Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Dezember 1996 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 9. November 1994 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisions- und Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Rechtsstreit betrifft einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) während des Bezuges von Bundeserziehungsgeld (BErzG).
Die beigeladene M. … D. … (M.D.) war zuletzt von August 1990 bis zum 31. Mai 1993 beitragspflichtig beschäftigt. Die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) bewilligte ihr mit Bescheid vom 16. Juni 1993 Arbeitslosengeld (Alg) ab 1. Juni 1993 für eine Anspruchsdauer von 312 Tagen. Diese Leistungsbewilligung hob die BA mit Wirkung ab 15. September 1993 auf. Von diesem Tage an bezog M.D. Mutterschaftsgeld bis zum 22. Dezember 1993 und im Anschluß daran bis zum 26. Oktober 1995 BErzG. Am 22. Juni 1994 meldete sich M.D. erneut arbeitslos und beantragte die Wiederbewilligung von Alg. Dabei gab sie an, wegen der Betreuung ihres am 27. Oktober 1993 geborenen Kindes nicht arbeiten zu können.
Seit November 1991 bezieht M.D. von der klagenden Stadt Karlsruhe laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Diese betrug – einschließlich pauschaliertem Wohngeld – ab 1. Juni 1994 967,00 DM, ab 1. September 1994 963,00 DM, ab 1. Juli 1995 975,00 DM und ab 1. Oktober 1995 985,00 DM monatlich. Außerdem erhielt M.D. Kindergeld und Kindergeldzuschlag sowie Unterhalt für das Kind nach dem Unterhaltsvorschußgesetz. Der Zahlbetrag des Alg hätte ab Juni 1994 rund 110,00 DM wöchentlich betragen. Abgesehen von den genannten Sozialleistungen verfügte M.D. nicht über Einkünfte. Auch verwertbares Vermögen besaß sie nicht.
Den Leistungsantrag der M.D. lehnte die BA mit Bescheid vom 29. Juni 1994 und Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 1994 sowie einen weiteren Antrag mit dem während des sozialgerichtlichen Verfahrens ergangenen Bescheid vom 26. Oktober 1994 ab. Einen Anspruch auf Alg habe M.D. nicht, weil sie der Arbeitsvermittlung wegen der Betreuung ihres Kindes nicht zur Verfügung stehe. Die Fiktion der Verfügbarkeit für einen Anspruch auf Alhi greife nicht durch, weil dieser nachrangigen Leistung der festgestellte Restanspruch auf Alg von 221 Tagen entgegenstehe.
Als Sozialhilfeträger hat die Stadt Karlsruhe Klage erhoben und geltend gemacht, nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. September 1992 – 11 RAr 11/91 – sei ein Anspruch auf Alhi während des Bezugs von BErzG nicht wegen der Erfüllung der Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Alg ausgeschlossen. Durch den Bezug von Mutterschaftsgeld und BErzG habe M.D. am 10. September 1994 eine neue Anwartschaftszeit erfüllt, die den Restanspruch auf Alg zum Erlöschen bringe.
Mit Urteil vom 9. November 1994 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen, weil das festgestellte Stammrecht auf Alg einen Anspruch auf Alhi ausschließe. Da dieses Stammrecht nicht untergegangen sei, sei die erwähnte Rechtsprechung des BSG nicht einschlägig. Durch den Bezug von Sozialleistungen sei eine neue Anwartschaftszeit nicht erfüllt.
Auf die Berufung der Stadt hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG und die Verwaltungsentscheidungen aufgehoben und die BA verurteilt der beigeladenen M.D. für die Zeit vom 22. Juni 1994 bis 26. Oktober 1995 Alhi zu gewähren. Die Stadt sei klagebefugt, obwohl ein Anspruch der M.D. auf Alhi wegen der Sozialhilfeleistungen der Stadt als erfüllt gelte. Ein Anspruch auf Alhi sei – bei Vorliegen der Voraussetzungen im übrigen – gegeben, weil die Fiktion der Verfügbarkeit nach § 2 Abs 4 Satz 1 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) als „konkludente Ausnahmeregelung” gegenüber der Nachrangsregelung des § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zu interpretieren sei. Andernfalls komme es zu einer unterschiedlichen Behandlung bedürftiger Arbeitsloser, die im Hinblick auf die Gleichheit vor dem Gesetz bedenklich sei. Der Gesetzgeber habe diese Problematik nicht erkannt.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die BA die Verletzung des § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG. Bei Vorliegen sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen erstarke die fließende Anwartschaft auf ein Stammrecht auf Alg, das den nachrangigen Anspruch auf Alhi ausschließe. Diese Wirkung sei hier am 1. Juni 1993 eingetreten, weil M.D. sämtliche Voraussetzungen des Anspruchs auf Alg erfüllt habe. Das damit entstandene Stammrecht könne nur durch Verbrauch des Alg oder Fristablauf untergehen. Beide Erlöschenstatbestände seien hier nicht gegeben. Aus der Entstehungsgeschichte des § 2 Abs 4 Satz 1 BErzGG ergebe sich, daß mit der Fiktion der Verfügbarkeit für Ansprüche auf Alhi eine Verteilung der Kostenlast zwischen der Alhi und der Sozialhilfe habe vorgenommen werden sollen. Die gegenständliche Beschränkung dieser Fiktion lasse keinen Raum für die Einbeziehung solcher Arbeitsloser, die ein Stammrecht auf Alg erworben hätten. Für diesen Personenkreis habe es im Falle der Bedürftigkeit bei der Zuständigkeit der Sozialhilfeträger bleiben sollen. Eine entsprechende Belastung des Bundeshaushalts entspreche nicht der Entscheidung des Gesetzgebers. Lediglich Bezieher von Alhi hätten bei Bezug von BErzG Sozialhilfeempfängern gleichgestellt werden sollen, ohne sie von vornherein auf den Weg zum Sozialamt zu drängen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Dezember 1996 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 9. November 1994 zurückzuweisen.
Die klagende Stadt beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Entstehungsgeschichte des § 2 Abs 4 BErzGG und vertritt die Ansicht, der Gesetzgeber habe mit der Einführung des Erziehungsgeldes ermöglichen wollen, daß sich ein Elternteil in der ersten Lebensphase eines Kindes dessen Betreuung und Erziehung widmen könne. Aus den Gesetzesmaterialien ergäbe sich kein Anhalt dafür, daß dieser Gesetzeszweck nur für Personen verfolgt worden sei, die ein Stammrecht auf Alg nicht erworben hätten. Der Gesetzgeber habe lediglich die Gewährung von Alg neben dem BErzG ausschließen wollen, nicht aber die finanzielle Mehrbelastung durch die Gewährung von Alhi für diejenigen, die ein Stammrecht auf Alg erworben hätten. Die Gegenansicht führe zu einer unterschiedlichen Behandlung unter sachfremden und systemwidrigen Gesichtspunkten. Die unterschiedliche Finanzierung von Alg und Alhi könne dies nicht rechtfertigen, weil auch die Alhi als Gegenleistung für erbrachte Beiträge anzusehen sei.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der BA hat Erfolg, denn die Entscheidung des LSG beruht auf einer Verletzung des § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG.
1. Die Stadt macht einen Anspruch der beigeladenen M.D. auf Alhi im Rahmen der Prozeßstandschaft geltend. Die gesetzliche Prozeßstandschaft des erstattungsberechtigten Trägers der Sozialhilfe nach § 91a Bundessozialhilfegesetz (BSHG) begründet aber eine Klagebefugnis nur, soweit der M.D. als Sozialleistungsberechtigte Ansprüche gegen die BA zustehen. Da die Stadt Sozialhilfeleistungen erbracht hat, die den geltend gemachten Anspruch der M.D. auf Alhi übersteigen, dürfte ein Erstattungsanspruch der Stadt als im Verhältnis zur BA nachrangig verpflichtetem Sozialleistungsträger entstanden sein, so daß der Anspruch der M.D. auf Alhi als erfüllt gilt (§ 107 Abs 1 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren ≪SGB X≫). Diese Erfüllungsfiktion soll – wie das LSG zutreffend erkannt hat – Doppelleistungen des vorrangig verpflichteten Sozialleistungsträgers ausschließen. Der Entscheidungssatz des LSG, der M.D. für die Zeit vom 22. Juni 1994 bis 26. Oktober 1995 Alhi zu gewähren, begründete allerdings die Gefahr von Doppelleistungen der BA, wenn sie sich einem Erstattungsanspruch der Stadt nach § 104 Abs 1 SGB X ausgesetzt sähe. Ob dieser Umstand der Zulässigkeit der Klage entgegensteht, kann für die Entscheidung des Rechtsstreits offenbleiben, denn das SG hat – wie sogleich auszuführen ist – zu Recht entschieden, daß der M.D. der geltend gemachte Anspruch auf Alhi ab 22. Juni 1994 nicht zusteht. Durch einen Ausspruch des Senats in der Sache werden die prozessualen Rechte der klagenden Stadt und der beigeladenen sozialleistungsberechtigten M.D. nicht beeinträchtigt. Für die Bindungswirkung der durch die Klagabweisung bestätigten Ablehnungsbescheide der BA ist es unerheblich, ob die Klage unzulässig oder unbegründet ist (in diesem Sinne bereits BSG SozR 4100 § 41 Nr 47 mwN; Urteil des Senats vom 31. Oktober 1996 – 11 RAr 27/96 –).
2. Unbegründet ist die Klage unabhängig von der fehlenden Verfügbarkeit der M.D. Anspruch auf Alhi hat nämlich nach § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG nur, wer keinen Anspruch auf Alg hat, weil er die Anwartschaftszeit (§ 104) nicht erfüllt. Diese negative Anspruchsvoraussetzung greift hier durch, weil die M.D. nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG ab 1. Juni 1993 einen Anspruch auf Alg für 312 Werktage erworben hat, von dem sie nur in der Zeit bis zum 14. September 1993 91 Tage verbraucht hat. Es besteht damit eine Anwartschaft auf Alg im Sinne eines Stammrechts für einen Restanspruch von 221 Tagen. Insofern unterscheidet sich der hier zu beurteilende Sachverhalt von demjenigen, über den der Senat in seinem Urteil vom 30. September 1992 – 11 RAr 11/91 – zu befinden hatte (BSG SozR 3-4100 § 134 Nr 8).
Dieses Stammrecht auf Alg ist auch nicht durch die Entstehung eines neuen Anspruchs durch Bezug von Sozialleistungen iS des § 107 Satz 1 AFG nach § 125 Abs 1 AFG erloschen. Die Entstehung eines neuen Anspruchs setzt den Lauf einer Rahmenfrist nach § 104 Abs 2 AFG voraus, der von der Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg abhängig ist. Der Bezug von Leistungen wegen Mutterschaft und Erziehungsgeld konnte eine Anwartschaft auf Alg nicht begründen, weil M.D. während der Arbeitslosigkeit der Arbeitsvermittlung wegen der Betreuung ihres Kindes nicht zur Verfügung stand. Die fließende Anwartschaft ist hier nicht durch Erfüllung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen zu einem Stammrecht auf Alg fixiert (vgl BSG SozR 3-4100 § 138 Nr 8). Auch durch Zeitablauf ist das am 1. Juni 1993 entstandene Stammrecht auf Alg für den geltend gemachten Leistungszeitraum vom 22. Juni 1994 bis 26. Oktober 1995 nicht erloschen (§ 125 Abs 2 AFG).
3. Schließt das Stammrecht auf Alg einen Anspruch auf Alhi aus, so läßt sich diese Rechtsfolge nicht durch eine „konkludente Ausnahme” von der negativen Anspruchsvoraussetzung des § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG mit Hilfe der allein für Ansprüche auf Alhi geltenden Vorschrift des § 2 Abs 4 BErzGG abwenden. Diese Vorschrift besagt nur, daß während des Bezuges von Erziehungsgeld ein Anspruch auf Alhi nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß der Arbeitslose wegen der Betreuung und Erziehung des Kindes der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung steht. Der Wortlaut des § 2 Abs 4 BErzGG bietet für die Ansicht des LSG keine Stütze. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift schließt die Annahme des LSG aus, der Gesetzgeber habe die Begünstigung von Alhi-Berechtigten im Vergleich zu Inhabern eines Stammrechts auf Alg nicht gesehen. Die Entwicklung der Gesetzesberatungen zeigt, daß der Bundestagsausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit sich über „rechtssystematische Erwägungen hinwegsetzte, um diesen Personenkreis (Alhi-Bezieher) nicht schlechter zu stellen als diejenigen, die Sozialhilfe und daneben Erziehungsgeld erhalten” (Ausschußbericht vom 12. November 1985, BT-Drucks 10/4212 S 3). Maßgebend dafür war – wie der Ausschußbericht weiter deutlich macht – die Verteilung der Kostenlast zwischen den Trägern der Alhi und der Sozialhilfe zu Lasten der Alhi. Dagegen sollten diejenigen, die ein Stammrecht auf Alg erworben haben, nicht gegenüber den Erwerbstätigen bevorzugt werden. Wegen der finanziellen Mehrbelastungen des Bundeshaushalts, die durch gleichzeitigen Bezug von Alhi und BErzG entstehen, hielt der Ausschuß „die Grenze des Vertretbaren” für erreicht (BT-Drucks 10/4212 S 3). Da der Gesetzgeber mit der Beschränkung der Vereinbarkeit von Erziehungsgeld und Leistungen bei Arbeitslosigkeit auf den Kreis der Alhi-Berechtigten eine Entscheidung über die Kostenlast von Sozialleistungen getroffen hat, ist diese Regelung nicht für die vom LSG angestrebte Rechtsfortbildung offen.
4. Diese gesetzliche Regelung unterliegt keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere ist der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 Grundgesetz nicht verletzt. Zwar ist dieser Verfassungsgrundsatz gerade im Hinblick auf die gebotene Rechtssetzungsgleichheit und damit als Grenze der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers in seiner Tragweite umstritten. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers besteht gerade darin „diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die er also im Rechtssinn als gleich ansehen will” (BVerfGE 90, 226, 239 mwN; BSGE 76, 224, 227 f = SozR 3-8120 Kap VIII E III Nr 5 Nr 4). Bei Bezug von BErzG hat der Gesetzgeber zur Verteilung der Kostenlast unterschieden zwischen den Gruppen der Erwerbstätigen und der Arbeitslosen, die ein Stammrecht auf Alg erworben haben, einerseits und den Beziehern wirtschaftliche Bedürftigkeit voraussetzender Leistungen. Diese Unterscheidung zeigt, daß der Gesetzgeber eine an Sachgesichtspunkten orientierte Entscheidung getroffen hat. Fragen der Finanzierung sind bei der differenzierenden Gestaltung von Sozialleistungen als sachgerechte und gewichtige Erwägungen zu berücksichtigen (BSGE 76, 224, 232 = SozR 3-8120 Kap VIII E III Nr 5 Nr 4; BSGE 56, 90 f = SozR 3800 § 10 Nr 1).
Da die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alhi nicht vorliegen, ist das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung gegen das klagabweisende Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen