Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 11.05.1994) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Mai 1994 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die vom Beigeladenen zu 2 an die Beklagte im Wege der Nachversicherung für die Klägerin entrichteten Beiträge an die Beigeladene zu 1 zu übertragen sind.
Die Klägerin war ab 16. September 1983 als Rechtsreferendarin Beamtin auf Widerruf im Dienste des Beigeladenen zu 2. Im April 1986 legte sie die schriftliche Prüfung des zweiten juristischen Staatsexamens ab. An der mündlichen Prüfung im Herbst 1986 war sie wegen Schwangerschaft verhindert. Nach der Geburt ihres Kindes am 5. Mai 1987 befand sie sich zunächst im Mutterschutz und vom 1. Juli 1987 bis 4. März 1988 im Erziehungsurlaub. Mit Ablauf des 20. Oktober 1987 schied sie aus dem Staatsdienst aus. Auf die Möglichkeit und die Voraussetzungen einer Nachversicherung bei der Beigeladenen zu 1 wurde sie vom Präsidenten des OLG B. … mit Schreiben vom 5. November 1987 hingewiesen. Am 13. Mai 1988 legte sie die mündliche Prüfung zur zweiten juristischen Staatsprüfung ab und ist seit 21. März 1989 Pflichtmitglied der Beigeladenen zu 1. Der Präsident des OLG B. … beantragte am 24. April 1989 bei der Beklagten die Durchführung der Nachversicherung der Klägerin für die Zeit vom 16. September 1983 bis 30. Juni 1987 und informierte darüber die Klägerin. Die Beklagte führte die Nachversicherung antragsgemäß durch.
Mit Schreiben vom 23. April 1989 und 19. Mai 1989 sowie weiterem Antrag vom 19. Mai 1989 (alle Schreiben am 22. Mai 1989 beim OLG B. … eingegangen) beantragte die Klägerin die Durchführung der Nachversicherung bei der Beigeladenen zu 1 anstatt bei der Beklagten. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, die Klägerin habe den entsprechenden Antrag nicht innerhalb eines Jahres nach dem Ausscheiden aus der versicherungsfreien Tätigkeit gestellt und sei auch nicht innerhalb eines Jahres nach dem Ausscheiden aus der versicherungsfreien Tätigkeit Mitglied der berufsständischen Versorgung geworden, wie es § 124 Abs 6a und 6b AVG verlange (Bescheid vom 11. Juli 1989). Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, die Zeiten des Mutterschutzes und der Erziehung seien einer versicherungsfreien Beschäftigung gleichzustellen. Die Frist des § 124 Abs 6a und 6b AVG habe erst mit Ablegung der mündlichen Prüfung am 13. Mai 1988 zu laufen begonnen. Normalerweise scheide eine Rechtsreferendarin mit Ablegen der mündlichen Prüfung aus dem Staatsdienst aus. Daß sie nach gesetzlicher Regelung bereits mit dem nicht wahrgenommenen dritten Prüfungstermin ausgeschieden sei, liege an Schwangerschaft und anschließendem Erziehungsurlaub. § 124 Abs 6a und 6b AVG verstoße gegen Art 2, 3 und 6 Abs 4 GG. Diesen Widerspruch wies die Beklagte unter Hinweis auf die gesetzliche Regelung des § 124 Abs 6a und 6b AVG zurück (Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 1989).
Die hiergegen zum SG Würzburg erhobene Klage ist ohne Erfolg geblieben (Urteil vom 21. April 1993). Das LSG hat die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 11. Mai 1994 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, daß die in § 124 Abs 6a und 6b AVG genannten Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Ein Verfassungsverstoß sei nicht erkennbar.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 124 Abs 6a und 6b AVG) und des Verfassungsrechts (Art 2, 3, 6, 14 und 20 GG). Sie wiederholt im wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen und weist insbesondere darauf hin, daß sie aufgrund der Zeiten des Mutterschutzes, der Erziehungszeit und der darüber hinausgehenden Zeit der Betreuung eines Kleinstkindes nicht in der Lage gewesen sei, die Voraussetzungen des § 124 Abs 6a und 6b AVG zu erfüllen. Daher liege eine verfassungswidrige Regelungslücke vor. Hinsichtlich des früher geltend gemachten Herstellungsanspruchs bestreite sie nicht mehr, das Hinweisschreiben des Präsidenten des OLG B. … vom 5. November 1987 erhalten zu haben.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Mai 1994 und des Sozialgerichts Würzburg vom 21. April 1993 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Juli 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 1989 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die vom Beigeladenen zu 2 an die Beklagte im Wege der Nachversicherung für die Klägerin entrichteten Beiträge an die Beigeladene zu 1 zu übertragen,
hilfsweise,
gemäß Art 100 GG das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorzulegen, ob § 124 Abs 6a und 6b AVG mit Art 2, 3, 6, 14 und 20 GG vereinbar ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene zu 1 hat sich zur Sache nicht geäußert. Der Beigeladene zu 2 weist darauf hin, daß die Klägerin auf das Hinweisschreiben vom 5. November 1987 mit Schreiben vom 19. Dezember 1987 geantwortet habe.
Beide Beigeladene stellen keine Anträge.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch darauf hat, daß die von dem Beigeladenen zu 2 zur Nachversicherung der Klägerin entrichteten Beiträge an die Beigeladene zu 1 überwiesen werden.
Im geltenden deutschen Recht gibt es keine Vorschrift, die es zuläßt, daß die von dem Beigeladenen zu 2 an die Beklagte entrichteten Beiträge entweder unmittelbar an die Beigeladene zu 1 überwiesen oder an die Klägerin erstattet und dann von ihr an die Beklagte weitergeleitet werden. Da die Klägerin vor dem 1. Januar 1992 aus den Diensten des Beigeladenen zu 2 ausgeschieden ist, war die Nachversicherung nach den Vorschriften des AVG durchzuführen (§ 233 Abs 1 SGB VI). § 124 AVG, der iVm § 6 Abs 1 Nr 2 AVG und § 9 Abs 1 und 2 AVG die Nachversicherung von Referendaren regelt, enthielt keine Bestimmung, die die Übertragung von Beiträgen von der Beklagten auf die Beigeladene zu 1 zulassen würde. Vielmehr enthielt diese Vorschrift in § 124 Abs 6 AVG nur die Regelung, daß die Klägerin nach dem Ausscheiden aus dem Referendardienst grundsätzlich bei der Beklagten „nachzuversichern” war. Gemäß § 124 Abs 6a und 6b AVG hätte sie statt dessen die Nachversicherung bei der Beigeladenen zu 1 beantragen können. Einen solchen Antrag hat die Klägerin aber innerhalb der vorgeschriebenen Jahresfrist nicht gestellt und hätte es im übrigen innerhalb dieser Frist auch nicht mit Erfolg tun können, weil sie nicht innerhalb eines Jahres nach dem Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung geworden ist. Damit war das Wahlrecht zur Nachversicherung bei der Beigeladenen zu 1 erloschen. Zu dieser Rechtsfolge hat der 4. Senat des BSG in seinem Urteil vom 1. September 1988 (4 RA 18/88 – SozR 2400 § 124 Nr 6) Näheres ausgeführt. Dem schließt sich der erkennende Senat nach eigener Überprüfung wie bereits im Urteil vom 24. April 1996 (5/4 RA 36/93 – SozR 3-2940 § 124 Nr 1) an. Nachdem die Klägerin keinen wirksamen Antrag gestellt hatte, war der Beigeladene zu 2 verpflichtet, die Nachversicherung bei der Beklagten durchzuführen. Die demzufolge geleisteten Beiträge galten gemäß § 124 Abs 4 Satz 1, § 9 Abs 5a AVG als rechtzeitige Pflichtbeiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit.
Es lag auch nicht etwa eine Zahlung an einen unzuständigen Versicherungszweig vor mit der Folge, daß die Beiträge in Anwendung von § 143 Abs 1 AVG beanstandet und nach § 143 Abs 2 AVG an die Beigeladene zu 1 überwiesen werden könnten. Denn der Beigeladene zu 2 hat die Beiträge – mangels anderen Antrags der Klägerin, wie oben ausgeführt – zu Recht an die Beklagte als für die Rentenversicherung der Angestellten zuständigen Versicherungszweig abgeführt. Falls Beiträge aus anderen Gründen fehlerhaft entrichtet worden sind – etwa weil die Zahlung wie im vorliegenden Fall nicht nach § 124 Abs 6a Satz 1 AVG erfolgt ist –, so würde dies nach § 143 AVG nicht geheilt.
Die Klägerin kann das von ihr erstrebte Ziel auch nicht über § 26 SGB IV mit dem Begehren erreichen, daß die von dem Beigeladenen zu 2 an die Beklagte entrichteten Beiträge als „zu Unrecht entrichtete Beiträge” an den Beigeladenen zu 2 zurückerstattet und sodann an die Beigeladene zu 1 weitergeleitet werden. Ein solcher Anspruch scheitert schon daran, daß die Nachversicherungsbeiträge nach den vorherigen Ausführungen rechtmäßig entrichtet worden sind.
Ferner kann die Klägerin ihre Ansprüche nicht auf eine über den Wortlaut des § 124 AVG hinausgehende, eine Regelungslücke füllende Anwendung dieser Vorschrift stützen. Zwar hat der 11. Senat des BSG in seinem Urteil vom 19. November 1981 (11 RA 88/80 – SozR 1500 § 75 Nr 39) ausgeführt, er habe keine Bedenken, die in § 124 AVG nur unvollkommen geregelten Rechtsbeziehungen zwischen den vier Beteiligten (wie hier Klägerin, Beklagte sowie Beigeladene zu 1 und 2) dahin auszulegen, daß der Rentenversicherungsträger, soweit an ihn zu Unrecht gezahlt worden ist, verpflichtet sei, die Nachversicherungsbeiträge unmittelbar an das berufsständische Versorgungswerk auszukehren. Wenn auch die Beklagte in dieser Weise praktisch verfährt, so hält der erkennende Senat gleichwohl die Auslegung des 11. Senats für bedenklich. Ungeachtet dessen lassen sich aber die rechtlichen Überlegungen des 11. Senats nicht auf den vorliegenden Fall übertragen. Denn wie ausgeführt wurde, hat der Beigeladene zu 2 die Klägerin bei der Beklagten nach rentenrechtlichen Vorschriften rechtmäßig nachversichert, also keine Beiträge zu Unrecht gezahlt.
Im Ergebnis zutreffend hat das LSG auch entschieden, daß die Klägerin ihr Begehren nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen kann. Bei diesem Anspruch handelt es sich um ein von der Rechtsprechung im Wege der Fortbildung des geschriebenen Rechts entwickeltes Rechtsinstitut iS des öffentlich-rechtlichen Nachteilsausgleichs. Der Anspruch richtet sich allerdings nur auf die Herstellung eines rechtmäßigen Zustandes. Die von der Klägerin begehrte Übertragung bereits zu Recht gezahlter Nachversicherungsbeiträge gehört aber, da – wie oben bereits dargelegt – für sie keine Rechtsgrundlage besteht, nicht dazu.
Als mögliche Grundlage für den Anspruch der Klägerin, die Nachversicherungsbeiträge an die Beigeladene zu 1 zu überweisen, kommt schließlich nicht ein sog verfassungswidriges Unterlassen des Gesetzgebers in Betracht, soweit dieser es (angeblich) versäumt hat, für den klägerischen Anspruch eine Rechtsgrundlage zu schaffen, in der bestimmt wird, daß bei der Frist des § 124 Abs 6b Satz 1 AVG die Zeiten von Mutterschutz und Erziehungsurlaub nicht angerechnet werden. Denn selbst wenn dieses Unterlassen verfassungswidrig wäre, folgte daraus allein noch kein konkreter Leistungsanspruch der Klägerin iS von § 2 Abs 1 Satz 2 SGB I, § 30 Abs 1 SGB IV. Wenn das Verfahren gemäß Art 100 Abs 1 Satz 1 GG ausgesetzt und die Entscheidung des BVerfG eingeholt würde, könnte das BVerfG, sofern es die Verfassungswidrigkeit annähme, lediglich diesen Rechtszustand als solchen feststellen. Ein Anspruch auf eine Tätigkeit des Versicherungsträgers, wie sie die Klägerin begehrt – hier also auf Überweisung von Nachversicherungsbeiträgen – ergäbe sich nicht ohne weiteres, sondern allenfalls aus einer dann vom Gesetzgeber in seiner Zuständigkeit möglicherweise erlassenen Norm (BSG, Urteile vom 29. November 1990 – 5/4a RJ 53/87 – BSGE 68, 31 = SozR 3-2200 § 1251a Nr 12 und vom 15. März 1995 – 5 RJ 44/94 – SozR 3-8575 Art 2 § 4 Nr 1).
Der Senat kann den Rechtsstreit auch nicht aussetzen und dem BVerfG nach Art 100 GG die Frage vorlegen, ob es verfassungswidrig ist, daß der Gesetzgeber die Fristen für die Wahl des Versicherungsträgers gemäß § 124 Abs 6a Satz 1 AVG und § 124 Abs 6b Satz 1 AVG nicht um Zeiten von Mutterschutz und Erziehungsurlaub verlängert hat. Denn verfassungsmäßige Rechte der Klägerin werden durch die bestehende Gesetzeslage nach der Auffassung des Senats nicht berührt. Zur Vereinbarkeit der Fristenregelung mit Art 2, 3 und 14 GG schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung den Urteilen des BSG vom 11. Februar 1988 (4/11a RA 9/87 – SozR 2400 § 124 Nr 5) und 1. September 1988 (4 RA 18/88 – SozR 2400 § 124 Nr 6) an. Das gleiche gilt hinsichtlich der eingehenden Ausführungen zur Verfassungsmäßigkeit im angefochtenen Urteil. Dazu hat das LSG ua auch im Hinblick auf Art 6 GG zutreffend auf die Entscheidung des BVerfG vom 7. Juli 1992 (1 BvL 609/90 ua – BVerfGE 87, 1) hingewiesen, in der eingehend zu Art 6 Abs 1 und 4 GG, ferner auch zu Art 14 GG Stellung genommen worden ist. Die Klägerin muß sich hierbei auch nach der Auffassung des Senats entgegenhalten lassen, daß sich zwar eine Nachversicherung bei der Beigeladenen zu 1 im Leistungsfall möglicherweise als günstiger erweisen wird, die Nachversicherung bei der Beklagten aber – jedenfalls nach derzeitigem Recht – grundsätzlich einen eigenständigen Leistungsanspruch begründen kann und deshalb nicht „nutzlos” war. Inwiefern Art 20 GG verletzt sein soll, ist weder ersichtlich noch von der Klägerin dargetan worden. Schließlich vermag der Senat insbesondere aus der neuerlichen Entscheidung des BVerfG vom 12. März 1996 (1 BvR 609/90 ua – NJW 1996, 2293), betreffend Kindererziehungszeiten, nicht zu entnehmen, daß für die bei der Klägerin gegebene Fallgestaltung ein Verfassungsverstoß vorliegen könnte. Eine unterschiedliche Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten bei der Rentenberechnung kann nicht damit gleichgesetzt werden, daß einer Versicherten aus Gründen der Kindererziehung die Wahl eines vermeintlich günstigeren Versicherungsträgers mangels gesetzlicher Grundlage verwehrt ist. Ähnliche Zugangsbeschränkungen bestehen auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts auf verschiedenen Gebieten. So steht zB die knappschaftliche Rentenversicherung als leistungsgünstiger Rentenversicherungsträger nur einem speziellen Personenkreis offen (vgl §§ 137, 82 SGB VI im Gegensatz zu §§ 128, 133, 67 SGB VI). Derartige Beschränkungen müssen in der Regel hingenommen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen