Verfahrensgang
SG Augsburg (Urteil vom 05.10.1994) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 5. Oktober 1994 abgeändert soweit die Beklagte über ihr Teilanerkenntnis vom 5. Oktober 1994 hinaus verurteilt worden ist, dem Kläger vor dem 1. Oktober 1994 vorzeitiges Altersgeld zu gewähren; insoweit wird die Klage gegen den Bescheid vom 2. April 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 1993 abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über den Beginn eines Anspruchs auf vorzeitiges Altersgeld nach dem Gesetz über die Altershilfe für Landwirte (GAL) und in diesem Zusammenhang darüber, wann der Kläger sein Unternehmen im Sinne des Gesetzes „abgegeben” hat.
Der im Februar 1932 geborene Kläger beantragte im November 1991 bei der Beklagten vorzeitiges Altersgeld, nachdem er und seine Ehefrau mit schriftlichem Vertrag vom 31. Oktober 1991 ihr landwirtschaftliches Unternehmen für die Zeit vom 1. November 1991 bis 31. Oktober 2000 an ihre Tochter verpachtet hatten. Die Beklagte lehnte diesen Antrag jeweils nach Einholung von Gutachten mit Bescheid vom 2. April 1992 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 27. September 1993 ab, weil der Kläger nicht erwerbsunfähig iS von § 44 Abs 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) sei.
Im Verlaufe des anschließenden Rechtsstreits hat der vom Sozialgericht (SG) beauftragte Sachverständige mit Gutachten vom 30. März 1994 die Auffassung vertreten, der Kläger sei seit 1. Januar 1993 erwerbsunfähig, da sich seit diesem Zeitpunkt sein Gesundheitszustand verschlechtert habe. In der mündlichen Verhandlung vom 5. Oktober 1994 hat der Kläger daraufhin eine Zusatzvereinbarung vom 21. September 1994 zum Pachtvertrag mit einer Verlängerung der Pachtzeit bis 31. Oktober 2003 vorgelegt und beantragt,
den Bescheid vom 2. April 1992 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 1993 insoweit aufzuheben und abzuändern, „als beginnend ab 1. Januar 1993 ein vorzeitiges Altersgeld gemäß § 2 Abs 2 GAL zu gewähren ist”.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen, soweit sie sich auf die Gewährung eines vorzeitigen Altersgeldes vor dem 1. Oktober 1994 bezieht.
Mit Urteil vom gleichen Tag hat das SG die Beklagte unter Aufhebung und Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger ab 1. Januar 1993 ein vorzeitiges Altersgeld zu gewähren. Es hat die Sprungrevision zugelassen und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger habe die Voraussetzungen für einen Anspruch auf vorzeitiges Altersgeld zum 1. Januar 1993 erfüllt. Er sei nach den eingeholten Gutachten seit Januar 1993 erwerbsunfähig iS von § 44 Abs 2 SGB VI; zu diesem Zeitpunkt habe er auch das landwirtschaftliche Unternehmen im Sinne des Gesetzes abgegeben gehabt. Denn durch die Verlängerungsvereinbarung habe die ursprüngliche Verpachtung nachträglich die Qualität einer Abgabe im Rechtssinne erlangt. Der von der Beklagten zugrunde gelegte Abgabezeitpunkt, der 1. Oktober 1994, verkürze in unzulässiger Weise die berechtigten Ansprüche des Klägers. Würde man dieser Auffassung folgen, ginge die Verfahrensdauer stets zu Lasten des Antragstellers. Dies widerspreche auch dem allgemeinen Grundsatz, daß für die Gewährung von Rentenleistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abzustellen sei.
Die Beklagte hat die vom SG zugelassene Sprungrevision mit Zustimmung des Klägers eingelegt. Sie rügt eine Verletzung von § 2 Abs 2 Buchst c iVm Abs 8 und Abs 3 Satz 2 GAL und trägt vor:
Die in den genannten Bestimmungen normierten Voraussetzungen für eine Abgabe des Unternehmens zum Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit seien nicht erfüllt, wenn ein zu diesem Zeitpunkt laufender Pachtvertrag nachträglich verlängert werde. Nach dem Wortlaut der Bestimmungen müsse sich die von den Parteien des Pachtvertrages getroffene Vereinbarung auf eine Pachtzeit von neun Jahren ab Eintritt der Erwerbsunfähigkeit erstrecken. Sowohl eine Rückdatierung als auch eine auf den Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit „rückwirkende” Verlängerung eines Pachtvertrages seien mit dem Gesetz und der agrarpolitischen Zielsetzung des GAL nicht zu vereinbaren.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 5. Oktober 1994 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit sie sich auf die Gewährung von Altersgeld vor dem 1. Oktober 1994 bezieht.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Er trägt vor:
Er habe einen Anspruch auf vorzeitiges Altersgeld ab 1. Januar 1993. Er sei zu diesem Zeitpunkt erwerbsunfähig gewesen und habe auch sein landwirtschaftliches Unternehmen im Sinne des Gesetzes abgegeben gehabt. Denn er habe sich bereits damals endgültig von seinem Unternehmen getrennt. Vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit habe er nämlich seine Existenzgrundlage aufgegeben, ohne abgesichert gewesen zu sein; durch die Verlängerung des Pachtvertrages habe er die Trennung von dem Unternehmen erneut dokumentiert. Es würde Sinn und Zweck des Gesetzes widersprechen, wenn man den Antragsteller im Verlaufe eines Prüfungsverfahrens zwinge, bestehende Pachtverträge fortlaufend zu verlängern.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die (Sprung-)Revision der Beklagten ist begründet.
Das angefochtene Urteil ist abzuändern, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, dem Kläger – über das von ihr in der mündlichen Verhandlung vom 5. Oktober 1994 abgegebene, in ihrem Antrag enthaltene Teilanerkenntnis hinaus – vorzeitiges Altersgeld bereits ab 1. Januar 1993 zu gewähren; insoweit ist die Klage abzuweisen. Dem Kläger steht ein Anspruch auf vorzeitiges Altersgeld erst ab 1. Oktober 1994 zu.
Das Begehren des Klägers auf vorzeitiges Altersgeld in dem streitigen Zeitraum, vom 1. Januar 1993 bis 1. Oktober 1994, beurteilt sich gemäß § 94 Abs 2 des Gesetzes zur Reform der agrarsozialen Sicherung (Agrarsozialreformgesetz 1995 ≪ASRG 1995≫) vom 29. Juli 1994 (BGBl I S 1890) nach § 2 Abs 2 GAL (zuletzt geändert durch Art 17 des Rentenreformgesetzes 1992 vom 18. Dezember 1989, BGBl I S 2261), weil der Kläger den Anspruch noch vor Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 1995 geltend gemacht hatte.
Nach § 2 Abs 2 GAL ist für den Anspruch auf vorzeitiges Altersgeld neben der Erwerbsunfähigkeit des landwirtschaftlichen Unternehmers und der Zahlung von Beiträgen für mindestens 60 Kalendermonate an die landwirtschaftliche Alterskasse – über das Vorliegen dieser Voraussetzungen besteht zwischen den Beteiligten kein Streit – ua die Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens iS von § 2 Abs 2 Buchst c iVm Abs 8 und Abs 3 aaO erforderlich. Nach diesen Vorschriften ist Abgabe iS des § 2 Abs 2 Buchst c GAL die Übergabe des landwirtschaftlichen Unternehmens oder ein sonstiger Verlust der Unternehmereigenschaft. Ist mit der Abgabe des Unternehmens iS des § 2 Abs 2 Buchst c GAL nicht der Übergang des Eigentums verbunden, so ist die Voraussetzung des § 2 Abs 2 Buchst c GAL nur erfüllt, wenn die Abgabe für einen Zeitraum von mindestens neun Jahren nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit des Unternehmers unbeschadet weiterer gesetzlicher Formvorschriften schriftlich vereinbart wird (§ 2 Abs 3 Satz 2 GAL).
Abgegeben iS von § 2 Abs 3 Satz 2 GAL hatte der Kläger sein landwirtschaftliches Unternehmen im September 1994, mit der Vereinbarung einer Verlängerung der Pachtdauer bis zum Jahre 2003. Erst zu diesem Zeitpunkt hatte er die gesetzliche Voraussetzung, nämlich eine Überlassung des landwirtschaftlichen Unternehmens für die Dauer von mindestens neun Jahren nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit im Januar 1993, erfüllt und damit seine Unternehmereigenschaft verloren.
Dieses sich am Wortlaut des Gesetzes orientierende Ergebnis entspricht Sinn und Zweck der Vorschrift. Das Gesetz unterscheidet bei der Definition der Abgabe in § 2 Abs 3 GAL zwei Fallgestaltungen. Regelfall ist die Unternehmensabgabe durch Eigentumsübergang des landwirtschaftlichen Unternehmens auf einen Dritten. Dies entspricht der agrarpolitischen Zielsetzung des Gesetzes. Danach soll das Altersgeld mit dazu beitragen, daß landwirtschaftliche Unternehmen zu einem wirtschaftlich sinnvollen Zeitpunkt an jüngere Kräfte übergeben werden; nach der Konzeption des Gesetzes soll die Entscheidung des Landwirts, sich von seinem Unternehmen nach Vollendung des 65. Lebensjahres bzw nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit zu trennen, durch die Zahlung einer angemessenen Altersversorgung erleichtert werden; dabei ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, daß der Landwirt durch die Abgabe des Hofes in besonderer Weise schutzwürdig wird (vgl hierzu BSG SozR 5850 § 2 Nr 8 S 15). Aus dieser Zielsetzung folgt, daß grundsätzlich nur derjenige landwirtschaftliche Unternehmer das Altersgeld als Ausgleich erhalten soll, der sich durch Übertragung des Eigentums von dem seine Existenz bildenden Unternehmen endgültig getrennt hat. Damit ist zugleich sichergestellt, daß der Übernehmer die landwirtschaftliche Fläche sinnvoll weiter bewirtschaften kann. Erst in zweiter Linie – was die Rechtsfolgen anbelangt jedoch gleichwertig – kommt als „Ersatzübergabe” eine Abgabe iS von § 2 Abs 3 Satz 2 GAL in Form einer Überlassung des landwirtschaftlichen Unternehmens für die Dauer von mindestens neun Jahren in Betracht. Nach der Zielsetzung des GAL handelt es sich insoweit um eine Hilfskonstruktion (ein Minus, vgl hierzu BSG SozR 5850 § 2 Nr 15 S 34) gegenüber der ersten (Regel-)Fallgestaltung; sie soll die Trennung von dem Unternehmen in Form des Eigentumsübergangs lediglich ersetzen (fingieren). Die vereinbarte Überlassung (von mindestens neun Jahren) muß demnach so ausgestaltet sein, daß bei dem vom Gesetz unterstellten normalen Verlauf der Vertragsbeziehungen (vgl BSG SozR 5850 § 2 Nr 13 S 28 f) eine Weiterbewirtschaftung der landwirtschaftlichen Fläche durch den ehemaligen Unternehmer in der Zukunft ausgeschlossen ist „prinzipiell endgültiger Verlust”, vgl ua BSG SozR 5850 § 2 Nr 15 S 34). Hiervon ist bei einer Mindestüberlassungszeit von neun Jahren im Hinblick auf die Altersgrenze (65 Jahre) bzw die erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigung bei Erwerbsunfähigkeit auszugehen. In beiden Fällen wird es dem bisherigen Unternehmer faktisch auf Dauer verwehrt, die Bewirtschaftung des Unternehmens wieder aufzunehmen (vgl hierzu BSG SozR 5850 § 41 Nr 14 S 41). Gleichzeitig wird dem Übernehmenden hierdurch eine sinnvolle langjährige Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Fläche ermöglicht (vgl hierzu BSG SozR 5850 § 2 Nr 13 S 29).
Geht man von der Fiktion einer endgültigen Lösung vom Unternehmen durch eine Überlassung von mindestens neun Jahren aus, so handelt es sich bei dem vom Gesetzgeber vorgegebenen zeitlichen Rahmen um eine nach Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) zulässige Typisierung (vgl BSG SozR 5850 § 2 Nr 6). Dieser zeitliche Rahmen darf daher grundsätzlich nicht unterschritten werden.
Der Anspruch des Klägers auf vorzeitiges Altersgeld konnte mithin erst entstehen, als sämtliche Voraussetzungen nach § 2 Abs 2 GAL erfüllt waren, als der Kläger also erwerbsunfähig war und die Pachtdauer erstmals nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit neun Jahre betrug.
Unerheblich ist, daß der Kläger das Land bereits vor diesem Zeitpunkt zur Bewirtschaftung übergeben hatte. Denn bei Eintritt der Erwerbsunfähigkeit zum 1. Januar 1993 betrug die zuvor vereinbarte Pachtzeit keine neun Jahre mehr.
Dieser Zeitpunkt ist jedoch für den Anspruch auf vorzeitiges Altersgeld maßgebend; denn er konnte frühestens mit Vorliegen der Erwerbsunfähigkeit entstehen. Eine Korrektur der Pachtdauer ist aus den og Gründen daher nur für die Zukunft, und zwar in der Weise möglich, daß in einer neuen Vereinbarung die Pachtdauer nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit auf künftige neun Jahre festgesetzt wird. Bei einer solchen Korrektur kann der früheste Zeitpunkt einer wirksamen Abgabe iS des Gesetzes nur der Zeitpunkt der neuen Vereinbarung sein (vgl hierzu entsprechend SozR 5850 § 41 Nr 14 S 43; Bundessozialgericht ≪BSG≫ Urteil vom 22. Juni 1971 – 11 RLw 5/70 –), hier also der 21. September 1994. Es liegt im Risikobereich eines Antragstellers, wenn er bereits bei Antragstellung, aber vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit sein landwirtschaftliches Unternehmen für die Dauer von neun Jahren verpachtet; in einem derartigen Fall muß er dafür Sorge tragen, daß die Voraussetzungen einer Mindestpachtdauer von neun Jahren jedenfalls bei Eintritt der Erwerbsunfähigkeit vorliegen.
Nach alledem steht dem Kläger ein Anspruch auf vorzeitiges Altersgeld erst ab 1. Oktober 1994, mit Ablauf des Monats zu, in dem seine Voraussetzungen vorlagen (§ 10 Abs 2 GAL). Die Revision der Beklagten hat mithin Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat dabei berücksichtigt, daß die Beklagte den Anspruch des Klägers auf vorzeitiges Altersgeld zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach seiner Entstehung nämlich im Termin vom 5. Oktober 1994 anerkannt hat.
Fundstellen