Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 10.03.1989) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 10. März 1989 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist hinsichtlich der Wiedergewährung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) nach zwischenzeitlichem Bezug von Unterhaltsgeld (Uhg) die Frage, ob der zur Teilzeitarbeit bereite Kläger der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand.
Der 1943 geborene Kläger, ein kaufmännischer Angestellter, bezog ab Dezember 1985 Arbeitslosengeld (Alg) und seit Dezember 1986 Anschluß-Alhi. Nach zwischenzeitlichem Uhg-Bezug beantragte er am 2. Juli 1987 mit Wirkung ab 4. Juli 1987 die Wiederbewilligung der Alhi. Da ihm nach seiner Ehescheidung die elterliche Sorge für seine 1977 geborene Tochter übertragen wurde, erklärte er bei Antragstellung, er könne wegen tatsächlicher Bindungen nur wöchentlich 20 Stunden (montags bis freitags von etwa 8.00 bis 12.00 Uhr) arbeiten.
Das Arbeitsamt lehnte die Gewährung von Alhi für die Zeit ab 4. Juli 1987 ab (Bescheid vom 2. September 1987; Widerspruchsbescheid vom 4. Januar 1988). Der Kläger sei objektiv nicht verfügbar, weil auf dem für ihn erreichbaren Arbeitsmarkt ein Teilzeitarbeitsmarkt für Männer nicht bestehe.
Der Kläger ist ab 1. Dezember 1987 als Teilzeitkraft beschäftigt.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger Alhi für die Zeit vom 4. Juli 1987 bis zum 1. Dezember 1987 zu gewähren, sofern er bedürftig iS des § 134 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) ist (Urteil vom 28. Juli 1988). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10. März 1989).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, seine Verfügbarkeit sei vom LSG unzutreffend mit der Begründung verneint worden, eine Teilzeitbeschäftigung bei Männern sei völlig marktunüblich. Diese Auffassung des LSG und die Auslegung von § 134 Abs 4 Satz 2 AFG iVm § 103 AFG verstoße gegen die Art 3 und 6 Abs 2 des Grundgesetzes (GG).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 10. März 1989 sowie die Bescheide der Beklagten vom 2. September 1987 und vom 4. Januar 1988 aufzuheben und diese zu verurteilen, dem Kläger vom 4. Juli 1987 an Alhi zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers – soweit sie die Aufhebung des LSG-Urteils erstrebt – zurückzuweisen und – soweit sie die Verurteilung zur Zahlung von Arbeitslosenhilfe begehrt – als unzulässig zu verwerfen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers erstrebt die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Sie ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Es fehlen ausreichende Feststellungen dazu, ob auf dem für den Kläger erreichbaren Arbeitsmarkt Arbeitsplätze in nennenswerter Anzahl vorhanden sind, die auch Männern offenstehen, wobei es nicht darauf ankommt, ob diese Arbeitsplätze zur Zeit mit Frauen oder mit Männern besetzt sind.
Nach § 134 Abs 4 Satz 2 AFG hat keinen Anspruch auf Alhi, wer nur mit Einschränkung hinsichtlich der Dauer der Arbeitszeit imstande ist, eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben. Das ist im Hinblick auf § 103 Abs 1 Satz 2 AFG idF des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren – (SGB X) vom 18. August 1980 einschränkend auszulegen. Nach der zuletzt genannten Vorschrift braucht für den Anspruch auf Alg die Dauer der Arbeitszeit nicht den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu entsprechen, wenn der Arbeitslose wegen tatsächlicher oder rechtlicher Bindungen nur eine Teilzeitbeschäftigung ausüben kann. Das läßt einen Anspruch auf Alg auch dann entstehen, wenn eine Teilzeitbeschäftigung nicht üblich ist. Nur für diesen Tatbestand der nicht üblichen Teilzeitarbeit wird in § 134 Abs 4 Satz 2 AFG der Anspruch auf Alhi ausgeschlossen. Deshalb kommt ein Anspruch auf Alhi in Betracht, wenn die dem Arbeitslosen mögliche Teilzeitarbeit mehr als kurzzeitig ist und den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes entspricht (BSGE 44, 164, 169 ff = SozR 4100 § 134 Nr 3; SozR 4100 § 103 Nr 46).
Nach den nicht angefochtenen Feststellungen des LSG konnte der Kläger wegen Betreuung seiner in seinem Haushalt lebenden 1977 geborenen Tochter keine vollzeitige Beschäftigung ausüben. Die ihm nach den Feststellungen des LSG zumutbare Teilzeitarbeit von wöchentlich 20 Stunden übersteigt die in § 102 AFG in der hier anzuwendenden Fassung durch das 7. Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vom 20. Dezember 1985 (BGBl I S 2484) auf weniger als 19 Stunden festgesetzte Grenze einer nur kurzzeitigen Beschäftigung.
Das LSG hat die Üblichkeit der dem Kläger möglichen Teilzeitarbeit verneint, weil nach einer von der Beklagten mitgeteilten Übersicht über sozialversicherungspflichtig Beschäftigte auf dem in Betracht kommenden örtlichen Arbeitsmarkt von 33.860 Männern nur 234 in Teilzeitarbeit beschäftigt gewesen seien. Für die Frage, ob das Arbeitsangebot des Arbeitslosen der Üblichkeit entspricht, kommt es rechtlich nicht darauf an, ob Männer üblicherweise Teilzeitarbeit ausüben. Es genügt, daß Teilzeitarbeitsplätze, für die Männer – auch nach Auffassung der Arbeitgeber – in Betracht kommen, in nennenswerter Anzahl vorhanden sind. Ob diese Arbeitsplätze besetzt oder frei sind, ist rechtlich unerheblich. Ob die besetzten Arbeitsplätze mit Frauen besetzt sind, ist jedenfalls dann unerheblich, wenn diese Arbeitsplätze auch Männern offenstehen, von diesen aber nicht angenommen werden.
Die Feststellung, daß ein bestimmtes Arbeitsangebot den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes entspricht, ist im Grundsatz eine Tatsachenfeststellung (BSG SozR 4100 § 103 Nr 23; BSG Urteil vom 16. Oktober 1990 – 11 RAr 3/90 –). Hätte das LSG – denkfehlerhaft – aus der Tatsache, daß nur ein Prozent der Männer teilzeitbeschäftigt ist, auf die weitere Tatsache geschlossen, daß es nur in diesem Umfang für Männer geeignete Teilzeitarbeitsplätze gebe, so läge der Fehler nicht in der Rechtsanwendung, sondern in der Beweiswürdigung, könnte also nur auf eine entsprechende Verfahrensrüge beachtet werden.
Das Berufungsurteil ist indes nicht im Sinne einer solchen Tatsachenfeststellung zu verstehen. Das LSG hat vielmehr materiellrechtlich fehlerhaft darauf abgestellt, ob Männer üblicherweise Teilzeitarbeit verrichten. Die erforderliche Feststellung, ob es Teilzeitarbeitsplätze in nennenswertem Umfang gibt, die auch Männern offenstehen, wird das LSG daher nachzuholen haben. Hierbei sind auch die offenen Teilzeitarbeitsplätze und die mit Frauen besetzten Teilzeitarbeitsplätze einzubeziehen. Auf die Bedeutung der Art 3 und 6 GG in diesem Zusammenhang ist erst einzugehen, wenn das LSG zu den offenen oder mit Frauen besetzten Teilzeitarbeitsplätzen feststellt, daß diese auch mit Männern besetzt werden könnten, aber von den Arbeitgebern tatsächlich nur Frauen angeboten werden. Der Senat hat die Frage, ob eine unterschiedliche Entwicklung des Arbeitsmarktes für Männer und Frauen zu berücksichtigen ist, bereits in einer Entscheidung zum Mangelberuf iS des § 44 AFG aufgeworfen (BSG SozR 4100 § 44 Nr 29). Er hat dort entschieden, auf dem Gebiet der Krankenpflege erfordere jedenfalls in der Psychiatrie der Arbeitseinsatz eine sehr weitgehende Berücksichtigung des Geschlechts der Patienten und des Pflegepersonals. Eine dem Rechnung tragende Regelung des Arbeitseinsatzes und eine entsprechende Personalauswahl verstoße nicht gegen Art 3 Abs 2 GG.
Dem steht die Rechtsprechung des BSG zur Beurteilung des Teilzeitarbeitsmarktes bei Feststellung der Erwerbsunfähigkeit nicht entgegen. Nach der im Anschluß an die Entscheidung des Großen Senats vom 10. Dezember 1976 (BSGE 43, 75 ff) ergangenen Rechtsprechung kommt es darauf an, ob dem Versicherten innerhalb eines Jahres ein Teilzeitarbeitsplatz angeboten werden kann. Ob die vorhandenen Arbeitsplätze mit Männern oder mit Frauen besetzt sind, ist hiernach ohne Bedeutung. Die frühere Rechtsprechung, die auf den Teilzeitarbeitsmarkt abhob, ist damit überholt. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob sich diese mit Formulierungen wie „Teilzeitarbeitsmarkt für männliche Versicherte” (vgl etwa BSG SozR 100 zu § 1246 RVO) auf die statistischen Angaben über die mit Männern besetzten Teilzeitarbeitsplätze bezieht, oder ob sie Arbeitsplätze meint, die mit Männern besetzt werden können.
Das LSG wird, wenn es nach der Zurückverweisung die Üblichkeit von Teilzeitarbeit der in Frage stehenden Art feststellt, auch darüber zu befinden haben, ob es sich mit der Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG begnügen darf. Das SG hat die Beklagte nur bedingt verurteilt, sofern der Kläger bedürftig iS des § 134 AFG ist. Eine bedingte Verurteilung, die Anspruchsvoraussetzungen offen läßt, ist indes unzulässig. Zulässig ist nur die Zuerkennung eines bedingten Anspruchs, etwa einer Rente für den Fall einer Beitragsnachentrichtung (vgl BSG Urteil vom 12. Juli 1990 – 4 RA 47/89 –). Insoweit ergibt das Verbot einer Verböserung für die Beklagte als alleinige Berufungsklägerin keine Schwierigkeiten, wenn der Kläger nach der Zurückverweisung vor dem LSG seinen ursprünglichen Klageantrag im Wege der Anschlußberufung geltend macht.
Über die Kosten des Revisionsverfahrens ist vom LSG in der abschließenden Entscheidung zu befinden.
Sollte das LSG zu dem Ergebnis kommen, daß die Berufung der Beklagten zurückzuweisen ist, so bedarf auch die Kostenentscheidung erster Instanz der Überprüfung. Das SG hat in der Kostenentscheidung die Erstattung außergerichtlicher Kosten verneint, ohne daß hierfür ein Anlaß ersichtlich wäre.
Fundstellen