Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 26. Juni 1990 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Revisionsverfahren.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob das Unterhaltsgeld (Uhg) auch dann nach dem Entgelt zu bemessen ist, nach dem das unmittelbar zuvor bezogene Arbeitslosengeld (Alg) bemessen worden war, wenn der Alg-Bescheid insoweit unrichtig war.
Dem Kläger, der vor seiner Arbeitslosigkeit bei seiner Mutter beschäftigt war, wurde ab 1. Juni 1988 für 312 Tage Alg unter Zugrundelegung des bei der Mutter erzielten Entgelts bewilligt (Bescheid vom 9. Juni 1988). Er begann am 1. August 1988 eine Umschulung. Die Beklagte berechnete das Uhg nach dem niedrigeren Arbeitsentgelt, das familienfremde Arbeitnehmer bei gleichartiger Beschäftigung gewöhnlich erhalten (§ 112 Abs 5 Nr 3 Arbeitsförderungsgesetz ≪AFG≫); sie setzte das Bemessungsentgelt von 1.040,– DM auf 690,– DM herab (Bescheide vom 25. August 1988, 17. Februar und 2. März 1989). Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des Sozialgerichts (SG) geändert und der Klage stattgegeben. In der Begründung wird ausgeführt, daß § 44 Abs 3 Nr 1 AFG idF des 7. Gesetzes zur Änderung des AFG vom 20. Dezember 1985 (7. AFG-ÄndG, BGBl I S 2484) bei einem nahtlosen Übergang von Alg auf Uhg an einen Faktor der vorangegangenen Alg-Berechnung anknüpfe, nämlich an das Bemessungsentgelt im Bewilligungsbescheid. Das Gesetz ordne eine Tatbestandswirkung an, die nur mit einer Rücknahme des Bescheids entfallen könne. Die Beklagte habe Rücknahmemöglichkeiten geprüft, jedoch von der Rücknahme abgesehen (Urteil des LSG für das Saarland vom 26. Juni 1990).
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie vertritt die Auffassung, die Ausnahmeregelung des § 44 Abs 3 Nr 1 AFG könne zwar nach ihrem Wortlaut, nicht aber nach ihrem Sinn Anwendung finden. Der Gesetzgeber habe die Demotivation von Arbeitslosen in bezug auf ihre Teilnahme an notwendigen Bildungsmaßnahmen verhindern wollen, die früher dadurch entstanden sei, daß das Bemessungsentgelt nach § 112 Abs 7 AFG idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 (HBegleitG vom 22. Dezember 1983 – BGBl I 1532, 1556) erheblich absinken konnte. Diese im Gesetzgebungsverfahren geäußerte Absicht müsse bei der Auslegung berücksichtigt werden. Nur das rechtmäßige Bemessungsentgelt dürfe den Besitzstand wahren, weil sonst ein rechtswidriger Zustand fortgesetzt werde. Der Altbescheid entfalte für die nachfolgende Uhg-Bewilligung keine Tatbestandswirkung, weil das Bemessungsentgelt als Element des Bescheides der Bindung nicht fähig sei. Eine solche Bindung gebe es allenfalls beim Übergang von Alg zur Arbeitslosenhilfe (Alhi), weil § 134 Abs 4 Satz 1 AFG die Anspruchseinheit festschreibe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 26. Juni 1990 zu ändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 16. September 1989 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis schon deshalb für zutreffend, weil das Bemessungsentgelt für das Alg nicht überhöht gewesen sei.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Nach § 44 Abs 3 Nr 1 AFG idF des 7. AFG-ÄndG bemißt sich das Uhg bei Teilnehmern, die unmittelbar vor Eintritt in die Bildungsmaßnahme Alg oder Alhi bezogen haben, mindestens nach dem Arbeitsentgelt, nach dem das Alg oder die Alhi zuletzt bemessen worden ist. Die Vorschrift garantiert eine Mindesthöhe des Uhg im Verhältnis zur vorbezogenen Leistung und ist nur anzuwenden,
wenn die Berechnung nach § 44 Abs 2 AFG ungünstiger ist. Letzteres ist nach der hier nicht zu erörternden Auffassung der Beklagten deshalb der Fall, weil für die Zeit der Beschäftigung bei der Mutter für den Kläger das Entgelt eines familienfremden Beschäftigten zugrunde zu legen wäre (§ 112 Abs 4 Nr 3 AFG idF durch das 8. AFG-ÄndG vom 14. Dezember 1987 – BGBl I S 2602). Da das Alg nach dem höheren tatsächlichen Entgelt berechnet worden ist, wäre die Berechnung des Uhg nach § 44 Abs 2 AFG ungünstiger, so daß dem Kläger der geltend gemachte Anspruch nach dem Wortlaut des § 44 Abs 3 Nr 1 AFG zusteht, was auch die Beklagte nicht verkennt.
Eine den Wortlaut einschränkende Auslegung ist weder nach der Entstehungsgeschichte noch nach dem erkennbaren Zweck der Norm geboten.
Die Beklagte kann sich für ihre entgegenstehende Rechtsansicht nicht auf die von ihr zutreffend wiedergegebene Begründung des Gesetzentwurfs zum 7. AFG-ÄndG berufen. Diese Novelle sollte insgesamt den Anreiz zur Teilnahme an den notwendigen Maßnahmen beruflicher Bildung verstärken. Aus diesem Grund wurde § 44 AFG geändert: In Abs 2 wurden die Vomhundertsätze für die Leistungsbemessung angehoben, in Abs 3 einige Härtefälle geregelt und in Abs 4 die Freibeträge für den Hinzuverdienst heraufgesetzt. Zugleich wurde in § 46 Abs 2 AFG ein eigenständiger Tatbestand nach Grund und Höhe für solche Personen geschaffen, die die Anwartschaftsvoraussetzungen für das Uhg nicht erfüllten, wohl aber Alg- oder Alhi-Bezieher waren. Dieses Maßnahmebündel zur Leistungsverbesserung ist im Gesetzgebungsverfahren nicht im einzelnen diskutiert worden (vgl BT-Drucks 10/3923 S 18 = 10/4211 S 19; 10/4451 S 12 und 10/4484). Den Materialien ist lediglich zu entnehmen, daß die Bereitschaft zur beruflichen Fortbildung gestärkt werden sollte, weshalb ein Absinken des Bemessungsentgelts zu Beginn einer Bildungsmaßnahme unerwünscht war. Die Auffassung der Beklagten mag zutreffen, daß nach der damaligen Gesetzeslage eine Herabbemessung nur nach § 112 Abs 7 AFG idF des HBegleitG 1984 in Frage kommen konnte (so die Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und FDP ≪BT-Drucks 10/3923 zu Nr 6 Buchst e≫). Das schließt in Übereinstimmung mit dem Willen des Gesetzgebers jedoch nicht aus, das Absinken des Bemessungsentgelts beim Wechsel aus der Arbeitslosigkeit in eine Bildungsmaßnahme möglichst immer zu verhindern, weil andernfalls die in den Materialien genannte „Demotivation” zu befürchten ist. Die Vorschrift greift beispielsweise auch dann, wenn das Bemessungsentgelt für das Uhg infolge einer gering bezahlten sog Zwischenbeschäftigung niedriger als für das zuvor gezahlte Alg wäre (vgl zu dieser Fallgestaltung BSG SozR 3 – 4100 § 44 Nr 2).
Ein anderes Normverständnis ist auch nicht dann geboten, wenn die Differenz zwischen den Bemessungsentgelten nicht Folge einer rechtmäßigen Anwendung des Gesetzes, sondern einer unrichtigen Alg-Bewilligung ist. Es bedarf daher in Übereinstimmung mit dem LSG keiner Klärung, ob der Kläger möglicherweise über § 44 Abs 3 AFG die Fortsetzung eines rechtswidrigen Zustandes begehrt; selbst wenn dies der Fall sein sollte, hätte er Anspruch auf die begehrte Leistung. Das ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut der Norm, mit dem der Gesetzgeber an eine Tatsache und nicht an einen rechtmäßigen Zustand anknüpft; zum anderen folgt es daraus, daß die Beklagte ihren das Alg bewilligenden Bescheid nicht aufgehoben hat.
Das Uhg ist nach dem Arbeitsentgelt zu bemessen, nach dem das Alg zuletzt bemessen worden ist. Das Gesetz stellt nicht auf die Rechtmäßigkeit der Bewilligung, sondern auf die Tatsache der Bewilligung ab. Die Beklagte stellt hingegen auf das Arbeitsentgelt ab, nach dem das Alg zu bemessen war. Eine solche, die Rechtmäßigkeit einbeziehende Gesetzesfassung ist aber weder in § 44 Abs 3 Nr 1 AFG noch in § 46 Abs 2 AFG gewählt worden. Beide gleichzeitig geschaffenen Vorschriften sind am Tatsächlichen ausgerichtet: Nach § 44 Abs 3 Nr 1 AFG bleibt die bisherige Bemessungsgrundlage maßgebend, und nach § 46 Abs 2 AFG ist Uhg in Höhe des Betrages zu gewähren, der als Alg zuletzt bezogen worden ist, nicht in der Höhe des Betrages, der als Alg zu bewilligen gewesen war (so schon zum Reha-Recht: BSG SozR 3 – 4100 § 59c Nr 1; so wohl auch BSG SozR 4100 § 59 Nr 8, solange der Alg-Bescheid nicht geändert worden ist). In beiden Fällen hat der Gesetzgeber an den tatsächlichen Bezug von Alg, also an den letzten Bewilligungsbescheid angeknüpft. Mit einer solchen Gesetzesfassung, die der Gesetzgeber zB bei der Schaffung des vergleichbaren § 16 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 (BGBl I 1881) noch ausdrücklich dahin erläutert hat, daß zur Vereinfachung und Beschleunigung eine Behörde an die Feststellungen – nicht den Verfügungssatz – einer anderen Behörde gebunden sein soll (vgl BT-Drucks 7/1237 S 60 zu § 16), wird einerseits eine erhebliche Verwaltungsvereinfachung erreicht, andererseits aber in Kauf genommen, daß auch im Bereich des AFG unrichtige Leistungen für die Zukunft weiterzugewähren sind. Denn die Aufhebungsmöglichkeiten sowohl nach § 151 AFG wie auch nach § 45 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) sind erheblich eingeschränkt, so daß insbesondere einer rückwirkenden Aufhebung, die zur Beseitigung des Anknüpfungstatbestandes erforderlich wäre, enge Grenzen gesetzt sind. Ein auf einer bindenden Bewilligung beruhender Leistungsbezug ist rechtmäßig, solange der Bewilligungsbescheid besteht (vgl hierzu BSGE 61, 286 = SozR 4100 § 134 Nr 31), so daß sich selbst bei einer die Rechtmäßigkeitskontrolle einbeziehenden Gesetzesauslegung das Ergebnis nicht ändert. Solange der frühere Bescheid, an dessen Zahlbetrag oder an dessen Berechnungsfaktoren angeknüpft wird, nicht aufgehoben ist, sind diese Merkmale als rechtmäßig zu behandeln. Das gilt nicht nur für Merkmale, die in Bindung erwachsen, oder insoweit, als das Gesetz eine Anspruchseinheit anderweit festschreibt (zB § 134 Abs 4 Satz 1 AFG), sondern auch für solche Entscheidungsgrundlagen und Berechnungsfaktoren, die der Gesetzgeber nach seinem Ermessen heranzieht.
Dem stehen frühere Entscheidungen des BSG nicht entgegen (vgl SozR 4100 § 112 Nr 23 und Urteil vom 12. Dezember 1985 – 7 RAr 23/84 –). Sie beruhen darauf, daß es vor dem 7. AFG-ÄndG den an Entscheidungsgrundlagen eines früheren Bescheides anknüpfenden Tatbestand noch nicht gab, so daß die Fortgeltung des Bemessungsentgelts allenfalls durch den bindenden Verfügungssatz eines früheren Bescheides hätte erreicht werden können. Die Betroffenen haben damals – erfolglos – um die Beibehaltung der Bemessungsgrundlage gestritten, weil sie das Absinken des Bemessungsentgelts beim Übertritt in die Maßnahme nicht akzeptierten.
Auch bei diesem Personenkreis hat der Gesetzgeber in Zukunft die Bereitschaft zur Teilnahme an beruflichen Bildungsmaßnahmen durch Beibehaltung des Bemessungsentgelts stärken wollen, wenngleich in den Materialien diese Fälle nicht ausdrücklich erwähnt sind. Soweit in der Literatur (vgl Hennig/Kühl/Heuer, Arbeitsförderungsgesetz, 67. ErgLfg, 1991, § 44 RdNr 83) ausgeführt wird, daß nur der bindungsfähige Teil eines Bescheides Anknüpfungsmerkmal sein könnte, kann das nur für den Rechtszustand vor dem 7. AFG-ÄndG gelten.
Der Gesetzgeber darf an völlig beliebige Merkmale, die ihrerseits keine der Bindung fähigen Bescheidteile sein müssen, Rechtsfolgen anschließen. So hat beispielsweise die Feststellung einer Sperrzeit in aller Regel nur begründenden Charakter und nimmt nicht teil am Verfügungssatz (vgl Urteil vom 4. Juli 1991 – 7 RAr 124/90 –); dennoch ist sie – nach bindendem ersten Bescheid – nicht mehr überprüfbare Voraussetzung für die zweite Sperrzeit nach § 119 Abs 3 AFG (BSG SGb 1979, 281). Noch häufiger knüpft der Gesetzgeber an das Entgelt in einem vorangehenden Bescheid an, obwohl dieses Element weder im Beitragsbescheid (vgl insoweit § 112 Abs 5 Nr 1 und Abs 6 AFG) noch im Leistungsbescheid (vgl insoweit § 112 Abs 5 Nrn 4 und 8 AFG) am Verfügungssatz teilnimmt. Seit dem RehaAnglG (§ 16 RehaAnglG; § 59c AFG) handelt es sich um eine verbreitete Gesetzestechnik. Sofern der Gesetzgeber auf frühere Bescheide – auch auf solche anderer Behörden – und auf die in ihnen enthaltenen Sachverhaltsfeststellungen zurückgreift, kann dies zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung und mit dem Ziel erhöhter Rechtssicherheit angemessen sein. Dem betroffenen Bürger ist die rechtliche Unterscheidung zwischen bindendem Verfügungssatz und nicht bindendem Begründungselement, das bei späteren Leistungen noch zu seinen Lasten verändert werden kann, ohnedies nicht einsichtig.
Diese Auslegung begünstigt auch nicht in bedenklicher Weise diejenigen Personen, die aus der Arbeitslosigkeit in eine Maßnahme der beruflichen Bildung wechseln. Ohne einen solchen Wechsel würde das nach Auffassung der Beklagten falsch berechnete Alg unbeanstandet weitergezahlt worden sein. Die Überprüfung und die Anwendung von § 112 Abs 5 Nr 3 AFG erfolgte nur, weil beim Leistungswechsel eine andere Leistungsabteilung die Berechnung erneut geprüft hat. Im übrigen kann sich ein solcher Anspruchsverbund auch nachteilig für die Betroffenen auswirken (vgl zu der entsprechenden Lage im Rehabilitationsrecht BSG SozR 3 – 4100 § 59c Nr 1), zumal die Beklagte nicht zu einer rückwirkenden Zugunstenentscheidung verpflichtet ist (§ 152 Abs 1 AFG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen