Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 23. April 1992 hinsichtlich der Kostenentscheidung und insoweit aufgehoben, als es die Beklagte für die Zeit vom 2. Juli bis 31. Dezember 1990 zu höherem Arbeitslosengeld verurteilt hat.
In diesem Umfang wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 31. Oktober 1991 zurückgewiesen.
Von den außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte dem Kläger ein Viertel zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger höheres Arbeitslosengeld (Alg) zusteht.
Der Kläger war von 1967 bis zum 31. Dezember 1987 und nach zwischenzeitlicher Selbständigkeit ab 1. Oktober 1989 wieder als Reisender im Angestelltenverhältnis, seit Januar 1990 gegen ein gleichbleibendes monatliches Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 4.000,-- DM beschäftigt. Mit Ablauf des Monats Juni 1990 wurde er arbeitslos. Seit dem 1. März 1991 ist er wieder als angestellter Reisender tätig.
Die Ehefrau des Klägers hatte bis zum 31. März 1988 als angestellte Gemeindeschwester gearbeitet und gleichbleibend 3.187,47 DM brutto im Monat verdient. Seitdem war sie arbeitslos.
Die Lohnsteuerkarten beider Eheleute waren 1990 wie bereits 1988 und 1989 auf die Steuerklasse IV ausgestellt. Auf Antrag der Ehegatten wurde bei dem Kläger mit Wirkung vom 1. März 1990 die Lohnsteuerklasse III, bei seiner Ehefrau die Lohnsteuerklasse V eingetragen.
Die Ehefrau des Klägers hatte ab 1. April 1988 Alg unter Zuordnung zur Leistungsgruppe A (Steuerklasse IV) bezogen. Ab 18. April 1990 erhielt sie Alg bis zum Ablauf der Anspruchsdauer am 29. Mai 1990 nur noch nach einem verringerten Bemessungsentgelt, weil sie dem Arbeitsamt (ArbA) mitgeteilt hatte, sie stehe der Arbeitsvermittlung ab diesem Zeitpunkt nur noch 25 Stunden in der Woche zur Verfügung. Anschluß-Arbeitslosenhilfe (Anschluß-Alhi) erhielt die Ehefrau nicht.
Ab 2. Juli 1990 gewährte das ArbA Lüneburg dem Kläger, der sich bereits am 18. Mai 1990 mit Wirkung vom 1. Juli 1990 arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hatte, Alg in Höhe von 361,80 DM wöchentlich. Der Bemessung lag ein gerundetes wöchentliches Arbeitsentgelt von 920,-- DM, die Eingruppierung in die Leistungsgruppe A und ein Leistungssatz von 63 vH zugrunde (Bescheid vom 5. Juli 1990).
Den sich gegen die Nichtberücksichtigung des Steuerklassenwechsels der Eheleute richtenden Widerspruch des Klägers wies die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) zurück (Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 1990). Die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Lüneburg vom 31. Oktober 1991). Die – vom SG zugelassene – Berufung des Klägers hatte Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat in seinem Urteil vom 23. April 1992 die Auffassung vertreten, dem Kläger sei ab 2. Juli 1990 Alg nach der Leistungsgruppe C zu zahlen.
Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt: Im vorliegenden Fall sei § 113 Abs 2 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG), hingegen nicht Satz 2 der Vorschrift einschlägig. Würde man nur dem Wortlaut des § 113 Abs 2 Satz 2 AFG folgen, käme die Bewilligung von Alg für den Kläger unter Zuordnung zur Leistungsgruppe C nicht in Betracht. Nach der “Tabelle zur Steuerklassenwahl” 1990 dürfe bei kinderlosen Eheleuten für die Steuerklassenkombination III/V neben einem Arbeitslohn von 4.000,-- DM der Arbeitslohn des geringer verdienenden Ehegatten 2.727,-- DM nicht überschreiten, wenn der geringste Lohnsteuerabzug erreicht werden solle. Das anzusetzende Arbeitsentgelt der Ehefrau des Klägers von 3.187,47 DM sei somit für die Steuerklassenkombination III/V um 460,47 DM bzw um mehr als 10 vH zu hoch. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) liege danach am 1. März 1990 eine offensichtlich unzweckmäßige Steuerklassenwahl vor. Anders liege es jedoch bei der vom BSG offengelassenen Frage, daß ein zunächst offensichtlich unzweckmäßiger Steuerklassenwechsel sich durch veränderte Umstände für spätere Zeiträume als zweckmäßig herausgestellt habe. § 113 Abs 2 Satz 2 AFG diene der Verhinderung von mißbräuchlichen Steuerklassenwechseln unter Eheleuten, die mit dem Ziel vorgenommen würden, höhere Lohnersatzleistungen herbeizuführen. Ein Mißbrauchstatbestand sei aber von vornherein ausgeschlossen, wenn die gewählte Steuerklassenkombination im Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitslosigkeit steuerlich gerade zweckmäßig sei, auch wenn sie im Zeitpunkt ihrer steuerrechtlichen Wirksamkeit noch unzweckmäßig gewesen sei. § 113 Abs 2 Satz 2 AFG sei zumindest dann nicht anzuwenden, wenn die offensichtliche Unzweckmäßigkeit des Steuerklassenwechsels im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf Alg oder Alhi nicht mehr vorliege. So liege es hier. Am 1. März 1990 sei die Steuerklassenkombination III/V noch offensichtlich unzweckmäßig gewesen. Durch die bei der Ehefrau mit Wirkung vom 18. April 1990 eingetretene Änderung des Bemessungsentgelts sei es aber anders geworden, denn ab diesem Zeitpunkt habe das Bemessungsentgelt des Klägers in Höhe von 4.000,-- DM nur noch mit dem hypothetischen Gehalt seiner Ehefrau bei einer Arbeitszeit von 25 Wochenstunden in Höhe von 1.992,17 DM verglichen werden dürfen.
Mit der vom LSG zugelassenen, in der mündlichen Verhandlung auf den Zeitraum der Leistung von Alg im Jahr 1990 beschränkten Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 113 Abs 2 AFG und führt dazu aus: Entgegen der Annahme des LSG sei die mit Wirkung vom 1. März 1990 eingetragene Steuerklassenänderung aufgrund des am 18. April 1990 eingetretenen Sachverhalts nicht als zweckmäßig anzusehen. Die Einschränkung der Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung führe nicht dazu, daß bei dem Vergleich der monatlichen Arbeitslöhne von einem entsprechend geringeren Arbeitsentgelt für die Ehefrau auszugehen sei. Nach § 113 Abs 2 Satz 3 AFG bleibe nämlich der gesamte Ausfall des Arbeitslohns, der den Anspruch auf die lohnsteuerfreie Ersatzleistung begründe, außer Betracht und nicht nur ein Teil davon. Selbst wenn aber die Annahme des LSG insoweit zuträfe, sei stets auf die Verhältnisse an dem Tag abzustellen, an dem der Steuerklassenwechsel wirksam werde, wie sich aus § 113 Abs 2 Satz 2 AFG ausdrücklich ergebe. Auch wenn sich das Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten nach diesem Zeitpunkt so entwickele, daß die eingetragenen Steuerklassen später dem Verhältnis der beiden Einkünfte entsprächen, müsse dieses nach der Systematik und dem Sinn und Zweck der Vorschrift unberücksichtigt bleiben. Im vorliegenden Fall hätten der Kläger und seine Ehefrau die Änderung ihrer Steuerklassen zur Unzeit vorgenommen. Daran müßten sie sich festhalten lassen. Anderenfalls würde man in die gesetzliche Regelung eine dort nicht vorhandene Härteklausel hineininterpretieren. Außerdem wären ungereimte Ergebnisse nicht auszuschließen. Wäre nämlich der Zeitpunkt der Leistungsbewilligung für die Zweckmäßigkeit von Steuerklassenwechseln bei Eheleuten maßgeblich, so wäre im konkreten Fall im Zusammenhang mit dem Leistungsbezug des Klägers der Wechsel als zweckmäßig, im Zusammenhang mit dem Leistungsbezug seiner Ehefrau jedoch als unzweckmäßig anzusehen, denn dieser sei die Leistung bereits zu einem früheren Zeitpunkt bewilligt worden. Das hätte zur Folge, daß der Kläger die Leistung nach der Leistungsgruppe C beziehen könnte, seine Ehefrau, im Falle der Fortsetzung des Leistungsbezuges über den 29. Mai 1990 hinaus, weiterhin die Leistung nach der Leistungsgruppe A erhalten würde. Das wiederum sei mit §§ 38b Nrn 3, 4 und 5, 39 Abs 5 Satz 4 EStG iVm § 111 Abs 1 Satz 2 AFG nicht in Einklang zu bringen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 23. April 1992 insoweit aufzuheben, als es dem Kläger höheres Arbeitslosengeld für die Zeit vom 2. Juli bis 31. Dezember 1990 zugesprochen hat, und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 31. Oktober 1991 insoweit zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist begründet, denn das ArbA hat das Alg des Klägers für den noch streitbefangenen Zeitraum vom 2. Juli bis 31. Dezember 1990 zutreffend mit 361,80 DM wöchentlich bemessen.
Für Arbeitslose, die – wie der Kläger – kein Kind haben und deren Ehegatte ebenfalls steuerrechtlich kein Kind zugerechnet wird, beträgt das Alg 63 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts (§ 111 Abs 1 Nr 2 AFG). Mehr als die 361,80 DM wöchentlich, die die Anlage 2 der aufgrund der Ermächtigung des § 111 Abs 2 AFG erlassenen AFG-Leistungsverordnung 1990 (vom 27. November 1989, BGBl I 2046) für das Alg nach § 111 Abs 1 Nr 2 AFG bei einem Arbeitsentgelt von 920,-- DM in der Leistungsgruppe A ausweist, stünde dem Kläger nur zu, wenn das Alg nach einem höheren Arbeitsentgelt oder einer günstigeren Leistungsgruppe zu bemessen wäre. Angesichts des bezogenen Gehalts von monatlich 4.000,-- DM ist indes das gerundete wöchentliche Arbeitsentgelt nach § 112 AFG zutreffend mit 920,-- DM ermittelt worden. Dem Kläger steht auch keine günstigere Leistungsgruppe als A zu, insbesondere nicht die Leistungsgruppe C, in der das Alg 405,-- DM wöchentlich betrüge.
Die Leistungssätze der Leistungsgruppe C, bei deren Bildung als Lohnsteuerabzug die Steuer nach der allgemeinen Lohnsteuertabelle für die Lohnsteuerklasse III ohne Kinderfreibetrag zugrunde zu legen ist, stehen nur Arbeitnehmern zu, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse III eingetragen ist. Das ergibt sich aus § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 Buchstabe c AFG. Maßgebend ist die Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Kalenderjahres eingetragen war, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 113 Abs 1 Satz 1 AFG). Zu Beginn des Kalenderjahres 1990, in dessen Verlauf der Anspruch auf Alg entstanden ist, war jedoch nicht die Steuerklasse III, sondern die Steuerklasse IV eingetragen, die die Zuordnung zur Leistungsgruppe A zur Folge hat.
Der Steuerklassenwechsel, den der Kläger und seine Ehefrau zum 1. März 1990 vorgenommen haben, wirkt sich für sein Alg nicht aus. Allerdings werden grundsätzlich spätere Änderungen der eingetragenen Lohnsteuerklasse berücksichtigt. Das sieht § 113 Abs 1 Sätze 2 und 3 AFG im allgemeinen und für einen Steuerklassenwechsel unter Ehegatten die vorrangige Spezialvorschrift des § 113 Abs 2 AFG vor. Nach § 113 Abs 2 Satz 1 AFG werden bei einem Steuerklassenwechsel die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen von dem Tage an berücksichtigt, an dem die Änderungen wirksam werden.
Steuerklassenwechsel ist jedes Auswechseln der für verheiratete Arbeitnehmer, die beide unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben, gemäß § 38b Satz 2 Nrn 3 bis 5 Einkommensteuergesetz 1987 (EStG) vorgesehenen Steuerklassen (BSGE 61, 45, 49 = SozR 4100 § 113 Nr 5). Mit Wirkung vom 1. März 1990 sind der Kläger und seine Ehefrau nach den Feststellungen des LSG entsprechend verfahren, indem sie auf ihren Steuerkarten nunmehr die Steuerklassen III für den Kläger und V… für die Ehefrau eintragen ließen. Ob der Wechsel der Steuerklassen steuerrechtlich zulässig war, bedarf hierbei keiner Prüfung; denn für § 113 Abs 2 AFG maßgebend ist allein die Tatsache der Eintragung der Steuerklasse auf den Steuerkarten der Ehegatten, solange diese Bestandskraft besitzt (vgl Senatsurteil vom 27. September 1989, SozR 4100 § 113 Nr 11; BSGE 61, 45, 50 = SozR 4100 § 113 Nr 5). Wäre es anders, hätte die BA das Alg des Klägers bereits nach § 113 Abs 1 Satz 1 AFG richtig bemessen.
Allerdings wirkt sich nicht jeder Steuerklassenwechsel auf die Höhe des Alg aus. Entsprechen die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen an dem Tage, an dem die Änderung wirksam wird, offensichtlich nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten, so sind nach § 113 Abs 2 Satz 2 AFG die diesem Verhältnis entsprechenden Lohnsteuerklassen für die Höhe des Alg maßgebend. Ein Wechsel der Steuerklassen ist hiernach nur beachtlich, wenn er zum genannten Zeitpunkt objektiv geboten ist (vgl Senatsurteil SozR 4100 § 113 Nr 11; BSG SozR 3-4100 § 113 Nr 1). Wie insbesondere den Gesetzesmaterialien zu entnehmen ist, ist der Steuerklassenwechsel objektiv geboten, wenn die bisherige Lohnsteuerklassenkombination nach den erzielten Arbeitslöhnen beider Ehegatten insgesamt zu einem zu hohen Lohnsteuerabzug führen würde (BSG SozR 4100 § 113 Nr 3; vgl Begründung zu § 113 AFG, BT-Drucks 7/4127 S 53 sowie Begründung zu Art 10 des Entwurfs eines Steuerentlastungsgesetzes 1981, BT-Drucks 8/3701 und 3901, jeweils S 77) oder – mit anderen Worten –, wenn die neu eingetragenen Steuerklassen den geringsten gemeinsamen Lohnsteuerabzug zur Folge haben (BSG SozR 4100 § 113 Nr 7). Das läßt sich am einfachsten anhand der jährlich vom Bundesministerium der Finanzen und den obersten Finanzbehörden der Länder neu herausgegebenen Tabellen zur Lohnsteuerklassenwahl beurteilen.
Erzielen am Tage des Wirksamwerdens des Steuerklassenwechsels, dh mit Wirkung von Beginn des auf die Antragstellung folgenden Kalendermonats (§ 39 Abs 5 Satz 3 EStG 1987 idF des Gesetzes vom 25. Juli 1988, BGBl I 1093), nicht beide Ehegatten Arbeitslohn, wie das hier am 1. März 1990 der Fall war, ist für den nach § 113 Abs 2 Satz 2 AFG gebotenen Vergleich der beiderseits erzielten Arbeitsentgelte der Ehegatten bei dem Ehegatten ohne Arbeitseinkommen, der eine Lohnersatzleistung bezieht, regelmäßig auf das zuletzt vor Eintritt der Arbeitslosigkeit erzielte Arbeitsentgelt zurückzugreifen. Dies folgt aus § 113 Abs 2 Satz 3 AFG. Zweck dieser Vorschrift ist es, den Vergleich von beiderseits bezogenen Arbeitsentgelten auch dann zu ermöglichen, wenn zum Vergleichszeitpunkt nicht mehr beide Ehepartner Arbeitsentgelt erzielen, dafür aber etwa Anspruch auf eine lohnsteuerfreie Lohnersatzleistung haben oder eine solche Leistung bereits beziehen. Die Vorschrift ermöglicht, Alg nach Maßgabe der Steuerklasse zu gewähren, die der Arbeitnehmer haben würde, wenn er in Arbeit wäre. Der § 113 Abs 2 Satz 3 AFG vermeidet damit, daß ein nach Maßgabe des Steuerrechts sinnvoller Steuerklassenwechsel nach Verlust von Einkommen stets zu einer für den Arbeitslosen ungünstigeren Leistungsgruppe führt. Ein Arbeitnehmer soll hinsichtlich der Höhe seines Alg nicht dadurch einen Nachteil erleiden, daß er während des Bezugs einer lohnsteuerfreien Lohnersatzleistung die Steuerklasse im Hinblick auf den Verdienst seines Ehegatten ändert und den tatsächlichen Einkommensverhältnissen anpaßt (BSG SozR 3-4100 § 113 Nr 1). Nach der Rechtsprechung muß für den Vergleich der Arbeitsentgelte in solchen Fällen grundsätzlich der gesamte Ausfall des Arbeitslohns des betreffenden Ehegatten, und nicht nur ein Teil davon, berücksichtigt werden (BSG SozR 4100 § 113 Nr 3). Auch soll für den Vergleich stets auf erzieltes Arbeitsentgelt, nicht hingegen auf die an dessen Stelle gewährte Lohnersatzleistung oder ein daraus errechnetes erzielbares Arbeitsentgelt abzustellen sein (BSG SozR 3-4100 § 113 Nr 1).
Nach diesen Grundsätzen können die von dem Kläger und seiner Ehefrau mit Wirkung vom 1. März 1990 gewählten Steuerklassen der Alg-Gewährung nicht zugrunde gelegt werden. Denn an diesem Tag entsprachen die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen offensichtlich nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten. Nach § 113 Abs 2 Satz 2 AFG war dem Bruttolohn des Klägers in Höhe von 4.000,-- DM im Monat das zuletzt von seiner Ehefrau erzielte Arbeitsentgelt in Höhe von 3.187,47 DM im Monat gegenüberzustellen. Nach der hier einschlägigen Tabelle zur Steuerklassenwahl 1990 (vgl DBl BA RdErl 114/89) darf bei kinderlosen Ehepaaren für die Steuerklassenkombination III/V neben einem Arbeitslohn von 4.000,-- DM im Monat der Arbeitslohn des geringer verdienenden Ehegatten 2.727,-- DM im Monat nicht überschreiten, damit der geringste Steuerabzug erreicht wird. Der Steuerklassenwechsel des Klägers und seiner Ehefrau entsprach unter diesen Voraussetzungen am 1. März 1990 offensichtlich nicht dem Verhältnis beider Arbeitslöhne; denn Offensichtlichkeit liegt nach der Rechtsprechung des BSG vor, wenn das geringere Einkommen den Tabellensatz um wenigstens 10 vH überschreitet (BSG SozR 4100 § 113 Nr 3), was hier der Fall ist.
Der Auffassung des LSG, daß im vorliegenden Fall nicht auf den Zeitpunkt des 1. März 1990, sondern den des 2. Juli 1990 abzustellen sei, vermag der Senat nicht zu folgen, denn von dem im Gesetz eindeutig fixierten Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Steuerklassenwechsels als Zeitpunkt für den Vergleich der beiderseits erzielten Arbeitsentgelte kann nicht abgewichen werden. Dieses Ergebnis entspricht nicht nur dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, sondern auch ihrer systematischen Anbindung an die insoweit einschlägigen Vorschriften des Steuerrechts, vor allem aber dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Die nach § 39 Abs 5 Sätze 3 und 4 EStG 1987 vorgenommene Steuerklassenänderung wird für Ehegatten notwendigerweise einheitlich und zeitgleich mit Beginn des auf die Antragstellung folgenden Monats wirksam. Hiervon weicht § 113 Abs 2 Satz 2 AFG ebensowenig ab wie von den steuerrechtlichen begrifflichen Voraussetzungen für den Steuerklassenwechsel (vgl näher BSGE 52, 227, 232 = SozR 4100 § 113 Nr 2; BSGE 61, 45, 50 = SozR 4100 § 113 Nr 5) Das LSG hat zudem den Zweck der Vorschrift zu Unrecht allein darin erblickt, daß der mißbräuchliche Steuerklassenwechsel unter Ehegatten, die auf solche Weise höhere Lohnersatzleistungen erzielen wollen, verhindert werden soll. Der Sinn und Zweck des Gesetzes reicht aber weiter. Vor allem zielt es darauf, daß ein Steuerklassenwechsel nur dann berücksichtigt wird, wenn er auch ohne eine eingetretene Arbeitslosigkeit objektiv geboten wäre, dh dann zu einem für die Ehegatten insgesamt niedrigeren Steuerabzug führen würde (vgl BSG SozR 3-4100 § 113 Nr 1). Der Steuerklassenwechsel muß demnach auch ohne den Lohnausfall tunlich sein. Die Höhe des Alg soll sich nämlich in diesen Fällen vornehmlich an der “richtigen” Steuerklasse orientieren (Senatsurteil SozR 4100 § 11 3 Nr 11).
Entgegen der Auffassung des LSG sprechen weitere gewichtige Gründe dafür, daß nicht von dem gesetzlich eindeutig fixierten Zeitpunkt des Vergleichs der beiderseits erzielten Arbeitsentgelte abgewichen werden darf. Insbesondere müssen die im Rahmen des § 113 Abs 2 AFG angewandten Maßstäbe für beide Ehegatten einheitlich sein. Denn die nach § 39 Abs 5 Sätze 3 und 4 EStG 1987 vorgenommene Steuerklassenänderung wird für beide Ehegatten notwendigerweise zeitgleich und einheitlich mit Beginn des auf die Antragstellung folgenden Monats wirksam. Stellte man nicht auf diesen Zeitpunkt, sondern wie das LSG auf den Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf Alg ab, könnte der Steuerklassenwechsel nicht mehr für beide Ehegatten zu einem fixen Zeitpunkt einheitlich als objektiv geboten oder nicht geboten beurteilt werden. Je nach dem Zeitpunkt des Eintritts von Arbeitslosigkeit bei dem einen oder anderen Ehegatten müßte sich der maßgebliche Zeitpunkt für den Vergleich der beiderseits erzielten Arbeitsentgelte jeweils nach dem Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf Alg bei dem betreffenden Ehegatten richten. Diese Zeitpunkte werden in aller Regel auseinanderfallen. Die damit notwendig verbundene Relativität des maßgeblichen Zeitpunkts für den Vergleich der beiderseitigen Arbeitsentgelte mit der Folge, daß der Steuerklassenwechsel nicht immer für beide Eheleute zugleich als objektiv geboten beurteilt werden könnte, kann wegen des damit verbundenen unbefriedigenden Ergebnisses nicht hingenommen werden. Im vorliegenden Fall wären dem Kläger dann nämlich Leistungen nach Leistungsgruppe C zu gewähren. Hätte aber seine Ehefrau einen über den 29. Mai 1990 und den Zeitpunkt der Leistungsbewilligung für den Kläger hinausreichenden Leistungsanspruch gehabt, müßte sie die bisher gewährte Leistung nach Leistungsgruppe A weiter beziehen, denn zum Zeitpunkt der Entstehung ihres Anspruchs auf Alg war dieser nach Leistungsgruppe A zu gewähren.
Das Ergebnis des LSG läßt sich auch nicht mit dem § 113 Abs 2 AFG ebenfalls innewohnenden Gedanken der Verwaltungsvereinfachung (vgl Senatsurteil vom 26. September 1989, SozR 4100 § 113 Nr 10), insbesondere nicht mit den praktischen Bedürfnissen einer Massenverwaltung, wie die BA sie betreibt, vereinbaren. Auszugehen ist nämlich davon, daß der Gesetzgeber bei den hier leistungsrechtlich relevanten Tatbeständen der §§ 113, 111 AFG, um diesen Bedürfnissen gerecht zu werden, im Rahmen seiner gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit an die steuerrechtlichen Vorschriften (§§ 38b Nrn 3 bis 5, 39 Abs 5 Satz 3 EStG 1987) und damit auch die steuerrechtliche Wirksamkeit von eingetragenen Änderungen auf den Lohnsteuerkarten typisierend und pauschalierend angeknüpft hat. Denn damit läßt sich eine Verwaltungsvereinfachung, zugleich aber auch eine der Rechtssicherheit dienende Gleichbehandlung aller Leistungsbezieher in einschlägigen Fällen erreichen (vgl BSG Urteil vom 22. Februar 1984 – 7 RAr 52/82 – DBIR der BA Nr 2955 AFG § 113). Dadurch können zwar möglicherweise bei einzelnen Sachverhaltsvarianten Nachteile für betroffene Arbeitslose auftreten. Diese sind jedoch als notwendige Begleitumstände von derart typisierenden gesetzlichen Regelungen grundsätzlich hinzunehmen, es sei denn, in nicht nur wenigen besonders gelagerten Fällen entstünden deutliche Ungleichheiten iS des Art 3 Grundgesetz (BVerfGE 63, 119, 128). Dafür sind hier allerdings keine Anhaltspunkte erkennbar.
Für ein derartiges Verständnis der Vorschrift läßt sich zusätzlich anführen, daß der Gesetzgeber für etwaige besondere Fälle eindeutig keine Härteklausel in die Vorschrift aufgenommen, sondern für den Vergleich der Arbeitsentgelte und für den Zeitpunkt der Wirksamkeit von Steuerklassenänderungen offenbar die typisierende Regelung für ausreichend erachtet hat. Das entspricht der Anknüpfung an das Steuerrecht und ist auch sonst systemgerecht, denn eine typisierende Vorschrift kann – wie bereits angedeutet – nicht sämtliche denkbaren Sachverhaltsvarianten aller einschlägigen Fälle berücksichtigen. Hinzukommt, daß im Bereich des § 113 AFG durchaus Fälle denkbar sind, in denen Härten vorliegen können, die aber hingenommen werden müssen. So ist zB eine zu Beginn des Jahres, in dem der Anspruch auf Alg entstanden ist, auf den Lohnsteuerkarten von Ehegatten eingetragene Lohnsteuerklasse nach der Rechtsprechung des BSG auch dann maßgeblich für die Gewährung der Leistung an den betreffenden Ehegatten, wenn sie nach dem Verhältnis der beiderseitigen Arbeitslöhne zu diesem Zeitpunkt offensichtlich “falsch” war (BSG SozR 4100 § 113 Nr 6). Konsequent ist es deshalb, daß eine Härte auch dann, wenn sie wie hier im Rahmen des § 113 Abs 2 AFG darin besteht, daß die “Zweckmäßigkeit” des Steuerklassenwechsels noch nicht im vorgeschriebenen Zeitpunkt, sondern erst später vorliegt, in diesem Zusammenhang rechtlich unbeachtlich zu bleiben hat.
Auf dieses Ergebnis deutet nach Auffassung des Senats schließlich auch die mit Wirkung vom 1. Januar 1993 durch Einfügung von Satz 4 in § 113 Abs 2 AFG (“Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend”) erfolgte Gesetzesänderung hin. Der Arbeitslose hat hiernach negative Folgen eines von ihm vorgenommenen Steuerklassenwechsels ggf bis zum Ablauf des betreffenden Kalenderjahres hinzunehmen. Erst dann kommt eine Änderung der Zuordnung zur Leistungsgruppe für die Bemessung von Alg (Alhi) in Betracht (vgl Gesetz vom 18. Dezember 1992, BGBl I 2044 sowie BT-Drucks 12/3211 zu Nr 30 ≪§ 113≫).
Da hier maßgeblicher Vergleichszeitpunkt für die beiderseits erzielten Arbeitsentgelte der 1. März 1990 ist, kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, daß die Ehefrau des Klägers im April 1990 ihre Verfügbarkeit gegenüber der BA eingeschränkt hat. Rechtliche Konsequenzen für die Vergleichbarkeit der beiderseitigen Arbeitsentgelte im Rahmen des § 113 Abs 2 AFG ergeben sich für den hier maßgeblichen, davor liegenden Zeitpunkt daraus nicht. Bei dieser Sachlage bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG, nach der für § 113 Abs 2 Satz 3 AFG immer der gesamte Ausfall des Arbeitsentgelts eines Ehegatten und nicht nur eines Teiles davon für die Vergleichbarkeit der beiderseits erzielten Arbeitsentgelte zu berücksichtigen ist (BSG SozR 4100 § 113 Nr 3).
Die Revision der BA mußte danach Erfolg haben.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen