Beteiligte
…, Klägerin und Revisionsklägerin |
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Berlin, Ruhrstraße 2, Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten über die Rücknahme eines Bescheides, mit dem die Klägerin zur Nachentrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen zugelassen worden war.
Die 1935 geborene Klägerin heiratete im Juni 1956. Auf ihren im Januar 1963 gestellten Antrag erstattete ihr die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte mit Bescheid vom 26. April 1963 die Hälfte der für die Zeit vom 1. April 1953 bis 4. April 1958 entrichteten Pflichtbeiträge. Im September 1991 beantragte die Klägerin auf einem Vordruck der Beklagten, für den Erstattungszeitraum zur Nachentrichtung von Beiträgen gemäß Art 2 § 27 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) zugelassen zu werden. Mit Bescheid vom 11. Oktober 1991 ließ die Beklagte die Klägerin zur Nachentrichtung in Höhe eines Gesamtbetrages von 8.100 DM zu, den die Klägerin im November 1991 überwies. Infolge fehlerhafter Berechnung setzte die Beklagte diesen Betrag sodann durch zweimalige Änderung des Zulassungsbescheids zunächst auf 8.073 DM, dann auf 7.920 DM herab und erstattete die Überzahlung. Mit Bescheid vom 10. Februar 1992 und Widerspruchsbescheid vom 23. März 1993 nahm die Beklagte unter Rückzahlung des Nachentrichtungsbetrages ihren Zulassungsbescheid vom 11. Oktober 1991 für die Zukunft mit der Begründung zurück, eine Nachentrichtung nach Art 2 § 27 AnVNG sei nur bei Heiratserstattung nach § 83 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), nicht aber bei der im Falle der Klägerin durchgeführten allgemeinen Erstattung nach § 82 AVG zulässig.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 8. Juli 1993 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 22. September 1994 zurückgewiesen. Die Klägerin habe den Zulassungsbescheid nicht in unmittelbarer Anwendung des § 45 des Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren (SGB X) zurücknehmen dürfen. Dieser sei zwar rechtswidrig, weil ihm keine Heiratserstattung iS des § 83 AVG zugrunde liege. Er habe sich jedoch mit der Zahlung der Nachentrichtungssumme erledigt. Der angefochtene Bescheid, der als Rücknahmeentscheidung somit ins Leere gehe und insoweit fehlerhaft sei, müsse jedoch in einen zulässigen Beanstandungsbescheid umgedeutet werden.
Die hierzu erforderlichen Voraussetzungen des § 43 SGB X seien erfüllt. § 45 SGB X stehe der Umdeutung nicht entgegen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin. Sie rügt die Verletzung der §§ 24, 43 und 45 SGB X. Die Umdeutung der fehlerhaften Rücknahmeentscheidung in einen Beanstandungsbescheid sei unzulässig.
Die Klägerin beantragt,
|
das Urteil des LSG vom 22. September 1994, das Urteil des SG vom 8. Juli 1993 und den Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 1993 aufzuheben. |
|
Die Beklagte beantragt,
|
die Revision zurückzuweisen. |
|
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision der Klägerin ist begründet. Ihre Klage ist zu Unrecht abgewiesen, ihre Berufung zu Unrecht zurückgewiesen worden. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 1993 ist entgegen der Ansicht der Vorinstanzen rechtswidrig; denn die Beklagte durfte den Zulassungsbescheid vom 11. Oktober 1991 nach Zahlung des Nachentrichtungsbetrages nicht mehr zurücknehmen.
Der Zulassungsbescheid, nach dem die Klägerin berechtigt war, freiwillige Beiträge für die Zeit vom 1. April 1953 bis 4. April 1958 nachzuentrichten, war zwar rechtswidrig, weil der Klägerin im Jahre 1963 die Beiträge nicht, wie dies Art 2 § 27 Abs 1 AnVNG voraussetzte, nach § 83 AVG (idF des Art 1 AnVNG vom 23. Februar 1957 - BGBl I 88) oder dieser Vorschrift entsprechenden Heiratserstattungsregelungen, sondern nach der allgemeinen Erstattungsregelung des § 82 AVG erstattet worden sind.
Nach § 45 Abs 1 SGB X darf jedoch ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat, soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs 2 bis 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden. Für die Vergangenheit darf ein Bescheid nur unter den in § 45 Abs 4 Satz 1 SGB X genannten Voraussetzungen zurückgenommen werden.
Die Rücknahme des Zulassungsbescheides war jedenfalls nach Zahlung der Beiträge durch die Klägerin nicht mehr eine Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft, sondern nur noch eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit, dh für die Zeit des Erlasses des Zulassungsbescheides und den Zeitpunkt der Nachzahlung. Sie unterlag demnach den Anforderungen an eine Rücknahme für die Vergangenheit iS des § 45 Abs 4 Satz 1 SGB X. Allein mit Wirkung für die Zukunft wird ein Verwaltungsakt nur zurückgenommen, wenn die Wirkung des Rücknahmebescheides frühestens mit dem Tage seiner Bekanntgabe einsetzt (vgl BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 24 zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes nach § 48 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB X mwN).
Ein Zulassungsbescheid kann nach dem Zeitpunkt, in dem die Beiträge gezahlt sind, in seinen Rechtswirkungen nicht in der Weise aufgespalten werden, daß er eine Wirkung für die Vergangenheit und eine Wirkung für die Zukunft hat und er demgemäß mit Wirkung für die Vergangenheit bestehenbleiben, mit Wirkung für die Zukunft hingegen zurückgenommen werden kann. Dies ergibt sich aus der unterschiedlichen Bedeutung, die der Zulassungsbescheid vor und nach der Zahlung der Beiträge hat.
Vom Erlaß eines antragsgemäßen Zulassungsbescheides an bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Begünstigte von seinem Nachzahlungsrecht Gebrauch macht, hat dieser Bescheid die Wirkung, daß der Begünstigte berechtigt ist, Beiträge in dem ausgesprochenen Umfang nachzuzahlen. Bis zum Zeitpunkt der Zahlung mag der Zulassungsbescheid nur Wirkung für die Zukunft haben und nach den insofern geltenden Regeln zurückgenommen werden können. Der Rücknahmebescheid beseitigt dann das Recht, die Beiträge nachzuzahlen. Vom Zeitpunkt der tatsächlichen Nachzahlung an erschöpft sich der Regelungsgehalt des Zulassungsbescheides dagegen in der Feststellung des Nachzahlungsrechts (vgl BSGE 45, 247, 249 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 17; BSGE 50, 16, 19 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 36). Er ist dann Rechtsgrund für die Beitragszahlung und bewirkt, daß die Beiträge rechtmäßig gezahlt sind. Die Rechtmäßigkeit der Beitragszahlung richtet sich dabei nach der Rechtslage, die im Zeitpunkt der Zulassung und der Beitragszahlung besteht. Spätere Änderungen der Rechtslage beeinflussen die Rechtmäßigkeit der Beitragszahlung nur, wenn die Rückwirkung vorgesehen ist.
Für die Beitragszahlung aufgrund eines Zulassungsbescheides gilt demnach nichts anderes als für die Zahlung von Beiträgen ohne Zulassungsbescheid unmittelbar aufgrund eines Gesetzes. Beiträge, die aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift rechtmäßig gezahlt sind, sind nicht zu Unrecht entrichtet, wenn die entsprechende Vorschrift später nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird. Diese Folge kann vielmehr nur eintreten, wenn das Gesetz auch Wirkung für die Vergangenheit hat. Der Bescheid über die Zulassung zur Nachzahlung von Beiträgen konkretisiert im Einzelfall das Gesetz und bildet die Rechtsgrundlage für die Beitragszahlung. Er tritt für den Versicherten an die Stelle des Gesetzes. Wie bei der unmittelbar aufgrund eines Gesetzes erfolgten Beitragszahlung wird deshalb die Rechtmäßigkeit der Beitragszahlung aufgrund eines Zulassungsbescheides nur beseitigt, wenn er mit Wirkung für die Vergangenheit wirksam zurückgenommen wird.
Unerheblich ist, daß der Zulassungsbescheid auch in die Zukunft gerichtete Auswirkungen hat, weil die aufgrund des Zulassungsbescheides nachgezahlten Beiträge bei einer künftigen Leistungsbewilligung als wirksame Beiträge zu berücksichtigen sein werden. Die Anrechnung und Bewertung der Beiträge ist jedoch nicht Gegenstand der im Zulassungsbescheid getroffenen Regelung. Wie die insgesamt für die Zeit von 1953 bis 1958 nachentrichteten und nachgezahlten Beiträge bei einer zukünftigen Leistungsbewilligung zu behandeln sind, wird erst im Leistungsfall entschieden (§ 149 Abs 5 Satz 2 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Rentenversicherung [SGB VI]).
Die hohe Bestandskraft, welche demnach die in einem Zulassungsbescheid getroffene Entscheidung nach Zahlung der Beiträge in der Regel hat, ist Folge der in § 45 SGB X konkretisierten Abwägung zwischen dem Vertrauensschutz des durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt Begünstigten und dem öffentlichen Interesse daran, rechtswidrige Entscheidungen der Verwaltung rückgängig zu machen. Über § 45 Abs 4 Satz 1 SGB X haben alle Entscheidungen einen erhöhten Bestandsschutz, die mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden sollen und wirksam auch nur mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden können. Eine Rücknahme mit Wirkung auch für die Vergangenheit gegen Ersatz des Vertrauensschadens, wie sie etwa in § 48 Abs 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes vorgesehen ist, kennt § 45 SGB X nicht.
Der angefochtene Bescheid hebt den Zulassungsbescheid vom 11. Oktober 1991 ausdrücklich nur mit Wirkung für die Zukunft auf und kann schon aus diesem Grunde die in der Vergangenheit liegende wirksame Nachentrichtung nicht mehr beeinträchtigen. Aber selbst wenn man durch Auslegung oder - wie die Beklagte annimmt - im Wege der Umdeutung (§ 43 SGB X) zu dem Ergebnis käme, der angefochtene Bescheid nehme den Zulassungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zurück, wäre die Rücknahme rechtswidrig. Denn die Voraussetzungen, unter denen der Zulassungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden konnte (§ 45 Abs 4 Satz 1 SGB X), lagen hier nicht vor. Mit Wirkung für die Vergangenheit kann ein Verwaltungsakt nur in den Fällen des § 45 Abs 2 Satz 3 und Abs 3 Satz 2 SGB X zurückgenommen werden. Dabei setzt die Rücknahme im Falle des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X voraus, daß mindestens einer der in den Nrn 1 bis 3 aufgeführten Sachverhalte erfüllt ist. Ist dies nicht der Fall, scheidet eine Rücknahme des Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit aus. Insbesondere darf dann nicht - wie die Beklagte meint - für die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes noch zusätzlich vom Begünstigten verlangt werden, daß bei ihm "objektives und subjektives Vertrauen" auf den Bestand des Verwaltungsaktes vorliegen mußte. Eine solche Auslegung würde die Sonderregelung des § 45 Abs 4 Satz 1 iVm Abs 2 Satz 3 SGB X weitgehend gegenstandslos machen, weil diese Vorschrift dann im wesentlichen inhaltsgleich mit § 45 Abs 2 Satz 1 SGB X wäre.
Das LSG hat im Zusammenhang mit § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X festgestellt, für eine Bösgläubigkeit der Klägerin iS der Nr 2 der Vorschrift bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte; vielmehr sei nach dem Akteninhalt anzunehmen, die Klägerin habe den - tatsächlich vorhandenen - zeitlichen Zusammenhang mit ihrer Verheiratung im Auge gehabt und nicht erkannt bzw rechtlich nicht nachvollzogen, daß die Beiträge tatsächlich in Anwendung des § 82 AVG deshalb erstattet worden seien, weil sie nicht versicherungspflichtig gewesen sei. Damit aber schließen die Feststellungen des LSG aus, daß der angefochtene Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hätte (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X), oder daß die Klägerin die Rechtswidrigkeit des Zulassungsbescheides kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X). Die Feststellungen des LSG hierzu sind nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 1 SGB X (arglistige Täuschung, Drohung, Bestechung) sowie des § 45 Abs 3 Satz 2 SGB X (Vorliegen von Wiederaufnahmegründen) sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.
Entgegen der Auffassung des LSG kann der angefochtene Bescheid auch nicht gemäß § 43 SGB X in einen rechtmäßigen Beanstandungsbescheid umgedeutet werden, weil die Voraussetzungen für den Erlaß eines solchen Bescheides nicht erfüllt sind.
Die Beanstandung von Beiträgen wird im Gesetz als Rechtsinstitut nur im Zusammenhang mit Pflichtbeiträgen erwähnt (vgl § 26 Abs 1 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung [SGB IV] und § 202 SGB VI). Sie ist das Mittel, um Klarheit über die Rechtmäßigkeit von gezahlten Pflichtbeiträgen zu gewinnen, denn diese werden regelmäßig nicht aufgrund eines Bescheides gezahlt, in welchem über Versicherungs- und Beitragspflicht entschieden worden ist. Mit der Beanstandung entscheidet der Versicherungsträger in diesen Fällen erstmals, daß die Pflichtbeiträge zu Unrecht entrichtet sind, die der Arbeitgeber oder der Versicherte gezahlt hat. Bei freiwilligen Beiträgen, die aufgrund eines Zulassungsbescheides entrichtet worden sind, mag ein Beanstandungsbescheid Bedeutung haben, wenn Beiträge über den im Zulassungsbescheid ausgesprochenen Umfang hinaus gezahlt worden sind. Über die Rechtmäßigkeit der im Umfang des Zulassungsbescheides gezahlten Beiträge ist jedoch bereits durch diesen entschieden. Für eine Beanstandung, dh die erstmalige Entscheidung über die Rechtmäßigkeit von Beiträgen, ist dann kein Raum mehr. Die Rechtmäßigkeit ihrer Entrichtung kann nur noch beseitigt werden, indem der Zulassungsbescheid seinerseits durch einen Bescheid zurückgenommmen, widerrufen oder anderweitig aufgehoben wird (vgl § 39 Abs 2 SGB X).
Hiernach erwies sich die Revision der Klägerin als begründet. Deshalb waren die Urteile der Vorinstanzen und der angefochtene Bescheid aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Dr. Peters Balzer ThieleBUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen