Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Unfallversicherungsschutz für das Abheben eines Geldbetrages bei einem Geldinstitut setzt zwar voraus, daß der Versicherer das Geldinstitut persönlich aufsucht, verlangt aber nicht zugleich, daß er auch noch persönlichen Kontakt aufnimmt (Teilaufgabe von BSGE 26, 234 = SozR Nr. 6 zu § 548 RVO).
2. Der Unfallversicherungsschutz für das "Abheben eines Geldbetrages bei einem Geldinstitut" (§ 548 I 3 RVO) setzt zwar voraus, daß der Versicherte das Geldinstitut persönlich aufsucht, verlangt aber nicht zugleich, daß er auch noch persönlich Kontakt aufnimmt (Teilaufgabe von BSGE 26, 234 = SozR § 548 RVO Nr. 6).
3. Der Unfallversicherungsschutz für das "Abheben eines Geldbetrages bei einem Geldinstitut" (§ 548 I 2 RVO) setzt zwar voraus, daß der Versicherte das Geldinstitut persönlich aufsucht, verlangt aber nicht zugleich, daß er auch noch persönlichen Kontakt aufnimmt (Teilaufgabe von BSGE 26, 234 = SozR § 548 RVO Nr. 6).
Normenkette
RVO § 548 Abs. 1
Gründe
I. Der Kläger verlangt von der Beklagten, seinen Unfall vom 31. Januar 1978 als Arbeitsunfall zu entschädigen.
Der Kläger war als Finanzprokurist bei einem Bremer Unternehmen beschäftigt. Am 31. Januar 1978 verließ er nach Arbeitsschluß das Betriebsgebäude in Bremen, um sich auf den Heimweg nach D. zu begeben. Unterwegs verließ er in K. die nach D. führende Straße, um aus seinem Bankschließfach bei der kontoführenden Filiale seiner Sparkasse in der K. Straße die Kontoauszüge zu holen; über die zusätzlich behauptete Absicht, schriftliche Überweisungsaufträge zu Lasten seines Kontos in den Hausbriefkasten der Sparkasse zu werfen, hat das Landessozialgericht (LSG) keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Als der Kläger seinen Pkw auf einem gegenüberliegenden Parkstreifen abgestellt hatte und zur Sparkassenfiliale gehen wollte, wurde er auf der Fahrbahn von einem Pkw angefahren und verletzt. Er mußte wegen der Unfallfolgen bis zum 6. März 1978 stationär behandelt werden.
Die Beklagte lehnte eine Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab (Bescheid vom 25. August 1978, Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 1978). Auch vor dem Sozialgericht (SG) Bremen und dem Landessozialgericht (LSG) Bremen hat der Kläger keinen Erfolg gehabt (Urteile vom 30. November 1979 und 13. April 1989). Das Landessozialgericht (LSG) hat u.a. ausgeführt, die Behauptungen des Klägers, er habe die Sparkassenfiliale auch aufsuchen wollen, um eigene Überweisungsträger in den dort befindlichen Briefkasten einzuwerfen, seien nicht geeignet, schlüssig den Versicherungsschutz nach § 548 Abs. 1 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) zu begründen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in BSGE 26, 234, 236 setze diese Vorschrift voraus, daß der Versicherte bei dem Komplex des Geldabhebens einen persönlichen Kontakt zu seinem Geldinstitut aufnehme. Das habe der Kläger von vornherein nicht beabsichtigt.
Im übrigen habe sich auch nicht zur Überzeugung des Gerichts feststellen lassen, daß der Kläger bei einer Tätigkeit verunglückt sei, die im inneren Zusammenhang mit dem Betrieb seines Arbeitgebers gestanden habe. Die behauptete Absicht, durch das Abholen der eigenen Kontoauszüge wesentlich auch nachprüfen zu wollen, ob die Sparkasse vertragsgemäß die Gehälter der Beschäftigten rechtzeitig am Monatsletzten gutschreibe, werde durch die tatsächlichen Umstände nicht bestätigt. Eine solche Kontrolle wäre auch wegen der Laufzeit der Kontoauszüge von der Zentrale zu den Filialen erst am 1. Februar 1978 sinnvoll gewesen. Ebensowenig sei die Behauptung des Klägers nachgewiesen, er habe Überweisungsträger seines Arbeitgebers mit sich geführt, um sie in den Briefkasten der Sparkassenfiliale einzuwerfen. Das Gesamtergebnis des Verfahrens einschließlich der Auskünfte der Sparkasse Bremen lasse es nicht zu, allein aufgrund der Behauptungen des Klägers und der bestätigenden Aussagen der Zeugin J. die Überzeugung zu gewinnen, daß der Kläger auf dem unfallbringenden Weg Überweisungsträger seines Arbeitgebers mit sich geführt habe.
Mit der - vom BSG zugelassenen - Revision macht der Kläger in erster Linie die Verletzung des § 548 Abs. 1 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) geltend. Das vom Landessozialgericht (LSG) zusätzlich geforderte Tatbestandskriterium, der Versicherte müsse mit seinem Geldinstitut persönlichen Kontakt aufgenommen haben, sei weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der Norm zu entnehmen. Die Entwicklung und die gegenwärtigen Verhältnisse des bargeldlosen Zahlungsverkehrs seien darauf ausgerichtet, den persönlichen Kontakt zwischen den Bediensteten der Geldinstitute und ihren Kunden immer mehr einzuschränken. Zum Ausgleich dieses Kundennachteils richteten die Geldinstitute in steigendem Umfang Räume mit Automaten ein, die es den Kunden ermöglichten, eine Vielzahl von Bankgeschäften zu erledigen, ohne auf die eingeschränkten Öffnungszeiten und den persönlichen Kontakt mit Institutsbediensteten angewiesen zu sein.
Außerdem habe das Landessozialgericht (LSG) Verfahrensrecht verletzt. Es bedeute eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör, wenn das Landessozialgericht (LSG) seine Entscheidung völlig überraschend und nicht nachvollziehbar auf die Meinung stütze, die Kontrolle pünktlicher Gehaltszahlungen sei am 31. Januar 1978 noch nicht sinnvoll gewesen. Tatsächlich habe eine betriebliche Übung dahin bestanden, daß den Firmenangestellten spätestens am letzten Tag des Monats das Gehalt auf Kontoauszügen gutgeschrieben werde.
Schließlich habe das Landessozialgericht (LSG) § 103 Abs. 1 und § 128 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verletzt, weil es nicht als bewiesen angesehen habe, daß er den unfallbringenden Weg auch unternommen habe, um mitgeführte Überweisungsträger seines Arbeitgebers in den Briefkasten des Geldinstituts zu werfen. Das Beweisergebnis sei in diesem Sinne eindeutig. Das Landessozialgericht (LSG) habe die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten.
Der Kläger beantragt,
die angefochtenen Urteile und Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, seinen Unfall vom 31. Januar 1978 als Arbeitsunfall zu entschädigen.
Die Beklagte hat sich in dem Revisionsverfahren nicht zur Sache geäußert und keinen Antrag gestellt.
II.
Die Revision hat in dem Sinne Erfolg, daß das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht (LSG) zurückzuverweisen ist.
Es fehlen Feststellungen darüber, ob der Kläger tatsächlich den unfallbringenden Weg wesentlich auch zu dem Zweck unternahm, erstmals nach Ablauf des letzten Gehaltszahlungszeitraumes zu seiner kontoführenden Sparkasse zu gehen und dort mitgeführte schriftliche Überweisungsaufträge zu Lasten seines Gehaltskontos in den Hausbriefkasten der Sparkasse einzuwerfen.
Nach § 548 Abs 1 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) gilt als versicherte Tätigkeit iS des Satzes 1 auch das Abheben eines Geldbetrages bei einem Geldinstitut, an das der Arbeitgeber den Lohn oder das Gehalt des Versicherten zu dessen Gunsten überweist oder zahlt, wenn der Versicherte erstmalig nach Ablauf eines Lohn- oder Gehaltszahlungszeitraumes das Geldinstitut persönlich aufsucht.
Der Senat folgt der Rechtsmeinung des Landessozialgericht (LSG) nicht darin, daß ein Versicherungsschutz nach § 550 Abs 1 iVm § 548 Abs 1 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) im vorliegenden Fall von vornherein ausgeschlossen sei, weil der Kläger nicht beabsichtigt habe, mit dem Geldinstitut persönlichen Kontakt aufzunehmen. Der Senat vermag sich nicht mehr dem allgemein erfahrbaren Argument der Revision zu verschließen, daß die persönliche Kundenbetreuung im Bankgewerbe jedenfalls dort unbedeutend und damit für den Versicherungsschutz rechtsunerheblich geworden ist, wo es sich um einfache banktechnische Vorgänge handelt; sie werden durch das gesetzliche Tatbestandsmerkmal "Abheben eines Geldbetrages bei einem Geldinstitut" beispielhaft gekennzeichnet. Solche einfachen banktechnischen Vorgänge haben es zugelassen, daß die Geldinstitute Formulare, spezielle Scheckkarten und Automaten eingeführt haben, mit denen die Kunden ohne Hilfe des Institutspersonals zB Geld abheben oder Überweisungsaufträge erteilen können. Dementsprechend beschäftigen die Geldinstitute weniger Personal, verkürzen ihre Öffnungszeiten für den Kundenverkehr und vermehren stattdessen örtlich und zeitlich die Möglichkeiten, banktechnische Vorgänge in oder an ihren Gewerberäumen ohne persönlichen Kontakt einzuleiten oder zu bewerkstelligen.
Unter diesen Gesichtspunkten gibt der Senat die Rechtspr in seinem Urteil vom 28. April 1967 (BSGE 26, 234, 236) auf, § 548 Abs 1 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) setze voraus, daß der Versicherte bei dem Abheben eines Geldbetrages einen persönlichen Kontakt zu seinem Geldinstitut aufnehme, und unter Versicherungsschutz nur diejenigen Handlungen stehen sollten, bei denen der Lohn- oder Gehaltsempfänger seinem kontoführenden Geldinstitut gegenüber als Inhaber des Lohn- oder Gehaltskontos persönlich in Erscheinung trete. Stattdessen entnimmt der Senat den Tatbestandsmerkmalen des "Abhebens" und des "persönlichen Aufsuchens" nunmehr nur die Voraussetzung, daß der Versicherte sich persönlich in oder an das Gebäude seines Geldinstituts begibt, um einen dem "Geldabheben" entsprechenden banktechnischen Vorgang einzuleiten oder zu bewerkstelligen. Diese Gesetzesauslegung läßt sich ohne Einschränkungen mit der Entstehungsgeschichte der Vorschrift vereinbaren, wie sie der Senat in seinem Urteil vom 25. Januar 1977 (BSGE 43, 119, 121) aufgezeigt hat. Der Gesetzgeber hat, als er § 548 Abs 1 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) mit dem Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) in die Reichsversicherungsordnung (RVO) einfügte, den seit jeher angenommenen, mit der persönlichen Lohnzahlung zusammenhängenden Versicherungsschutz den besonderen Verhältnissen angepaßt, die dadurch entstanden sind, daß die Arbeitgeber dazu übergegangen sind, Lohn und Gehalt bargeldlos auf entsprechend eingerichtete Konten ihrer Arbeitnehmer zu überweisen. Der Versicherte sollte - jedenfalls hinsichtlich der Einschränkungen des Versicherungsschutzes auf den Versicherten persönlich und den ersten Gang zur Bank (s Baltzer, SGb 1976, 509, 511) - nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt sein, als bei barer Lohnzahlung im Betrieb. Der sich daraus ergebende Sinn und Zweck des Gesetzes läßt es zu, die Grenzen des Versicherungsschutzes so abzustecken, daß er auch den Versicherten erfaßt, der sein kontoführendes Geldinstitut persönlich aufsucht, um einen schriftlichen Überweisungsauftrag in den dafür vorgesehenen Hausbriefkasten einzuwerfen. Gerade der bargeldlose Verkehr ermöglicht es dem Arbeitnehmer, Überweisungsaufträge zu erteilen, ohne hierzu den Schalterraum des Geldinstituts betreten zu müssen. Dieses hat den Hausbriefkasten an seinem Gebäude ebenso wie den Geldautomaten gerade zu dem Zweck angebracht, seinen Kunden Gelegenheit zu geben, auch außerhalb der Schalterstunden die entsprechenden einfachen Bankgeschäfte zu erledigen. Unter Berücksichtigung aller versicherungsrechtlich erheblichen Umstände ist es im wesentlichen gleichwertig, ob ein Überweisungsauftrag während der Geschäftszeiten am Schalter abgegeben oder während dieser Zeit oder später in den Hausbriefkasten der Bank geworfen wird (Hessisches LSG, Breith 1967, 203, 205). So hält auch Brackmann (Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 483h) es nicht für ersichtlich, weshalb der Versicherte, der sich nicht am Schalter anstellen möchte oder der aus Zeitgründen erst nach Schluß der Kassenstunden zum Geldinstitut geht und Geld unter Benutzung des Automaten abhebt, unfallversicherungsrechtlich schlechter gestellt sein soll als der Versicherte, der ohne ein Wort zu sagen seine Überweisungsformulare über den Schaltertisch reicht oder gar dort nur niederlegt, ohne den zuständigen Bankangestellten zu sehen. Das Gesetz stellt es insoweit nur darauf ab, daß der Versicherte das Geldinstitut persönlich aufsucht. Eine weitergehende Voraussetzung zwischenmenschlicher Beziehungen zu Bediensteten des Geldinstituts läßt sich dem Gesetz nicht entnehmen (s auch Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, HV-Info 1990, 1285).
Das Landessozialgericht (LSG) hat es - von seinem Rechtsstandpunkt aus sachgerecht - unterlassen, die vom Kläger behaupteten tatsächlichen Voraussetzungen des § 548 Abs 1 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) festzustellen, die allein die Beurteilung zulassen, ob der Kläger bei dem Unfall unter dem Versicherungsschutz des § 550 Abs 1 iVm § 548 Abs 1 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) gestanden hat. Es wird das nachzuholen haben, da die Klage nach dem bisher vom Landessozialgericht (LSG) festgestellten Sachverhalt unbegründet ist. ... (von der weiteren Darstellung wird abgesehen).
Fundstellen
Haufe-Index 1455782 |
BSGE, 273 |
NJW 1991, 590 |