Verfahrensgang
LSG Hamburg (Urteil vom 08.11.1990) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 8. November 1990 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) die Förderung zur Schaffung von zwei Arbeitsplätzen im Ausland (Nicaragua) nach den §§ 91 ff Arbeitsförderungsgesetz (AFG).
Der Kläger ist ein als gemeinnützig anerkannter eingetragener Verein, der nach seiner Satzung insbesondere die Betreuung und Erziehung von Kleinst-, Klein- und Schulkindern in eigenen Einrichtungen sowie die Förderung solcher Betreuung und Erziehung bezweckt. Er soll dabei nach Möglichkeit den Gedanken des friedlichen Zusammenlebens der Völker und der Völkerverständigung unterstützen.
Am 29. März 1984 beantragte der Kläger die Förderung einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) nach den §§ 91 ff AFG für die Zeit vom 15. September 1984 bis 15. September 1985. In dem Antrag bzw den beigefügten Anlagen erläuterte der Kläger, daß ein Erzieher mit handwerklichen Fähigkeiten für eine voraussichtlich zweijährige Tätigkeit in Nicaragua eingestellt werden solle. Die weitgehend mit Kindern im schulpflichtigen Alter auszuführenden Arbeiten würden in enger Zusammenarbeit mit dem Erziehungsministerium in Nicaragua erfolgen und der vertiefenden Zusammenarbeit mit Kindergärten/Kinderinitiativen in der Dritten Welt dienen. Beabsichtigt sei auch die Sammlung von Publikationsmaterial für Veröffentlichungen in der Bundesrepublik Deutschland (Artikel in Fachzeitschriften, Erstellung eines Kinderbuches).
Mit Bescheid vom 5. August 1985, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 1985, lehnte die BA den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, nach Abwägung aller Belange des Einzelfalles könne ein überwiegendes öffentliches Interesse nicht bejaht werden. Das daraufhin vom Kläger beim Sozialgericht (SG) Hamburg unter dem Az 8 AR 1426/85 betriebene Klageverfahren endete am 16. Mai 1986 mit einem Anerkenntnis der BA, in dem sie die angefochtenen Bescheide zurücknahm.
Mit weiterem Bescheid vom 22. Juli 1986 entschied die BA erneut, daß dem Antrag auf Förderung nicht entsprochen werden könne, weil ein öffentliches Interesse iS von § 91 Abs 2 Satz 1 AFG iVm § 7 der Anordnung des Verwaltungsrates der BA über die Förderung von allgemeinen Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung aus Mitteln der Bundesanstalt (ABM-Anordnung) nicht gegeben sei. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21. Oktober 1986).
Bereits am 20. März 1985 hatte der Kläger die Förderung einer weiteren ABM für die Zeit vom 1. April 1985 bis 1. April 1986 beantragt. In der Anlage zu diesem Antrag heißt es, die einzustellende Arbeitskraft – eine Erzieherin – solle die Zusammenarbeit des Klägers mit Kindergärten in der Dritten Welt intensivieren. Es sei beabsichtigt, eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit UNICEF und Terre des hommes herzustellen, um die Situation der Kinder in der Dritten Welt langfristig verbessern zu können. Der Schwerpunkt der Arbeit solle sich im ersten Jahr auf Nicaragua beziehen und den Beginn der Planung eines zweisprachigen Kinderbuches (spanisch/deutsch) einschließen. Ergänzend sei eine in der Bundesrepublik zu zeigende Fotoausstellung geplant, die nach Ablauf des ersten Jahres fertiggestellt sein und über das Leben und die Probleme der Kinder in Nicaragua informieren solle.
Die BA lehnte auch diesen Antrag unter Hinweis auf § 91 Abs 2 Satz 1 AFG iVm § 7 ABM-Anordnung ab (Bescheid vom 21. November 1985, Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 1986).
Das SG hat die gegen die Ablehnung der beantragten Maßnahmen erhobenen beiden Klagen (Az 12 AR 1356/86 und 12 AR 1459/86) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Es hat durch Urteil vom 8. Dezember 1987 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die BA verurteilt, die Anträge des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Das LSG hat auf die Berufung der BA das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 8. November 1990). Es hat die arbeitsmarktpolitische Zweckmäßigkeit der geplanten Maßnahmen verneint, weil diese im Ausland nicht gegeben sei und der BA auch die in § 93 Abs 3 AFG vorausgesetzte Möglichkeit der Weitervermittlung und Abberufung des zugewiesenen Arbeitslosen dort fehle.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 91 Abs 1 iVm Abs 2 Satz 1 AFG. Zur Begründung macht er geltend, die Zweckmäßigkeit der beabsichtigten Arbeiten sei zu Unrecht vom LSG verneint worden. Die beantragten Maßnahmen hätten mit ihren Ergebnissen in die Bundesrepublik zurückfließen und die pädagogische Arbeit in der Bundesrepublik beeinflussen sollen. Die vorgesehenen deutschen Arbeitnehmer hätten bei Durchführung der Maßnahmen eine zusätzliche berufliche Qualifikation erhalten, was mit großer Wahrscheinlichkeit zu Dauerarbeitsverhältnissen geführt hätte. Bei den geplanten Maßnahmen handele es sich um bevorzugt zu fördernde Arbeiten iS von § 91 Abs 3 Nr 4 AFG und um Projekte der sogenannten interkulturellen Bildung, welche als allgemeine erzieherische Aufgabe im Jugendhilfegesetz vorgesehen sei. Es bestehe auch weiterhin ein Interesse an der Durchführung der 1984 und 1985 beantragten Maßnahmen.
Der Kläger beantragt,
in Abänderung des Urteils des LSG Hamburg vom 8. November 1990 festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet war, über die Anträge des Klägers auf Förderung von ABM vom 29. März 1984 und 20. März 1985 unter Anwendung ihres Ermessens zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
1. Berufungsausschließungsgründe nach den §§ 144 bis 149 SGG greifen nicht ein. Der Kläger begehrt jeweils die Förderung von ABM für ein Jahr. Die Berufung betrifft keine Ansprüche auf einmalige Leistungen iS von § 144 Abs 1 Nr 1 SGG, da die nach §§ 91 ff AFG von der BA zu gewährenden Zuschüsse jeweils abschnittsweise ausgefertigt und abgerechnet werden (BSGE 59, 219, 220 = SozR 4100 § 92 Nr 1; BSGE 65, 189, 190 = SozR 4100 § 91 Nr 4). Auch der Berufungsausschlußtatbestand des § 144 Abs 1 Nr 2 SGG kann nicht eingreifen, denn die Auszahlungen sollen sich auf einen 13 Wochen (drei Monate) übersteigenden Zeitraum erstrecken.
2. Keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen auch hinsichtlich der vom Kläger im Berufungs- und Revisionsverfahren gewählten Formulierung des Klageantrages. Im Gegensatz zur Auffassung des LSG geht der erkennende Senat allerdings davon aus, daß das Vorbringen des Klägers insgesamt so zu verstehen ist, daß nunmehr nicht etwa ein Fortsetzungsfeststellungsantrag (in entsprechender Anwendung von § 131 Abs 1 Satz 3 SGG, vgl ua BSGE 42, 212, 216 mwN), sondern weiterhin ein Anfechtungs- und Verpflichtungsbegehren geltend gemacht werden soll.
Der Senat ist auch im Revisionsverfahren an die Fassung der Anträge nicht gebunden (§ 123 SGG). Bei der Auslegung eines Antrages sind das gesamte Vorbringen und alle erkennbaren Umstände zu berücksichtigen (BSGE 21, 167, 168). Insoweit ist zunächst zu beachten, daß der Kläger nach den Feststellungen des LSG zwar in den streitgegenständlichen Anträgen vom 29. März 1984 und 20. März 1985 jeweils einen bestimmten Zeitraum angegeben hat, in dem die Maßnahmen durchgeführt werden sollten und für den Förderung begehrt wurde. Zu beachten ist aber ebenfalls, daß der Kläger vorgetragen hat, er sei auch nach Ablauf der konkret bezeichneten Zeiträume weiterhin an einer Förderung – wie beantragt – interessiert. Dementsprechend hat der Kläger auch in erster Instanz ausdrücklich die Verpflichtung der BA zur Neubescheidung beantragt, obwohl damals die in den Förderungsanträgen genannten Zeiträume abgelaufen waren. Im Berufungsverfahren hat der Kläger erst auf entsprechenden Hinweis des LSG ein Feststellungsbegehren formuliert, das im Ergebnis – ähnlich wie der erstinstanzliche Antrag – auf die Verpflichtung der BA zur Neubescheidung abzielt. Aus dem Gesamtverhalten des Klägers ergibt sich demnach, daß für ihn nur die Frage der Förderung konkret bezeichneter Maßnahmen wesentlich, der genaue Zeitpunkt des Maßnahmebeginns aber von untergeordneter Bedeutung war. § 9 Abs 1 Satz 1 ABM-Anordnung spricht auch nur vom „voraussichtlichen” Beginn einer Maßnahme; die gleiche Formulierung ist in den Antragsvordrucken der BA vorgesehen. Es kann deshalb nicht angenommen werden, daß die vom Kläger in den Anträgen angegebenen voraussichtlichen Maßnahmezeiträume wesentlicher Inhalt der Anträge gewesen sind. Damit kann aber auch keine Erledigung durch Zeitablauf iS von § 131 Abs 1 Satz 3 SGG eingetreten sein (vgl zur Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens auch BSGE 42, 212, 216 mwN = SozR 1500 § 131 Nr 3; BSGE 44, 82, 87 = SozR 1500 § 54 Nr 20). Der Antrag des Klägers ist somit dahingehend auszulegen, daß weiterhin die Aufhebung der ablehnenden Bescheide der BA und ihre Verpflichtung zur Erteilung neuer Bescheide im Sinne des klägerischen Vorbringens verlangt werden soll.
3. In der Sache ist die Bescheidungsklage jedoch unbegründet.
Das LSG hat zu Recht entschieden, daß die Bescheide der BA rechtmäßig sind. Dies ergibt sich – worauf das LSG zutreffend abgestellt hat – daraus, daß die vom Kläger begehrte Förderung nicht nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zweckmäßig erscheint.
Nach § 91 Abs 2 Satz 1 AFG idF des 5. Gesetzes zur Änderung des AFG (5. AFG-ÄndG vom 23. Juli 1979, ≪BGBl I S 1189≫) können Arbeiten, die im öffentlichen Interesse liegen, durch die Gewährung von Zuschüssen an die Träger der Maßnahmen gefördert werden, soweit die Arbeiten sonst nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt würden und die Förderung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zweckmäßig erscheint. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ist das Kriterium der Zweckmäßigkeit bezüglich Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes Anspruchsvoraussetzung; das Kriterium muß von der Maßnahme selbst erfüllt werden, ist also nicht erst auf der „Ermessens-Ebene” zu prüfen. Bei Maßnahmen, die im Schwerpunkt aus im Ausland – Nicaragua – auszuführenden Tätigkeiten von Erziehern bestehen, kann aber nicht angenommen werden, daß die Förderung solcher Maßnahmen nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zweckmäßig iS von § 91 Abs 2 Satz 1 AFG wäre.
Soweit die Revision geltend macht, ein Teil der Maßnahmen hätte im Inland ausgeführt werden sollen (Auswertung von Arbeitsergebnissen) und dies sei auch von Anfang an vorgesehen gewesen, ist zu beachten, daß das Revisionsgericht grundsätzlich an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden ist (§ 163 SGG). Das LSG hat ausdrücklich festgestellt, daß die vom Kläger einzustellenden Erzieher nach der Aufgabenbeschreibung in den 1984 und 1985 gestellten Anträgen während der Förderungszeit ausschließlich in Nicaragua arbeiten sollten. Im ersten Antrag war nach den Feststellungen des LSG eindeutig vermerkt, daß ein Erzieher für eine voraussichtlich zweijährige Tätigkeit in Nicaragua eingestellt werden sollte. Der zweite Antrag enthielt eine Tätigkeitsbeschreibung, wonach die Zusammenarbeit mit Kindergärten und Institutionen der Dritten Welt intensiviert werden und der Schwerpunkt der Arbeit sich im ersten Jahr auf Nicaragua beziehen sollte, was bei einer angestrebten Förderungsdauer von einem Jahr nur so verstanden werden kann, daß die Tätigkeit jedenfalls im Förderungsjahr nur im Ausland stattfinden sollte. Soweit in den Antrags-Anlagen auch auf die Sammlung von Material für spätere Publikationen in Deutschland bzw auf spätere Maßnahmen, wie die geplante Fotoausstellung, hingewiesen wurde, mußte dies keinesfalls den Schluß nahelegen, die betreffenden Mitarbeiter des Klägers hätten bereits im ersten Jahr – das allein jeweils Gegenstand der Förderungsanträge war – mit der Auswertung von Arbeitsergebnissen in Deutschland beginnen sollen. Wenn das LSG deshalb darauf abgestellt hat, daß sich der Sachvortrag des Klägers in der letzten mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren – er hatte geltend gemacht, ein Teil der geplanten Maßnahmen solle durch Auswertung der Arbeitsergebnisse im Inland stattfinden – auf eine Neugestaltung der Maßnahmen bezog, die nicht Gegenstand der Förderungsanträge und damit nicht Streitgegenstand ist, so ist dies nicht zu beanstanden.
Gegen diese tatsächlichen Feststellungen des LSG hat der Kläger keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben. Er hat insbesondere nicht substantiiert dargelegt, inwiefern die Feststellungen etwa auf einer nicht ausreichenden Sachaufklärung oder einer fehlerhaften Beweiswürdigung (§§ 103, 128 SGG) beruhen. Einen von den Feststellungen des LSG abweichenden Sachvortrag kann der Senat daher nicht berücksichtigen (§§ 163, 164 Abs 2 Satz 2 SGG).
Die ausschließliche Durchführung der geplanten Arbeiten im Ausland kann auch nicht dadurch in Frage gestellt werden, daß es sich bei den vorgesehenen Mitarbeitern um Deutsche handelt. Zwar sollte nach dem Inhalt der Anträge zwischen dem Kläger als Träger der Maßnahme und den vorgesehenen Arbeitnehmern ein Arbeits-und Beschäftigungsverhältnis begründet werden, für dessen sozialversicherungsrechtliche Beurteilung durchaus die Anwendung der §§ 4 und 9 des Vierten Buchs des Sozialgesetzbuches – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) in Betracht kommt (vgl zum Begriff der „Entsendung” BSGE 60, 96, 98 mwN; zum Entwicklungsdienstvertrag BSG SozR 3-2200 § 200 Nr 2). Bei der Anwendung der Förderbestimmungen nach §§ 91 ff AFG kommt es aber nicht entscheidend auf die sozialversicherungsrechtliche Gestaltung an, sondern darauf, wo die zu fördernde Maßnahme tatsächlich ausgeführt werden soll. Nach den Feststellungen des LSG war die Tätigkeit der vorgesehenen Arbeitnehmer ausschließlich in Nicaragua auszuführen. Ob die Auswertungsarbeiten, aus denen das LSG ein „öffentliches Interesse” iS des § 91 Abs 2 Satz 1 AFG abgeleitet hat, zur Maßnahme gehören, kann dahinstehen. Die Ausführungen des LSG lassen erkennen, daß die zu bezuschussenden Arbeiten in Nicaragua jedenfalls den Schwerpunkt der Maßnahme darstellen.
Ist aber hiervon auszugehen, scheidet eine Förderung nach §§ 91 ff AFG schon im Hinblick auf die zu verneinende Zweckmäßigkeit nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes aus. Dabei ist nicht auf das vom LSG erwähnte Territorialitätsprinzip abzustellen, da es an einer eindeutigen Inhaltsbestimmung dieses Prinzips fehlt. Es ist nämlich weitgehend anerkannt, daß der Wirkungsbereich der Normen nicht durch ein abstraktes Territorialitätsprinzip begrenzt ist, sondern aus ihrem sachlichen Inhalt zu entwickeln ist (so bereits sinngemäß der Große Senat des BSG in seinem Beschluß vom 21. Dezember 1971, BSGE 33, 280, 284 f; daran anschließend der 7. Senat in BSGE 43, 255, 258 mwN; ebenso Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden 1988, S 204 ff; Gagel/Bieback, Komm zum AFG, Stand: Januar 1990, RdNr 115 zu § 91 sowie Gagel, § 173 RdNr 8 mwN). Entscheidend sind deshalb Inhalt sowie Sinn und Zweck der maßgeblichen Vorschrift des § 91 Abs 2 Satz 1 AFG, darüber hinaus aber auch der Gesamtzusammenhang, in den die Vorschrift im Rahmen aller Bestimmungen betreffend die Förderung von Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung gestellt ist (vgl auch BSG SozR 3-2200 § 200 Nr 2).
Inhaltlich ergibt der unbestimmte Rechtsbegriff der Zweckmäßigkeit hinsichtlich Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes bzw die häufig so bezeichnete „arbeitsmarktpolitische Zweckmäßigkeit” (vgl Gagel/Bieback, vor § 91 ≪A≫, RdNr 37 sowie § 91 RdNr 70) oder auch „arbeitsmarktliche Zweckmäßigkeit” (§ 5 der ABM-Anordnung) keine eindeutigen Rückschlüsse. Der Entstehungsgeschichte läßt sich nur entnehmen, daß die arbeitsmarktliche Zweckmäßigkeit durch das 5. AFG-ÄndG in § 91 eingefügt wurde, um die Möglichkeit zu einem Mißbrauch von Leistungen abzubauen (BT-Drucks 8/2624 S 2) bzw die Förderung von Arbeiten auszuschließen, die ohne Förderung nur wenig später bei unveränderter Arbeitsmarktlage durchgeführt würden (BT-Drucks 8/2624 S 25 Nr 21a).
Wesentlichen Aufschluß zum Verständnis des Begriffs der Zweckmäßigkeit ergibt der Zusammenhang zwischen § 91 Abs 2 Satz 1 AFG und mehreren Vorschriften des gleichen Unterabschnitts, die einen Bezug zum Arbeitsmarkt aufweisen. So enthält § 91 Abs 2 Satz 2 AFG zunächst den Ausschluß der Förderung von Arbeiten, die üblicherweise von juristischen Personen des öffentlichen Rechts durchgeführt werden, hebt diesen Ausschluß aber insoweit wieder auf, als er die Förderung für näher bezeichnete Arbeiten in Arbeitsamtsbezirken mit überdurchschnittlicher Arbeitslosenquote ermöglicht. § 91 Abs 4 AFG schließt dagegen die Förderung von Arbeiten in Arbeitsamtsbezirken mit guter Beschäftigungslage aus. (Ausnahme: § 95 Abs 3 Satz 2 AFG). § 94 AFG macht nach seinen Absätzen 2 und 3 die Höhe des Zuschusses ua davon abhängig, ob die Maßnahmen in Arbeitsamtsbezirken mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosenquote durchgeführt werden. § 95 Abs 3 Satz 1 AFG ermächtigt die BA zum Erlaß näherer Bestimmungen durch Anordung – auch und gerade unter Berücksichtigung von Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes. In § 5 Abs 1 der ABM-Anordnung vom 13. Dezember 1984 (ANBA 1985, 71 ff), zuletzt idF vom 28. Februar 1989 (ANBA 1989, 481) hat die BA ausdrücklich das Ziel der Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten entsprechend den Problemschwerpunkten der regionalen und beruflichen Teilarbeitsmärkte sowie der wirtschaftsfördernden und strukturverbessernden Planungen von Bund und Ländern herausgestellt. Nach § 10 Abs 2 ABM-Anordnung kann die Höhe des Fördersatzes wiederum von der Arbeitslosenquote des Maßnahmebezirkes abhängig sein.
Aus dem Zusammenwirken der Regelungen in § 91 Abs 2 Satz 1 und der Bestimmungen der §§ 91 Abs 2 Satz 2 und Abs 4, 94 und 95 Abs 3 Satz 1 AFG sowie § 5 Abs 1 und § 10 Abs 2 ABM-Anordnung ergibt sich demnach, daß die arbeitsmarktliche Zweckmäßigkeit wesentlich daran zu messen ist, in welchem Gebiet die zu fördernden Arbeiten ausgeführt werden und welche Auswirkungen sich durch die auszuführenden Arbeiten auf den Arbeitsmarkt und die Beschäftigungsmöglichkeiten des betreffenden Gebietes (Arbeitsamtsbezirk) ergeben. Bei Durchführung von Arbeiten ausschließlich im Ausland – und nur darüber war hier zu entscheiden – können sich aber Auswirkungen der genannten Art von vornherein nicht ergeben. In diesen Fällen ist deshalb die arbeitsmarktliche Zweckmäßigkeit zu verneinen (ebenso Schmidt, Gemeinschaftskommentar zum AFG, § 91 RdNr 12a; abweichend Gagel/Bieback, § 91 RdNr 115 mwN).
Wenn der Gesetzgeber im übrigen davon spricht, daß Arbeiten in Arbeitsamtsbezirken durchgeführt werden (etwa § 91 Abs 4 oder § 94 Abs 2 AFG), so ergibt sich daraus schon rein begrifflich, daß damit nur das Inland gemeint sein kann. Soweit im Gesetz der Arbeitsmarkt erwähnt ist, ist darunter der Markt zu verstehen, auf dem eine Person ihre Arbeitskraft als Arbeitnehmer anbietet (vgl BSGE 38, 278, 279 und 38, 282, 286). In räumlicher Hinsicht kann damit nur der Arbeitsmarkt im Inland gemeint sein (vgl hierzu im Zusammenhang mit der Verfügbarkeit nach § 103 AFG auch BSGE 11, 16 sowie Gagel/Steinmeyer, § 103 RdNr 74; Eckert, Gemeinschaftskommentar zum AFG, § 103 RdNr 20). Dies zeigt auch die Regelung des § 80 AFG zum Wintergeld, wonach sich die Förderung allein auf den inländischen Arbeitsmarkt bezieht (Abs 2 Satz 1) und in Abs 2 Satz 1 eine gesetzliche Ausnahme nur unter bestimmten Voraussetzungen vorgesehen ist (abweichend Eichenhofer, SGb 1983, 483, der § 80 Abs 2 AFG auf ABM analog anwenden will).
Aus den in den §§ 1 und 2 formulierten Zielen des AFG ergibt sich weiter, daß die Maßnahmen nach dem Gesetz im Rahmen der Sozial- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung auf Erzielung und Aufrechterhaltung eines hohen Beschäftigungsstandes und einer sich verbessernden Beschäftigungsstruktur sowie auf Wirtschaftswachstum auszurichten sind. Hieran knüpfen auch die Bestimmungen der §§ 1 Abs 1 Nr 3, 5 Abs 1 ABM-Anordnung an. Die genannten Ziele beziehen sich ausschließlich auf Sachverhalte, die sich im Inland verwirklichen lassen (vgl BSG SozR 4100 § 36 Nr 19). Tätigkeiten im Ausland können dagegen im Hinblick auf Wirtschaftsförderung und Strukturverbesserung keine nennenswerten Auswirkungen entfalten.
In diesem Zusammenhang ist auch auf die wirtschaftlichen Funktionen von ABM zu verweisen, die in sinnvoller Weise ebenfalls nur im Inland zum Tragen kommen können. So dienen die ABM ua dazu, die Nachfrage nach Produktions- und Konsumgütern zu erhöhen, vor allem durch das aufgrund der ABM geschaffene zusätzliche Einkommen der zugewiesenen Arbeitnehmer, das sich im Regelfall in höherem Verbrauch niederschlägt. Daneben sind mit der Förderung von ABM weitere sogenannte Vorleistungs- bzw Nachfrageeffekte verbunden (vgl hierzu ua Gagel/Bieback, vor § 91 A RdNr 56; Hellmich, WSI-Mitteilungen 1982, 113, 117 ff; Spitznagel, Globale und strukturelle Auswirkungen von allgemeinen Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung (ABM), Nürnberg 1980, S 43 ff; Dückert, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen – ein beschäftigungspolitisches Instrument? – Frankfurt am Main/New York 1984, S 153 ff). Das LSG hat insoweit zu Recht darauf hingewiesen, daß derartige Effekte bei Abfluß der Fördermittel ins Ausland nicht eintreten können, der mit der Förderung verbundene wirtschafts-und beschäftigungspolitische Zweck also auch unter diesem Gesichtspunkt in der Regel nicht erreicht werden kann.
Zuzustimmen ist dem LSG auch insoweit, als sich das insbesondere aus § 93 Abs 3 AFG iVm § 4 Abs 1 der ABM-Anordnung ersichtliche Recht der BA zur Weitervermittlung und erforderlichenfalls auch zur Abberufung des zugewiesenen Arbeitnehmers nicht mit einer ausschließlichen Beschäftigung des Arbeitnehmers im Ausland vereinbaren läßt. Richtig ist ebenfalls, daß bei ausschließlicher Auslandsbeschäftigung die im Inland jederzeit gegebenen Prüfungs- und Kontrolltätigkeiten der BA während der Durchführung von ABM nicht möglich wären. In der Rechtsprechung des BSG ist in Fällen der Auslandsbeschäftigung wiederholt auf mögliche Beschränkungen bei der Anwendung von Inlandsnormen hingewiesen worden, die sich daraus ergeben können, daß die Versicherungsträger im Ausland hoheitliche Kontroll- oder andere Maßnahmen nicht oder nur mit erheblichen verwaltungstechnischen Schwierigkeiten ausüben können (vgl BSG Großer Senat, BSGE 33, 280, 284; BSGE 39, 241, 242; BSGE 43, 255, 258; BSG SozR 3-2200 § 200 Nr 2). Im Falle der Zuweisung eines Arbeitslosen auf einen Arbeitsplatz im Ausland und einer späteren Abberufung nach Maßgabe von § 93 Abs 3 AFG ist zusätzlich zu bedenken, daß eine Rückholung des im Ausland tätigen Arbeitnehmers etwa zur Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden wäre. Dies alles macht deutlich, daß im Rahmen von ABM die ausschließliche Beschäftigung im Ausland nicht die an die arbeitsmarktliche Zweckmäßigkeit zu stellenden Anforderungen erfüllen kann.
Die vom Kläger mit der Revision vorgebrachten Einwände können zu keiner anderen Beurteilung führen. Daß auch die Einstellung von deutschen Arbeitslosen für eine Beschäftigung im Ausland zunächst zu einer Entlastung des deutschen Arbeitsmarktes führt, ist für die Auslegung des § 91 Abs 2 Satz 1 AFG nicht entscheidend. Insoweit ist die Regelung des § 93 Abs 1 AFG maßgebend. Für die arbeitsmarktliche Zweckmäßigkeit müssen über die an den zu fördernden Personenkreis zu stellenden Anforderungen hinaus die oben dargestellten weiteren Kriterien erfüllt sein. Im übrigen kann nach der Rechtsprechung des 7. Senats (BSGE 59, 219, 224 = SozR 4100 § 92 Nr 1) ohnehin von der Schaffung eines Arbeitsplatzes für einen einzelnen Arbeitslosen in der Regel keine Belebung des Arbeitsmarktes erwartet werden. Keine Anhaltspunkte sind auch für die Richtigkeit der Behauptung des Klägers ersichtlich, daß durch die beabsichtigte Zusammenarbeit mit Institutionen der Dritten Welt oder durch Publikationen längerfristig die Beschäftigungsstrukturen auch in der Bundesrepublik Deutschland verbessert werden könnten. Das LSG hat derartige Auswirkungen nicht festgestellt. Eine lediglich vage Möglichkeit könnte im übrigen ohnehin nicht berücksichtigt werden.
Soweit der Kläger geltend macht, bei den von ihm geplanten Projekten handele es sich um bevorzugt zu fördernde Arbeiten iS von § 91 Abs 3 Nr 4 AFG, steht dies in keinem Zusammenhang mit der arbeitsmarktlichen Zweckmäßigkeit iS von § 91 Abs 2 Satz 1 AFG, sondern allenfalls mit dem Kriterium des öffentlichen Interesses. Die Ziele der Kinder- und Jugendhilfe (vgl §§ 1 Abs 3, 2 Abs 2, 3 des am 1. Januar 1991 in Kraft getretenen Achten Buches des Sozialgesetzbuchs – Kinder- und Jugendhilfe – ≪SGB VIII≫, BGBl I 1990, S 1163) haben keinen unmittelbaren Bezug zum Arbeitsmarkt. Fehlt aber die Anspruchsvoraussetzung der arbeitsmarktlichen Zweckmäßigkeit, kann letztlich offenbleiben, ob die vom Kläger geplanten Arbeiten wirklich – wovon das LSG ausgegangen ist – im öffentlichen Interesse liegen. Ebenso offenbleiben kann auch, ob die „Zusätzlichkeit” iS von § 91 Abs 2 Satz 1 AFG vorliegt und ob eine Förderung nicht schon deshalb ausscheidet, weil die geplanten Arbeiten üblicherweise von juristischen Personen des öffentlichen Rechts durchgeführt werden (§ 91 Abs 2 Satz 3 AFG).
Die Revision des Klägers war somit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1172812 |
NZA 1992, 717 |