Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 14.03.1995; Aktenzeichen L 6 Ar 294/94)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. März 1995 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Nachzahlung von Beiträgen nach § 282 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) hat.

Die 1933 geborene Klägerin hat am 28. Mai 1955 die Ehe geschlossen. Auf ihren Antrag vom 10. Juli 1957 erstattete ihr die Beklagte mit Bescheid vom 4. Oktober 1957 die Hälfte der im Zeitraum vom 15. April 1950 bis 27. Mai 1955 zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten Beiträge. Der Erstattungsbescheid war auf § 1303 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der seit 1. Januar 1957 geltenden Fassung des Art 1 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 (BGBl I S 45 – ArVNG) gestützt.

Am 28. November 1991 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen gemäß Art 2 § 28 ArVNG. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 19. Dezember 1991 und Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 1992). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 16. Mai 1994). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 14. März 1995). Die Klägerin habe kein Recht zur Nachzahlung von Beiträgen. Die Beklagte habe die für die Zeit vom 15. April 1950 bis 27. Mai 1955 gezahlten Beiträge wirksam und bestandskräftig erstattet. Die Beiträge seien der Klägerin nicht anläßlich der Ehe iS von § 282 SGB VI erstattet worden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin. Sie rügt eine Verletzung von § 282 SGB VI.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Bayerischen LSG vom 14. März 1995 und das Urteil des SG vom 16. Mai 1994 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verpflichten, ihr die Nachzahlung von Beiträgen nach § 282 SGB VI zu gestatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat mit Recht die Berufung der Klägerin gegen das klagabweisende Urteil des SG zurückgewiesen.

Die Klägerin ist nicht zur Nachentrichtung oder zur Nachzahlung berechtigt. Nach § 282 Abs 1 Satz 1 SGB VI, der durch das Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl I 2261) mit Wirkung ab 1. Januar 1992 eingeführt worden ist (Art 1, Art 85 Abs 1 RRG 1992), können Frauen Beiträge nachzahlen, denen anläßlich der Eheschließung Beiträge erstattet worden sind. Die Klägerin gehört nicht zu diesem Personenkreis, weil ihr Beiträge nicht iS dieser Vorschrift „anläßlich der Eheschließung” erstattet worden sind.

Im Zeitpunkt des Antrages der Klägerin auf Beitragserstattung im Jahre 1957 galt für die Beitragserstattung bei Heirat (im folgenden: Heiratserstattung) § 1304 RVO idF des Art 1 ArVNG vom 23. Februar 1957, BGBl I 45 (entspricht § 83 des Angestelltenversicherungsgesetzes ≪AVG≫ idF des Art 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes ≪AnVNG≫ vom 23. Februar 1957, BGBl I 88). Nach dieser zum 1. Januar 1957 eingeführten Vorschrift waren einer Versicherten nach ihrer Heirat auf Antrag die Hälfte der nach der Währungsreform im Bundesgebiet und im Land Berlin entrichteten Beiträge bis zum Ende des Monats zu erstatten, in dem der Antrag gestellt wurde. Der Anspruch konnte nur binnen drei Jahren nach der Eheschließung geltend gemacht werden (§ 1304 Abs 2 RVO, § 83 Abs 2 AVG). Die Vorschrift galt gemäß Art 2 § 28 ArVNG aF (Art 2 § 27 AnVNG aF) jedoch nur für Eheschließungen nach Inkrafttreten der Neuregelung am 1. Januar 1957 (Art 3 § 8 Satz 1 ArVNG, Art 3 § 7 Satz 1 AnVNG). Der Klägerin stand nach dieser Regelung kein Anspruch auf Heiratserstattung zu, weil sie bereits im Juli 1956, also vor dem Stichtag, geheiratet hatte. Die Beklagte hat ihr daher die Beiträge auch nicht nach § 1304 RVO erstattet. Die Beitragserstattung wurde vielmehr aufgrund der „allgemeinen Erstattungsregelung” des § 1303 Abs 1 RVO durchgeführt. Nach dieser Vorschrift (vgl auch § 82 Abs 1 AVG; heute § 210 Abs 1 Nr 1 SGB VI) war Versicherten auf Antrag die Hälfte der genannten Beiträge zu erstatten, wenn die Versicherungspflicht in allen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung entfallen war, ohne daß nach § 1233 RVO (§ 10 AVG) das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung bestand, weil innerhalb von zehn Jahren nicht während 60 Kalendermonaten Beiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet worden waren. Voraussetzung für die Erstattung war ferner, daß seit dem Wegfall der Versicherungspflicht zwei Jahre verstrichen waren und inzwischen nicht erneut eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden war. Die Klägerin erfüllte die Voraussetzungen für eine Erstattung nach der allgemeinen Erstattungsregelung des § 1303 Abs 1 RVO (§ 82 Abs 1 AVG). Als sie ihre versicherungspflichtige Beschäftigung im Mai 1955 aufgab, waren für sie noch nicht für 60 Kalendermonate Pflichtbeiträge entrichtet. Außerdem hatte sie bis zur Beitragserstattung im Oktober 1957 mehr als zwei Jahre keine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt.

Die Beitragserstattung nach der allgemeinen Erstattungsregelung (§ 1303 Abs 1 RVO, § 82 Abs 1 AVG) stand jedoch rechtlich nicht in einem Zusammenhang mit einer Heirat und galt für weibliche und männliche Versicherte gleichermaßen. Sie wurde allerdings rein tatsächlich auch von Frauen in Anspruch genommen, die sich nach ihrer Heirat Beiträge erstatten lassen wollten, wenn es für sie keine spezielle Heiratserstattung gab (so bei der Klägerin) oder sie die dafür geltende dreijährige Antragsfrist versäumt hatten (vgl die Urteile vom 12. September 1995 – 12 RK 24/95 – und – 12 RK 13/95, beide zur Veröffentlichung vorgesehen). Diese Beitragserstattungen waren jedoch rechtlich gesehen nicht von der Heirat abhängig und sind daher keine Beitragserstattungen „anläßlich der Eheschließung” iS des § 282 Abs 1 Satz 1 SGB VI. „Anläßlich der Eheschließung” in diesem Sinne sind Beiträge nur erstattet worden, wenn die Erstattung seinerzeit nach den früheren Heiratserstattungsvorschriften durchgeführt worden ist oder sie doch nach einer Heiratserstattungsregelung zulässig gewesen wäre. Für diese Auslegung des Gesetzes spricht die Entwicklung der Vorschriften zur Heiratserstattung sowie zur Nachentrichtung und Nachzahlung von Beiträgen wegen einer früheren Erstattung.

Eine Heiratserstattung sahen bereits § 30 des Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes vom 22. Juni 1889 (RGBl 97) und § 42 des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899 (RGBl 463) vor. Diese Regelungen wurden jedoch zum 1. Januar 1912 aufgehoben (Art 2 Abs 1, Art 5 des Einführungsgesetzes zur RVO vom 19. Juli 1911, RGBl 839). Die RVO vom 19. Juli 1911 (RGBl 509) enthielt keine entsprechende Vorschrift. In der Angestelltenversicherung war die Heiratserstattung dagegen in § 62 des Versicherungsgesetzes für Angestellte vom 20. Dezember 1911 (RGBl 989) und § 62 AVG idF der Bekanntmachung vom 28. Mai 1924 (RGBl I 563) sowie mit Wirkung vom 1. Januar 1934 in § 47 AVG weiterhin vorgesehen (Art II Nr 2, Art IV § 1 Abs 1 der Verordnung vom 17. Mai 1934, RGBl I 419). Das Ausbaugesetz (AusbauG) vom 21. Dezember 1937 (RGBl I 1393) führte die Heiratserstattung zum 1. Januar 1938 auch in der Rentenversicherung der Arbeiter wieder ein. Die Heiratserstattungsregelung in § 1309a RVO idF des § 28 AusbauG und des § 20 der Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des AusbauG vom 1. September 1938 (RGBl I 1142) galt für Eheschließungen nach dem 31. Dezember 1937 (§ 120 AusbauG) und fand gemäß § 47 AVG idF des § 70 AusbauG in der Angestelltenversicherung entsprechende Anwendung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben diese Vorschriften lediglich in dem ehemaligen Land Baden und im Land Rheinland-Pfalz entweder unverändert (so in Baden) oder mit gewissen Änderungen (so in Rheinland-Pfalz, Art II des Gesetzes vom 5. September 1949, GVBl 438) in Kraft. Dagegen wurden sie in den Ländern der ehemaligen britischen Besatzungszone mit Wirkung vom 14. Oktober 1945 an suspendiert (Ziffer 5 der SVD Nr 3 vom 14. Oktober 1945, ArbBl für die britische Zone 1947, 12). In den Ländern der ehemaligen amerikanischen Besatzungszone wurden sie mit Wirkung vom 1. August 1947 an und im ehemaligen Land Württemberg-Hohenzollern vom 1. August 1948 an „bis auf weiteres” aufgehoben (§ 2 des Württemberg-Badischen Gesetzes Nr 709 vom 31. Juli 1947, RegBl 77; § 2 des Bayerischen Gesetzes Nr 68 vom 21. Juli 1947, GVBl 145; § 2 des Hessischen Gesetzes vom 15. Juli 1947, GVBl 44; § 2 des Bremischen Gesetzes vom 2. August 1947, GBl 167; § 2 des Gesetzes von Württemberg-Hohenzollern vom 6. August 1948, RegBl 111) und im Land Berlin mit Wirkung vom 1. April 1952 an endgültig außer Kraft gesetzt (§ 48 Nr 3 des Rentenversicherungs-Überleitungsgesetzes vom 10. Juli 1952, GVBl 588).

§ 1304 RVO idF des ArVNG (§ 83 AVG idF des AnVNG) führte die Heiratserstattung zum 1. Januar 1957 zwar bundeseinheitlich für Eheschließungen ab diesem Zeitpunkt erneut ein. Sie wurde jedoch schon ab 1968 wieder beseitigt (Art 1 § 2 Nr 11, Art 3 § 15 des Finanzänderungsgesetzes 1967 ≪FinÄndG 1967≫ vom 21. Dezember 1967 – BGBl I 1259). Die Abschaffung von Heiratserstattungen für die Zukunft wurde alsbald um ein Recht zur Nachentrichtung von Beiträgen für die Vergangenheit ergänzt. Durch Art 2 § 2 Nr 6 des Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (3. RVÄndG) vom 28. Juli 1969 (BGBl I 956) wurde mit Wirkung vom 1. August 1969 für die Frauen, die die Heiratserstattung in Anspruch genommen hatten, in Art 2 § 28 ArVNG nF (Art 2 § 27 AnVNG nF) ein außerordentliches Beitragsnachentrichtungsrecht eingeführt. Nach dieser Regelung konnten weibliche Versicherte, denen aufgrund der früheren Heiratserstattungsvorschriften Beiträge erstattet worden waren, auf Antrag für die Erstattungszeiträume Beiträge nachentrichten. Das Nachentrichtungsrecht war auf Versicherte beschränkt, die nach der Beitragserstattung während mindestens 24 Kalendermonaten Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung entrichtet hatten und bei Antragstellung versicherungspflichtig beschäftigt waren. Die Beseitigung der Heiratserstattung durch das FinÄndG 1967 und die Einführung des Nachentrichtungsrechts durch das 3. RVÄndG hatten das gleiche Ziel, nämlich die Rechtsstellung der berufstätigen Frau in der Rentenversicherung zu verbessern. Es hatte sich gezeigt, daß viele Frauen nach der Eheschließung weiter arbeiteten oder in einem späteren Alter erneut eine Beschäftigung aufnahmen und dann durch die Erstattung der Versicherungsbeiträge auf lange Sicht erheblich benachteiligt wurden (vgl die Begründung des RegEntwurfs zum FinÄndG 1967, BT-Drucks V/2149, 27 unter Nr 12 und Schriftlicher Bericht des Bundestags-Ausschusses für Sozialpolitik vom 25. Juni 1969 zu BT-Drucks V/4447, 7). Der Wegfall der Heiratserstattung für die Zukunft bildete die erste Teilmaßnahme, die Mängel in der sozialen Sicherung von Hausfrauen und früheren Hausfrauen auszugleichen. Die Regelung über die Nachentrichtung räumte dann Frauen, deren Altersversorgung infolge der früheren Erstattungsregelungen verkürzt war, ergänzend das Recht ein, die in der Vergangenheit entstandenen Beitragslücken durch Entrichtung freiwilliger Beiträge zu schließen. Das Nachentrichtungsrecht stand somit nur Frauen zu, die, anders als die Klägerin, von den früher gesetzlich zugelassenen Heiratserstattungen Gebrauch gemacht hatten (vgl auch BSG SozR 5750 Art 2 § 28 Nr 4).

Die Nachentrichtungsregelung des Art 2 § 28 ArVNG nF (Art 2 § 27 AnVNG nF) ist durch Art 83 Nrn 2 und 7 RRG 1992 mit Wirkung vom 1. Januar 1992 aufgehoben worden. An ihre Stelle ist gleichzeitig § 282 SGB VI getreten, auf den die Klägerin nunmehr ihr Nachzahlungsrecht stützt. § 282 Abs 1 Satz 1 SGB VI macht die Nachzahlung zwar nicht mehr ausdrücklich von einer Beitragserstattung nach den früheren Heiratserstattungsvorschriften abhängig, sondern erstreckt sie nach seinem Wortlaut auf „Frauen, denen anläßlich der Eheschließung Beiträge erstattet worden sind”. Mit dieser Neuregelung sollte jedoch – wie nach bisherigem Recht – nur die Möglichkeit eröffnet werden, die unerwünschten Versicherungslücken auszufüllen, die gerade durch Inanspruchnahme der früher gesetzlich zugelassenen Heiratserstattungen eingetreten sind (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks 11/4124, 143 unter V.4. und 204 zu § 274). Unter Beitragserstattungen „anläßlich der Eheschließung” fallen daher sicher die früheren Heiratserstattungen selbst. Erfaßt werden auch Erstattungen, die der Rentenversicherungsträger in seinem Bewilligungsbescheid auf die allgemeine Erstattungsregelung (§ 1303 Abs 1 RVO, § 82 Abs 1 AVG) gestützt hat, die aber auch nach der Heiratserstattungsregelung zulässig gewesen wären. In diesen Fällen ist der Rechtsgrund der Erstattung austauschbar, da er als Begründung der Beitragserstattung nicht der Bindungswirkung (§ 77 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) unterliegt.

Dagegen wird der Bereich der früheren Heiratserstattungen verlassen, wenn die Beiträge deswegen nach der allgemeinen Erstattungsregelung erstattet worden sind, weil das seinerzeit geltende Heiratserstattungsrecht eine Beitragserstattung nicht zuließ (vgl § 1304 Abs 2 RVO, § 83 Abs 2 AVG; Art 2 § 28 ArVNG aF, Art 2 § 27 AnVNG aF) oder es entsprechende Bestimmungen noch nicht oder nicht mehr gab. Aus dem Gesetz ergibt sich nicht zwingend, daß das Nachzahlungsrecht über die Heiratserstattung hinaus auf die allgemeine Beitragserstattung ausgedehnt werden sollte. Die Überschrift des § 282 SGB VI „Nachzahlung bei Heiratserstattung” weist vielmehr auf den Zusammenhang des Nachzahlungsrechts mit den (früheren) Heiratserstattungen hin. Kriterien, nach denen die Beitragserstattung „anläßlich der Eheschließung” anders als nach den früheren Heiratserstattungen abgegrenzt werden könnte, finden sich im Gesetz nicht. Wenn der Gesetzgeber das Nachzahlungsrecht auf Beitragserstattungen nach anderen Vorschriften hätte erstrecken wollen, hätte eine gesetzliche Regelung zur Abgrenzung nahegelegen, da die Erstattungen weit zurückliegen und erhebliche Beweisschwierigkeiten auftreten können. Der Senat hatte in seinem Urteil vom 26. Juni 1985 (SozR 5750 Art 2 § 28 Nr 4 S 8) eine Möglichkeit angesprochen, den Kreis der Nachentrichtungsberechtigten zu erweitern, nämlich statt an die Rechtsgrundlage der Beitragserstattung an die Dreijahresfrist des § 1304 Abs 2 RVO (§ 83 Abs 2 AVG) anzuknüpfen. Im Hinblick auf die Suspendierung der Heiratserstattungsvorschriften im überwiegenden Teil der alten Bundesländer zwischen 1945 und 1956 wäre es auch denkbar gewesen, das Nachzahlungsrecht für Beitragserstattungen einzuräumen, die binnen drei Jahren nach Inkrafttreten der Heiratserstattungsregelung des § 1304 RVO (§ 83 AVG) am 1. Januar 1957 beantragt worden sind, wenn die Ehe vor diesem Zeitpunkt geschlossen wurde. Solche Abgrenzungen sieht das Gesetz jedoch nicht vor. Hinzu kommt, daß § 282 Abs 1 SGB VI als Ausnahmeregelung zu den allgemeinen Beitragsentrichtungsfristen (§ 197 SGB VI) eher eng auszulegen ist (vgl zu früheren Nachentrichtungsrechten BSGE 47, 207, 208 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 24; BSG SozR 3-5750 Art 2 § 52a Nr 1). Das gilt hier in besonderem Maße, weil auch für die Berechnung der Beiträge in § 282 Abs 2 Satz 2 SGB VI eine von der allgemeinen Berechnungsvorschrift für nachzuzahlende Beiträge (§ 209 Abs 2 SGB VI) abweichende, günstigere Regelung vorgesehen ist.

Das Nachzahlungsrecht ist auch nicht im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) auf Beitragserstattungen nach der allgemeinen Erstattungsregelung zu erstrecken. Das gilt auch, wenn hiervon Frauen betroffen sind, die, wie die Klägerin, zu keiner Zeit einen Anspruch auf Heiratserstattung hatten und aus diesem Grunde von dem allgemeinen Erstattungsrecht Gebrauch gemacht haben. Diese Frauen, denen die Beiträge nach ihrer Heirat nach der allgemeinen Erstattungsregelung erstattet worden sind und auch nur nach dieser Regelung erstattet werden konnten, gehören zu der größeren Gruppe derjenigen (weiblichen und männlichen) Versicherten, für die nur diese allgemeinen Erstattungsvorschriften in Betracht kamen. Sie würden, wenn sie in das Nachzahlungsrecht aufgrund Heiratserstattung mit einbezogen würden, gegenüber den anderen Angehörigen dieser Gruppe bevorzugt. Offenbleiben kann, ob es im Rahmen der Zielsetzung des SGB VI, die familienbezogenen Elemente auszubauen (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks 11/4124, 142 f), befriedigender gewesen wäre, das Nachzahlungsrecht auf diese Frauen zu erstreken – jedenfalls dann, wenn sie die Erstattung in zeitlichem Zusammenhang mit ihrer Eheschließung beantragt hatten. Eine solche Regelung ist jedoch nicht getroffen worden. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers hierzu bestand aus Art 3 Abs 1 GG nicht. Er brauchte nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen (BVerfGE 71, 255, 271; 81, 156, 206 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1 S 18). Es genügt, wenn sich in Bezug auf die Eigenart des zu regelnden Sachverhalts ein sachlich zureichender Grund anführen läßt (BVerfGE 89, 132, 142 = SozR 3-4100 § 186c Nr 1 S 5). Dieser ergibt sich hier aus dem Zweck der Nachzahlungsregelung, eine Korrektur gerade der früher gesetzlich zugelassenen Heiratserstattungen zu ermöglichen. Die von der Klägerin behauptete Ungleichbehandlung im Verhältnis zu den Frauen, die in Ländern wohnten, wo vor dem 1. Januar 1957 eine Heiratserstattung zulässig war, wirkt sich bei ihr insofern nicht aus, als sie den Erstattungsantrag erst im Jahre 1957 gestellt hat. Seit dem 1. Januar 1957 war jedoch im ganzen Bundesgebiet die Heiratserstattung nur bei den nach diesem Datum geschlossenen Ehen zulässig.

Der Klägerin, der die Beiträge nach der allgemeinen Erstattungsregelung erstattet worden sind, steht daher das Nachzahlungsrecht gemäß § 282 Abs 1 Satz 1 SGB VI nicht zu.

Das LSG hat es auch zu Recht für unerheblich erklärt, ob die Klägerin im Jahr 1957 tatsächlich einen Antrag auf Heiratserstattung nach § 1304a RVO idF ab 1. Januar 1938 bzw nach § 1304 RVO idF des Art 1 ArVNG gestellt hat. Die Rechtsprechung hat das Fehlen eines wirksamen Antrages auf Beitragserstattung nach § 1303 Abs 1 RVO (§ 82 Abs 1 AVG) allerdings als Fehler angesehen, der die Nichtigkeit des Erstattungsbescheides zur Folge hat (BSGE 52, 245, 246 = SozR 2200 § 1303 Nr 22; BSG SozR 2200 § 1303 Nr 12). Die Entscheidungen betrafen jedoch Sachverhalte, in denen der Versicherte überhaupt keine Beitragserstattung beantragt hatte (BSGE 52, 245 = SozR 2200 § 1303 Nr 22) bzw der ursprüngliche Antrag durch Bescheid erledigt war (BSG SozR 2200 § 1303 Nr 12). Die Klägerin hatte jedoch einen Antrag auf Erstattung ihrer Beiträge gestellt. Von dem Fehlen eines Erstattungsantrages iS der Rechtsprechung wäre allenfalls auszugehen, wenn sie ihren Antrag auf eine Heiratserstattung nach § 1304 RVO beschränkt, dh die Erstattung nach anderen Vorschriften ausdrücklich ausgeschlossen hätte. Das hat jedoch das LSG nicht festgestellt. Dagegen spricht auch, daß die Klägerin den Erstattungsbescheid, der aufgrund des § 1303 Abs 1 RVO ergangen ist, damals hat bindend werden lassen und die erstatteten Beiträge entgegengenommen hat.

Lag, wie bei der Klägerin, ein Erstattungsantrag vor, so hatte die Beklagte das Leistungsbegehren unter allen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen zu prüfen und bei Vorliegen der Voraussetzungen einer von ihnen auch die Leistung zu gewähren. Davon ist das LSG zu Recht ausgegangen. Das entspricht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu Anträgen im Leistungsrecht (vgl BSG SozR 5070 § 10a Nr 3 S 7 mwN). Etwas anderes würde nur gelten, wenn die Beitragserstattungsvorschriften der §§ 1303, 1304 RVO (§§ 82, 83 AVG) den Versicherten unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt hätten. Ein allgemein gehaltener Antrag hätte die Beklagte dann von ihrer Prüfungspflicht entbunden (vgl hierzu BSG SozR 5070 § 10a Nr 3 S 7 mwN). Solche Gestaltungsmöglichkeiten bestanden jedoch nicht. Die begehrte Leistung (Beitragserstattung) war vielmehr unabhängig von der Rechtsgrundlage der Erstattung auf Geldzahlung gerichtet, nämlich die Erstattung der Arbeitnehmeranteile der entrichteten Rentenversicherungsbeiträge, und führte rechtlich zur rückwirkenden Auflösung des Versicherungsverhältnisses (§ 1304 Abs 3, § 1303 Abs 7 RVO (§ 83 Abs 3, § 82 Abs 7 AVG).

Dennoch wird den Versicherten in Bezug auf die Beitragserstattungsvorschriften der §§ 1303, 1304 RVO (§§ 82, 83 AVG) eine Verfügungsbefugnis nicht abgesprochen werden können, die Beitragserstattung nach der einen Vorschrift in Anspruch zu nehmen, auf die Erstattung nach der anderen jedoch zu verzichten (vgl hierzu BSG SozR 1300 § 103 Nr 13, S 13; BSGE 60, 11, 13 ff = SozR 3870 § 3 Nr 21). Hierfür spricht die Selbständigkeit der Ansprüche, für die der Antrag jeweils materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung war. Sollte die Klägerin von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben und ihren Antrag im Februar 1957 auf die Beitragserstattung nach der Heiratserstattungsvorschrift (§ 1304 RVO) beschränkt haben, würde die Erstattung auf der Grundlage der allgemeinen Erstattungsregelung (§ 82 Abs 1 AVG) gleichwohl nicht zur Nichtigkeit des Bescheides der Beklagten geführt haben. Nichtig ist ein Verwaltungsakt nicht schon bei Rechtswidrigkeit, sondern erst dann, wenn er in einem so schwerwiegenden Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung und den ihr zugrundeliegenden Wertvorstellungen steht, daß es unerträglich wäre, wenn er die beabsichtigten Rechtswirkungen zeitigen würde (vgl BSG SozR 3-1300 § 40 Nr 2 S 17). Ein solches Gewicht hatte es nach damaligem Recht nicht, wenn die Beklagte die Beschränkung des Erstattungsantrags auf eine bestimmte Rechtsgrundlage der Beitragserstattung außer acht ließ. Die Beklagte hat mit dem Erstattungsbescheid nichts verfügt, was ihr die Rechtsordnung grundsätzlich verwehrte: Der Erstattungsanspruch stand der Klägerin zu. Die tatsächlichen und rechtlichen Folgen der Erstattung (die Zahlung der Beiträge und die rückwirkende Auflösung des Versicherungsverhältnisses) waren nach damaligem Recht in beiden Erstattungsfällen die gleichen und entsprachen daher auch dem Willen der Klägerin. Gegen die Schwere und Offensichtlichkeit des Fehlers spricht schließlich die schon erwähnte Tatsache, daß die Klägerin den auf § 82 Abs 1 AVG hinweisenden Erstattungsbescheid der Beklagten hingenommen und den Erstattungsbetrag nicht zurückgewiesen hat.

Soweit die Klägerin hilfsweise geltend macht, daß sie ihre Erklärung, gemeint ist anscheinend der Erstattungsantrag, anfechte, ist ein Anfechtungsgrund nicht erkennbar.

Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173023

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