht zuständig ist. Der Senat hat im Urteil vom 11. Juni 1986 – 6 RKa 4/85 – (BSGE 60, 122, 123 f = SozR 1500 § 97 Nr 6) ausgeführt, daß eine Auslegung, die die rechnerisch/sachliche Richtigstellung auch bei der Verordnungsweise gemäß § 34 Abs 1 Buchst a BMV-Ä den KÄV'en zuweisen würde, „jedenfalls nicht offenkundig falsch” wäre. Eine solche Auslegung des BMV-Ä erscheint aber schon rein rechtstatsächlich ausgeschlossen. Die KÄV'en erhalten die Verordnungsblätter nicht, und der Zahlungsfluß erfolgt unmittelbar von den Krankenkassen zu den Apotheken ohne Einschaltung der KÄV. § 40 BMV-Ä ebenso wie § 34 Abs 2 BMV-Ä aF begründen eine Zuständigkeit der KÄV eindeutig nur für die rechnerische und gebührenordnungsmäßige Prüfung und Berichtigung der vom Arzt eingereichten Honoraranforderungen. Im Rechtssystem der gesetzlichen Krankenversicherung sind die (hierzu gehörigen) kassenärztlichen Aufgaben ferner nicht im Zweifel und im Sinn einer Auffangzuständigkeit von der KÄV zu erfüllen; es besteht vielmehr der Grundsatz der gemeinsamen Aufgabenerfüllung (Urteil des Senats vom 31. Juli 1991 – 6 RKa 20/90 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Für die Zuordnung der Entscheidung über die Folgen von Vertragsverletzungen der Kassenärzte an die KÄV bedürfte es einer speziellen Regelung durch die Partner des BMV-Ä oder des Gesamtvertrags.

Die Zuständigkeit der Prüfungsinstanzen läßt sich auch nicht mit der Annahme einer Regelungslücke des BMV-Ä im Wege der Analogie rechtfertigen. Von Lücken in einer Norm kann man nur sprechen, wenn sie für einen bestimmten Bereich eine einigermaßen vollständige Regelung anstrebt. Die Lücke setzt voraus, daß die Norm keine Regelung enthält für eine Frage, die nach der zugrundeliegenden Regelungsabsicht einer Regelung bedarf. Es muß sich also um eine planwidrige Unvollständigkeit handeln (Larenz, Methodenlehre, 5. Aufl S 354 ff). Dem BMV-Ä ist aber kein Plan des Inhalts zu entnehmen, daß die Vertragspartner damit alle Schadensersatzforderungen und insbesondere Schadensersatzforderungen wegen Angabe einer unzuständigen Krankenkasse auf einer Arzneimittelverordnung regeln wollten. Das LSG Rheinland-Pfalz erwähnt selbst die Möglichkeit, daß die Vertragspartner des BMV-Ä insoweit kein Bedürfnis für eine ausdrückliche Regelung gesehen haben, weil die Krankenkassen solche Fälle bisher nicht geltend gemacht haben; sie gingen offenbar davon aus, daß jede Krankenkasse in gewisser Regelmäßigkeit aufgrund solcher fehlerhaft gekennzeichneter ärztlicher Verordnungen belastet werde. Allein diese durchaus vernünftige Überlegung zeigt schon, daß hier keine Regelungslücke vorliegt.

Die Regelung der kassenärztlichen Versorgung durch schriftliche Verträge ist den KÄV'en und den Verbänden der Krankenkassen durch die Bestimmung des § 72 Abs 2 SGB V zur gemeinsamen Aufgabenerfüllung zugewiesen. Ob der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift den Vertragspartnern zwingend aufgegeben hat, alle Folgen der Verletzung von kassenärztlichen Pflichten und die Zuständigkeit zur Entscheidung darüber zu regeln, und wem die Vertragspartner die Kompetenz zuweisen könnten, kann hier dahingestellt bleiben. Der BMV-Ä enthält jedenfalls keine einschlägige Regelung, und diese ist nicht von den Gerichten zu treffen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1174349

BSGE, 264

AusR 1992, 20

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