Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. kein Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die Krankenkasse bei Abgabe von Arzneimitteln und einer Erhöhung der verordneten Menge ohne Bestätigung der Änderung durch den Vertragsarzt auf dem Kassenrezept mit Unterschrift und Datum. öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch der Krankenkasse bei Pflichtverletzung eines Apothekers durch Verstoß gegen landesvertragliche Abgabebestimmungen. Ausscheiden eines Schadensersatzanspruches. Anwendung der Form- und Fristvorschriften des Arzneiliefervertrages beim Erstattungsanspruch der Krankenkasse gegen einen Apotheker wegen einer zu Unrecht gezahlten Vergütung
Leitsatz (amtlich)
1. Schreibt der Arzneiliefervertrag eines Landes für den Fall der Erhöhung der verordneten Menge eines Arzneimittels vor, dass der Vertragsarzt die Änderung auf dem Kassenrezept mit Unterschrift und Datum zu bestätigen hat, erwirbt ein Apotheker keinen Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse, wenn er das Arzneimittel ohne diese Bestätigung an den Versicherten abgibt. Auch ein Teil-Vergütungsanspruch hinsichtlich der ursprünglich verordneten Menge ist ausgeschlossen.
2. Besteht die Pflichtverletzung eines Apothekers allein in einem Verstoß gegen landesvertragliche Abgabebestimmungen, steht der Krankenkasse wegen der zu Unrecht gezahlten Vergütung ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu. Ein Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung vertraglicher Nebenpflichten scheidet in solchen Fällen aus.
3. Der Erstattungsanspruch einer Krankenkasse gegen einen Apotheker wegen einer zu Unrecht gezahlten Vergütung unterliegt den Form- und Fristvorschriften des Arzneiliefervertrages unabhängig davon, ob er durch Verrechnung im monatlichen Abrechnungsverfahren oder im Klagewege realisiert werden soll.
Normenkette
SGB 5 § 27 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, §§ 31, 69 S. 2 Fassung: 1999-12-22, S. 3 Fassung: 2007-03-26, § 69 Abs. 1 S. 3 Fassung: 2008-12-15, § 129 Abs. 1-2, 5 S. 1; BGB § 433 Abs. 2, § 812 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rückzahlung der Vergütung von Arzneimitteln, die aufgrund vertragsärztlicher Verordnungen abgegeben wurden.
Der Beklagte ist Inhaber der G.-Apotheke in H. und Mitglied des Landesapothekerverbandes Niedersachsen. Der bei der klagenden Krankenkasse versicherte Patient S. suchte die Praxis des in Hannover als Vertragsarzt niedergelassenen Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. G. erstmals am 14.10.1999 auf und legte dort ein gefälschtes Arztschreiben vor, wonach unter dem Briefkopf der Abteilung Immunologie des Universitätsklinikums C. in B. eine Internistin Dr. W. mitteilte, dass der Versicherte S. seit 1990 als HIV-positiv eingestuft sei und zu seiner Behandlung das Medikament Intron A Pen mit 30 Millionen Einheiten (Intron A) eingesetzt werde. Tatsächlich war eine Internistin mit Namen Dr. W. dort nicht bekannt. Dr. G. stellte daraufhin eine vertragsärztliche Verordnung mit dem Inhalt "Intron A Pen 30 Mio ILO 8 ST N2" aus, ohne den Versicherten S. vorher zu untersuchen. Die Medikamentenverordnung war in Maschinenschrift ausgestellt, mit dem Praxisstempel versehen und von dem Arzt handschriftlich mit seinem Namen unterzeichnet. Der Mittäter des Versicherten S., H., fügte danach vor die maschinenschriftliche Bezeichnung des Medikamentes den handschriftlichen Zusatz "4x" ein. Die so veränderte Verordnung legte der Mittäter H. in der Apotheke des Beklagten vor und erhielt das Medikament im Umfang der Verfälschung, also der vierfachen Menge. Dafür berechnete der Beklagte der Klägerin eine Summe von 24.514,92 DM. Der Vorgang wiederholte sich in zweiwöchigem Abstand bis Mitte April 2000 insgesamt 14 Mal, wobei die Verordnung vom 17.2.2000 vom Arzt vollständig handschriftlich ausgestellt wurde. Eine weitere Verordnung vom 14.12.1999 wurde unverändert in der Apotheke des Beklagten vorgelegt und von der Klägerin mit 6.128,73 DM vergütet. Insgesamt zahlte die Klägerin dem Beklagten auf diese Weise einen Betrag von 349.337,61 DM, nämlich 14 x 24.514,92 DM sowie 1 x 6.128,73 DM. S. und H. veräußerten die vom Beklagten bezogenen Arzneimittel an die P. GmbH & Co KG, einen Pharmagroßhändler, von welchem der Beklagte zuvor die Arzneimittel selbst bezogen hatte. Der Versicherte S. war zwar HIV-Patient, benötigte das Medikament Intron A aber nicht, weil er von seinem Hausarzt Dr. K. mit einer dreifachen Kombinationstherapie aus anderen Medikamenten behandelt wurde. S. und H. wurden am 3.6.2003 vom Landgericht Hannover zu mehrjährigen Freiheitsstrafen wegen Betruges und Urkundenfälschung verurteilt.
Mit Schreiben vom 13.3.2001 forderte die Klägerin den Beklagten zur Rückzahlung von 349.337,61 DM bzw 178.613,48 Euro auf, weil er seine Prüfpflichten als Apotheker verletzt habe. Der Beklagte erwiderte in einem Schreiben vom 21.3.2001, dass er die Forderung nicht anerkenne; die Verfälschung der 14 Verordnungen sei nicht erkennbar gewesen. Daraufhin hat die Klägerin am 12.7.2001 Klage erhoben. Sowohl die handschriftliche Einfügung der Anzahl der Packungen, die nicht gesondert abgezeichnet gewesen sei, als auch die auffällige Höhe der Dosierung des sehr teuren und selten verschriebenen Medikaments Intron A hätte Anlass zur Rücksprache mit dem Arzt geben müssen. Dies habe der Beklagte pflichtwidrig unterlassen und damit gegen Bestimmungen des niedersächsischen Arznei-Liefervertrages (ALV Nds) und der Apothekenbetriebsordnung verstoßen. Der Beklagte hat demgegenüber geltend macht, sein Mitarbeiter Hi. habe bei der erstmaligen Vorlage einer solchen Verordnung in der Praxis von Dr. G. telefonisch nachgefragt und dort die Auskunft erhalten, dass es mit dem Rezept seine Richtigkeit habe. Außerdem könne es ihm auch nicht angelastet werden, wenn in einer Großapotheke mit 40 Mitarbeitern einmal ein handschriftlich geändertes Rezept "durchrutsche". Daher fehle es an einer fahrlässigen Pflichtverletzung.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage im Umfang von 131.609,94 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.7.2001 stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen: Der Beklagte habe bei Einlösung der veränderten Verordnungen gegen seine Pflichten aus dem ALV Nds verstoßen, indem er begründeten Zweifeln an den vorgelegten Verordnungen nicht nachgegangen sei. Das Verschulden seiner Mitarbeiter müsse er sich zurechnen lassen. Nach den Bestimmungen des ALV Nds sei ein Kassenrezept bei Änderung der Zahl der verordneten Arzneimittel nur abrechnungsfähig, wenn dies vom ausstellenden Arzt mit Unterschrift und Datum auf der Verordnung bestätigt worden sei. Eine telefonische Nachfrage in der Praxis von Dr. G. reiche dafür nicht aus. Daher habe über die entsprechende Behauptung des Beklagten kein Beweis erhoben werden müssen. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Klägerin bestehe aber nur in dem Umfang, in dem die vom Beklagten abgegebene Menge über die von Dr. G. tatsächlich verordnete Menge hinausgehe; denn hinsichtlich jeweils einer Packung seien die Verordnungen wirksam und abrechnungsfähig gewesen (Urteil vom 29.6.2005).
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und ihn auf die Anschlussberufung der Klägerin unter Änderung des erstinstanzlichen Urteils verurteilt, weitere 47.003,54 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.7.2001 zu zahlen: Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 178.613,48 Euro wegen der schuldhaften Verletzung vertraglicher Nebenpflichten aus den geschlossenen Kaufverträgen zu. Der Beklagte habe die im ALV Nds niedergelegte Pflicht schuldhaft verletzt, bei Änderungen und Ergänzungen der vertragsärztlichen Verordnung auf die - hier fehlende - erneute Unterschrift des Arztes mit Datum zu achten. Es sei bei den Rezepten des Dr. G. auf den ersten Blick erkennbar gewesen, dass die handschriftliche gefertigte Mengenangabe "4x" jeweils zusätzlich angebracht worden sei. Die Fristbestimmungen des ALV Nds für Berichtigungen und Beanstandungen der Arzneimittelabrechnungen seien bei einem solchen Schadensersatzanspruch nicht einschlägig. Ein Mitverschulden des Pharmagroßhändlers sei im Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten nicht zu berücksichtigen. Der vom Beklagten verursachte Schaden umfasse die gezahlte Vergütung für die gesamte Menge Intron A, die aufgrund der 15 Verordnungen abgegeben worden sei. Bei pflichtgemäßem Verhalten des Beklagten wäre der Rezeptbetrug schon bei der Einlösung der ersten Verordnung vom 14.10.1999 entdeckt worden. Der Beklagte wäre verpflichtet gewesen, Dr. G. auf die Verfälschung der Verordnung aufmerksam zu machen, wodurch die Ausstellung aller weiteren 14 Verordnungen verhindert worden wäre. Die Behauptung des Beklagten, er habe die Klägerin am 9.5.2000 schriftlich auf den Sachverhalt hingewiesen, sei unerheblich, weil der Schaden zu diesem Zeitpunkt schon entstanden sei (Urteil vom 12.9.2007).
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Beklagte die Verletzung des § 129 SGB V sowie der Bestimmungen des ALV Nds und des Rahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung. Neben den landesvertraglichen Beanstandungsmöglichkeiten und den rahmenvertraglich erlaubten Sanktionsmechanismen bestehe kein Raum für einen Schadensersatzanspruch. Der allein denkbare öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch sei unbegründet. Zum einen habe die Praxis von Dr. G. auf telefonische Nachfrage die Ordnungsgemäßheit der Rezepte vom 14. und 28.10.1999 und insbesondere die jeweils angegebene Packungsmenge bestätigt. Das LSG habe insoweit seine Pflicht zur Amtsermittlung verletzt (§ 103 SGG), weil es weder seinen Mitarbeiter Hi. noch Dr. G. zu der entsprechenden Behauptung als Zeugen vernommen habe. Zum anderen habe die Klägerin auf seinen Einspruch vom 21.3.2001 hin nicht rechtzeitig reagiert und die Zahlungsklage erst nach Ablauf der Dreimonatsfrist des § 10 Abs 3 ALV Nds erhoben, sodass der Einspruch gegen die Beanstandung als anerkannt gelte. Im Übrigen treffe sowohl die Klägerin wegen ihrer nachlässigen Rezeptprüfungen als auch Dr. G., der die Verordnungen ohne Untersuchung des Versicherten S. ausgestellt habe, ein erhebliches Mitverschulden. Zudem habe die Klägerin Schadensersatzansprüche gegen die Großhandelsfirma P. nicht weiter verfolgt, die den Betrug über die rechtswidrige Praxis, solche Arzneimittel auf dem "grauen Markt" anzukaufen, letztlich erst ermöglicht haben. Zur Realisierung zivilgerichtlich titulierter Ansprüche gegen S. und H. habe die Klägerin keine Angaben gemacht.
Der Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Niedersachsen-Bremen vom 12.9.2007 und des SG Hannover vom 29.6.2005 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch nicht zu, sodass die Klage in vollem Umfang abzuweisen war. Hinsichtlich der Einlösung der nicht veränderten Verordnung vom 14.12.1999 fehlt es bereits an einem Erstattungsanspruch. Bezüglich der 14 veränderten Verordnungen ist zwar ein Erstattungsanspruch entstanden. Dieser ist jedoch nicht mehr durchsetzbar, weil der Einspruch des Beklagten wegen der verspäteten Erhebung der Klage als anerkannt gilt.
1) Bei der Anspruchsgrundlage für das Zahlungsbegehren der Klägerin ist zu unterscheiden zwischen jenen Medikamentenabgaben des Beklagten an den Versicherten S. (mit dessen Mittäter H. als Empfangsbevollmächtigten), die von der Klägerin noch im Jahre 1999 vergütet worden sind, und jenen Medikamentenabgaben, die sie im Jahre 2000 bezahlt hat. Soweit diese Zahlungen ganz oder teilweise zu Unrecht erfolgt sind, ist unmittelbar mit der Erfüllung der vermeintlichen Vergütungsverpflichtung ein Rückzahlungsanspruch entstanden, dessen Rechtsnatur durch den Charakter der zugrunde liegenden Leistungsbeziehung bestimmt wird (BGHZ 103, 255, 258). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) waren die leistungserbringerrechtlichen Beziehungen zwischen den Krankenkassen und den Apotheken sowie den anderen nichtärztlichen Leistungserbringern bis zum 31.12.1999 dem Zivilrecht zuzuordnen. Im Gegensatz dazu waren das Vertragsarztrecht und das Leistungserbringerrecht der Krankenhäuser seit jeher öffentlich-rechtlich geprägt (BSGE 86, 166 = SozR 3-2500 § 112 Nr 1; BSGE 89, 24 = SozR 3-2500 § 69 Nr 1; BSG SozR 4-2500 § 69 Nr 1 RdNr 17, 18; BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 1 RdNr 12). Seit der Neufassung des § 69 SGB V durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 (GKV-GRG 2000) vom 22.12.1999 (BGBl I 2626) zum 1.1.2000 sind die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu sämtlichen Leistungserbringern, also den Krankenhäusern, Vertragsärzten, Apotheken und allen sonstigen nichtärztlichen Leistungserbringern, ausschließlich sozialversicherungsrechtlicher Natur und damit dem öffentlichen Recht zuzuordnen (BT-Drucks 14/1245 S 67 f; BSGE 89, 24, 30 f = SozR 3-2500 § 69 Nr 1; BSG SozR 4-2500 § 69 Nr 1 RdNr 14, 17, 18) . Dementsprechend sind Rückzahlungsansprüche der Krankenkassen gegen Apotheker aus rechtsgrundlos erfolgten Vergütungszahlungen als zivilrechtliche Bereicherungsansprüche nach § 812 Abs 1 Satz 1 BGB einzustufen, soweit die Zahlungen bis zum 31.12.1999 erfolgt sind. Für alle danach erbrachten rechtsgrundlosen Vergütungszahlungen ist der aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts hergeleitete öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch einschlägig, der sich in weitgehender Analogie zu den §§ 812 ff BGB entwickelt hat (BSGE 93, 137, 140 f = SozR 4-2500 § 137c Nr 2 RdNr 9 f; BSGE 69, 158, 160 = SozR 3-1300 § 113 Nr 1). Dies erlaubt es, im Folgenden von den Voraussetzungen und den Rechtsfolgen her zwischen beiden Formen der Rückzahlungsansprüche nicht weiter zu differenzieren, weil sich - jedenfalls im vorliegenden Fall - insoweit keine Unterschiede ergeben.
Die Klägerin hat die Vergütungszahlungen an den Beklagten im Rahmen einer bis zum 31.12.1999 zivilrechtlich und danach öffentlich-rechtlich geprägten Leistungsbeziehung erbracht. Die Zahlungen erfolgten im Umfang von 343.208,88 DM ohne Rechtsgrund, weil die 14 verfälschten vertragsärztlichen Verordnungen insgesamt, also nicht nur hinsichtlich der durch die Verfälschung erhöhten Zahl der Packungen, nicht abrechnungsfähig waren. Im Umfang von 6.128,73 DM erfolgte die Zahlung mit Rechtsgrund, weil die Medikamentenabgabe auf das nicht verfälschte Kassenrezept vom 14.12.1999 rechtmäßig und daher zu vergüten war. Der somit von vornherein auf 343.208,88 DM beschränkte zivilrechtliche Bereicherungsanspruch (für Zahlungen bis 31.12.1999) bzw öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch (für Zahlungen ab 1.1.2000) ist jedoch nachträglich entfallen, weil die Klägerin eine landesvertragliche Ausschlussfrist für dessen Geltendmachung versäumt hat.
2) Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs eines Apothekers gegen eine Krankenkasse wegen der Abgabe eines vertragsärztlich verordneten Arzneimittels an einen ihrer Versicherten ist § 129 SGB V iVm den zu dieser Vorschrift bestehenden ergänzenden Vereinbarungen, nämlich der - auf Bundesebene geltende - Rahmenvertrag nach § 129 Abs 2 SGB V sowie dem jeweiligen Landesvertrag nach § 129 Abs 5 Satz 1 SGB V.
a) Der Anspruch des Beklagten gegen die Klägerin auf Vergütung der hier streitigen 15 Arzneimittelabgaben bestimmte sich demgemäß nach § 129 SGB V iVm dem nach § 129 Abs 2 SGB V zwischen den damaligen Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband abgeschlossenen Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung vom 10.3.1993 (Rahmenvertrag 1993) sowie dem nach § 129 Abs 5 Satz 1 SGB V zwischen den niedersächsischen Landesverbänden der Krankenkassen und dem Landesapothekerverband Niedersachsen eV für das Land Niedersachsen abgeschlossenen Arznei-Liefervertrag (ALV Nds) des Jahres 1996, der zum 1.1.1997 in Kraft getreten ist (§ 13 Abs 1 ALV Nds) und durch die im September 2000 erfolgte "Anpassung zur Währungsumstellung in Euro" hinsichtlich der hier interessierenden Bestimmungen inhaltlich unverändert geblieben ist. Der Beklagte ist als Mitglied des Landesapothekerverbandes Niedersachsen nach § 2 Abs 2 Satz 1 ALV Nds , die Klägerin als vertragsschließende Krankenkasse nach § 2 Abs 1 ALV Nds an diesen Landesvertrag gebunden.
Diese Rechtsgrundlage für den Vergütungsanspruch eines Apothekers gegen eine Krankenkasse wegen der Abgabe eines vertragsärztlich verordneten Medikaments an einen Versicherten der GKV gilt sowohl für die Zeit der zivilrechtlichen Prägung der Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Apotheken bis zum 31.12.1999 (so bereits BSGE 77, 194, 199 f = SozR 3-2500 § 129 Nr 1 S 6 f) als auch für die Zeit der öffentlich-rechtlichen Natur dieser Rechtsbeziehungen ab 1.1.2000. Eine Differenzierung hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen ist daher trotz des Wandels der Rechtsnatur der Verträge (vgl oben unter 1) nicht notwendig.
b) Dass ein solcher Vergütungsanspruch eines Apothekers gegen eine Krankenkasse auf einer vertraglich ausgestalteten Grundlage beruht, ist seit jeher anerkannt und unstrittig (BSGE 77, 194, 199 f = SozR 3-2500 § 129 Nr 1 S 6 f; Schneider in jurisPK, SGB V, 1.8.2007, § 129 RdNr 22) . Der erkennende Senat hatte allerdings in seiner bisherigen Rechtsprechung für die Zeit ab 1.1.2000 als Rechtsgrundlage für den nunmehr öffentlich-rechtlichen Vergütungsanspruch des Apothekers nicht § 129 SGB V iVm den Verträgen nach § 129 Abs 2 und Abs 5 Satz 1 SGB V herangezogen, sondern einen für jeden einzelnen Fall der Medikamentenabgabe auf Kassenrezept zu schließenden öffentlich-rechtlichen Kaufvertrag zwischen Apotheker und Krankenkasse angenommen. Rechtsgrundlage war damit § 69 SGB V iVm § 433 Abs 2 BGB, wobei sich die Verweisung auf die entsprechende Anwendung der Vorschriften des BGB zunächst in § 69 Satz 2 SGB V in der Fassung des GKV-GRG 2000, ab 1.4.2007 in § 69 Satz 3 SGB V in der Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG) vom 26.3.2007 (BGBl I 378) und ab 18.12.2008 in § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 15.12.2008 (BGBl I 2426) findet. Der Senat hatte weiter angenommen, der Vertragsarzt fungiere aufgrund der ihm durch das Vertragsarztrecht verliehenen Kompetenzen als Vertreter der Krankenkasse und gebe durch die Verordnung eines Arzneimittels auf Kassenrezept ein Kaufvertragsangebot der Krankenkasse ab, das der Versicherte durch Vorlage des Kassenrezepts dem Apotheker übermittele und von diesem durch die Aushändigung des Arzneimittels an den Versicherten annehme (vgl BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 2 RdNr 20, 21). An dieser rechtlichen Konstruktion hält der erkennende Senat nach erneuter Prüfung nicht mehr fest; der Vergütungsanspruch des Apothekers hat seine Grundlage vielmehr unmittelbar im öffentlichen Recht. Denn die Konstruktion über einen in jedem Einzelfall abzuschließenden, den Versicherten begünstigenden öffentlich-rechtlichen Kaufvertrag zwischen Apotheker und Krankenkasse ist entbehrlich, weil sich schon aus § 129 SGB V iVm den Verträgen nach § 129 Abs 2 und Abs 5 Satz 1 SGB V eine tragfähige Rechtsgrundlage ergibt, die bis zum 31.12.1999 auch stets herangezogen und durch das GKV-GRG nicht berührt worden ist. Das regelmäßige Abstellen auf § 433 Abs 2 BGB widerspricht zudem der Regelung des § 69 SGB V, wonach Vorschriften des BGB nur "im Übrigen" entsprechend angewendet werden dürfen, soweit also die Vorschriften des SGB V lückenhaft sind. Dies ist hier gerade nicht der Fall.
c) Nach § 129 SGB V geben die Apotheken nach Maßgabe der ergänzenden Rahmenvereinbarungen und Landesverträge (§ 129 Abs 2 und Abs 5 Satz 1 SGB V, vgl auch § 2 Abs 2 Satz 3 SGB V ) vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an Versicherte der GKV ab. § 129 SGB V begründet somit im Zusammenspiel mit den konkretisierenden vertraglichen Vereinbarungen eine öffentlich-rechtliche Leistungsberechtigung und -verpflichtung für die Apotheken zur Abgabe von vertragsärztlich verordneten Arzneimitteln an die Versicherten. Im Gegenzug erwerben die Apotheken einen vertraglich näher ausgestalteten gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die Krankenkassen. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass § 129 SGB V nach seinem Wortlaut selbst keine Regelung zur Zahlungspflicht der Krankenkassen aufweist. Die Vorschrift setzt die Vergütungspflicht der Krankenkassen aber als selbstverständlich voraus. Auch aus § 130 Abs 3 Satz 1 SGB V, wonach die Gewährung des Rabattabschlags voraussetzt, dass die Rechnung des Apothekers innerhalb von zehn Tagen nach Eingang bei der Krankenkasse beglichen wird, ist nur indirekt zu entnehmen, dass ein solcher - durch die Rechnung zu konkretisierender - Vergütungsanspruch besteht.
Rechtsnatur und Struktur des Vergütungsanspruchs der Apotheken folgen damit der in der Gesetzesbegründung des GKV-GRG 2000 zur Neufassung des § 69 SGB V betonten Einbindung der Apotheken in den öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag der Krankenkassen. Mit der Abgabe vertragsärztlich verordneter Arzneimittel erfüllt die Krankenkasse ihre im Verhältnis zum Versicherten bestehende Pflicht zur Krankenbehandlung nach § 27 Abs 1 Satz 1 Nr 3 und § 31 SGB V (BT-Drucks 14/1245 S 67 f; dazu näher BSG SozR 3-2500 § 69 Nr 1 S 9 f; Krauskopf in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Stand: Februar 2009, § 69 SGB V RdNr 2, 4). Durch die allgemeinen vertraglichen Regelungen nach § 129 Abs 2 und Abs 5 Satz 1 SGB V wird zudem nochmals betont, dass die vertragsärztliche Verordnung das zentrale Element der Arzneimittelversorgung der Versicherten der GKV darstellt. Mit ihr konkretisiert der Vertragsarzt das Rahmenrecht des Versicherten auf Arzneimittelversorgung als Sachleistung für den vorliegenden Versicherungsfall. Sie dokumentiert, dass das Medikament als Sachleistung der GKV (§ 2 Abs 2 SGB V) auf Kosten der Krankenkasse an den Versicherten abgegeben wird. Als Pendant folgt daraus der Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die Krankenkasse dem Grunde nach; er wird durch das Kassenrezept als für das Abrechnungsverhältnis zwischen Apotheker und Krankenkasse maßgebliche Dokument konkretisiert. Auch dies zeigt, dass sich die rechtliche Konstruktion eines für jede einzelne Medikamentenabgabe abzuschließenden Kaufvertrages zwischen Apotheker und Krankenkasse als Grundlage des Vergütungsanspruchs erübrigt. Für den vergleichbaren Fall des Vergütungsanspruchs eines zugelassenen Krankenhauses bei stationärer Behandlung eines Versicherten nach § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V ist das seit langem anerkannt (BSGE 86, 166 = SozR 3-2500 § 112 Nr 1; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 1 RdNr 7; BSGE 92, 223 RdNr 10 = SozR 4-2500 § 39 Nr 1 RdNr 9 und BSGE 92, 300 = SozR 4-2500 § 39 Nr 2 RdNr 7) .
3. Die Voraussetzungen für den Vergütungsanspruch des Beklagten lagen für die Verordnung vom 14.12.1999 vor, für die 14 weiteren Verordnungen dagegen nicht.
a) Nach § 129 Abs 1 SGB V in der bis zum 31.12.1999 geltenden Fassung des Gesetzes vom 28.10.1996 (BGBl I 1558) sowie in der ab 1.1.2000 geltenden Fassung des GKV-GRG 2000 werden Arzneimittel zu Lasten der GKV auf der Grundlage einer vertragsärztlichen Verordnung abgegeben. Der Apotheker kann nach § 129 SGB V ein Arzneimittel nur dann auf Kassenkosten abgeben, wenn ein Vertragsarzt es auf dem hierfür vorgesehen Formblatt verordnet hat (BSGE 77, 194, 199 f = SozR 3-2500 § 129 Nr 1; Wagner in: Krauskopf, aaO, Stand März 2008, § 31 SGB V RdNr 5 und Knittel, aaO, § 129 SGB V RdNr 4) . Von der Notwendigkeit einer solchen ärztlichen Verordnung als Voraussetzung einer Abgabe geht auch § 1 Abs 1 ALV Nds aus.
Über die Menge von 1 x Intron A lag in allen 15 Fällen eine ärztliche Verordnung vor. Die ursprünglich von dem Vertragsarzt ausgestellte Verordnung mit der Bezeichnung "Intron A" enthielt keine Mengenangabe; sie war durch das Weglassen einer Anzahl als Verordnung von 1 x Intron A ausgestellt und aus Sicht eines objektiven Dritten auch nur so auszulegen. Dies wird bestätigt durch die von dem Arzt gewählte handelsübliche Bezeichnung "Intron A Pen 30 Mio ILO 8 ST N2". Die verordnete Packungsgröße war mit N2 bezeichnet und beinhaltete somit 8 Pens (vglRote Liste® 2008 Ziff 51018) . Damit waren im Zeitpunkt ihrer Ausstellung alle 15 Kassenrezepte wirksam. Keine andere Beurteilung folgt aus der Tatsache, dass der Versicherte die Ausstellung der Verordnungen durch Täuschung des Arztes mittels eines gefälschten Arztberichtes erlangt hatte; dies berührt die Wirksamkeit der vertragsärztlichen Verordnung nicht.
b) Die Verordnung vom 14.12.1999 wurde nach den Feststellungen des LSG unverändert in der Apotheke des Beklagten vorgelegt. Die Abgabe des Arzneimittels erfolgte somit aufgrund einer wirksamen Verordnung und mit 6.128,73 DM in Rechnung gestellt. Verstöße gegen andere Abgabebestimmungen liegen nicht vor, so dass der Vergütungsanspruch in Höhe des Rechnungsbetrages entstanden war, also kein Grund für einen Bereicherungsanspruch ersichtlich ist.
c) In den übrigen 14 Fällen lag über die Menge von mehr als jeweils 1 x Intron A zwar der Form und dem äußeren Anschein nach eine vertragsärztliche Verordnung vor. Inhaltlich sind die Kassenrezepte aber durch die ohne Wissen des Arztes erfolgte Heraufsetzung der verordneten Anzahl auf nunmehr vier Packungen verfälscht worden. Damit waren diese Kassenrezepte nicht mehr einlösungs- und abrechnungsfähig. Dies ergibt sich zwar nicht aus dem nach § 129 Abs 2 SGB V abgeschlossenen Rahmenvertrag 1993, der dazu keine Regelung enthält, wohl aber aus den Vorschriften des ALV Nds.
aa) Nach § 4 Abs 9 Satz 1 ALV Nds ist die Krankenkasse verpflichtet, gefälschte oder unbefugt oder missbräuchlich ausgestellte Verordnungen zu bezahlen, sofern der Apotheker die Fälschung oder missbräuchliche Ausstellung nicht erkennen konnte. Der Vertrag enthält mit § 4 Abs 9 Satz 1 ALV Nds eine dem § 19 Abs 7 Bundesmantelvertrag-Ärzte in der Fassung vom 1.4.2005 (DÄBl 2005, S A-854) entsprechende Schutzregelung für den Apotheker vor gefälschten oder verfälschten Kassenrezepten, die ihm in solchen Fällen einen Vergütungsanspruch sichert.
Die Regelung des § 4 Abs 9 Satz 1 ALV Nds kann den Vergütungsanspruch eines Apothekers für die verfälschte Verordnung allerdings nicht begründen, wenn er mit der Belieferung gleichzeitig gegen weitere Abgabebestimmungen verstößt und dies zu einem Ausschluss des Vergütungsanspruchs führt. Das war hier der Fall, denn der Beklagte hat mit der Abgabe des Medikaments in den 14 Fällen gegen die Vorschrift des § 4 Abs 1 Satz 3 ALV Nds verstoßen. Deshalb ist es unerheblich, ob er die Verfälschung als solche erkennen konnte und ob er - wie behauptet - durch seinen Mitarbeiter H. in der Praxis von Dr. G. hat telefonisch nachfragen lassen, ob die verordnete Menge des Arzneimittels zutrifft und dies bestätigt worden ist.
bb) Bei der Auslegung des § 4 Abs 1 und 9 ALV Nds ist der Senat nicht den Beschränkungen des § 162 SGG unterworfen, wonach eine Revision nur darauf gestützt werden kann, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt. Zwar gilt der ALV Nds nur in Niedersachsen und damit nicht über den Zuständigkeitsbereich des LSG hinaus. Die Revisibilität der berufungsgerichtlichen Auslegung eines Landesvertrages ist aber auch dann gegeben, wenn inhaltlich gleiche Vorschriften in Bezirken verschiedener LSG gelten (BSGE 1, 98, 100; 3, 77, 80 = SozR Nr 2 zu Art 14 GG; BSGE 13, 189, 191 = SozR Nr 156 zu § 162 SGG; BSGE 16, 227, 234 = SozR Nr 168 zu § 162 SGG) und die Übereinstimmung nicht nur zufällig, sondern bewusst und gewollt herbeigeführt worden ist (BSGE 13, 189, 191 = SozR Nr 156 zu § 162 SGG; BSGE 38, 21, 29 = SozR 2200 § 725 Nr 1; BSG SozR 3-5920 § 1 Nr 1; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 162 RdNr 5a mwN) . Das ist hier der Fall. Mit § 4 Abs 1 und 9 inhaltlich übereinstimmende landesvertragliche Regelungen gibt es in mehreren Bundesländern (vgl zB § 3 Abs 9 Satz 3 Arznei- und Hilfsmittelliefervertrag Saarland vom 12.11.1996; § 3 Abs 8 Apothekenvertrag für Bayern vom 24.5.2000; § 3 Abs 4 und 8 Arznei-Liefervertrag Hamburg vom 24.10.1997; § 4 Abs 18 Arzneiliefervertrag zwischen den Verbänden der Primmärkassen und dem Hessischen Apothekerverband vom 1.10.1998 in der Fassung vom 1.7.2007; § 4 Nr 6 Arzneilieferungsvertrag für Berlin vom 15.6.1999; § 3 Abs 13 Arzneilieferungsvertrag für Baden-Württemberg vom 29.11.1993) . Dass diese Übereinstimmung nicht den gesamten Wortlaut der Verträge erfasst, ist unschädlich (BSGE 13, 189, 191 = SozR Nr 156 zu § 162 SGG). Die inhaltliche Übereinstimmung ist auch nicht zufällig. § 129 SGB V und die Ermächtigung zu vertraglichen Regelungen gehen von einheitlichen Rahmenbedingungen für die Arzneimittelversorgung der Versicherten unabhängig vom Ort der Abgabe im Bundesgebiet aus. Im Vertrauen darauf bestimmt § 2 Abs 5 des Rahmenvertrages 1993 für die Frage, welcher Landesvertrag auf eine Arzneimittelabgabe Anwendung findet, dass der Sitz der Apotheke maßgebend ist.
cc) Nach § 4 Abs 1 Satz 3 ALV Nds sind hinsichtlich der Menge erhöhte Verordnungen nur abrechnungsfähig, wenn der Arzt die Änderung durch seine Unterschrift mit Datum auf der Vorderseite des Musters 16 bestätigt hat. Der Beklagte hat in den 14 Fällen der Menge nach erhöhte Verordnungen beliefert, ohne die entsprechende schriftliche Bestätigung des Vertragsarztes einzuholen.
§ 4 Abs 1 Satz 3 ALV Nds erfasst jede Art der Änderung der ursprünglich verordneten Menge und damit auch den Fall, dass die Erhöhung der Menge nicht von dem Arzt selbst stammt, sondern von einem Dritten. Dies ergibt sich aus dem einschränkungslosen Wortlaut sowie daraus, dass der Arzt die Änderung bestätigen muss. Damit wird seine vertragsärztliche Verordnung vor jeglicher nachträglicher Veränderung geschützt. Die Vorschrift verfolgt damit - wie auch die Regelungen des § 4 Abs 1 Satz 1 iVm Satz 2 ALV Nds, die bei unvollständiger oder ungenauer ärztlicher Angabe gelten - den Zweck, die ärztlich verfasste Erklärung möglichst unverändert umzusetzen und durch die erforderliche Schriftform Änderungen transparent zu machen.
Mit diesem Anwendungsbereich können sich die Regelungsbereiche des § 4 Abs 1 Satz 3 ALV Nds und des § 4 Abs 9 ALV Nds überschneiden, wenn eine Mengenerhöhung das Ergebnis einer Verfälschung der Verordnung ist. Der Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass die veränderte Menge nicht als Änderung gekennzeichnet war, zB indem eine Zahl durchgestrichen oder überschrieben wurde. Eine Mengenerhöhung kann unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 4 Abs 1 Satz 3 ALV Nds auch - wie hier - durch erstmalige Einfügung einer Zahl erreicht werden.
Da § 4 Abs 1 Satz 3 ALV Nds - anders als § 4 Abs 9 ALV Nds - auf die Erkennbarkeit für den Apotheker nicht abstellt, das Gebot aber nichts Unmögliches verlangen darf, muss sich die Mengenerhöhung iS des § 4 Abs 1 Satz 3 ALV Nds ohne Berücksichtigung weiterer Umstände für den objektiven Dritten unmittelbar aus der Verordnung selbst ergeben: Ihr Erscheinungsbild muss Anlass zur Vermutung geben, dass die Verordnung - durch wen auch immer - in der Mengenangabe nach ihrer Erstellung verändert wurde . Die 14 veränderten Verordnungen boten diesen Anlass. Die Kassenrezepte waren in 13 Fällen in Maschinenschrift geschrieben, die Ergänzung "4x" dagegen handschriftlich verfasst. Diese Unterscheidung trifft zwar nicht auf die von Dr. G. insgesamt handschriftlich ausgefüllte Verordnung vom 17.2.2000 zu. Aber auch bei dieser Verordnung war die nachträgliche Hinzufügung des Zusatzes "4x" für den Beklagten erkennbar. Denn alle 14 Kassenrezepte zeichnen sich dadurch aus, dass die handschriftliche Mengenangabe "4x" keinen rechten Platz auf der Verordnung vor der maschinenschriftlichen Arzneimittelbezeichnung findet. Sie ist entweder vor diese "gequetscht" oder sogar schräg über diese geschrieben, so dass erkennbar ist, dass die Verordnung ursprünglich nicht so ausgestellt, sondern zeitlich später - von wem auch immer - verändert wurde. Der Beklagte hätte deshalb vor der Belieferung des Versicherten jeweils die Unterschrift des Arztes einholen müssen.
dd) Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 4 Abs 1 Satz 3 ALV Nds ist der Verlust des Vergütungsanspruchs; denn die "Abrechnungsfähigkeit der Verordnung" setzt die mit Datum versehene Bestätigung der Änderung der Verordnung durch die Unterschrift des Arztes voraus. Die Vorschrift lässt mit ihrer Formulierung - entgegen der Ansicht des SG - eine Aufspaltung der Verordnung in die originär verordnete Menge und die erhöhte Menge nicht zu.
Da der Beklagte schon nach § 4 Abs 1 Satz 3 ALV Nds keinen Vergütungsanspruch erworben hat, kann es offen bleiben, ob sein Mitarbeiter Hinze in der Praxis des Vertragsarztes telefonisch Rückfrage gehalten und eine jeden Zweifel ausräumende Antwort erhalten hat. Eine telefonische Rückfrage ist nicht geeignet, die nach § 4 Abs 1 Satz 3 ALV Nds erforderliche handschriftliche Bestätigung zu ersetzen. Das LSG war demnach auch nicht gehalten, hierüber Beweis zu erheben.
4) Einem Bereicherungs- und Erstattungsanspruch der Klägerin aus den 14 rechtsgrundlos vergüteten Medikamentenabgaben steht jedoch dessen Ausschluss nach § 10 Abs 3 ALV Nds entgegen.
a) Das vertraglich eingeräumte Recht der Krankenkassen zur Rechnungs- und Taxberichtigung in den Landesverträgen nach § 129 Abs 5 Satz 1 SGB V ist nach der Rechtsprechung des Senates umfassend und betrifft nicht nur die Korrektur von reinen Einordnungs-, Schreib- und Rechenfehlern, weil dort - wie in § 10 Abs 1 Satz 1 ALV Nds - ganz generell von "sachlichen und rechnerischen Berichtigungen, Taxbeanstandungen sowie Beanstandungen wegen fehlender Verordnungsblätter" die Rede ist. Damit sind prinzipiell Fehler und Beanstandungen aller Art erfasst. Beanstandungen und Taxberichtigungen sind deshalb auch dann möglich, wenn sich nachträglich herausstellt, dass es an einer ordnungsgemäßen ärztlichen Verordnung mangelte oder gegen die landesvertraglich festgelegten Abgabebestimmungen verstoßen wurde (BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 1 RdNr 16 und Nr 2 RdNr 30) . Für ein umfassendes Beanstandungsrecht spricht hier vor allem auch die Bestimmung des § 9 Abs 1 iVm Abs 4 ALV Nds: Danach müssen die Krankenkassen innerhalb von zehn Tagen die eingehenden Rechnungen begleichen. Alle Zahlungen erfolgen unter dem Vorbehalt der sachlich-rechnerischen Prüfung; Beschränkungen irgendwelcher Art sind nicht vorgesehen. Damit korrespondieren im Interesse der Rechtssicherheit für alle Beteiligten die Fristbindungen für sachlich-rechnerische Berichtigungen und Taxbeanstandungen des § 10 ALV Nds; Krankenkassen und Apotheker sind davon gleichermaßen betroffen. Das Beanstandungsrecht nach § 10 Abs 1 ALV Nds erfasst mithin den vorliegenden Fall, dass entgegen der Abgabebestimmungen eine Verordnung ohne vorherige schriftliche Bestätigung der Mengenerhöhung durch den Arzt eingelöst wurde. Die Rückforderung der Vergütung für eine nicht abrechnungsfähige Verordnung stellt sich als "sachliche Berichtigung" iS des § 10 Abs 1 Satz 1 ALV Nds dar.
b) Es ist auch unerheblich, ob ein solcher Erstattungsanspruch im Zuge einer späteren Abrechnung durch Aufrechnung oder Verrechnung realisiert wird oder die Krankenkasse - wie hier - den Weg eines davon unabhängigen separaten Klageverfahrens beschreitet. Den Regelungen über die Rechnungsbegleichung (§ 9 ALV Nds) sowie die Rechnungs- und Taxberichtigungen (§ 10 ALV Nds) ist nicht zu entnehmen, dass ein Erstattungsanspruch nur dann den Form- und Fristvorschriften des ALV unterliegt, wenn er durch Aufrechnung oder Verrechnung geltend gemacht wird oder zumindest so geltend gemacht werden könnte. § 9 Abs 5 ALV Nds sieht lediglich vor, dass das - vom Apotheker beauftragte (§ 8 Abs 2 , § 9 Abs 3 und 4 ALV Nds) - Rechenzentrum Beanstandungen der Krankenkasse nach § 10 ALV Nds "mit der nächstmöglichen Abrechnung berichtigt". Dies ist aber nur die verfahrenstechnische Folge, wenn es zu einer Aufrechnung oder Verrechnung mit zu Unrecht gezahlten Beträgen kommt, schließt indes das Verfahren der klageweisen Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs nicht aus. Auch vom Sinn und Zweck her muss § 10 ALV Nds auf den Fall der separaten Zahlungsklage angewandt werden. Nur so kann verhindert werden, dass die Krankenkasse bei Überschreitung der ihr in § 10 Abs 1 und 3 ALV Nds gesetzten Fristen von einer Beanstandung im Abrechnungsverfahren auf die Anspruchsverfolgung im Klagewege übergehen kann. Außerdem scheidet im Falle der Schließung einer Apotheke eine spätere Aufrechnung oder Verrechnung vielfach aus, sodass der Klageweg als einzige Möglichkeit zur Durchsetzung eines Erstattungsanspruchs zur Verfügung steht. Auch in solchen Fällen ist grundsätzlich das Verfahren nach § 10 ALV Nds einzuhalten, um dessen Funktion als Regelung zur zeitnahen Herstellung von Interessenausgleich und Rechtsfrieden zu wahren.
c) Die Klägerin ist mit ihrem Rückzahlungsbegehren nach § 10 Abs 3 ALV Nds ausgeschlossen. Sie hat zunächst innerhalb der Frist des § 10 Abs 1 ALV Nds in wirksamer Weise eine Beanstandung ausgesprochen. Die Vorschrift räumt hierfür eine Frist von 18 Monaten nach Eingang der Verordnungsblätter ein, schreibt dabei aber keine besondere Form vor, so dass ein formloses Schreiben genügte. Die Beanstandung hat die Klägerin erstmals mit Schreiben vom 13.3.2001 erklärt, also 17 Monate nach Einlösung des ersten Rezeptes vom 14.10.1999 (Abrechnung noch im Oktober 1999). Mit dieser sachlichen Beanstandung hat sie unter Berufung auf die Verfälschung der Verordnungen von dem Beklagten insgesamt 349.337,61 DM (178.613,48 Euro) zurückgefordert. Der Beklagte kannte danach den Umfang und die Begründung des Rückzahlungsbegehrens. Er hat fristgerecht in der Zweimonatsfrist des § 10 Abs 2 Satz 1 ALV Nds Einspruch gegen die Beanstandung eingelegt; denn er hat mit Schreiben vom 21.3.2001 mitgeteilt, er werde der Forderung der Klägerin nicht nachkommen, und hat dies auch begründet. Sein zusätzlicher Hinweis auf die Meldung des Sachverhalts an seine Haftpflichtversicherung ist insoweit unerheblich, weil er eindeutig zum Ausdruck gebracht hat, er sehe sich nicht in der Verantwortung. Mit ihrer Reaktion auf den Einspruch durfte die Klägerin deshalb nicht bis zur Antwort des Versicherungsunternehmens warten. Der Einspruch des Beklagten gilt nach § 10 Abs 3 Satz 2 ALV Nds deshalb als anerkannt, weil die Klägerin nicht innerhalb der Frist von drei Monaten nach dem Eingang des Schreibens vom 21.3.2001 reagiert hat (§ 10 Abs 3 Satz 1 ALV Nds) . Sie hat erst am 12.7.2001 Klage erhoben und damit erst zu diesem Zeitpunkt eine Stellungnahme auf den Einspruch abgegeben. Die Klageerhebung liegt außerhalb der Äußerungsfrist des § 10 Abs 3 Satz 1 ALV Nds, die mit dem Eingang des Einspruchsschreibens bei der Klägerin am 29.3.2001 begann und deshalb am 29.6.2001 endete. Keine andere Beurteilung rechtfertigt die Tatsache, dass die Haftpflichtversicherung des Beklagten dem Bevollmächtigten der Klägerin am 11.6.2001 mitgeteilt hat, die Forderung nicht anzuerkennen, und die Klägerin darauf mit Schreiben vom 10.7.2001 geantwortet hat. Das Schreiben der Haftpflichtversicherung hat die Äußerungsfrist nach § 10 Abs 3 Satz 1 ALV Nds nicht erneut in Gang gesetzt. Da somit der Einspruch des Beklagten nach § 10 Abs 3 Satz 2 ALV Nds als anerkannt gilt, ist der Zahlungsanspruch der Klägerin ausgeschlossen.
5) Der Klägerin steht auch kein Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung vertraglicher Nebenpflichten zu. Dabei kann offen bleiben, ob als rechtlicher Anknüpfungspunkt die Verletzung von Nebenpflichten aus dem ALV Nds oder - gemäß der bisherigen Rechtsprechung - die Verletzung von Nebenpflichten aus den jeweils abzuschließenden Kaufverträgen gewählt wird, für die der ALV Nds ebenfalls maßgebend ist.
Das LSG sieht die vorwerfbare Verletzung vertraglicher Nebenpflichten darin, dass der Beklagte und seine Mitarbeiter, deren Verhalten er sich zurechnen lassen müsse (§ 278 BGB), erkennbar nicht abrechnungsfähige Kassenrezepte angenommen, die Medikamente ausgehändigt und dadurch fahrlässig einen Schaden in Höhe der gezahlten Vergütungen verursacht hätten. Bei der gebotenen sorgfältigen Vorgehensweise wäre schon beim ersten Rezept vom 14.10.1999 die nach § 4 Abs 1 Satz 3 ALV Nds erforderliche zusätzliche, die Änderung der Zahl der abzugebenden Packungen billigende Unterschrift des Arztes eingeholt worden. Diese wäre abgelehnt worden, und damit hätte sich das Rezept sogleich als verfälscht herausgestellt (§ 4 Abs 9 ALV Nds) . Dr. G. wäre gewarnt gewesen und hätte keine weiteren Rezepte für den Versicherten S. ausgestellt. Deshalb sei nicht nur die Einlösung der verfälschten Verordnungen, sondern auch die Einlösung des nicht verfälschten Rezepts vom 14.12.1999 auf die Fahrlässigkeit des Beklagten zurückzuführen.
Ob diesem rechtlichen Ansatz gefolgt werden könnte, braucht hier nicht entschieden zu werden. Es fehlt auf jeden Fall an einer Anspruchsgrundlage für den Schadensersatz. Besteht die vorgeworfene Pflichtverletzung allein in dem Verstoß gegen landesvertragliche Abgabebestimmungen, wie es hier der Fall ist (§ 4 Abs 1 Satz 3 und Abs 9 ALV Nds) , scheidet ein - neben dem Anspruch auf Erstattung der gezahlten Vergütung stehender - Schadensersatzanspruch wegen Verletzung vertraglicher Nebenpflichten aus. Die Rechtsfolgen der Verletzung von solchen Abgabebestimmungen sind im Landesvertrag abschließend geregelt. Der ALV Nds hält mit den Rechnungs- und Taxberichtigungen und dem Beanstandungsrecht nach § 10 ein ausgewogenes Instrumentarium zum Schutz der Vermögensinteressen der Krankenkassen bei Verstößen gegen die Abgabebestimmungen bereit, das mit seinen Fristen auch das Interesse des vorleistungspflichtigen Apothekers an Rechtsfrieden nach der Zahlung berücksichtigt. Dieses in den Landesverträgen niedergelegte Verfahren wird flankiert durch die Ermächtigung nach § 129 Abs 4 SGB V iVm § 7 Rahmenvertrag 1993, wonach die Landesverträge Maßnahmen bei Pflichtverletzungen der Apotheker vorsehen können. Davon haben die Vertragspartner des ALV Nds in § 11 Gebrauch gemacht und diverse Sanktionen, wie zB eine Vertragsstrafe, vorgesehen. Das landesvertraglich vereinbarte Instrumentarium ist für Fälle der vorliegenden Art als abschließend zu betrachten und lässt keinen Raum für daneben stehende Schadensersatzansprüche.
6) Durch die Regelungen des ALV Nds nicht ausgeschlossen sind Schadensersatzansprüche der Krankenkasse wegen Verhaltensweisen des Apothekers, die außerhalb des vorgenannten Rahmens stehen, also nicht zu den Verstößen gegen Abgabebestimmungen gehören. Diese Schadensersatzansprüche würden deshalb auch nicht durch den Ablauf der Ausschlussfrist des § 10 Abs 3 ALV Nds berührt. In Betracht kommen insoweit Schadenersatzansprüche wegen Verstoßes gegen vertragliche oder gesetzliche Informations- und Schutzpflichten (§ 69 Abs 1 Satz 3 SGB V und § 61 Satz 2 SGB X iVm § 241 Abs 2 und § 280 BGB; vgl Engelmann in: von Wulffen, SGB X, 6. Aufl 2008, § 61 RdNr 4c) und wegen unerlaubter Handlung (§ 823 BGB). Nach den Feststellungen des LSG beschränken sich die dem Beklagten vorzuwerfenden Verstöße jedoch auf die Verletzung von Abgabebestimmungen. Da somit nicht festgestellt ist, dass der Beklagte die nachträgliche Änderung der Kassenrezepte tatsächlich als "Verfälschung" erkannt hat, entfällt insbesondere ein Ansatzpunkt für die Haftung des Beklagten wegen Verletzung einer Warn- und Informationspflicht oder gar wegen Betrugs (§ 823 Abs 2 BGB iVm § 263 StGB) .
7) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der bis zum 1.1.2002 geltenden Fassung, die hier noch anzuwenden ist, weil die Klage im Jahre 2001 erhoben worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 2342457 |
BSGE 2010, 157 |