Verfahrensgang
LSG Hamburg (Urteil vom 21.02.1991) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 21. Februar 1991 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger wendet sich im anhängigen Verfahren gegen die Aufhebung der Bewilligung von Kindergeld. Er ist mit seinem Begehren im sozialgerichtlichen Verfahren ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Hamburg vom 16. Juni 1989; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Hamburg vom 21. Februar 1991).
Der von der DDR ausgebürgerte Kläger bezog auf seinen Antrag vom November 1978 an von der Beklagten Kindergeld in verminderter Höhe (§ 8 Abs 2 des Bundeskindergeldgesetzes ≪BKGG≫) für seine beiden in der DDR verbliebenen Kinder (Bescheid vom 26. Juni 1979). Nachdem das Kindergeld in der DDR mit Wirkung von Mai 1987 an auf 50 Mark für das erste und auf 100 Mark für das zweite Kind erhöht worden war, hob die Beklagte die Bewilligung durch den in diesem Verfahren angefochtenen Bescheid vom 29. April 1987, gestützt auf § 48 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X), auf. Der hiergegen erhobene Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 1987).
In dem Urteil des SG heißt es, durch die Erhöhung des Kindergeldes in der DDR sei eine wesentliche Änderung eingetreten, welche gemäß § 8 Abs 2 Satz 1 BKGG zum Verlust des Kindergeldanspruchs geführt habe. Da die ostdeutsche Mark nicht amtlich notiert und gehandelt worden sei, lägen zwar die Voraussetzungen für eine Umrechnung nach § 8 Abs 2 Satz 4 BKGG nicht vor. Dasselbe gelte auch für eine Anwendung des § 17a des Sozialgesetzbuches – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV). Nach dem Willen des Gesetzgebers sei die Umrechnung von Mark Ost in DM West und umgekehrt am ehesten nach der Vereinbarung vom 25. April 1974 zwischen dem Bundesminister der Finanzen der Bundesrepublik Deutschland und dem Minister der Finanzen der DDR über den Transfer von Unterhaltszahlungen vorzunehmen. Danach sei für 1 Mark je 1 DM gutzubringen. Da es sich um eine Regelung handele, welche Unterhaltszahlungen an in der DDR lebende Kinder betreffe, dränge sich die Übernahme dieser Regelung in § 8 Abs 2 BKGG auf. Bei Zugrundelegung eines Umrechnungsverhältnisses von 1:1 bestehe ein Kindergeldanspruch des Klägers seit der Erhöhung des Kindergeldes der DDR nicht mehr.
Das LSG hat der Rechtsauffassung des SG im wesentlichen zugestimmt. Bei dem Kindergeld handele es sich um einen staatlichen Zuschuß zu den Grundbedürfnissen des Kindes. Dies werde durch die in § 8 Abs 2 BKGG vorgeschriebene Umrechnung der Leistung nach offiziellen Bewertungen sichergestellt. Einen Rückgriff auf die Verbrauchergeldparität habe der Gesetzgeber damit erübrigt. Der Vorschrift des § 2 Abs 5 BKGG, welche hier analog angewendet werden müsse, sei der Gedanke des Kaufkraftausgleichs zu entnehmen. Dieser führe für sich bereits zu der vom SG gewonnenen Bewertung der beiden Währungen nach dem Maßstab 1:1. Dies sei auch deshalb gerechtfertigt, weil die Befriedigung des Grundbedarfs in der DDR einen geringeren finanziellen Aufwand erfordert habe als in der Bundesrepublik Deutschland. Das Kindergeld sei in der DDR im Verhältnis zu den Einkommen höher gewesen als im ehemaligen Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Revision ist der Meinung, das LSG habe das materielle Recht unrichtig angewendet und gegen die Vorschrift des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) dadurch verstoßen, daß sie keine ausreichenden Auskünfte eingeholt und Ermittlungen geführt habe. Die kritiklose Anwendung der Vereinbarung der Finanzminister aus dem Jahre 1974 sei ebenso willkürlich wie ungerecht. Dadurch werde der Kläger schlechter gestellt als ein Kindergeldberechtigter, welcher seine unterhaltspflichtigen Kinder anderswo im Ausland wohnen habe. Vernünftig sei allein das Kaufkraftverhältnis in Ost- und Westdeutschland in eine Beziehung zu setzen, da nur so dem unterhaltsberechtigten Kind die zustehende Leistung zugutekomme. Hierzu hätte das LSG Auskünfte, auch von der Beklagten, einholen und einen Sachverständigen mit der Bewertung des Kaufkraftvergleichs beauftragen müssen. Gegebenenfalls sei der inoffizielle Kurs für die Ost-Mark gegenüber der DM-West zu berücksichtigen gewesen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 21. Februar 1991, das die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 16. Juni 1989 zurückgewiesen hat, sowie des Bescheides der Beklagten vom 29. April 1987 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 1987 die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger vom 1. Mai 1987 bis 30. Juni 1990 Kindergeld unter Anrechnung des DDR-Kindergeldes mit DM 75,– monatlich zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, daß nach ihrer Überzeugung in dem angefochtenen Urteil der vom Kläger verlangte Kaufkraftvergleich durchgeführt worden ist. Ein anderer Umrechnungsmaßstab als der vom LSG gewählte komme nicht in Frage.
Entscheidungsgründe
II
Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Verfahrensbeteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 SGG).
Die Revision des Klägers ist iS der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet; die Tatsachenfeststellungen des LSG reichen nicht aus, um über die Klage abschließend zu entscheiden.
Durch ihren Bescheid vom 29. April 1987 hat die Beklagte die ursprüngliche Kindergeldbewilligung, und zwar ab Mai 1987, aufgehoben. Dies war nur möglich, wenn die Erhöhung des Kindergeldes in der damaligen DDR als wesentliche Änderung iS von § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X anzusehen ist und für den Monat Mai 1987 ggf zusätzlich die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X vorliegen. Ob dies der Fall war, lassen die Tatsachenfeststellungen in dem angefochtenen Urteil nicht erkennen.
Nach § 8 Abs 1 Nr 2 iVm Abs 2 Satz 1 BKGG wird Kindergeld insoweit nicht gewährt, als für Kinder, die außerhalb des Geltungsbereichs des BKGG wohnen, vergleichbare Leistungen erbracht werden. Ist der Bruttobetrag der im Ausland gewährten Leistung niedriger als das Kindergeld, wird von der Beklagten Kindergeld in Höhe des Unterschiedsbetrages gezahlt. Die Erhöhung des staatlich gezahlten Kindergeldes in der DDR von 20 Mark auf 50 bzw 100 Mark im Monat dürfte daher mit einiger Wahrscheinlichkeit jedenfalls zu einer Minderung des von der Beklagten bisher gewährten Unterschiedsbetrags führen. Allerdings lassen die Feststellungen im angefochtenen Urteil nicht den Schluß zu, daß der Anspruch des Klägers auf das bisher gezahlte Kindergeld durch die Erhöhung des Kindergeldes in der DDR in seiner Gesamtheit weggefallen ist. Die Darlegungen in dem angefochtenen Urteil lassen nicht erkennen, ob die Aufhebung der gesamten Kindergeldbewilligung mit dem Maß der in der DDR erfolgten Erhöhung des Kindergeldes korrespondiert. Nur „soweit” rechtfertigt sich jedoch die Aufhebung nach § 48 Abs 1 SGB X.
Dem Urteil ist ferner nicht zu entnehmen, ob der Bescheid vom 29. April 1987 dem Kläger noch in demselben Monat zugegangen, oder ob er erst im Mai 1987 zugestellt worden ist. Hiervon hängt die Entscheidung der weiteren Frage ab, ob die Aufhebung der Bewilligung nur die Zukunft oder aber – für den schon laufenden Monat Mai – auch die Vergangenheit betraf. Sollte letzteres der Fall sein, liegt es nahe, insoweit insbesondere das Vorliegen der in § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X normierten Voraussetzungen zu prüfen.
Für die in erster Linie zu entscheidende Frage ist von Bedeutung, in welchem Rahmen eine Umrechnung des erhöhten Kindergeldes der DDR zu erfolgen hat. Mit Recht gehen die Gerichte der Vorinstanzen davon aus, daß die Vorschrift des § 8 Abs 2 Satz 4 und 5 BKGG ebensowenig weiterführt wie § 17a SGB IV. Denn es fehlt an der Voraussetzung, daß die Ost-Mark am offiziellen Devisenmarkt beteiligt war oder daß es gemeldete repräsentative Kurse gab.
Aus demselben Grunde scheitert nach der Überzeugung des erkennenden Senats die Heranziehung der Vereinbarung der Finanzminister beider deutscher Staaten aus dem Jahre 1974. Ihr fehlt ohnehin jeglicher Normgehalt, welcher von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu beachten wäre. Dies haben auch die Vorinstanzen nicht verkannt. Vor allem aber ist gerade der vereinbarte Kurs 1:1 kein realistischer Mittelkurs iS von § 8 Abs 2 Satz 4 oder Satz 5 BKGG. Er ist vielmehr eine mit vielerlei Mängeln behaftete vertraglich vereinbarte Größe, deren Zustandekommen kein Ausdruck einer abgewogenen und freien politischen Entschließung ist. Aus diesem Grunde hält es der Senat nicht für angebracht, im vorliegenden Falle wegen der Vereinbarung aus dem Jahre 1974 eine Kursparität von 1:1 zugrunde zu legen.
Der Senat war bereits in den Jahren 1990 (Urteil vom 30. Mai 1990 – 10 RKg 9/89 –, SozR 3-5870 § 2 Nr 6) und 1991 (Urteil vom 7. August 1991 – 10 RKg 8/91 –) mit der Umrechnung der Ost-Mark in die DM-West befaßt. Seinerzeit hatte er zu entscheiden, wie laufende Einkünfte eines Kindes in der damaligen DDR im Rahmen von § 2 Abs 4 Satz 2 BKGG umzurechnen bzw zu bewerten waren. Er hat im Hinblick auf den in § 2 Abs 6 zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers entschieden, daß in diesem Zusammenhang auf die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten für Kinder in deren Wohnland abzustellen ist.
Nach der Überzeugung des Senats erscheint dieser Gedanke auch zu einer gerechten Lösung der vorliegenden Frage zu führen, wie staatliche Leistungen für ein Kind in der damaligen DDR in der Bundesrepublik Deutschland zu bewerten waren. Dies ist schon deswegen angebracht, weil es nicht angehen kann, die aus abhängiger Tätigkeit erzielten Einkünfte anders zu bewerten als die vom Staat gewährten Kindergeldleistungen. Demzufolge kommt es im vorliegenden Fall auf einen Einkommensvergleich in der DDR und der Bundesrepublik Deutschland an. Der Senat hat seinerzeit die vom LSG (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 1. Februar 1991 – L 6 Kg 9/90 –) praktizierte Lösung für rechtens angesehen, den vom Statistischen Bundesamt errechneten Kaufkraftvergleich zu übernehmen. Auf diese Weise wäre auch dem Anliegen des LSG Genüge getan, den wahren Wert der DDR-Währung in Verbindung mit den durchschnittlichen Lebenshaltungskosten in der damaligen DDR zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber ist immer davon ausgegangen, daß die Höhe des Kindergeldes auf eine im Bereich des BKGG lebende Familie zugeschnitten ist (BT-Drucksache 7/2032 Seite 9).
Das LSG wird daher den bisher nicht vollzogenen Einkommensvergleich auf geeignete Weise nachholen. Es hat ferner über die Kosten der Revisionsinstanz zu entscheiden.
Fundstellen