Leitsatz (amtlich)

Die Bezugsdauer von Hauspflege entspricht derjenigen von Krankenhauspflege.

Bei ununterbrochener Fortdauer der Krankenhauspflegebedürftigkeit schließt sich die weitere Rahmenfrist des RVO § 183 Abs 2 S 1 an die jeweils vorhergehende auch dann lückenlos an, wenn Krankenhauspflege (Hauspflege) nicht durchgehend gewährt worden ist (Ergänzung zu BSG 1967-04-28 3 RK 12/66 = BSGE 26, 243).

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei Ermessensleistungen (zB Krankenhauspflege, Hauspflege) ist es ausnahmsweise zulässig, zu einer Leistung zu verurteilen, anstatt lediglich die Verpflichtung zum Erlaß eines Verwaltungsaktes auszusprechen, wenn die Ablehnung der Leistung unter jedem denkbaren Gesichtspunkt rechtswidrig ist.

2. Die Hauspflege ist ebenso wie die Krankenhauspflege eine wiederkehrende Leistung iS des SGG § 144 Abs 1 Nr 2; somit kann gegen ein Sozialgerichtsurteil, in dem über diese Leistungen entschieden ist, unter der Voraussetzung Berufung eingelegt werden, daß der umstrittene Anspruch einen Zeitraum von mehr als 13 Wochen umfaßt.

3. Auch wenn eine Mitgliedschaft die Krankengeldberechtigung nicht einschließt, kann Krankenhauspflege oder Hauspflege wegen derselben Krankheit nicht zeitlich unbegrenzt, sondern nur für 78 Wochen innerhalb von je 3 Jahren gewährt werden (RVO § 183 Abs 2).

4. Ist innerhalb von 3 Jahren wegen derselben Krankheit für 78 Wochen Krankenhauspflege gewährt worden, so kann die KK nach Ablauf der ersten 3 jährigen Rahmenfrist die erneute Übernahme dieser Leistung nicht mit der Begründung ablehnen, die Krankenhauspflegebedürftigkeit habe ununterbrochen weiterbestanden; entsprechendes gilt für die Hauspflege.

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1961-07-12, § 184 Fassung: 1911-07-19, § 185 Abs. 1 Fassung: 1911-07-19; SGG § 144 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. September 1966 und des Sozialgerichts Aachen vom 3. Juni 1965 sowie die Bescheide der Beklagten vom 4. Oktober 1963 und vom 25. Mai 1964 sowie der Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 1964 aufgehoben.

Die Beklagte wird dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin die Kosten der über den 27. Mai 1964 hinaus in Anspruch genommenen Hauspflege im Rahmen der gesetzlichen Höchstdauer von 78 Wochen, gerechnet vom 3. Dezember 1962 an, zu ersetzen.

Im übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über die Bezugsdauer von Hauspflege (§ 185 der Reichsversicherungsordnung - RVO -).

Die Klägerin, die seit 1959 an einer Polyneuritis leidet und seit dem 1. November 1959 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezieht, ist als Rentnerin bei der beklagten Ersatzkasse pflichtversichert. Wegen jenes Leidens besteht seit dem 3. Dezember 1959 ununterbrochen die Notwendigkeit der Krankenhauspflege.

Vom 3. Dezember 1959 bis 3. Juni 1961 und vom 26. Juni bis 15. September 1961 wurde die Klägerin stationär behandelt. Zwischen diesen beiden stationären Behandlungen wurde sie - und seit Entlassung aus der letzten wird sie erneut - häuslich gepflegt.

Die Beklagte trug die Kosten der ersten stationären Behandlung bis zum 4. Dezember 1960 und steuerte die Klägerin mit diesem Tage wegen Erschöpfung der Bezugsdauer von 52 Wochen aus. Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 12. Juli 1961 (BGBl I S. 913) übernahm die Beklagte ab 1. August 1961 auch die Kosten der zweiten stationären Behandlung und gewährte der Klägerin ab 1. August 1962 Hauspflege, indem sie ihr gemäß Abschnitt F - Krankenhausaufenthalt - Nr. 4 ihrer Versicherungsbedingungen die Kosten der häuslichen Pflege im Höchstbetrage von 8 DM täglich erstattete.

Die Beklagte beschied die Klägerin dahin, daß vom 1. August 1962 an eine neue Rahmenfrist von drei Jahren begonnen habe, innerhalb welcher Krankenhaus- oder Hauspflege für höchstens 78 Wochen gewährt werden könne: Jede neue Inanspruchnahme dieser Leistungen löse eine neue, von früheren unabhängige - gleitende - Rahmenfrist aus. In keiner dieser Rahmenfristen dürfe die Klägerin wegen derselben Krankheit für mehr als 78 Wochen = 546 Tage Leistungen beziehen. Die Klägerin habe in der ersten Rahmenfrist - vom 3. Dezember 1959 bis 2. Dezember 1962 - für 411 Tage Krankenhauspflege erhalten. Der Restanspruch von 135 Tagen habe in der Zeit vom 1. August bis 2. Dezember 1962 nicht mehr erschöpft werden können. Die frühere Inanspruchnahme von Krankenhauspflege müsse daher unberücksichtigt bleiben, so daß ab 1. August 1962 ein neuer Anspruch für 78 Wochen gegeben sei.

Nach Ablauf der so berechneten Bezugsdauer stellte die Beklagte die Gewährung der Hauspflege zum 27. Mai 1964 ein (Bescheid vom 25. Mai 1964).

Der Widerspruch blieb erfolglos.

Die Klage hat das Sozialgericht abgewiesen.

Mit der Berufung hat die Klägerin begehrt festzustellen, daß für die Bezugsdauer der Hauspflege § 183 Abs. 1 RVO maßgebend sei. Sie ist der Ansicht, Hauspflege sei eine besondere Art der Krankenpflege und wie diese zeitlich unbegrenzt zu gewähren.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen: Die Bezugsdauer der Hauspflege unterliege denselben Begrenzungen wie die des Krankengeldes und der Krankenhauspflege. Die Hauspflege sei zwar - im Gegensatz zur Krankenhauspflege keine Ersatzleistung für Krankenpflege und Krankengeld, wohl aber - was in §§ 184, 185 und 215 Abs. 1 RVO zum Ausdruck komme - eine Ersatzleistung für die Krankenhauspflege. Eine unmittelbare Verzahnung mit dem Krankengeld und den zeitlichen Grenzen seiner Gewährung bestehe insofern, als es nach § 185 Abs. 2 RVO zulässig sei, für die Hauspflege bis zu einem Viertel des Krankengeldes abzuziehen. Die hiernach auch für die Hauspflege begrenzte Bezugsdauer sei in den angefochtenen Bescheiden zutreffend ermittelt worden. Die von der Beklagten angewendete Berechnungsmethode der gleitenden Rahmenfrist entspreche dem Willen des Gesetzgebers besser als diejenige, welche auf die erste Rahmenfrist die weiteren in fortlaufender Kette folgen lasse. Die letztere Methode sei im vorliegenden Falle auch nicht deshalb anwendbar, weil die Klägerin seit dem 3. Dezember 1959 ununterbrochen der Krankenhauspflege bedürfe. Nicht die Notwendigkeit der Krankenhauspflege allein, sondern erst die - mit Zustimmung des Versicherten und unter den weiteren Voraussetzungen des § 185 Abs. 1 RVO - tatsächlich gewährte Hauspflege könne eine Rahmenfrist für diese Leistung in Gang setzen.

Die Klägerin hat die zugelassene Revision eingelegt. Sie meint, Hauspflege müsse wie Krankenpflege zeitlich unbegrenzt gewährt werden, da sie weder die Krankenhauspflege noch das Krankengeld ersetze, sondern eine zusätzliche Leistung sei, welche die Krankenpflege in bestimmter Richtung ausgestalte. Zumindest aber sei die gleitende Fristberechnung fehl am Platze, wenn - wie hier - ein Fall ununterbrochener Krankenhauspflegebedürftigkeit vorliege.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 8. September 1966 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Hauspflege auch über den 27. Mai 1964 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden.

II

Die Revision ist teilweise begründet.

Mit Recht ist das LSG von der Zulässigkeit der Berufung ausgegangen. Insbesondere hat es zutreffend die Frage verneint, ob die Berufung nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG ausgeschlossen sei. Die Hauspflege ist - nicht anders als die Krankenhauspflege - eine wiederkehrende Leistung i. S. dieser Vorschrift (BSG 2, 135, 136 ff). Danach wäre die Berufung nur ausgeschlossen gewesen, wenn der Streit in dem Umfang, in welchem er dem LSG angefallen ist, die Bewilligung von Hauspflege für einen Zeitraum von nicht mehr als 13 Wochen betroffen hätte (vgl. BSG aaO sowie in SozR Nr. 10 und 20 zu § 144 SGG). Dem LSG ist aber der gesamte Streitstoff der ersten Instanz angefallen, und in dieser war um Hauspflege für mehr als 13 Wochen gestritten worden, nämlich für eine der Zeitspanne vom 1. August bis 3. Dezember 1962 entsprechende Zeit, das sind 124 Tage.

Dem LSG ist weiterhin darin zu folgen, daß die Bezugsdauer von Hauspflege derjenigen von Krankengeld und Krankenhauspflege entspricht. Die Ansicht der Klägerin, Hauspflege sei wie Krankenpflege nach § 183 Abs. 1 RVO zeitlich unbegrenzt zu gewähren, findet im Gesetz keine Stütze. Insbesondere kann es die Anwendbarkeit des § 183 Abs. 1 RVO auf die Hauspflege nicht begründen, daß diese - anders als die Krankenhauspflege (§ 184 RVO) - nicht an die Stelle der in § 182 RVO genannten Leistungen tritt, sondern eine Leistung ist, welche die Krankenpflege in bestimmter Richtung ausgestaltet (vgl. den Bescheid des RVA vom 10. Mai 1941, AN 1941, 214; Kreil, Die Leistungen der Krankenversicherung, S. 274; Hahn/Kühne, Handbuch der Krankenversicherung, 10. und 11. Aufl. 1929, Anm. 2; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand Mai 1969, Anm. 2 zu § 185 RVO; Kossow, SozVers. 1955, 84, 85; Heinlein, Die Leistungen der Krankenversicherung, 1969, 65, 68). Wie vom Senat bereits in anderem Zusammenhang ausgesprochen, regelt § 183 Abs. 1 nur die Dauer der Krankenpflege im engeren Sinne, die nach § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arznei sowie Brillen, Bruchbändern und anderen kleineren Heilmitteln umfaßt (Urteil vom 20. Dezember 1966, BSG 26, 57, 58). Er gilt nicht für die Krankenpflege im weiteren Sinne, die auch Wartung, Ernährung, Reinigung usw. einschließt, wie sie bei der Krankenhaus- und bei der Hauspflege mit zum Inhalt der Leistung gehören (vgl. BSG 13, 134, 138; 18, 257, 259; Peters aaO Anm. 3 a zu § 182 RVO; Töns, DOK 1968, 169). So kann Krankenhauspflege - obwohl eine "besondere Form der Krankenpflege" (BSG aaO) - nach Abschnitt I Nr. 2 Buchst. b des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 2. November 1943, betr. Verbesserungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (AN 1943, 485), nur "unter den gleichen Voraussetzungen und im gleichen Umfange wie Krankengeld", also für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit für höchstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren gewährt werden (vgl. § 183 Abs. 2 RVO).

Für die Hauspflege ist zwar eine entsprechende ausdrückliche Regelung nicht getroffen. Das Gesetz läßt es jedoch nicht an mittelbaren Hinweisen darauf fehlen, daß diese Leistung der gleichen zeitlichen Begrenzung unterliegt. Wie sich aus § 185 Abs. 1 RVO ergibt, steht die Hauspflege in innerem Zusammenhang mit § 184 RVO und ergänzt ihn in gewissem Sinne (GE Nr. 5156 des RVA vom 24. November 1937, AN 1938, 8, 9; Hahn/Kühne, aaO Anm. 2 zu § 185 RVO; Begründung zu § 200 des Entwurfs einer Reichsversicherungsordnung, Anlagen zur Reichstagsdrucksache Nr. 340, 12. Legislatur-Periode, II. Session 1909/1910, S. 156; Bericht der 16. Kommission, Reichstagsdrucksache Nr. 946 - 2. Teil -, 12. Legislatur-Periode, II. Session 1909/1911, S. 66, ff). Sie stellt im wesentlichen einen Ersatz für die Krankenhauspflege dar, wenn diese nicht ausführbar ist oder ein wichtiger Grund vorliegt, den Kranken in seinem Haushalt oder in seiner Familie zu belassen (RVA aaO; vgl. auch § 215 Abs. 1 RVO: "Krankenhauspflege ... oder deren Ersatz (§ 185)"). Die Zubilligung von Hauspflege setzt demnach voraus, daß die Kasse im Einzelfalle an sich berechtigt und verpflichtet ist, dem Versicherten - soweit erforderlich, mit dessen Zustimmung - Krankenhauspflege zu gewähren. Das ist sie aber nach Abschn. I Nr. 2 Buchst. b des Verbesserungserlasses vom 2. November 1943 i. V. m. § 183 Abs. 2 RVO für höchstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren. Nach Erschöpfung dieser Bezugsdauer kann sie den Versicherten nicht mehr in seiner Häuslichkeit "belassen", da alsdann die - vom Sinn dieses Wortes geforderte - alternative Möglichkeit entfällt, ihm Krankenhauspflege zu gewähren. In die gleiche Richtung deutet § 185 Abs. 2 RVO, wonach die Satzung gestatten kann, für die Gewährung von Hauspflege bis zu einem Viertel des Krankengeldes abzuziehen. Dies läßt auf den Willen des Gesetzgebers schließen, daß die Krankenkassen Hauspflege nur so lange sollen gewähren dürfen, wie sie in der Lage sind, sich für den damit verbundenen Mehraufwand durch eine angemessene Kürzung des Krankengeldes schadlos zu halten (vgl. die o. a. Gesetzesmaterialien; im Ergebnis ebenso Otto, Das Leistungsrecht in der gesetzlichen Krankenversicherung, 7. Aufl., Stand 1. Februar 1969, S. 3 - Ordnungswort "Dauer der Hauspflege" - zu § 185 RVO; Heinlein, KrV-LeistungsR 1969, 65, 69).

Daß die Klägerin als Rentnerin keinen Anspruch auf Krankengeld hat, rechtfertigt es nicht, zu ihren Gunsten von dieser zeitlichen Grenze abzusehen. Sinn und Zweck der Verordnung über die Krankenversicherung der Rentner vom 4. November 1941 (RGBl I S. 689), die den Schutz der allgemeinen Krankenversicherung auf diesen Personenkreis erstreckt hat (vgl. § 9 der VO), sind darauf gerichtet gewesen, daß die Rentner - wegen Fortbezugs der Rente während der Krankheit zwar kein Krankengeld erhalten, im übrigen jedoch weder besser noch schlechter gestellt werden als andere Pflichtversicherte (Urteil des Senats vom 21. Dezember 1955, BSG 2, 142, 146). Das Dritte Gesetz über Änderungen und Ergänzungen von Vorschriften des Zweiten Buches der Reichsversicherungsordnung (Gesetz über Krankenversicherung der Rentner) vom 12. Juni 1956 (BGBl I S. 500), das die Krankenversicherung der Rentner systematisch in das Zweite Buch der RVO eingebaut hat, geht von derselben Zielsetzung aus; die Rentner erhalten nunmehr grundsätzlich die gleichen Leistungen wie die übrigen Mitglieder der Krankenkassen, soweit sie nicht - wie in Ansehung von Krankengeld und Hausgeld (vgl. §§ 182 Abs. 1 Nr. 2, 186 Abs. 3 RVO) - durch gesetzliche Vorschrift ausdrücklich ausgeschlossen sind (Jantz, Krankenversicherung der Rentner, Stand April 1964, S. T 15; Heyn, Rentnerkrankenversicherung, 1963, S. 13; Schlemmer Zaft, Die Krankenversicherung der Rentner, 1964, S. 99). Nicht etwa ist ihnen eine Vorzugstellung zugedacht in dem Sinne, daß sie Leistungen, deren Bezugsdauer sich für die - in erster Reihe angesprochenen - krankengeldberechtigten Versicherten nach derjenigen des Krankengeldes bemißt, zeitlich unbegrenzt beziehen können (vgl. BSG aaO). Sie können vielmehr nur so lange Krankenhauspflege oder - als deren "Ersatz" - Hauspflege erhalten, wie sie Krankengeld bekommen würden, wenn sie einen Anspruch auf diese Leistung hätten und ambulant arbeitsunfähig wären (Siebeck/Töns, Neues Leistungsrecht in der Krankenversicherung, 1961, S. 185; Baierl, KV 1964, 19, 20). Soweit die Klägerin Hauspflege zeitlich unbegrenzt zugesprochen haben wollte, erwies sich ihre Revision somit als unbegründet.

Der Senat vermochte dem LSG aber nicht darin zu folgen, daß es die Berechnungsweise billigt, welche die Beklagte ihren Bescheiden zugrunde gelegt hat. Dabei kommt es - entgegen der Ansicht des LSG - nicht auf die Frage an, ob der in § 183 Abs. 2 RVO festgelegte Zeitraum von drei Jahren nach der Methode der gleitenden oder nach derjenigen der starren Rahmenfrist (Blockfrist) zu berechnen ist. Hat - wie hier - die Notwendigkeit der Krankenhauspflege wegen derselben Krankheit länger als drei Jahre ununterbrochen angedauert, so führt jene Methode zum gleichen Ergebnis wie diese. Das läge auf der Hand, wenn die Klägerin innerhalb der ersten Rahmenfrist - vom 3. Dezember 1959 bis 2. Dezember 1962 - Krankenhaus - oder Hauspflege 78 Wochen hindurch ohne Unterbrechung in Anspruch genommen hätte. Denn Versicherte, die wegen derselben Krankheit Krankenhauspflege (Hauspflege) für 78 Wochen innerhalb von drei Jahren erhalten haben, aber weiterhin - ununterbrochen - krankenhauspflegebedürftig geblieben sind, können nach Ablauf der drei Jahre wiederum Krankenhauspflege (Hauspflege) erhalten (Urteil des Senats vom 28. April 1967, BSG 26, 243). Eine neue Rahmenfrist kann in diesen Fällen unter keinen Umständen früher als mit dem Ende der voraufgehenden einsetzen, und ein Nebeneinander mehrerer solcher Fristen - wie es sich als Folge der gleitenden Fristberechnung ergibt - ist dann undenkbar.

Zu Unrecht meint das LSG, der vorliegende Fall sei - nach der Methode der gleitenden Rahmenfrist - anders zu beurteilen, weil nicht der Eintritt und das Fortbestehen der Krankenhauspflegebedürftigkeit allein, sondern erst die tatsächliche Gewährung der Hauspflege geeignet seien, eine Rahmenfrist für die Bezugsdauer dieser Leistung in Gang zu setzen. Die Methode der gleitenden Rahmenfrist läßt mit jedem Eintritt von Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit einen neuen Zeitraum von drei Jahren beginnen, wobei in keinem dieser Zeiträume Krankengeld für mehr als insgesamt 78 Wochen gezahlt werden soll (vgl. LSG Hamburg, Breithaupt 1969, 285, 288; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand 1. Februar 1969, Bd. II, S. 396 b; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand Mai 1969, Anm. 3 c; Otto, Das Leistungsrecht in der gesetzlichen Krankenversicherung, 7. Aufl., Stand 1. Februar 1969, S. 10/1 - Ordnungswort "Die 3-Jahres-Frist" - zu § 183 RVO; Siebeck/Töns, Neues Leistungsrecht in der Krankenversicherung, 1961, S. 167; Figge, EKK 1961, 161, 163; Spect und Zies, WzS 1961, 261, 265; Kögler, DOK 1962, 410; Siefert, SozVers. 1964, 18, 19). Der Beginn einer weiteren Rahmenfrist vor Ablauf der ersten wird also für den Fall angenommen, daß der Versicherte nach zeitweiliger Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit innerhalb der ersten Rahmenfrist erneut wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig wird. Daran - und mithin am Anknüpfungspunkt für die gleitende Fristberechnung - fehlt es wenn eine dauernde, von Zeiten der Arbeitsfähigkeit nicht unterbrochene Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Entsprechendes gilt für Rentner, bei denen der Begriff der Arbeitsunfähigkeit in der Regel nicht paßt (vgl. BSG 2, 142, 145), von ihrer Krankenhauspflegebedürftigkeit an. Nur wenn die Klägerin nach den beiden stationären Behandlungen - vom 3. Dezember 1959 bis 3. Juni 1961 und vom 26. Juni bis 15. September 1961 - der Krankenhauspflege nicht mehr bedurft und ab 1. August 1962 aus Anlaß einer erneuten Krankenhauspflegebedürftigkeit wegen derselben Krankheit Hauspflege erhalten hätte, könnte nach der Auffassung von der gleitenden Rahmenfrist mit diesem Zeitpunkt eine neue Rahmenfrist begonnen haben (vgl. Siebeck/Töns, aaO, S. 185 i. V. m. S. 161 ff). Statt dessen ist bei andauernder Notwendigkeit der Krankenhauspflege lediglich der Leistungsbezug vor Ablauf von 78 Wochen unterbrochen worden. Seine bloße Wiederaufnahme - sei es auch in anderer Form - am 1. August 1962 kann einem (neuen) "Beginn der Arbeitsunfähigkeit" i. S. von § 183 Abs. 2 Satz 1 RVO nicht gleich erachtet werden. Es fehlt der Anknüpfungspunkt einer erneut eingetretenen Krankenhauspflegebedürftigkeit. In diesem Fall hat der zweite Dreijahreszeitraum auch nach der Methode der gleitenden Rahmenfrist erst mit dem Ablauf des voraufgehenden, also am 3. Dezember 1962, begonnen, sofern man mit BSG 26, 243 davon ausgeht, daß das ununterbrochene Fortbestehen der Krankenhauspflegebedürftigkeit kein Hindernis für das Wiedereinsetzen der Leistungspflicht der Krankenkasse im Rahmen einer erneuten Rahmenfrist ist. Das bedeutet, daß die Beklagte die Gewährung von Hauspflege über den 27. Mai 1964 hinaus jedenfalls nicht mit der Begründung ablehnen durfte, die Bezugsdauer von 78 Wochen sei innerhalb der zweiten Rahmenfrist erschöpft. Die vom 1. August bis 2. Dezember 1962 erbrachten Kassenleistungen - Hauspflege in der satzungsgemäßen Form von Kostenzuschüssen - sind vielmehr der auf die erste Rahmenfrist (3. Dezember 1959 bis 2. Dezember 1962) entfallenden Bezugsdauer zuzurechnen.

Das ist auch vom Ergebnis her gerechtfertigt. Es schließt zwar - in Widerspruch zu einem erklärten Ziel der gleitenden Fristberechnung - die Konsequenz ein, daß Rentenversicherte, die länger als drei Jahre ununterbrochen krankenhauspflegebedürftig sind, bei entsprechender Einteilung des Leistungsbezuges durchgehend bis zu 156 Wochen Krankenhaus- oder Hauspflege erhalten können. Diese Konsequenz läuft aber nicht dem Willen des Gesetzgebers zuwider. Wie der Senat in dem Urteil vom 28. April 1967 (BSG 26, 243, 245) ausgeführt hat, ist der Zweck des neuen § 183 Abs. 2 RVO darauf gerichtet, vor allem den schwer und langdauernd erkrankten Versicherten einen besseren Versicherungsschutz zu gewährleisten (vgl. die Begründung zu § 196 des Entwurfs eines KVNG, Bundestags-Drucksache 1540, 3. Wahlperiode). Sie sollen - bei ununterbrochener Arbeitsunfähigkeit oder Krankenhauspflegebedürftigkeit - nicht nur innerhalb des ersten, sondern auch jedes weiteren Zeitraums von drei Jahren in den Genuß der vollen Bezugsdauer von 78 Wochen kommen. Das gebietet, die Fristberechnung im Rahmen des Gesetzeswortlauts so zu handhaben, daß dieses Anliegen möglichst weitgehend verwirklicht wird. Dem wird aber die Berechnungsweise, die mit jeder Wiederaufnahme eines lediglich unterbrochenen Leistungsbezuges eine neue Rahmenfrist beginnen läßt, nicht gerecht. Die Klägerin hätte in der ersten Rahmenfrist (3. Dezember 1959 bis 2. Dezember 1962) die Bezugsdauer von 78 Wochen erschöpfen können, wenn sie die Kassenleistungen (Krankenhauspflege, Hauspflege) ohne längere Unterbrechung in Anspruch genommen hätte. Diese Unterbrechung hat bereits dazu geführt, daß die Klägerin - wegen Endes der ersten Rahmenfrist am 2. Dezember 1962 - mit einem Teil der ihr gesetzlich zugedachten Bezugszeit ausgefallen ist. Daß sie - wie es jener, von der Beklagten angewendeten und von der Vorinstanzen gebilligten Berechnungsweise entspräche - noch weitere Einbußen davongetragen haben soll, vermag um so weniger einzuleuchten, als die hier vertretene Auffassung schutzwürdige Belange der Krankenhäuser nicht berührt. Das Gesetz mutet ihnen zu, fortdauernd arbeitsunfähigen oder krankenhauspflegebedürftigen Versicherten für nicht mehr, aber auch nicht weniger als 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren Kassenleistungen zu gewähren. Wie diese sich innerhalb der einzelnen Dreijahreszeiträume zeitlich verteilen, macht für die finanzielle Belastung der Kassen im Ergebnis keinen Unterschied. Auf jeden Fall kommt es ihnen zugute, wenn die Leistungen innerhalb einer Rahmenfrist so spät einsetzen, daß die Bezugszeit von 78 Wochen bis zu deren Ablauf nicht mehr erreicht werden kann. Einer mißbräuchlichen Disposition über die Bezugszeit - etwa durch unsachgemäße, den Heilerfolg verzögernde Unterbrechung einer notwendigen Krankenhauspflege - kann die Kasse ohne weiteres im Rahmen ihres Verwaltungsermessens nach §§ 184, 185 RVO steuern.

Nach alledem sind die vorinstanzlichen Erkenntnisse aufzuheben, ebenso auch die Bescheide der Beklagten vom 4. Oktober 1963 und 25. Mai 1964 sowie der Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 1964. Zu Unrecht hat das LSG neben dem Bescheid vom 25. Mai den vom 10. Februar 1964 für angefochten erachtet. Die Klägerin hat ausdrücklich gegen den Bescheid vom 4. Oktober 1963 Widerspruch eingelegt. Dieser Bescheid ist nicht durch denjenigen vom 10. Februar 1964 ersetzt worden. Dieser enthielt keinen neuen regelnden Ausspruch. Er beschränkte sich darauf, den Standpunkt der Beklagten noch einmal darzulegen mit dem erklärten Ziel, die Klägerin zu einer Überprüfung ihres Widerspruchs vom 18. November 1963 zu veranlassen. Einen neuen Verwaltungsakt stellte jedoch der Bescheid vom 25. Mai 1964 dar, welcher den Bescheid vom 4. Oktober 1963 insofern konkretisierte, als er das Ende der dort ihrem Beginne nach festgelegten, auf 78 Wochen begrenzten Bezugsdauer der Hauspflege auf den 27. Mai 1964 bestimmte. Dieser Bescheid ist neben dem vom 4. Oktober 1963 sowohl nach § 86 Abs. 1 SGG Gegenstand des bereits schwebenden Vorverfahrens als auch der (implizierten) Klage geworden.

Der Senat konnte ein Grundurteil (§ 130 SGG) erlassen; denn nach den Feststellungen des LSG i. V. m. der Rechtsauffassung des Senats steht der Klägerin über den 27. Mai 1964 hinaus Anspruch auf Hauspflege zu, so daß ein Leistungsanspruch in einer Mindesthöhe gegeben ist (BSG in SozR Nr. 4 zu § 130 SGG).

Zwar ist die Gewährung von Hauspflege in das Ermessen der Krankenkasse gestellt (§ 185 Abs. 1 RVO: "Die Kasse kann ..."). Nach der Rechtsprechung des Senats ist es jedoch ausnahmsweise zulässig, zu einer Leistung zu verurteilen, anstatt lediglich die Verpflichtung zum Erlaß eines neuen Verwaltungsakts auszusprechen, wenn die Ablehnung der Leistung unter jedem denkbaren Gesichtspunkt rechtswidrig ist (BSG 2, 142, 148; 9, 232, 239; SozR Nr. 35 zu § 150 SGG). Das ist hier der Fall. Unstreitig bestand die fortdauernde Notwendigkeit der Hauspflege. Die Beklagte hat diese nur deswegen nicht über den 27. Mai 1964 hinaus gewährt, weil mit Rücksicht auf die von ihr vorgenommene Rahmenfristberechnung die 78 Wochen verbraucht waren, sie also aus dem genannten rechtlichen Grunde sich außerstande sah, weiter zu leisten. Sie hat aber zu keiner Zeit geltende gemacht, daß sie auch im Falle des Nichtverbrauchs der Frist der Klägerin keine Hauspflege zu gewähren hätte. Dadurch hat die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen selbst auf diese eine Erwägung beschränkt; daß diese nicht zutrifft, ist bereits oben dargelegt worden.

Es kann in diesem Zusammenhang offenbleiben, ob die Beklagte statt des gewährten Zuschusses von 8 DM täglich - entgegen dem, was ihre Satzung vorsieht - nicht verpflichtet ist, die Hauspflege als Naturalleistung zu gewähren (so Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand Mai 1969 Anm. 2 zu § 185 RVO; Töns, DOK 1968, 169, 172; Heinlein aaO, 65, 68); denn die Klägerin verfolgt mit ihrer Klage zunächst nur die Weitergewährung des bisher von der Beklagten gewährten Zuschusses über den 27. Mai 1964 hinaus, weil sie der Auffassung ist, daß die Beklagte die Dreijahresfrist des § 183 Abs. 2 Satz 1 RVO unrichtig berechnet hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2713074

BSGE, 144

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