Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatzanspruch. Ersatzkasse. Behandlungsfehler. Geltendmachung. Aufrechnung. Feststellung. Zuständigkeit. Auslegung der EKV-Zahnärzte. Beschlüsse der Arbeitsgemeinschaft nach § 22 EKV-Zahnärzte. Erfordernis der Veröffentlichung. Änderung von Kostenvorschriften. Übergangsrecht. Kostenentscheidung. Gesamtvergütung
Leitsatz (amtlich)
- Auch im Ersatzkassenrecht ist die Aufrechnung der Krankenkasse mit einem Schadensersatzanspruch wegen vertragswidriger Zahnbehandlung gegen laufende Gesamthonoraransprüche der KZÄV ausgeschlossen, solange der Anspruch nicht durch den Vorstand der KZÄV gegen den Vertragsarzt durch Verwaltungsakt festgestellt worden ist.
- Zum Schadensersatzanspruch der Ersatzkasse wegen fehlerhafter Behandlung im Vertragsarztrecht.
Normenkette
SGG § 164 Abs. 2 S. 3 Fassung: 21.12.1992, § 193 Abs. 4 S. 2 Fassung: 21.12.1992; BMV-Z § 24; EKV-Zahnärzte §§ 15, 22; KostÄndG Art. 11 § 3 Fassung: 26.7.1957; KostÄndG 1975 Art. 5 § 2; BRAGebOÄndG 5 Art. 1 Nr. 30; GKG § 73 Fassung: 1986-12-09; KostO § 161 Fassung: 9.12.1986; ZuSEG § 18 Fassung: 9.12.1986; JVKostO § 16 Fassung: 9.12.1986; BRAGO § 134 Fassung: 9.12.1986
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 31.03.1992; Aktenzeichen L 6 Ka 13/91) |
SG Kiel (Entscheidung vom 15.08.1990; Aktenzeichen S 8a Ka 18/89) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 31. März 1992 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte eine Schadensersatzforderung von 1.817,34 DM wegen mangelhafter Zahnersatzleistung gegen das an die Klägerin zu zahlende Gesamthonorar für das dritte Quartal 1987 aufrechnen durfte.
Der Beigeladene zu 1. ist als Mitglied der klagenden Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) an der vertragszahnärztlichen Versorgung beteiligt. Im September 1986 versorgte er die bei der beklagten Ersatzkasse (ErsK) Versicherte, die Beigeladene zu 2., mit einem Unterkieferzahnersatz. Diese ließ sich im Frühjahr 1987 mit Genehmigung der Beklagten durch einen anderen Zahnarzt eine neue Unterkieferprothese anfertigen, nachdem ein Gutachter bestätigt hatte, daß die eingegliederte Prothese funktionsuntüchtig sei. Die Klägerin wies die Aufforderung der Beklagten, den über sie an den Beigeladenen zu 1. für die Unterkieferprothese gezahlten Kassenzuschuß von 1.817,34 DM zurückzuzahlen, mit Schreiben ihres Vorstandes zurück: Ein vom Zahnarzt zu vertretender Mangel liege nicht vor. Dagegen legte die Beklagte entsprechend der Rechtsmittelbelehrung vorsorglich Widerspruch ein, vertrat aber im übrigen die Auffassung, daß die Klägerin ihr gegenüber nicht hoheitlich tätig werden dürfe. Sodann rechnete sie den Betrag von 1.817,34 DM gegen die Gesamtvergütung für das dritte Quartal 1987 auf. Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Zahlung des einbehaltenen Betrages nebst 4 % Zinsen seit dem 27. Oktober 1987 verurteilt (Urteil vom 5. August 1990). Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg (Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts ≪ LSG ≫ vom 31. März 1992).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision bekämpft die Beklagte dessen Rechtsauffassung, daß der Ersatzkassenvertrag-Zahnärzte (EKV-Zahnärzte) eine Aufrechnung nicht anerkannter Forderungen verbiete und auch der Beschluß der Arbeitsgemeinschaft nach § 22 EKV-Zahnärzte vom 27. November 1984 die Aufrechnung nicht rechtfertige.
Die Beklagte beantragt,
die angefochtenen Urteile zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Revision für unzulässig, weil nicht formgerecht begründet, und in der Sache für unbegründet.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.
1) Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Entgegen der Auffassung der Klägerin genügt die Begründung noch den gesetzlichen Anforderungen des § 164 Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte hat die verletzte Rechtsnorm hinreichend bezeichnet. Dazu ist es nicht erforderlich, daß sie die betreffenden Vorschriften ausdrücklich und zutreffend anführt; dies wäre bei der Anwendung ungeschriebenen Rechts – um die es hier zum Teil geht – auch nicht möglich. Es reicht aus, wenn sich aus dem Inhalt der Darlegungen des Revisionsklägers ergibt, daß er sich mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung rechtlich auseinandergesetzt hat und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (vgl BSG BSGE 70, 186, 187f = SozR 3-1200 § 53 Nr 4 und BSG SozR 1500 § 164 Nrn 5 und 12). Das Revisionsvorbringen läßt hinreichend erkennen, daß die Beklagte die Auffassung des LSG angreift, durch die Systematik des EKV-Zahnärzte sei die Aufrechnung mit einer Schadensersatzforderung wegen mangelhafter Prothetikleistungen gegen Gesamthonorarforderungen der KZÄV ausgeschlossen, solange die Schadensersatzpflicht des betroffenen Zahnarztes durch die zuständigen Instanzen nicht festgestellt sei.
2) Der Senat hat wie die Vorinstanz in der Besetzung mit je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Krankenkassen (KKen) und der Kassenzahnärzte entschieden. Es handelt sich um eine Angelegenheit des Kassenzahnarztrechts iS des § 12 Abs 3 Satz 1 SGG. Angelegenheiten des Kassen(zahn)arztrechts sind alle Rechtsstreitigkeiten, für die die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nach § 51 Abs 2 S 1 SGG zuständig sind und die nicht zu den Angelegenheiten der Kassen(zahn)ärzte iS von § 12 Abs 3 S 2 SGG zählen. Bei den Angelegenheiten der Kassen(zahn)ärzte handelt es sich aber nur um solche, die aufgrund der Beziehungen zwischen Ärzten bzw Zahnärzten untereinander zu entscheiden sind (BSG SozR 1500 § 12 Nr 6; SozR 5550 § 18 Nr 1). Der anhängige Rechtsstreit gehört deshalb nicht dazu, weil Streitgegenstand – obwohl selbst unstreitig – ein Anspruch der KZÄV gegen die KK ist; der Streitgegenstand wird allein vom prozessualen Begehren des Klägers bestimmt (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 4. Aufl, § 95 Rz 5 mwN). Selbst wenn aber auf die streitige Gegenforderung wegen der Rechtskrafterstreckung nach § 141 Abs 2 SGG abgestellt würde, wäre das Ergebnis nicht anders; auch sie betrifft nicht nur das Verhältnis der Zahnärzte untereinander. Über die Rechtmäßigkeit einer hoheitlichen Maßnahme, die je nach der Besetzung des entscheidenden Verwaltungsträgers die Zuordnung zu den abzugrenzenden Rechtskreisen bestimmt (vgl BSG SozR 3-5555 § 12 Nr 3 und BSGE 67, 256, 257 = SozR 3-2500 § 92 Nr 1), ist hier nicht zu entscheiden.
