Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 07.07.1989) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. Juli 1989 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten einschließlich der der Beigeladenen zu erstatten.
Tatbestand
I
Die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) bekämpft mit ihrer Revision ihre Verurteilung, höheres Kurzarbeitergeld (Kug) nach den §§ 63 ff des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) nebst Beitragszuschüssen unter zusätzlicher Berücksichtigung einer regelmäßigen tariflichen Wochenarbeitszeit für die Brenner im Betrieb der Klägerin von 56 Wochenstunden anstelle der bisher berücksichtigen 49 Wochenstunden für die Zeit vom 5. bis zum 31. Dezember 1983 zu gewähren.
Die Klägerin ist Inhaberin eines Unternehmens, das Dachziegel produziert. Sie ist an den Bundesrahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Ziegelindustrie vom 26. April 1979 idF vom 3. März 1983 und 27. August 1985 (im folgenden: BRTV) gebunden. Nach § 2 Nr 1 dieses Tarifvertrages beträgt die regelmäßige Wochenarbeitszeit der Arbeitnehmer 40 Stunden. Gemäß § 3 Nr 1 BRTV kann die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit bei Arbeiten, die werktags und sonntags einen ununterbrochenen Fortgang erfordern, unter Beachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats einschließlich der Sonntagsarbeit über diese Stundenzahl hinaus ausgedehnt werden. Dabei können sich die aufzustellenden Schichtenpläne über einen Zeitraum von mehreren Wochen erstrecken. Nach § 3 Nr 2 BRTV ist darauf zu achten, daß jeder dritte Sonntag arbeitsfrei bleibt. Nach § 3 Nr 3 kann die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit außerdem um höchstens neun Stunden wöchentlich zuschlagsfrei verlängert werden, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft fällt.
Die bei der Klägerin beschäftigten Brenner arbeiten aufgrund einer mündlichen Vereinbarung mit Zustimmung der beigeladenen Betriebsvertretung der Klägerin regelmäßig 56 Wochenstunden ohne Überstundenvergütung. Nach einem mit der Beigeladenen abgestimmten (schriftlich nicht festgehaltenen) Schichtenplan ist bestimmt worden, daß sich die drei Brenner in den Schichten von 6.00 bis 14.00, 14.00 bis 22.00 und 22.00 bis 6.00 Uhr ablösen. Dabei fährt der Brenner, der zunächst von Montag bis Samstag in Frühschicht von 6.00 bis 14.00 Uhr gearbeitet hat, am Sonntag eine Doppelschicht von 6.00 bis 22.00 Uhr und arbeitet anschließend in der Schicht von 14.00 bis 22.00 Uhr. Nach dem nächsten Samstag macht er eine Pause von 24 Stunden und arbeitet in der dritten Woche ab Montag in der Schicht von 22.00 bis 6.00 Uhr; nach einer weiteren Arbeitspause von 24 Stunden beginnt er in der folgenden Woche wieder mit der Frühschicht.
Im November 1983 zeigte die Klägerin der BA Arbeitsausfall ab 5. Dezember 1983 an. Diese erkannte die Voraussetzungen für Kug dem Grunde nach ab dem 5. Dezember 1983 bis zum 31. März 1984 an. Sie bewilligte Kug sowie Beitragszuschüsse zur Kranken- und Rentenversicherung für die Zeit vom 5. bis 31. Dezember 1983 in Höhe von 35.280,29 DM, wobei sie unter Hinweis auf § 3 BRTV für die Brenner eine tarifliche Wochenarbeitszeit von 49 Stunden zugrunde legte (Bescheid vom 24. Februar 1984; Widerspruchsbescheid vom 30. März 1984).
Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beklagte, bei der Berechnung des Kug eine wöchentliche Arbeitszeit von 56 Stunden zugrunde zu legen (Urteil vom 9. Juli 1986). Das Landessozialgericht (LSG) wies die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurück, daß die Arbeitszeit von 56 Stunden nur für die Brenner zugrunde zu legen (Urteil vom 7. Juli 1989) sei.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 68, 69 AFG. Sie ist der Auffassung, die bei der Anwendung des § 69 AFG zu berücksichtigende tarifliche Arbeitszeit werde nicht durch § 3 Nr 1 BRTV auf 56 Stunden verlängert.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. Juli 1989 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 9. Juli 1986 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie zu entscheiden, daß außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die beigeladene Betriebsvertretung der Klägern hat sich zur Sache nicht geäußert.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Der Anspruch auf Kug ist schon auf Grund der ergangenen Bescheide dem Grunde nach gerechtfertigt. Im Bereich der Arbeitsförderung liegt zwar im Grundsatz in der Bewilligung einer geringeren Leistung, als sie die Klägerin begehrt, nicht die selbständige Feststellung, daß der Leistungsanspruch dem Grunde nach gerechtfertigt ist (BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 1). Hatte jedoch die BA in einem dem Bewilligungsbescheid vorausgegangenen Anerkennungsbescheid, wie hier im Bescheid vom 5. Januar 1984, die Voraussetzungen für Kug dem Grunde nach für einen bestimmten Zeitraum festgestellt oder enthält der Bewilligungsbescheid eine solche selbständige Entscheidung, so schließt das eine gerichtliche Überprüfung des Anspruchsgrundes aus.
Die somit allein zu überprüfende Höhe des Anspruchs bemißt sich nach § 68 AFG (hier idF des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes vom 22. Dezember 1981 -AFKG- BGBl I S 1497). Maßgeblich sind nach dessen Abs 1 Satz 2 Nr 1 das Arbeitsentgelt, das der Arbeitnehmer ohne den Arbeitsausfall in der Arbeitsstunde erzielt hätte, und nach Nr 2 die Zahl der innerhalb der Arbeitszeit ausgefallenen Arbeitsstunden. Arbeitszeit ist nach § 69 AFG die regelmäßige betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit, soweit sie die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit oder, wenn eine solche nicht besteht, die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit gleicher oder ähnlicher Betriebe nicht überschreitet.
Üblich war im Betrieb der Klägerin, daß die Brenner an 56 Stunden wöchentlich arbeiteten. Für die Frage der Betriebsüblichkeit ist nicht von der im Betrieb durchschnittlich erreichten Wochenarbeitszeit oder von der Zahl der Stunden auszugehen, die die Mehrheit der Arbeitnehmer zu erbringen hat. Was betriebsüblich ist, ist individuell für die betroffenen Arbeitnehmer zu ermitteln. Maßgebend ist die Arbeitszeit, die nach der Übung im Betrieb die Gruppe zu leisten hat, der derjenige Arbeitnehmer angehört, über dessen Anspruch zu entscheiden ist (BSG SozR 4100 § 69 Nr 2). Das sind hier die Brenner. Bei der Wochenarbeitszeit ist auch die im Einzelfall übliche Sonntagsarbeit mitzuberücksichtigen. Wechselt die Wochenarbeitszeit, wie hier, aufgrund der besonderen Schichten-Regelung im 3-Wochen-Rhythmus, dann ist jeweils der Mittelwert zu bilden. Dieser beträgt nach den Feststellungen des LSG für die Brenner 56 Stunden.
Die tatsächliche Arbeitszeit kann jedoch nach § 69 AFG nur bis zur Höhe der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit berücksichtigt werden. Diese Regelung soll die Kug-Berechnung an einem standardisierten Mindestsicherungsniveau orientieren und eine Bemessung der Sozialleistung nach ungewöhnlich hohen Spitzenarbeitszeiten vermeiden (vgl BSGE 38, 98, 102 f = BSG SozR 4100 § 69 Nr 1). Aus derselben Überlegung hat der Gesetzgeber in § 112 Abs 3 AFG die Berechnung des Arbeitslosengeldes (Alg) ebenfalls nach der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum vorgesehen. Der BRTV ist nach § 69 AFG zumindest als Tarifvertrag „gleicher Betriebe” anzuwenden. Ob die erste Alternative (tarifliche wöchentliche Arbeitszeit) in § 69 AFG wie in § 112 AFG voraussetzt, daß der Tarifvertrag kraft beiderseitiger Tarifbindung oder einer Regelung im Arbeitsvertrag auf das Arbeitsverhältnis des anspruchsberechtigten Arbeitnehmers Anwendung findet (so Kühl in Hennig/Kühl/Heuer, AFG, § 169 Anm 3), oder ob in Ansehung des § 69 AFG eine einseitige Tarifbindung nur des Arbeitgebers genügt (so wohl Schönefelder/Kranz/Wanka, AFG, § 69 Anm 12), kann offen bleiben.
Tarifliche regelmäßige Arbeitszeit iS der §§ 69 und 112 AFG ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht nur die im Tarifvertrag genannte Stundenzahl, sondern auch die auf der Grundlage und nach Maßgabe einer Tarifregelung durch Arbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarung festgelegte regelmäßige Arbeitszeit (BSG Urteil vom 12. Dezember 1990 – 11 RAr 49/89 –).
Der BRTV bestimmt in § 2 Nr 1, daß die regelmäßige Arbeitszeit täglich 8 Stunden und wöchentlich 40 Stunden beträgt. Nach § 3 Nr 1 kann bei Arbeiten, die werktags und sonntags einen ununterbrochenen Fortgang erfordern, unter Beachtung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit einschließlich der Sonntagsarbeit über die nach § 2 Ziffer 1 vereinbarte Stundenzahl hinaus ausgedehnt werden.
Nach den Feststellungen des LSG haben die Klägerin und die Brenner nach Inbetriebnahme eines Tunnelofens im Jahre 1968 mündlich vereinbart, daß die Brenner dort regelmäßig 56 Stunden wöchentlich arbeiten. Der für eine Verlängerung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit in § 3 Nr 1 BRTV geforderte Tatbestand von Arbeiten, die werktags und sonntags einen ununterbrochenen Fortgang erfordern, ist hinsichtlich der Brenner erfüllt. Die Verlängerung der Arbeitszeit wurde auch nicht nur für einen individuell bestimmten Arbeitnehmer vereinbart, sondern, wie der Tarifvertrag das vorsieht, tätigkeitsbezogen für eine Gruppe von Arbeitnehmern. Damit ist eine dem § 3 Nr 1 BRTV entsprechende Regelung durch Einzelarbeitsvertrag wirksam geworden.
Die Betriebsvertretung hat dem formlos zugestimmt. Damit ist der in § 3 Nr 1 BRTV vorgesehenen Beachtung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates genügt. Der Senat hat sich in dem oben angeführten Urteil vom 12. Dezember 1990 bereits mit der hier anzuwendenden Tarifbestimmung befaßt und zu § 112 AFG entschieden, daß in Betrieben, in denen ein Betriebsrat nicht besteht, eine nach Maßgabe des BRTV vorgenommene Verlängerung der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit auch ohne Zustimmung des Betriebsrats wirksam wird. Die tarifliche Regelung lasse eine Verlängerung der Arbeitszeit durch Betriebsvereinbarung, die nach § 77 Abs 2 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) der Schriftform bedarf, sowie durch einseitige Anordnung des Arbeitgebers in Ausübung des Direktionsrechts und in den Einzelarbeitsverträgen zu (zur Zulässigkeit einer solchen tariflichen Regelung vgl BAGE 49, 125 = AP Nr 4 zu TVAL II und BAG Urteil vom 26. November 1986 – 4 AZR 653/85 –). In Betrieben, in denen keine Betriebsvertretung besteht, werde eine Verlängerung in den Einzelarbeitsverträgen ohne Beteiligung einer Betriebsvertretung wirksam. Diese Rechtsprechung ist hier dahin fortzuführen, daß bei bestehender Betriebsvertretung eine formlose Zustimmung ausreicht. Das BetrVG schreibt die Schriftform als Wirksamkeitsvoraussetzung ausdrücklich nur für das Handlungsinstrument der Betriebsvereinbarung vor, nicht aber für die Zustimmung zur Ausübung des Direktionsrechts oder zu einer einzelvertraglichen Regelung. Die Zustimmung muß zwar vom Betriebsrat beschlossen sein. Die in § 34 BetrVG geforderte Niederschrift ist aber nicht Wirksamkeitsvoraussetzung (BAG AP Nr 10 zu § 80 BetrVG 1972). Für die Verlautbarung des Beschlusses gilt nach dem BetrVG der Grundsatz der Formfreiheit. Der BRTV will die im BetrVG getroffene Regelung, nach der nur die Lage der Arbeitszeit und eine vorübergehende Verlängerung der Arbeitszeit der Mitbestimmung unterliegt, nicht aber eine Verlängerung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf Dauer (vgl BAGE 49, 125), dahin modifizieren, daß auch diese dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterliegt. Anhaltspunkte dafür, daß der BRTV für die Ausübung des damit erweiterten Mitbestimmungsrechts die Schriftform vorsehen wollte, sind nicht ersichtlich.
Der BRTV läßt die Verlängerung der Arbeitszeit zu, ohne den Umfang der Arbeitszeitverlängerung zu begrenzen, wie das in § 3 Nr 3 BRTV geschehen ist, der bei erheblicher regelmäßig anfallender Arbeitsbereitschaft eine Verlängerung bis 9 Stunden wöchentlich zuläßt, oder die in der Arbeitszeitordnung (AZO) für die Wochenarbeitszeit mittelbar getroffene Regelung zu wiederholen. Die Schranken der AZO sind vom Tarifvertrag ohnehin zu beachten. Der Grundsatz, daß ein Verstoß gegen die AZO bei der Bestimmung des Entgeltfaktors unberücksichtigt bleibt (BSG Urteil vom 28. Juni 1990 – 9b/11 RAr 15/89 –), ist auf den Zeitfaktor nicht zu übertragen, soweit die tatsächliche Arbeitszeit durch die tarifliche regelmäßige Arbeitszeit begrenzt wird. Daher ist eine eigenständige Begrenzung der Verlängerungsmöglichkeit im Tarifvertrag weder zu § 112 AFG (hierzu Urteil vom 12. Dezember 1990) noch zu § 69 AFG erforderlich.
Der BRTV läßt auch in Verbindung mit der AZO die hier vereinbarte Verlängerung der Wochenarbeitszeit auf 56 Stunden zu. Die Erhöhung der Wochenarbeitszeit ist durch die Sonntagsarbeit (in Verbindung mit einer alle drei Wochen einmal auftretenden 16-Stunden-Schicht) gerechtfertigt. Die Zulässigkeit der Sonntagsarbeit ergibt sich für die Tätigkeit der Brenner, die einen ununterbrochenen Fortgang erfordert, aus § 105c Abs 3 Gewerbeordnung (GewO). Die zusätzlichen Voraussetzungen des § 105c Abs 3 GewO – ua Arbeitsfreiheit von 6.00 bis 18.00 Uhr an jedem 2. Sonntag – sind im Betrieb der Klägerin erfüllt, weil der dort geltende 3-Schichten-Plan gewährleistet, daß zwei von drei Sonntagen in diesem Zeitraum frei bleiben. Soweit einmal alle drei Wochen eine 16-Stunden-Schicht zu absolvieren ist – was allerdings durch entsprechende spätere Ruhezeiten kompensiert wird und damit für die Erhöhung der Wochenarbeitszeit nicht entscheidend ist –, liegt die Grundlage hierfür in § 10 AZO, dessen Anforderungen an den Schichtenplan ebenfalls erfüllt sind, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat.
Daher war die Beklagte auf die erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage zu verurteilen, für die Brenner ein höheres Kug unter Berücksichtigung einer wöchentlichen Arbeitszeit von 56 Stunden zu zahlen. In diesem Sinne ist die von den Vorinstanzen ausgesprochene Verurteilung zur Neuberechnung zu verstehen.
Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin, wozu auch die der beigeladenen Betriebsvertretung gehören (BSG Urteil vom 12. Dezember 1990 – 11 RAr 73/89) hat die Beklagte zu tragen (§ 193 Abs 1 SGG).
Fundstellen