Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Verletztenrente. Bewilligung nach einem niedrigeren Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit als dem in der Bewilligungsentscheidung über eine Verletztenrente als vorläufige Entschädigung zugrunde gelegten Grad. Aufhebung der Entscheidung über die vorläufige Entschädigung. Dreijahresfrist. Bekanntgabe. formelle Wirksamkeit. späterer Eintritt der materiell-rechtlichen Wirkungen der Aufhebung unerheblich
Leitsatz (amtlich)
Die Bewilligung einer als vorläufige Entschädigung geleisteten Verletztenrente kann aufgehoben und nunmehr eine Verletztenrente ohne Bindung an die bisher zugrunde gelegte Minderung der Erwerbsfähigkeit bewilligt werden, wenn die Aufhebung innerhalb von drei Jahren nach dem Versicherungsfall durch Bekanntgabe wirksam wird, auch wenn die materiell-rechtlichen Wirkungen der Aufhebung erst nach diesem Zeitraum eintreten.
Normenkette
SGB 7 § 56 Abs. 1; SGB 7 § 62 Abs. 2 Sätze 1-2; SGB 7 § 73 Abs. 1; SGB 10 § 37 Abs. 1, § 39 Abs. 1; RVO § 622 Abs. 2, § 1585
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 5. Dezember 2012 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der im Anschluss an eine vorläufige Entschädigung zu zahlenden Verletztenrente streitig.
Die Klägerin erlitt am 15.7.1999 in ihrer versicherten Tätigkeit als Postzustellerin einen Autounfall, den die Beklagte als Arbeitsunfall anerkannte. Bis zum 29.10.2001 erhielt sie Verletztengeld. Mit Bescheid vom 20.12.2001 stellte die Beklagte bestimmte Gesundheitsschäden als Folgen des Arbeitsunfalles fest und gewährte als vorläufige Entschädigung ab 30.10.2001 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70 vH. Nach Einholung von Gutachten und Anhörung der Klägerin entschied die Beklagte in einem der Klägerin am 12.7.2002 zugegangenen Bescheid vom 11.7.2002, dass ab 1.8.2002 anstelle der als vorläufige Entschädigung gezahlten Rente eine Rente lediglich nach einer MdE von 35 vH auf unbestimmte Zeit gezahlt werde. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, es sei eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes eingetreten. Auch sei die bislang als vorläufige Entschädigung gewährte Rente nunmehr gemäß § 62 Abs 2 Satz 1 SGB VII als Dauerrente nach einer MdE von 70 vH weiterzugewähren, weil nicht binnen drei Jahren nach dem Unfallereignis, sondern erst zum 1.8.2002 die erstmalige Feststellung der Rente erfolgt sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.1.2003 zurück.
Das SG hat die Klage gegen diese Bescheide sowie gegen eine die Anerkennung weiterer Unfallfolgen betreffende Entscheidung der Beklagten vom 25.5.2007 und auf Zahlung einer Verletztenrente ab 1.8.2002 nach einer MdE von 70 vH sowie ab 1.1.2007 nach einer MdE von 80 vH abgewiesen (Urteil vom 17.3.2010). Die Beklagte sei berechtigt gewesen, ohne Bindung an die bisher zugrunde gelegte Höhe der MdE die Verletztenrente nach einer niedrigeren MdE ab 1.8.2002 festzusetzen, weil der Bescheid der Klägerin innerhalb der Frist von drei Jahren bekannt gegeben worden sei und die unfallbedingte MdE nur noch 30 vH betrage. Das LSG hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des SG und den Bescheid der Beklagten vom 11.7.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.1.2003 aufgehoben (Urteil vom 5.12.2012). Die Beklagte sei nicht mehr aufgrund des § 62 Abs 2 SGB VII zur Herabsetzung der Verletztenrente befugt gewesen. Zwar sei der Bescheid vom 11.7.2002 der Klägerin innerhalb von drei Jahren nach dem Unfallzeitpunkt zugegangen, dessen materielle Wirksamkeit sei jedoch aufgrund des § 73 Abs 1 SGB VII erst nach dem Dreijahreszeitraum zum Zeitpunkt des Beginns der Verletztenrente nach einer MdE von 35 vH am 1.8.2002 eingetreten. Für den Dreijahreszeitraum des § 62 Abs 2 SGB VII sei allein auf diesen Zeitpunkt des Eintritts der materiellen Rechtsfolgen des Bescheids abzustellen. Die Verletztenrente sei daher als Dauerrente nach einer MdE von 70 vH in Höhe der vorläufigen Entschädigung weiterzuzahlen. Eine wesentliche Änderung der Unfallfolgen, die zu einer abweichenden Rentenfestsetzung hätte berechtigen können, sei nach den vorliegenden Beweisergebnissen nicht feststellbar. Der die Anerkennung weiterer Unfallfolgen betreffende Bescheid vom 25.5.2007 sei nicht Gegenstand des Verfahrens geworden.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 62 Abs 2 SGB VII. Innerhalb der Frist von drei Jahren sei der Klägerin der Bescheid vom 11.7.2002 bekanntgegeben und damit wirksam geworden. Auf diesen Zeitpunkt sei abzustellen, so dass die Feststellung der Verletztenrente auf Dauer ohne Bindung an die bisher zugrunde gelegte MdE habe erfolgen dürfen. Die MdE habe nach den eingeholten Gutachten 35 vH betragen.
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Die Beklagte beantragt, |
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das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 5. Dezember 2012 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 17. März 2010 zurückzuweisen. |
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Die Klägerin beantragt, |
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die Revision zurückzuweisen. |
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils des LSG und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an dieses Gericht begründet. Entgegen der Rechtsansicht des LSG war die Beklagte gemäß § 62 Abs 2 SGB VII befugt, die Bewilligung der als vorläufige Entschädigung zuerkannten Verletztenrente vom 20.12.2001 aufzuheben und eine Verletztenrente auf Dauer ohne Bindung an die bisher zugrunde gelegte MdE zu bewilligen. Ob die Beklagte allerdings die Verletztenrente ab 1.8.2002 nach einer höheren MdE als 35 vH zu gewähren hat, kann wegen fehlender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts nicht entschieden werden.
1. Auf die Revision der Beklagten war über die Anfechtungsklage der Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 11.7.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.1.2003 zu entscheiden, der das LSG stattgegeben hatte. Mit den angefochtenen Verfügungen hat die Beklagte die Feststellung einer als vorläufige Entschädigung zu zahlenden Verletztenrente nach einer MdE von 70 vH mit Ablauf des Monats Juli 2002 aufgehoben und eine Verletztenrente nach einer MdE von 35 vH auf Dauer ab 1.8.2002 gewährt. Soweit das LSG das Urteil des SG auch insoweit aufgehoben hat, als das erstinstanzliche Gericht die Klage gegen den weiteren Bescheid vom 25.5.2007 abgewiesen hat, ist hierüber nicht zu entscheiden. Insoweit hat die Beklagte als Revisionsführerin das Urteil des LSG nicht angefochten. Die Klägerin konnte zulässig ihr vorrangiges Ziel der Weitergewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 70 vH über den 1.8.2002 hinaus mit einer Anfechtungsklage erreichen (§ 54 Abs 1 SGG). Soweit die Klägerin die von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden ebenfalls abgelehnte Zahlung einer Verletztenrente nach einer höheren MdE als 70 vH, nämlich 80 vH, begehrt, konnte die Klägerin dieses Begehren zulässig mit einer Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) verfolgen (vgl dazu BSG vom 5.2.2008 - B 2 U 6/07 R - SozR 4-1300 § 41 Nr 1 RdNr 11).
2. Die Beklagte war gemäß § 62 Abs 2 SGB VII befugt, die vorläufige Entschädigung der Klägerin durch Bescheid vom 11.7.2002 mit Wirkung ab 1.8.2002 neu festzustellen. Maßgebend für die Anwendbarkeit des § 62 Abs 2 SGB VII ist entgegen der Rechtsansicht des LSG ausschließlich die formelle Wirksamkeit (Bekanntgabe gemäß § 37 Abs 1 iVm § 39 Abs 1 SGB X) des Bescheids vom 11.7.2002.
In der gesetzlichen Unfallversicherung haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Unfall hinaus um mindestens 20 vH gemindert ist, nach § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII Anspruch auf Rente. Diese wird bei Minderung der Erwerbsfähigkeit als Teilrente geleistet und in Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der MdE entspricht (§ 56 Abs 3 Satz 2 SGB VII). Gemäß § 62 Abs 2 Satz 2 SGB VII kann bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung der Vomhundertsatz der MdE abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben. Nach Satz 1 des § 62 Abs 2 SGB VII wird die Rente jedoch spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall kraft Gesetzes als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet. § 62 Abs 2 SGB VII ermächtigt damit dazu, trotz vorliegender Entscheidung über die Bewilligung einer Verletztenrente als vorläufige Entschädigung eine Dauerrente ohne Bindung an die bisher zugrunde gelegte MdE nach einer niedrigeren MdE zu bewilligen, ohne dass dafür eine wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen eingetreten sein müsste, die bei Bewilligung der vorläufigen Entschädigung vorgelegen hatten. Diese Spezialvorschrift verdrängt in ihrem Anwendungsbereich die generelle Regelung des § 48 SGB X, die als Voraussetzung ua eine wesentliche Änderung der Verhältnisse für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes fordert. Die Anwendung des § 62 Abs 2 Satz 2 SGB VII setzt voraus, dass eine Verletztenrente als vorläufige Entschädigung bewilligt wurde, der Versicherungsträger nunmehr erstmals darüber entscheidet, ob dem Versicherten eine Rente auf unbestimmte Zeit zusteht, und der Änderungsvorbehalt wegen Ablaufes des Dreijahreszeitraumes noch nicht entfallen war (vgl BSG vom 16.3.2010 - B 2 U 2/09 R - BSGE 106, 43 = SozR 4-2700 § 62 Nr 1, RdNr 14 ff). Diese Voraussetzungen des § 62 Abs 2 SGB VII lagen hier vor.
a) Die Beklagte hatte nach Anhörung der Klägerin gemäß § 24 Abs 1 SGB X in dem angefochtenen Bescheid vom 11.7.2002 für einen mit den Umständen vertrauten objektiven Erklärungsempfänger noch hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie die Regelung in dem Bescheid vom 20.12.2001 über die bewilligte Verletztenrente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 70 vH zum Ablauf des 31.7.2002 aufhebe und ab 1.8.2002 eine Verletztenrente nach einer MdE von 35 vH gewähre. Auch wenn Rechtsklarheit und Rechtssicherheit grundsätzlich erfordern, in der Aufhebungsentscheidung den aufzuhebenden Verwaltungsakt genau zu benennen und den Umfang der Aufhebung zu bezeichnen (vgl hierzu BSG vom 16.3.2010 - B 2 U 2/09 R - BSGE 106, 43 = SozR 4-2700 § 62 Nr 1, RdNr 22), genügte der angefochtene Bescheid hier noch dem Bestimmtheitserfordernis des § 33 Abs 1 SGB X.
b) In dem Bescheid vom 20.12.2001 hatte die Beklagte eine Verletztenrente als vorläufige Entschädigung iS von § 62 Abs 1 Satz 1 SGB VII gewährt. In diesem Bescheid hatte sie durch ausdrückliche Verwendung der Bezeichnung "vorläufige Entschädigung" für die bewilligte Rente und Hinweis auf § 62 Abs 1 SGB VII hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Verletztenrente lediglich vorläufig und damit unter Vorbehalt gewährt werde.
c) Nach der Bewilligung der vorläufigen Entschädigung unter Änderungsvorbehalt war zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des diese Entscheidung aufhebenden Verwaltungsaktes vom 11.7.2002 der Dreijahreszeitraum nach dem Unfallereignis am 15.7.1999 iS des § 62 Abs 2 SGB VII noch nicht abgelaufen und deshalb der Änderungsvorbehalt kraft Gesetzes noch nicht entfallen. Der angefochtene Bescheid vom 11.7.2002 ging nämlich nach den nicht mit zulässigen und begründeten Rügen angefochtenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG) dem insoweit zum Empfang von Sendungen Bevollmächtigten der Klägerin am 12.7.2002 zu. Unerheblich ist, dass der angefochtene Bescheid in Umsetzung des § 72 Abs 1 SGB VII den Endzeitpunkt der vorläufigen Entschädigung mit dem Ablauf des Juli 1999 und den Beginn der Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von nur noch 35 vH auf den 1.8.1999 und damit von den materiellen Rechtsfolgen her jeweils auf einen Zeitpunkt nach Ablauf der Dreijahresfrist festsetzte.
Für die Wahrung der Dreijahresfrist des § 62 Abs 1 und Abs 2 SGB VII genügt es, dass die die Bewilligung der vorläufigen Entschädigung aufhebende Verfügung innerhalb dieses Zeitraums gemäß § 39 Abs 1 Satz 1 SGB X durch Bekanntgabe wirksam wird, auch wenn ihre materiell-rechtlichen Wirkungen nach diesem Zeitraum eintreten (vgl ua Burchardt in: Becker ua, SGB VII, § 62 RdNr 16; Sacher in: Lauterbach, UV-SGB VII, § 62 SGB VII RdNr 21; Bereiter-Hahn/Mehrtens, GUV, § 62 SGB VII Anm 9.1; Holtstaeter in: Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Komm zum SozR, 3. Aufl 2013, § 62 RdNr 9; Padé in: jurisPK-SGB VII, § 62 RdNr 39; Marschner in: BeckOK-SozR, § 62 SGB VII RdNr 9; Kunze in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 3. Aufl, § 62 RdNr 4; Ricke in: Kasseler Komm, § 62 SGB VII RdNr 7; Kranig in: Hauck/Noftz, K § 62 SGB VII RdNr 9; vgl auch BSG vom 16.3.2010 - B 2 U 2/09 R - BSGE 106, 43 = SozR 4-2700 § 62 Nr 1, RdNr 14 ff).
Zwar ist dem Wortlaut der Regelungen des § 62 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB VII, nach denen bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung die MdE abweichend festgestellt werden kann und die vorläufige Entschädigung spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet wird, nicht mit letzter Eindeutigkeit zu entnehmen, ob die Norm auf die formelle Wirksamkeit des die erstmalige Neufeststellung regelnden Bescheides durch Bekanntgabe iS der §§ 37 Abs 1, 39 Abs 1 SGB X oder auf den materiell-rechtlichen Zeitpunkt des Wegfalls der vorläufigen Entschädigung iS des § 73 Abs 1 SGB VII abzustellen ist. Die Entstehungsgeschichte sowie der Sinn und Zweck des § 62 SGB VII sprechen jedoch dafür, allein auf den Zeitpunkt der Wirksamkeit durch Bekanntgabe der die Bewilligung der vorläufigen Entschädigung aufhebenden Entscheidung abzustellen.
Bereits die Vorschriften der RVO regelten die Gewährung einer Verletztenrente als vorläufige Entschädigung. § 1585 Abs 1 RVO sah die Gewährung einer vorläufigen Entschädigung während der ersten zwei Jahre nach dem Unfall vor, wenn die Rente noch nicht als Dauerrente festgestellt werden konnte. Gemäß § 1585 Abs 2 RVO war die Dauerrente spätestens mit Ablauf von zwei Jahren festzustellen, ohne dass hierfür die Änderung der Verhältnisse erforderlich war und ohne dass die bisherigen Feststellungen der Grundlagen für die Rentenberechnung bindend waren. § 622 Abs 2 RVO bestimmte, dass spätestens mit Ablauf von zwei Jahren nach dem Unfall die Rente kraft Gesetzes zur Dauerrente wurde. Hierzu hat der Senat entschieden, dass die Umwandlung einer vorläufigen Entschädigung kraft Gesetzes in eine Dauerrente nicht erfolgte, wenn der Entziehungsbescheid vor Ablauf der seinerzeit zweijährigen Frist nach dem Unfall bekannt gegeben wurde (vgl BSG vom 19.12.1968 - 2 RU 153/66 - BSGE 29, 73, 74 = SozR Nr 8 zu § 622 RVO, - 2 RU 95/65 - und - 2 RU 165/66 - juris, unter Aufgabe von BSG vom 29.9.1965 - 2 RU 20/65 - BSGE 24, 36, 37 = SozR Nr 2 zu § 622 RVO). Es ist nicht ersichtlich, dass durch den mit diesen Vorschriften der RVO insoweit inhaltlich übereinstimmenden § 62 SGB VII, der nunmehr allerdings eine dreijährige Frist für die Neufestsetzung einräumt, eine abweichende Regelung erfolgen sollte, so dass nunmehr für die Frage, ob innerhalb der Dreijahresfrist die vorläufige Entschädigung aufgehoben wurde, nicht mehr auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Bescheides durch Bekanntgabe abzustellen wäre. Vielmehr geht aus den Gesetzesmaterialien deutlich hervor, dass - mit Ausnahme der um ein Jahr verlängerten Frist - die Neuregelung des § 62 SGB VII dem bisherigen Recht entsprechen sollte (vgl BT-Drucks 13/2204 S 73, 91).
Eine an die formelle Bekanntgabe anknüpfende Auslegung der Dreijahresfrist des § 62 Abs 2 SGB VII steht zudem mit dem sich aus Sinn und Zweck der Vorschrift ergebenden Regelungskonzept der Norm in Einklang. Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 16.3.2010 (B 2 U 2/09 R - BSGE 106, 43 = SozR 4-2700 § 62 Nr 1, RdNr 17 f) ausgeführt hat, trägt § 62 SGB VII den Erfahrungen Rechnung, dass in der ersten Zeit nach dem Versicherungsfall dessen gesundheitliche Folgen und deren Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit des Versicherten häufig allmählichen oder auch kurzfristigen Veränderungen unterliegen. Anpassung und Gewöhnung können zu Besserungen führen, die unfallbedingte MdE kann in den ersten Jahren auch zunehmen. § 62 Abs 1 Satz 1 SGB VII ermächtigt und verpflichtet den Unfallversicherungsträger, die Rente auf unbestimmte Zeit stets, also auch im Dreijahreszeitraum, dann festzustellen, wenn in tatsächlicher Hinsicht der Umfang der MdE abschließend festgestellt werden kann und die weiteren Voraussetzungen vorliegen. Nur wenn dies nicht möglich ist, soll der zuständige Träger vorläufig entscheiden. Eine abschließende Feststellung des Umfangs der MdE hat er zu treffen, wenn die MdE, die aufgrund des bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens festgestellten Sachverhalts zu schätzen ist, voraussichtlich über den verbliebenen Dreijahreszeitraum nach dem Versicherungsfall hinaus fortbestehen wird. Kann eine solche Prognose nicht gestellt werden, hat der Träger ein zwar entstandenes, aber bezüglich Dauer oder Umfang noch nicht abschließend beurteilbares Recht auf Rente festzustellen, aber nur unter dem Vorbehalt erleichterter Abänderbarkeit im Dreijahreszeitraum als vorläufige Entschädigung. Infolge der Bewilligung unter der spezialgesetzlich erlaubten Nebenbestimmung des Vorbehalts erleichterter Abänderbarkeit weiß der Versicherte, dass sich sein Rentenanspruch nach Grund und Höhe noch nicht verfestigt hat (vgl BSG vom 16.3.2010 - B 2 U 2/09 R - aaO RdNr 17 f). Die Erleichterung der Abänderbarkeit und die damit verbundene Ungewissheit für den Versicherten, ob und in welcher Höhe eine Rente auf Dauer gezahlt wird, lässt das Gesetz jedoch nur für die Dauer von drei Jahren zu. Diesem mit § 62 SGB VII verfolgten Regelungskonzept wird genügt, wenn innerhalb des Dreijahreszeitraums die Bewilligung der vorläufigen Entschädigung aufgehoben, endgültig über den Rentenanspruch entschieden und diese Entscheidung dem Versicherten bekanntgegeben wird. Innerhalb des Dreijahreszeitraums wird dadurch die Entscheidung über die Gewährung einer Verletztenrente getroffen und erlangt der Versicherte Kenntnis davon, ob und in welcher Höhe in Zukunft eine Rente gezahlt wird. Dies gilt unabhängig davon, ob die Entscheidung des Versicherungsträgers den Zeitpunkt des Endes der Zahlung der vorläufigen Entschädigung und des Beginns der Zahlung einer Dauerrente gemäß § 73 Abs 1 und 2 SGB VII mit dem Zeitpunkt des Beginns des Monats nach Bekanntgabe des Bescheides festlegt und dieser Zeitpunkt außerhalb des Dreijahreszeitraums liegt.
Schließlich sprechen auch Erwägungen der Verwaltungspraktikabilität für die von der Beklagten ebenso wie im Schrifttum einhellig vertretene formelle Auslegung des § 62 Abs 2 SGB VII. Wie der Senat bereits zur weitgehend inhaltsgleichen Vorschrift des § 622 Abs 2 RVO ausgeführt hat (vgl BSG vom 19.12.1968 - 2 RU 153/66 - BSGE 29, 73, 74 = SozR Nr 8 zu § 622 RVO), wird damit die Möglichkeit geschaffen, die Frist, innerhalb der eine vorläufige Entschädigung aufgehoben und eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit, ggf nach einer geringeren MdE, bewilligt oder eine solche abgelehnt werden muss, so weit wie möglich auszuschöpfen.
Die vom LSG vertretene abweichende Rechtsauffassung kann sich auch nicht auf die bisherige Rechtsprechung des BSG berufen. Die Entscheidungen des Senats vom 5.2.2008 (B 2 U 6/07 R - SozR 4-1300 § 41 Nr 1) und vom 16.3.2010 (B 2 U 2/09 R - BSGE 106, 43 = SozR 4-2700 § 62 Nr 1, RdNr 23) stützen vielmehr das hier gefundene Ergebnis. So hat der Senat in seiner Entscheidung vom 16.3.2010 (aaO RdNr 14) für den Fristablauf des § 62 Abs 2 SGB VII ausdrücklich auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung abgestellt. In der vom LSG insbesondere für seine Rechtsansicht herangezogenen Entscheidung des BSG vom 5.2.2008 (aaO) findet sich kein Anhalt dafür, dass der Senat auf den Zeitpunkt der materiellen Wirksamkeit der Entscheidung nach § 62 Abs 2 SGB VII abgestellt haben könnte.
Ob der Klägerin für die Zeit ab 1.8.2002 eine Verletztenrente nach einer höheren MdE als 35 vH zu gewähren ist, kann allerdings nicht abschließend entschieden werden. Nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) lag zu diesem Zeitpunkt lediglich keine zur Aufhebung bzw Abänderung nach § 48 SGB X berechtigende wesentliche Änderung gegenüber den bei Erlass des Bescheides vom 20.12.2001 vorliegenden Verhältnissen vor. Das LSG hat jedoch nicht festgestellt, ob die unfallbedingten, ggf auch bindend festgestellten Gesundheitsschäden bei der Klägerin (vgl zur Feststellung von Gesundheitsschäden BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 14 ff) im Zeitraum seit dem 1.8.2002 eine höhere MdE als 35 vH bedingen. Feststellungen zur tatsächlichen Höhe der MdE ab dem 1.8.2002 wird das LSG mithin erst zu treffen haben.
3. Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits unter Beachtung des Ergebnisses des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
DB 2014, 7 |
SGb 2014, 137 |
Breith. 2014, 929 |