Entscheidungsstichwort (Thema)
Brustaufbau. Krankheit. Behinderung. Entstellung. Funktionsdefizit. Psychische Belastung. Eigenverantwortung. Gestaltungsspielraum
Leitsatz (redaktionell)
- Der Begriff der Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V setzt voraus, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder eine anatomische Abweichung entstellend wirkt.
- Eine psychische Belastung rechtfertigt keinen operativen Eingriff auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung.
Normenkette
SGB V § 1 S. 2, § 2 Abs. 1, § 27 Abs. 1, § 33 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2003 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt von ihrer Krankenkasse eine Operation zur Brustvergrößerung.
Die 1959 geborene Klägerin ist pflichtversichertes Mitglied der beklagten Krankenkasse; unter Vorlage eines fachärztlichen Attestes beantragte sie im September 1999 die Kostenübernahme für eine Brustaufbauoperation. Es bestehe ein erheblicher Leidensdruck mit verminderten Selbstwertgefühlen und depressiver Verstimmung auf Grund der nur klein entwickelten Brüste. Nach Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung lehnte die Beklagte den Antrag ab (Bescheid vom 13. Oktober 1999, Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2000).
Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte verurteilt, die Kosten für einen operativen Brustaufbau zu übernehmen. Der vom gerichtlich bestellten Sachverständigen festgestellte körperliche Befund einer warzenartigen Veränderung beider Mamillen besitze Krankheitswert und sei korrekturbedürftig. Dieser Befund begründe unabhängig vom Vorliegen eines psychischen Leidensdrucks Behandlungsbedürftigkeit (Urteil vom 4. Juli 2002).
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen: Die Brustgröße bei der Klägerin stelle keinen regelwidrigen Körperzustand dar. Hinsichtlich der Größe der weiblichen Brust gebe es keine normativen Beurteilungsmaßstäbe. Die Inaugenscheinnahme der vorgelegten Lichtbilder ergebe, dass bei ihr weder eine Fehlanlage noch eine entstellende Körperform bestehe, sondern sie lediglich kleine Mammae habe, was nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht selten vorkomme. Auch die nach der Geburt und dem Stillen zweier Kinder warzenartig veränderten Mamillen mit Rissen und Fissuren rechtfertigten keine Brustvergrößerungsoperation. Aus ihrer psychischen Situation könne die Klägerin ebenfalls keinen Anspruch auf den begehrten operativen Eingriff herleiten. Die gesetzliche Krankenversicherung schulde grundsätzlich nur solche Leistungen, die unmittelbar an der Krankheit ansetzen. Operative Eingriffe zur Behebung psychischer Störungen seien demzufolge ausgeschlossen, selbst wenn sie die einzige verbliebene Behandlungsalternative darstellten. Eine psychiatrische bzw psychotherapeutische Behandlung habe die Klägerin nicht ernsthaft durchgeführt, da sie sich lediglich zwei Mal bei einem Psychotherapeuten vorgestellt habe. Grundrechte der Klägerin seien nicht verletzt, da kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Bereitstellung oder Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen bestehe (Urteil vom 21. Mai 2003).
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 27 Abs 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sowie ihrer Grundrechte aus Art 2 Abs 1 und Abs 2 Satz 1 Grundgesetz (GG). Das Berufungsgericht habe dem bei ihr festgestellten Befund zu Unrecht keinen Krankheitswert beigemessen. Es liege eine Abweichung von dem vor, was nach heutigen Vorstellungen als “Norm von der Weiblichkeit” gelte, wenn primäre Geschlechtsmerkmale nicht das übliche bzw nur ein weit unterdimensioniertes Maß erreichten. Ihre optisch als solche kaum wahrnehmbare weibliche Brust sei ein regelwidriger Körperzustand und habe wegen des dadurch verursachten psychischen Leids psychiatrische Behandlung notwendig gemacht. Zur Heilung ihrer Erkrankung bestünde indessen eine Behandlungsalternative in Form eines operativen Brustaufbaus, die für die Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung etwa gleich hohe Kosten verursache. Es müsse ihr (der Klägerin) überlassen bleiben, für welche der Alternativen sie sich in Ausübung ihres Rechts auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit entscheide.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2003 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 4. Juli 2002 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das LSG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die Klägerin mit dem angestrebten Brustaufbau zu versorgen.
Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V eine “Krankheit” voraus. Damit wird in der Rechtsprechung ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand umschrieben, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (BSGE 85, 36, 38 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 S 38; BSGE 72, 96, 98 = SozR 3-2200 § 182 Nr 14 S 64 jeweils mwN). Soweit § 33 Abs 1 SGB V eine “Behinderung” bzw eine “drohende Behinderung” genügen lässt, um iVm § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V einen Anspruch auf Krankenbehandlung auszulösen, ist nichts wesentlich anderes als eine Krankheit gemeint; es wird lediglich ein anderer Akzent gesetzt (vgl auch Schmidt in Peters, Hdb der KV, Stand Juni 2004, § 27 SGB V, RdNr 122 ff). Indem § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V neben der Heilung ausdrücklich auch die Linderung von Krankheitsbeschwerden zu den möglichen Zielen einer Krankenbehandlung zählt, macht das Gesetz keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Krankheiten im engeren Sinne, bei denen die Betonung auf dem regelmäßig nur vorübergehenden Charakter einer als überwindbar angesehenen Gesundheitsbeeinträchtigung liegt, und Behinderungen, die als weitgehend unabänderlich vor allem unter dem Gesichtspunkt des Ausgleichs für eine dauerhaft regelwidrige Körperfunktion die Leistungspflicht begründen können (vgl auch § 2 Abs 1 SGB IX).
Auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen ist das LSG zutreffend zum Ergebnis gekommen, dass bei der Klägerin keine körperliche Anomalität vorliegt, die als Krankheit in diesem Sinne zu bewerten wäre. Nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit kommt Krankheitswert im Rechtssinne zu; die Rechtsprechung hat diese Grundvoraussetzung für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (zu Hautverfärbungen vgl Senatsurteil vom 13. Juli 2004 – B 1 KR 11/04 R, in JURIS RdNr 21, auch zur Veröffentlichung in BSGE und SozR bestimmt; zu einer Hodenprothese BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f; vgl auch BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 45 S 253 f, wo eine Entstellung als Unterfall eines Funktionsdefizits aufgefasst wird). Unter dem Gesichtspunkt der körperlichen Fehlfunktion kann der Zustand der Klägerin schon deshalb nicht als behandlungsbedürftige Krankheit bewertet werden, weil ihr die begehrte Behandlung auch im Erfolgsfall nur ein anderes Aussehen und keine natürlich gewachsenen funktionsgerechten Organe verschaffen würde. Mithin besteht kein wesentlicher Unterschied zu dem von der Rechtsprechung bereits abschlägig entschiedenen Fall, dass ein männlicher Versicherter eine Hodenprothese begehrt (BSGE 82, 158 = SozR 3-2500 § 39 Nr 5). In beiden Fallgestaltungen fehlt es insofern – und zwar auch bezogen auf die Linderung einer durch die Regelwidrigkeit möglicherweise verursachten körperlichen Beeinträchtigung – am Merkmal der Behandlungsbedürftigkeit, das seinerseits die Behandlungsfähigkeit voraussetzt. Deshalb braucht der Senat der Frage nicht weiter nachzugehen, ob der vom LSG zu Grunde gelegte Befund einer “klein entwickelten Brust” und die Veränderungen an den Mamillen außer dem optischen Eindruck einen rechtlich erheblichen Funktionsmangel umschreibt.
Die Leistungspflicht der Beklagten lässt sich auch nicht damit begründen, dass die Klägerin wegen äußerlicher Entstellung als behandlungsbedürftig anzusehen wäre. Die Rechtsprechung hat eine Entstellung bei einer Frau ohne natürliches Kopfhaar (nochmals BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 45 S 253 f; anders beim Mann: BSG SozR 2200 § 182b Nr 18 S 50 f), bei einer Wangenatrophie (LSG Rheinland-Pfalz vom 2. Mai 2002 – L 5 KR 93/01 – KRS 02.021) oder bei Narben im Lippenbereich (BSG SozR 3-1750 § 372 Nr 1) angenommen bzw erörtert; im Urteil zum Fall eines Kindes mit einer angeborenen Gesichtsspalte ist zwar von einer Missbildung die Rede, gleichzeitig dürften aber Funktionsdefizite vorgelegen haben (vgl BSG SozR 2200 § 182 Nr 11 S 21 f). Dabei ist die Frage, ob ein körperliches Defizit das Aussehen eines Menschen entstellt, in erster Linie Tatfrage und daher nicht vom Revisionsgericht zu beantworten (dazu nochmals: BSG SozR 3-1750 § 372 Nr 1). Anders als das SG und der von ihm gehörte Sachverständige hat das LSG der bei der Klägerin vorliegenden ausgeprägten Hypoplasie beider Mammae keine entstellende Wirkung beigemessen. Das ist unter revisionsgerichtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden; insbesondere ist keine unzutreffende Auslegung des Rechtsbegriffs der Krankheit in der Variante der entstellenden Wirkung ersichtlich. Abgesehen davon, dass die Beispiele in der bisherigen Rechtsprechung anders als bei fehlender bzw wenig ausgeprägter Brustanlage durchweg körperliche Auffälligkeiten betreffen, die sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi “im Vorbeigehen” bemerkbar machen, wäre die Bewertung des Zustands der Klägerin als “Entstellung” mit dem Krankheitsbegriff kaum in Einklang zu bringen, vor allem wenn man die außerordentliche Vielfalt in Form und Größe der weiblichen Brust berücksichtigt.
Die psychische Belastung der Klägerin rechtfertigt, wie das LSG zu Recht betont hat, keinen operativen Eingriff auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Krankenkasse muss den Versicherten nicht mit jeglichem Mittel versorgen, das seiner Gesundheit förderlich ist oder für sich in Anspruch nimmt, auf Krankheit einzuwirken; vielmehr mutet das Gesetz dem Versicherten zu, teilweise selbst für seine Gesundheit zu sorgen (vgl § 1 Satz 2 Halbs 1, § 2 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 SGB V). Es weist beispielsweise die Ernährung und Körperpflege insgesamt seiner Eigenverantwortung zu, und zwar selbst dann, wenn die dafür eingesetzten Mittel wesentlich dazu beitragen, den Gesundheitszustand zu bessern oder die Verschlimmerung einer Krankheit zu verhüten (vgl BSGE 81, 240, 243 f = SozR 3-2500 § 27 Nr 9 S 29 f zu Mehraufwendungen für eine eiweißarme Diät mwN zur früheren, zum Teil abweichenden Rechtsprechung; zur Abgrenzung von Körperpflege und Behandlung auch BSGE 85, 132, 138 f = SozR 3-2500 § 27 Nr 12 S 64 f). Schon daraus ergibt sich, dass Krankheit keinen undifferenzierten Bedarf an Sozialleistungen auslöst, sondern dass der Begriff der Krankenbehandlung iS von § 27 Abs 1 Satz 2 SGB V in einem enger umrissenen Sinne zu verstehen ist. Deshalb geht auch der Vortrag der Revision, der operative Eingriff sei nicht teurer als eine psychiatrische bzw psychotherapeutische Behandlung, ins Leere (zur Unerheblichkeit angeblicher Einsparungen infolge des Einsatzes nicht im Leistungsrahmen der gesetzlichen Krankenversicherung enthaltener Leistungen vgl im Übrigen schon BSGE 79, 125, 127 = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51; BSGE 80, 181, 182 = SozR 3-2500 § 13 Nr 14 S 69; BSGE 86, 66, 76 = SozR 3-2500 § 13 Nr 21 S 97 f mwN).
Die bisherige Rechtsprechung hat einen Leistungsanspruch auf Heilbehandlung in Form körperlicher Eingriffe verneint, wenn diese Maßnahmen nicht durch Fehlfunktionen oder durch Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand iS der dargestellten krankenversicherungsrechtlichen Grundsätze veranlasst werden (BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f mwN). Damit hat sie Operationen am – krankenversicherungsrechtlich betrachtet – gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, nicht als “Behandlung” iS von § 27 Abs 1 SGB V gewertet und derartige Maßnahmen (ähnlich wie zB Ernährung und Körperpflege) der Eigenverantwortung des Versicherten zugewiesen. An dieser Abgrenzung hält der Senat fest. Die Gegenmeinung relativiert den Krankheitsbegriff über Gebühr, weil sie einen Körperzustand ohne objektiven Krankheitswert dennoch rechtlich als körperlich regelwidrig behandeln will – also so, wie ihn der psychisch erkrankte Versicherte subjektiv empfindet –, indem sie daraus denselben Behandlungsanspruch ableitet wie bei tatsächlich vorhandener Körperfehlfunktion oder Entstellung. Sie verkennt außerdem, dass die Kostenübernahme für die hier in Rede stehenden Operationen mit Rücksicht auf die damit verbundenen Risiken einer besonderen Rechtfertigung bedarf, weil damit nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen wird, sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits erreicht werden soll. Eine solche Rechtfertigung hat der Senat für Operationen am gesunden Körper zur Behebung von psychischen Störungen vor allem wegen der Schwierigkeiten einer Vorhersage der psychischen Wirkungen von körperlichen Veränderungen und der deshalb grundsätzlich unsicheren Erfolgsprognose in ständiger Rechtsprechung verneint (zusammenfassend: BSGE 90, 289, 291 = SozR 4-2500 § 137c Nr 1 RdNr 6 mwN). Der damit aufgestellte Grundsatz wäre nur dann zu überprüfen, wenn sich die wissenschaftliche Bewertung der generellen psychotherapeutischen Eignung chirurgischer Eingriffe (hier: an der Brustgröße) wesentlich geändert hätte. Die aktuellen medizinischen Erkenntnisse widerlegen jedoch nicht die diesbezüglichen in der Rechtsprechung geäußerten Zweifel. Hierfür sind in erster Linie allgemein fundierte wissenschaftliche Nachweise (grundlegend: BSGE 76, 194, 199 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5 S 12) und nicht die Verhältnisse im konkreten Fall der Klägerin maßgebend, sodass das LSG zu Recht keinen Anlass gesehen hat, den Einzelfall weiter aufzuklären.
Auf Grund von medizinischen Untersuchungen gab und gibt es Hinweise darauf, dass bei Patienten, die wegen einer als Makel empfundenen körperlichen Besonderheit psychisch erkranken, operative Interventionen sogar zu einer Verschlimmerung des psychischen Krankheitsbildes führen können und daher als kontraindiziert angesehen werden müssten (vgl Driesch ua, Nervenarzt 2004 ≪75≫, 917-931, hier: 928; Strian, Handchirurgie, Mikrochirurgie, Plastische Chirurgie 1984 ≪16≫, 243-245; Mester, Zeitschrift Psychosomatische Medizin und Psychoanalyse, 1982 ≪28≫, 69-91; vgl auch McLaughlin ua, Psychosomatics, 2004 ≪45≫, 277-280 zur erhöhten Suizidrate bei Patientinnen mit Brustimplantaten). Selbst wenn diese Auffassung ihrerseits in der medizinischen Wissenschaft nicht unumstritten ist (vgl etwa die Auswertung von Studien auf der Grundlage von Patientenbefragungen: Castle ua, Medical Journal of Australia 2002 ≪176≫, 601-604), begründet sie doch zumindest Zweifel an der Erfolgsaussicht von Operationen zur Überwindung einer psychischen Krankheit und bestätigt jedenfalls die schon in der bisherigen Rechtsprechung angelegte Zurückhaltung.
Dem in diesem Zusammenhang anzutreffenden Hinweis auf die vermeintlich vergleichbare Problematik der Transsexualität (vgl SG Marburg vom 27. August 2002 – S 6 KR 202/99; dazu Senatsurteil vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 3/03 R, zur Veröffentlichung bestimmt) misst der Senat keine durchgreifende Bedeutung bei. Richtig ist zwar, dass der 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 6. August 1987 die dort von der Vorinstanz vorgenommene Bewertung einer besonders tief greifenden Form der Transsexualität als behandlungsbedürftige Krankheit und als Grund für den Anspruch auf eine geschlechtsangleichende Operation nicht beanstandet hat (BSGE 62, 83 = SozR 2200 § 182 Nr 106). Daraus lassen sich für den hier streitigen Anspruch auf einen brustvergrößernden chirurgischen Eingriff jedoch schon deshalb keine zwingenden Schlüsse ziehen, weil der damals anwendbare § 182 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung eine Ausweitung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung eher zuließ als der inzwischen geltende § 27 Abs 1 Satz 2 SGB V, wie der Senat bereits in anderem Zusammenhang dargelegt hat (BSGE 81, 240, 244 = SozR 3-2500 § 27 Nr 9 S 30). Vor allem aber kann eine Parallele von der weitgehenden Fehlanlage der Brüste zum Sachverhalt der Transsexualität nicht gezogen werden. Nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen, die in den dazu ergangenen Urteilen verwertet wurden, handelt es sich dort um eine komplexe, die gesamte Persönlichkeit erfassende tief greifende Störung mit sowohl seelischen als auch körperlichen Beeinträchtigungen, die in ihrer Schwere mit der bei der Klägerin festgestellten Dysmorphophobie nicht vergleichbar ist (vgl OLG Köln VersR 1995, 447; BVerfGE 49, 286, 299 f = NJW 1979, 595; Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte – EGMR NJW-RR 2004, 289 mwN zu früheren Ablehnungen; EGMR NJW 2004, 2505; LSG Baden-Württemberg Breith 1982, 175; LSG Niedersachsen Breith 1987, 1; Bayerisches LSG Breith 1987, 531; Eidgenössisches Versicherungsgericht EVGE 120, 463 mwN). Auch der deutsche Gesetzgeber hat durch den Erlass des “Transsexuellengesetzes” (TSG – Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen vom 10. September 1980, BGBl I 1654) bestätigt, dass der Befund der Transsexualität eine außergewöhnliche rechtliche Bewertung rechtfertigt. Nach der bisherigen Rechtsprechung der Instanzgerichte müssen geschlechtsangleichende Operationen einem transsexuellen Versicherten überdies nicht generell, sondern nur bei entsprechend massiven Krankheitserscheinungen gewährt werden; die Versicherten hatten regelmäßig einen längeren psychiatrischen Behandlungsversuch hinter sich (vgl nochmals die drei bereits zitierten LSG-Urteile). Schließlich sprechen die Gerichte einer transsexuellen Versicherten auch nicht jegliche Art von geschlechtsangleichenden operativen Maßnahmen im Sinne einer möglichst großen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild zu, wie sich gerade am Beispiel der Brustvergrößerung gezeigt hat (Sächsisches LSG vom 3. Februar 1999 – L 1 KR 31/98 – in JURIS; vgl auch Bayerisches LSG vom 30. Oktober 2003 – L 4 KR 203/01 – zu einer besonderen Penisplastik zwecks Urinierens im Stehen bei Frau-zu-Mann-Transsexualität). Aus alledem wird deutlich, dass der Hinweis auf die Ansprüche von transsexuellen Versicherten den Anspruch der Klägerin nicht zu stützen vermag.
Die Entscheidung verletzt auch keine Grundrechte der Klägerin. Aus Art 2 Abs 1 und Art 2 Abs 2 Satz 1 GG folgt zwar eine objektiv-rechtliche Pflicht des Staates, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen (vgl BVerfGE 85, 191, 212; 88, 203, 251; 90, 145, 195; Schulze-Fielitz in: Dreier, GG – Kommentar, 2. Aufl 2004, Art 2 II, RdNr 76). Darüber hinaus ist verfassungsrechtlich nur geboten, eine medizinische Versorgung für alle Bürger bereitzuhalten (vgl Schulze-Fielitz, aaO, RdNr 96). Dabei hat der Gesetzgeber aber einen so weiten Gestaltungsspielraum, dass sich originäre Leistungsansprüche aus Art 2 Abs 2 Satz 1 GG regelmäßig nicht ableiten lassen (vgl Murswiek in: Sachs, GG, 3. Auflage 2003, Art 2, RdNr 225). Aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten (vgl BVerfGE 89, 120, 130) folgt jedenfalls kein grundrechtlicher Anspruch gegen seine Krankenkasse auf Bereitstellung oder Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen (stRspr, vgl BVerfG ≪Kammer≫ NJW 1998, 1775: vgl BVerfG ≪Kammer≫ NJW 1997, 3085). Vor diesem Hintergrund ist auch das grundsätzliche Erfordernis des unmittelbaren Ansetzens einer Therapie an der konkreten Krankheit und die damit einhergehenden Einschränkungen für Behandlungsalternativen, die den Gesundheitszustand nur mittelbar beeinflussen können, mit Art 2 Abs 2 Satz 1 GG vereinbar.
Da der Anspruch der Klägerin unter keinem Gesichtspunkt begründet ist, musste ihre Revision zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen