Entscheidungsstichwort (Thema)
Heilmittelerbringer. Vergütungsanspruch. Vertrauensschutz. Krankenschein. Krankenversichertenkarte. Ende der Mitgliedschaft bei der Krankenkasse. Landesrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Es verstößt nicht gegen Bundesrecht, wenn auf Landesebene vereinbart wird, daß die vertragsärztlich verordnete Leistung eines Heilmittelerbringers auch dann zu vergüten sein kann, wenn sie nach Beendigung der Mitgliedschaft des Versicherten bei der Krankenkasse erbracht wurde.
2. Das gilt unabhängig davon, ob die Mitgliedschaft des Versicherten schon vor der vertragsärztlichen Verordnung oder erst danach erloschen ist.
Normenkette
SGB V §§ 15, 19, 125, 291, 302; SGG §§ 162-163
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. Mai 1995 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I.
Der Kläger nimmt die beklagte Krankenkasse (KK) auf Vergütung krankengymnastischer Leistungen in Anspruch, die er zugunsten der beiden Beigeladenen in Zeiten erbracht hat, als deren Mitgliedschaft bei der Beklagten bereits beendet war.
Ein Vertragsarzt verordnete dem Beigeladenen zu 1) nach Vorlage des Krankenscheines am 21. Mai 1990, 29. Mai 1990 und 29. Juni 1990 insgesamt 22 krankengymnastische Behandlungen und 22 Eisbehandlungen. Der Kläger, der zur krankengymnastischen Behandlung berechtigt ist, führte diese Maßnahmen in der Zeit vom 22. Mai bis 31. Juli 1990 durch. Der Krankenversicherungsschutz des Beigeladenen zu 1) bei der AOK Oldenburg, deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, endete wegen der zum 4. Mai 1990 erfolgten Aufgabe seines Beschäftigungsverhältnisses gemäß § 19 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) am 3. Juni 1990. Die Beklagte vergütete dem Kläger nur die bis zu diesem Tag erbrachten vier Behandlungen und lehnte eine Vergütung des Restbetrages von 453,60 DM unter Hinweis auf das Ende der Versicherung ab.
Der Beigeladenen zu 2), die ebenfalls einen Krankenschein überreicht hatte, wurden am 13. November 1990 zehn krankengymnastische Leistungen vertragsärztlich verordnet, die der Kläger durchführte. Auch diese mit 190,– DM zu vergütenden Leistungen rechnete die Beklagte nicht ab, da die Beigeladene zu 2) bei ihrer Rechtsvorgängerin nur bis zum 22. Juni 1990 versichert gewesen war.
Der Kläger beruft sich auf vertraglichen Vertrauensschutz. Solange die KK die Kostenübernahme nicht von einer an sich vorgesehenen vorherigen „Genehmigung” der verordneten Heilmittelbehandlung abhängig mache, sei für den über den fehlenden bzw weggefallenen Krankenversicherungsschutz nicht unterrichteten Heilmittelerbringer allein die vertragsärztliche Verordnung maßgebend, die hier in beiden Fällen wirksam gewesen sei.
Die Klage auf Zahlung von 643,60 DM nebst 4 % Zinsen auf 453,60 DM ab 15. September 1990 und auf weitere 190,– DM ab 15. Mai 1991 hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Urteil vom 4. November 1993). Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil geändert und dem Hauptanspruch stattgegeben, einen Zinsanspruch aber verneint (Urteil vom 24. Mai 1995). Nach der für Niedersachsen gemäß § 125 SGB V getroffenen Vereinbarung, ausgelegt in Anlehnung an eine entsprechende risikoverteilende Regelung im Vertragsarztrecht, sei eine KK aufgrund des dem Vertragsarzt vorgelegten Krankenscheins auch dem nichtärztlichen Leistungserbringer gegenüber zur Vergütung verpflichtet, es sei denn, dieser kenne die fehlende Berechtigung des Patienten oder hätte sie bei gebotener Sorgfalt erkennen können. Gehe eine KK durch Verzicht auf die Kostenübernahmeerklärung bewußt das Risiko ein, daß ein bei ihr nicht mehr versicherter Patient bzw ein hinsichtlich des Versicherungsschutzes gutgläubiger Vertragsarzt Leistungen zu ihren Lasten veranlaßt, so habe sie und nicht der Vertragsarzt oder der Leistungserbringer für die Folgen einzustehen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 19 Abs. 1 und 2 SGB V. Der Vergütungsanspruch eines Heil- oder Hilfsmittelerbringers gegen eine KK sei untrennbar mit dem Bestehen eines entsprechenden Leistungsanspruchs des Versicherten verknüpft. Der Kläger könne daher wegen des in beiden Fällen nicht mehr bestehenden Versicherungsschutzes Zahlung nur von den Beigeladenen verlangen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. Mai 1995 abzuändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 4. November 1993 insgesamt zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend.
Die Beigeladenen haben sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.
1. Das LSG hat für den streitigen Vergütungsanspruch eines Heilmittelerbringers zu Recht die Zulässigkeit der allgemeinen Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bejaht. Voraussetzung für die echte Leistungsklage ist ein Gleichordnungsverhältnis zwischen den Beteiligten, das gleichzeitig eine (einseitig) hoheitliche Regelung der handelnden Behörde durch Verwaltungsakt gegenüber dem Adressaten – und damit eine Klage nach § 54 Abs. 4 SGG – ausschließt (BSGE 66, 159, 161 = SozR 3-2200 § 376d Nr. 1). Eine gesetzliche Ermächtigung der KKn zum Erlaß von Verwaltungsakten über den Vergütungsanspruch freiberuflich tätiger Heilmittelerbringer, zu denen der Kläger mit seiner krankengymnastischen Praxis gehört, besteht ebensowenig wie ein Über-/Unterordnungsverhältnis; vielmehr sieht das Gesetz eine vertragliche Regelung der Beziehungen zwischen KKn und Heilmittelerbringern vor (vgl § 125 SGB V). Die Beklagte hat den Zahlungsanspruch auch nicht in der Form eines Verwaltungsaktes abgelehnt.
2. Der Vergütungsanspruch des Klägers ist nach den für diesen Anspruch maßgebenden vertraglichen Bestimmungen der „Vereinbarung über die Abgabe physikalischer Leistungen für die gesetzlichen Krankenkassen in Niedersachsen” vom 21. März 1986 (im Folgenden: Vereinbarung) gerechtfertigt. Das LSG hat den Anspruch aus § 7 der Vereinbarung abgeleitet. Das ist nicht zu beanstanden.
a) Der Vergütungsanspruch des Klägers beurteilt sich nach der zum 1. Oktober 1986 in Kraft getretenen Vereinbarung, die für das Gebiet des Landes Niedersachsen zwischen dem Deutschen Verband für Physiotherapie – Zentralverband der Krankengymnasten (ZVK) e.V. – Landesverband Niedersachsen e.V. einerseits und den Landesverbänden Niedersachsen der gesetzlichen KKn andererseits abgeschlossen wurde und gemäß § 125 SGB V mit Wirkung für die Mitgliedskassen und, aufgrund der Zulassungsvoraussetzung des § 124 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V, mit Wirkung gegenüber dem Heilmittelerbringer gilt. Da diese Verträge wie Rechtsnormen auf die vertraglichen Beziehungen zwischen der Mitgliedskasse und dem einzelnen Heilmittelerbringer einwirken und nur für den Bereich eines Landes gelten, sind sie revisionsrechtlich wie Landesrecht zu behandeln.
b) Die Auslegung der Vereinbarung durch das LSG ist nach § 162 SGG für das Revisionsgericht bindend, da die Vereinbarung als nur im Bezirk des Berufungsgerichts geltendes Regelungswerk zum Bereich des revisionsrechtlich grundsätzlich nicht überprüfbaren Landesrechts gehört. Das LSG hat die Vereinbarung als für die Zeit bis zur Abrechnung noch geltend angesehen, obgleich der ZVK die Vereinbarung zum 31. Dezember 1989 gekündigt hat. Da es bisher aber zu keiner Neuregelung gekommen ist, hat sie nach der Fortsetzungsklausel des § 16 Abs. 4 weiterhin Gültigkeit. Eine solche erstmalige Anwendung einer landesrechtlichen Vorschrift ist dem Revisionsgericht nicht verwehrt (vgl zuletzt BSG SozR 3-2200 § 368a Nr. 6 und BSGE 62, 131, 133 = SozR 4100 § 141b Nr. 40).
Die in der Vereinbarung in der Auslegung durch das LSG niedergelegten Voraussetzungen des Vergütungsanspruches liegen nach den von der Revision nicht mit Verfahrensrügen und daher das Revisionsgericht nach § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG vor. Der Kläger ist als Krankengymnast zur Behandlung berechtigt (§ 4 der Vereinbarung). Die erbrachten Leistungen sind jeweils von einem Vertragsarzt verordnet worden (§ 6 Abs. 1). Auf eine Kostenübernahmeerklärung nach § 6 Abs. 2 Satz 1 hat die Beklagte verzichtet; das ist gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 zulässig. Die Leistungen sind im Preisverzeichnis festgelegt (§ 7 Abs. 1 Satz 1). Die einzuhaltenden Fristen zwischen der Ausstellung der kassenärztlichen Verordnung und dem Beginn der Behandlung (§ 6 Abs. 3) sind gewahrt. Es fehlt lediglich an der Eigenschaft der vom Kläger behandelten Beigeladenen als „Versicherte”.
Insoweit ist das LSG zur Begründetheit des Klageanspruchs erst über den Weg einer ergänzenden Vertragsauslegung bezüglich § 7 der Vereinbarung gelangt. Dazu hat es verschiedene bundesweit geltende Vorschriften herangezogen. Insofern ist die Anwendung bundesweit geltender Auslegungsregeln nicht revisibel (BSGE 55, 115 = SozR 1500 § 162 Nr. 17; BSG SozR 3-6935 Allg Nr. 1; Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 5. Aufl 1993, § 162 RdNr. 4 und 7 mwN). Soweit die Revision unmittelbar die Auslegung der Vereinbarung angreift, ist dies unzulässig, da inhaltsgleiche Regelungen für andere Bundesländer nicht vorgetragen worden sind (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 18). Es ist jedoch zu prüfen, ob das Auslegungsergebnis des LSG gegen Bundesrecht verstößt, wie dies die Revision rügt.
c) Das LSG hat die Regelung dahingehend ausgelegt, daß die KK gegenüber dem Heilmittelerbringer vertraglich zur Leistung der Vergütung verpflichtet wird. § 7 der Vereinbarung verstößt in dieser Auslegung nicht gegen Bundesrecht.
Heilmittel, zu denen auch die krankengymnastischen Maßnahmen zählen (BSGE 73, 271, 278 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 4), sind als Bestandteil der Krankenbehandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, §§ 32 und 34 SGB V) wie diese als Sachleistung (§ 2 Abs. 2 SGB V) zu erbringen. Dementsprechend gehen auch § 125 SGB V und die dazu geschlossenen Verträge davon aus, daß der Versicherte die vom Leistungserbringer unter Vorlage einer vertragsärztlichen Verschreibung erworbenen Heilmittel und die erbrachten Heilmaßnahmen auf Kosten seiner KK erhält, dh die KK wird vertraglich zur Zahlung des Preises beziehungsweise des Festpreises abzüglich etwaiger vom Versicherten zu tragenden Zuzahlungen verpflichtet. Demgemäß regeln die Verträge die von der KK an den Heilmittelerbringer zu leistenden Zahlungen. Nach § 125 SGB V sind die Beziehungen der KKn zu den Heilmittelerbringern vertraglich zu gestalten. Die Versorgung der Versicherten mit Heilmitteln wird im Wege der vertragsärztlichen Versorgung durchgeführt (§ 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V). Das bedeutet, daß – von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen – ein Heilmittel nur dann auf Kassenkosten gewährt werden kann, wenn es ein Vertragsarzt auf dem hierfür vorgesehenen Formblatt („Kassenrezept”) verordnet hat (BSGE 73, 271, 277 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 4). Der Vertragsarzt kann somit als „Schlüsselfigur” der Heil-, Hilfs- und Arzneimittelversorgung bezeichnet werden (vgl BSG a.a.O., § 283; Schirmer in Hauck/Haines, SGB V, § 92 RdNr. 7). Er verordnet dem Versicherten ein bestimmtes Heilmittel, welches er bei der diagnostizierten Krankheit oder Verletzung als medizinisch notwendig erachtet. Bei Ausstellung dieser Verordnung handelt er kraft der ihm durch das Kassenarztrecht verliehenen Kompetenzen als Vertreter der KK. Er gibt somit mit Wirkung für und gegen diese eine Willenserklärung ab. Der Heilmittelerbringer, dem das Vertragsangebot der KK mit der Vorlage der vertragsärztlichen Verordnung angetragen wird, nimmt dieses an, indem er dem Versicherten das Hellmittel aushändigt oder die Heilmaßnahme durchführt. Es handelt sich mithin um einen zwischen der KK und dem Heilmittelerbringer – unter Einschaltung des Vertragsarztes als Vertreter der KK – geschlossenen Vertrag zugunsten des Versicherten (so bereits Urteil des erkennenden Senats vom 17. Januar 1996 – 3 RK 26/94 – für BSGE und SozR vorgesehen – für Vergütungsansprüche von Apothekern). Der Vergütungsanspruch des Heilmittelerbringers richtet sich unmittelbar gegen die KK.
Zu einem unmittelbaren Vergütungsanspruch des Heilmittelerbringers gegen die KK gelangt aber auch jene Auffassung, die einen (zivilrechtlichen) Vertrag im Zwei-Personen-Verhältnis zwischen dem Versicherten und dem Heilmitteierbringer annimmt, aus dem heraus jedoch nicht der Versicherte zur Leistung der Vergütung verpflichtet ist, sondern allein die KK, da das Abrechnungsverhältnis zwischen der KK und dem Heilmitteierbnnger mit Blick auf das eine Vorleistungs- oder Vergütungspflicht des Versicherten grundsätzlich ausschließende Sachleistungsprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung (§§ 2 Abs. 2, 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V) als antizipierte Schuldübernahme zu qualifizieren sei (Schmitt in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts Band 1, § 30 S 843, 844).
d) Das LSG hat die Vereinbarung in Verbindung mit dem generellen Verzicht der Beklagten auf eine vorherige Kostenübernahmeerklärung dahingehend ausgelegt, daß der Versicherte gegenüber dem Heilmittelerbringer durch die vertragsärztliche Verordnung legitimiert werde, eine Leistung auf Kosten der KK in Anspruch zu nehmen. Der Heilmitteierbnnger dürfe auf diese Legitimation vertrauen.
Die Vereinbarung verstößt auch in dieser Auslegung nicht gegen Bundesrecht. Es gibt für diesen Bereich keine bundesrechtlichen Vorschriften, die eine andere Form der Legitimation des Patienten vorschreiben oder die Legitimation allein durch die Vorlage der vertragsärztlichen Verordnung ausschließen. Insbesondere steht dem auch die Vorschrift des § 302 SGB V nicht entgegen. Danach bestimmen die Spitzenverbände der KKn in gemeinsam erstellten Richtlinien, die in den Leistungs- oder Lieferverträgen mit den Heil- und Hilfsmittelerbringern zu beachten sind, das Nähere über Form und Inhalt des Abrechnungsverfahrens. Richtlinien der Spitzenverbände der KKn, die der Auslegung der Vereinbarung durch das LSG entgegenstehen, sind nicht vorhanden.
e) Die Aussegung der Vereinbarung durch das LSG, nach der ein hinsichtlich des bestehenden Krankenversicherungsschutzes des Patienten gutgläubiger Heilmittelerbringer im Verhältnis zur KK auch dann Vertrauensschutz für sich in Anspruch nehmen könne, wenn ein nicht mehr Versicherter ihm eine vertragsärztliche Verordnung vorlegt, verstößt ebenfalls nicht gegen Bundesrecht.
Das SGV V enthält keine Regelung, nach der das Ende der Mitgliedschaft iS des § 19 SGB V auf den Sachleistungsanspruch des Versicherten in der Weise durchschlägt, daß die Belieferung mit einem Heilmittel nicht mehr auf Kosten der KK erfolgen darf, und das SGB V verpflichtet die Landesverbände auch nicht, eine solche Regelung mit den Heilmittelerbringern vorzusehen. Nach den Vorschriften des SGB V über das Sachleistungsprinzip ist es die Aufgabe der KKn, in Verträgen zu regeln, in welcher Form sich der Versicherte als Bezugsberechtigter ausweist. Das Gesetz sieht dazu nur den Krankenschein und – seit dem 1. Januar 1995 allein maßgebend – die Krankenversicherungskarte vor (§§ 15 Abs. 2, 291 SGB V). Ist eine solche Legitimation zeitlich nicht befristet, so gilt der allgemeine Rechtsgedanke der §§ 170, 172 und 409 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) über die vertrauensschützende Wirkung einer Vollmacht bzw einer Abtretungsanzeige. Diese Regelung entspricht auch hier der Interessenlage. Der Anbieter hat grundsätzlich keine Möglichkeit, sich vor Schaden zu bewahren. Die KK steht den Daten über Bestand, Umfang und Ende der Mitgliedschaft eines Patienten näher. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang auf die nicht selten verspätet erfüllte Meldepflicht oder gar unterbliebene Meldung der Arbeitgeber und der Versicherten über mitgliedschaftsrelevante Tatsachen verweist, vermag sie dies nicht zu entlasten. Denn diese Umstände betreffen nur das Verhältnis der KK zu ihren Versicherten, nicht aber das hier betroffene Verhältnis der KK zu den Ärzten und nichtärztlichen Leistungserbringern.
§ 19 SGB V steht einer Regelung über die Frage der Vergütungspflicht der KKn bei der Leistungserbringung zugunsten ehemaliger Versicherter nicht entgegen, sondern begründet im Gegenteil den Bedarf für eine solche Regelung.
Anbieter von Dienstleistungen können sich im allgemeinen vor dem Risiko des vollständigen oder teilweisen Ausfalls der vom Auftraggeber geschuldeten Gegenleistung schützen, zB durch Leistungserbringung nur gegen vollständige Vorauszahlung des Preises (Vorkasse) oder Vorschußzahlung. Diese Sicherungsmöglichkeiten stehen den Betroffenen bei der ärztlichen Behandlung und der nichtärztlichen Leistungserbringung, soweit sie nach dem Sachleistungsprinzip erfolgen und ein Krankenschein bzw eine Krankenversichertenkarte vorgelegt worden ist (§§ 15 Abs. 2, 291 SGB V), nicht zur Verfügung. Der Vergütungsanspruch richtet sich dort grundsätzlich nur gegen die KK (vgl auch § 7 Abs. 2 der Vereinbarung). Im Einzelfall kann der Versicherte allerdings zuzahlungspflichtig sein. Soweit der Versicherungsschutz durch die KKn besteht, ist der Wegfall vorgenannter Sicherungsmöglichkeiten sachgerecht und unschädlich. Dem Leistungserbringer ist diese Situation jedoch nicht zuzumuten, wenn er einerseits wegen des Sachleistungsprinzips zB auf eine Vorschußzahlung verzichten muß, er aber andererseits keinen Vergütungsanspruch gegen die KK besitzt, da der behandelte Patient keinen Versicherungsschutz genießt, was der Leistungserbringer aber nicht gewußt hat und auch nicht wissen konnte, und der Patient nicht zahlt.
Im vorliegenden Fall kommt hinzu, daß die Beklagte durch den generellen, aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung vollzogenen Verzicht auf die an sich vorgesehene Erklärung der Kostenübernahme auf dem Verordnungsblatt (§ 6 Abs. 2 Satz 1, 2 der Vereinbarung) den Heilmittelerbringern eine zusätzliche Sicherungsmöglichkeit genommen hat. Sie müssen sich grundsätzlich mit den Angaben auf der ihnen überreichten vertragsärztlichen Verordnung begnügen und können nicht sicher sein, daß die dort aufgeführte KK die Zahlung der Vergütung übernimmt. Der nicht versicherte Patient, der dem Arzt den Krankenschein überreicht hat, wird sowohl bei eigener Gutgläubigkeit hinsichtlich bestehenden Versicherungsschutzes als auch bei vorsätzlicher Täuschung über den Versicherungsschutz dem Heilmittelerbringer keine anderen Auskünfte als dem Arzt geben und Versicherungsschutz auf jeden Fall bejahen. Die Gefahr der mißbräuchlichen Ausstellung eines Krankenscheines wurde zudem dadurch stark erhöht, daß die KKn, ebenfalls aus Gründer; der Verwaltungsvereinfachung, seit langem dazu übergegangen waren, ihren Versicherten Krankenscheinhefte zu übergeben, die mehrere – im Bedarfsfall jeweils für ein Kalendervierteljahr auszustellende – Krankenscheine enthielten und bei Ende der Mitgliedschaft von den Versicherten mitunter nicht oder verspätet zurückgegeben wurden. Eine solche Gefahr besteht seit der Einführung aer Krankenversichertenkarte jedenfalls in dieser Form nicht mehr. Aber auch bei ihr gibt es bei Ende aer Mitghedschaft des Versicherten die Gefahr mißbräuchlicher Verwendung
Dieser Sachlage naben die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Bundesverbände der gesetzlichen KKn im Bundesmantelvertrag-Arzte vom 28. September 1990 (BMV-Ä 1990) für den Bereich der kassenärztlicnen Versorgung Rechnung getragen und das Vergütungsrisiko folgerichtig den KKn auferlegt. Endet die Anspruchsberechtigung eines Versicherten bei seiner KK im Laufe eines Behandlungsfalls (worunter sämtliche Behandlungen des Patienten bei einem Vertragsarzt in einem Kalendervierteljahr zu verstehen sind, vgl § 18 Abs. 2 BMV-Ä 1990), ohne daß dies dem Kassenarzt bei der Behandlung bekannt wird, so hat die KK die Vergütung für die bis zum Zeitpunkt der Unterrichtung des Kassenarztes erbrachten Leistungen zu entrichten (§ 18 Abs. 3 Satz 1 BMV-Ä 1990). Für Kosten einer Behandlung, die aufgrund eines zu Unrecht ausgestellten Krankenscheines erfolgte, haftet die KK dem Arzt gegen Abtretung seines Vergütungsanspruchs (§ 18 Abs. 8 Satz 1 BMV-Ä 1990; ähnlich bereits § 8 Abs. 8 in der Fassung des BMV-Ä vom 28. August 1978). Für den Fall der mißbräuchlichen Verwendung einer Krankenversichertenkarte, die den Krankenschein ersetzt hat, sieht der jetzt gültige BMV-Ä vom 19. Dezember 1994 in § 19 Abs. 7 eine vergleichbare Regelung zugunsten der Vertragsärzte vor. Auch der Bundesmantelvertrag-Zahnärzte enthält in § 8 Abs. 7 eine entsprechende Regelung.
Auch die Materialien des Gesundheitsreformgesetzes (GRG) bestätigen, daß § 19 SGB V den Vertrauensschutz nicht ausschließt sondern erfordert, und daß insoweit die Krankenversichertenkarte dem Vertrauensschutz des Arztes dient. Dazu heißt es ua (BT-Drucks 11/3480 S 68–69):
Der Vertrauensschutz des Arztes, Leistungen an Versicherte zu erbringen und zu Lasten der Krankenkasse abrechnen zu können, wird anstelle der Entgegennahme eines Krankenscheins durch die Feststellung der Identität der Unterschriften auf der Krankenversichertenkarte und dem Abrechnungsschein begründet. Ebenso wie derzeit in Fällen einer mißbräuchlichen Verwendung von Krankenscheinen obliegt es den Krankenkassen, gegen eine mißbräuchliche Verwendung von Krankenversichertenkarten – etwa nach Beendigung des Versicherungsschutzes – vorzugehen.
f) Zum zeitlichen Umfang des in der Vereinbarung angeordneten Vertrauensschutzes hat das LSG angenommen, daß dieser vorbehaltlich früherer Benachrichtigung zumindest bis zum Ablauf des Quartals gilt, das auf die ärztliche Verordnung folgt. Auch das verstößt in der Anwendung auf die beiden Beigeladenen nicht gegen Bundesrecht. Ärztlich verordnete Behandlungsserien, wie sie hier beim Beigeladenen zu 1) mit einmal zehn und zweimal sechs krankengymnastischen Maßnahmen vorliegen, ziehen sich naturgemäß über einen längeren Zeitraum hin und können erst nach der ärztlichen Verordnung beginnen. Wird kurz vor Ende eines Kalendervierteljahres eine Behandlungsserie verschrieben, kann diese erst im nächsten Kalendervierteljahr beendet und im Einzelfall sogar auch erst begonnen werden. Da insoweit eine Behandlungsserie als nur ein Heilmittel anzusehen ist, dessen Verabreichung eine ärztliche Verordnung voraussetzt, reicht es aus, wenn die ärztliche Verordnung der Behandlungsserie noch im früheren Kalendervierteljahr erfolgt ist.
g) Es bedarf keiner Entscheidung, ob das LSG die Vereinbarung dahin ausgelegt hat, daß diese auch im Falle einer Pflichtverletzung des Arztes oder des Heilmittelerbringers einen Anspruch einräumt, und ob die Vereinbarung in dieser Auslegung gegen Bundesrecht verstößt. Pflichtverletzungen der Vertragsärzte bei der Aussteilung der Verordnung und des Klägers bei der Leistungserbringung iS einer jeweils fahrlässigen Annahme des Versicherungsschutzes der Beigeladenen sind weder behauptet noch aus den Akten ersichtlich. Es gibt auch keine Anhaltspunkte für eine Verzögerung der Behandlung durch den Kläger.
3. Die Frage, ob die KK in derartigen Fällen nur gegen Abtretung des Vergütungsanspruchs des nichtärztlichen Leistungserbringers haftet, wie es § 18 Abs. 8 Satz 1 BMV-Ä 1990 für die Vertragsärzte vorsieht, und ob den nichtärztlichen Leistungserbringern ein solcher Vergütungsanspruch gegen den behandelten Patienten überhaupt zusteht, braucht an dieser Stelle nicht entschieden zu werden, da die Beklagte nicht geltend gemacht hat, der Kläger habe etwaige Ansprüche gegen die Beigeladenen für den Fall des Obsiegens an sie abzutreten.
Offen bleibt die Frage, ob in gleicher Weise zu entscheiden ist, wenn nicht – wie hier – ehemalige Versicherte unter Vorlage eines Krankenscheins oder einer Krankenversichertenkarte ihrer früheren KK eine Leistung in Anspruch nehmen, sondern ein Krankenschein oder eine Krankenversichertenkarte einer KK benutzt wird, bei der die betreffende Person noch niemals versichert war (zB Fälschung, Diebstahl).
Die Revision der Beklagten mußte somit zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1049455 |
SozSi 1997, 398 |