3) Das LSG hat zutreffend die Statthaftigkeit der Berufung nach § 143 SGG angenommen. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung eines Restbetrages des Gesamthonorars richtet sich weder auf eine einmalige Leistung iS des § 144 Abs 1 Nr 1 SGG noch – obwohl der Restbetrag aus einer Quartalsabrechnung geltend gemacht wird – auf eine wiederkehrende Leistung für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen (drei Monaten) iS von § 144 Abs 1 Nr 2 SGG. Denn diese rechtsmitteleinschränkenden Bestimmungen erfassen nur Leistungsansprüche einzelner gegen Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts (BSGE 3, 234, 235; 5, 140, 141; SozR 3-5555 § 12 Nr 2), ua auch Honoraransprüche der Ärzte gegen die Kassenärztliche Vereinigung ≪KÄV≫ (BSGE 11, 102; SozR 1500 § 144 Nr 1). Darum handelt es sich bei dem Anspruch der KZÄV gegen die KK auf Zahlung des Gesamthonorars nicht (BSG SozR 1500 § 149 Nr 13). Eine analoge Anwendung kommt wegen des abschließenden Charakters der Berufungsausschließungsgründe und des Gebots der Rechtsmittelklarheit nicht in Betracht (BSGE 46, 167, 169; BSG SozR 1500 § 146 Nr 16). Rechtsstreitigkeiten von öffentlich-rechtlichen Körperschaften untereinander werden allein nach Maßgabe von § 149 SGG von der Berufung ausgeschlossen. Dessen Voraussetzungen sind ungeachtet der Höhe der Beschwer schon deshalb nicht gegeben, weil es sich hier nicht um eine Ersatz- oder Erstattungsstreitigkeit handelt.
4) Der von der Klägerin mit der Leistungsklage geltend gemachte Zahlungsanspruch ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht durch Aufrechnung erloschen. Der Beklagten stand, wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, eine zur Aufrechnung geeignete Gegenforderung nicht zu.
Die Beklagte verlangt mit der Gegenforderung von der Klägerin – obwohl teilweise mißverständlich von “Honorarrückzahlung” gesprochen wird – Ersatz des Schadens, der ihr durch mangelhafte zahnprothetische Leistungen eines Vertragszahnarztes entstanden sei. Der Beklagten steht indes selbst bei unterstellter Mangelhaftigkeit der Prothetik gegenüber der Klägerin kein Zahlungsanspruch zu, da es an einer verbindlichen Feststellung des Schadensersatzanspruches fehlt.
Nach § 525c Abs 2 der Reichsversicherungsordnung aF (RVO aF), der auch nach Inkrafttreten des SGB V durch das Gesundheitsreformgesetz vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477 ≪GRG≫) zum 1. Januar 1989 hier weiterhin anzuwenden ist, weil Klageforderung, Gegenforderung und Aufrechnungserklärung noch in seinen zeitlichen Geltungsbereich fallen, galten für die Verträge der Ersatzkassen über die vertragsärztliche Versorgung zahlreiche Bestimmungen für die RVO-Kassen sinngemäß oder entsprechend. Die Vertragspartner waren hiernach berechtigt, den Schadensersatz wegen mangelhafter Prothetik zu regeln, und zwar sowohl hinsichtlich der Feststellung der Schadensersatzforderung der KK gegen den Vertragszahnarzt (BSG SozR 3-5555 § 12 Nrn 1, 2, 3) als auch hinsichtlich der von der KZÄV an die KK zu leistenden Zahlungen.
Hierzu hat der erkennende Senat bereits im Anschluß an die Rechtsprechung des 6. Senats (BSG SozR 3-5555 § 12 Nrn 1 und 2) entschieden, daß sich eine öffentlich-rechtliche Schadensersatzpflicht des Vertragszahnarztes wegen mangelhafter Prothetikleistungen aus dem Gesamtzusammenhang des EKV-Zahnärzte ergibt (BSG SozR 3-5555 § 12 Nr 3 und SozR 3-5555 § 9 Nr 1; BSG Urteil vom 20. Mai 1992 – 14a/6 RKa 6/90 – ≪DOK 1992, 472≫). Für die Feststellung eines solchen Schadensersatzanspruchs und die darauf gestützte Belastung des Honorarkontos des Zahnarztes ist mangels einer speziellen Zuweisung der Vorstand der KZÄV als allgemeine Vertragsinstanz zuständig; er kann insoweit das Rechtsverhältnis zum Vertragszahnarzt durch Verwaltungsakt regeln (BSG SozR 3-5555 § 12 Nrn 1, 2 und 3 ferner SozR 3-5555 § 9 Nr 1; BSG Urteil vom 20. Mai 1992 – 14a/6 RKa 6/90 – ≪DOK 1992, 472≫). Von dieser Zuständigkeit ist der Vorstand der Klägerin auch ausgegangen, als er es nur wegen der Verneinung eines vertragswidrigen Verhaltens des Zahnarztes ablehnte, den von der Beklagten beantragten Regreß gegen den Zahnarzt festzusetzen. Mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist aber noch nicht entschieden, welche Möglichkeiten die Ersatzkasse für den Fall hat, daß die KZÄV es ablehnt, gegen den Zahnarzt vorzugehen, und ob es ihr insbesondere erlaubt ist, mit einem aus der fehlerhaften Behandlung entstandenen Schadensersatzanspruch gegen laufende Ansprüche der KZÄV auf das Gesamthonorar aufzurechnen.
Für den Bereich der RVO-Kassen (Primärkassen) hat das BSG allerdings bereits entschieden, daß eine Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter Prothetik seitens der KK solange nicht in Betracht kommt, wie nicht die Prüfungsgremien einen solchen Schadensersatzanspruch gegen den Kassenzahnarzt festgestellt haben (BSG SozR 5545 § 44 Nr 2). Der 6. Senat hat dies aus § 24 Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Zahnärzte) hergeleitet, der besagt: “Läßt der Kassenzahnarzt oder eine der Personen, für die er haftet, bei der Erfüllung der kassenzahnärztlichen Pflichten die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt außer Acht, so hat die Kassenzahnärztliche Vereinigung der betroffenen KK den durch die Nichterfüllung der kassenzahnärztlichen Pflichten entstandenen und durch die Prüfungseinrichtung festgestellten Schaden zu ersetzen, soweit ihr ein Rückgriff gegen den Kassenzahnarzt durch Aufrechnung gegen Honorarforderungen möglich ist. “Die in der vertraglichen Vereinbarung festgelegte Kompetenz der Prüfungseinrichtungen zur Feststellung des Schadens hat der 6. Senat iS einer ausschließlichen Zuständigkeit verstanden. Die Berechtigung dafür hat er aus § 368n Abs 5 RVO aF hergeleitet, wonach die Vertragsparteien des Gesamtvertrages das Verfahren zur Überwachung und Prüfung der Wirtschaftlichkeit vereinbaren und gegen die Entscheidungen der Prüfungsausschüsse die betroffenen Ärzte, die Landesverbände der KKen oder die Kassenärztlichen Vereinigungen den Beschwerdeausschuß anrufen können (§ 368n Abs 5 Satz 3 und Satz 5 RVO aF; BSG aaO im Anschluß an BSG SozR 2200 § 368n Nr 26).
Auch im Ersatzkassenbereich ist eine Aufrechnung erst zulässig, wenn die Schadensersatzforderung der ErsK gegen den Zahnarzt durch Verwaltungsakt festgestellt ist, wie das LSG zutreffend angenommen hat (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 1988 – L 1 Ka 680/88 – Juris DOKNR 363389), wobei die Feststellung der Schadensersatzforderung nicht durch die Prüfungsinstanz, sondern durch die KZÄV als Vertragsinstanz zu erfolgen hat.
Nach § 12 Nr 6 EKV-Zahnärzte setzt die KZÄV durch Vertragsinstanzen anerkannte Forderungen einer Vertragskasse gegen einen Vertragszahnarzt bei der nächsten Abrechnung vom laufenden Honoraranspruch ab (Satz 1); sie ist jedoch von der Vertragskasse schadlos zu halten, wenn sie nachweist, daß sie die Forderung gegen den Vertragszahnarzt oder seine Rechtsnachfolger nicht durchsetzen kann (Satz 2).
Die Regelung ist weitgehend lückenhaft. Ergänzende Rechtsnormen fehlen. Der von den Beteiligten angeführte Beschluß der nach § 22 EKV-Zahnärzte gebildete Arbeitsgemeinschaft vom 27. November 1984 ist keine Rechtsnorm, sondern nur eine Meinungsäußerung, worauf noch einzugehen ist. § 12 Nr 6 Satz 1 EKV-Zahnärzte bedarf der Lückenfüllung im Wege ergänzender Auslegung. Die Regelung läßt offen, aus welchen Gründen die anerkannten Forderungen bei der nächsten Abrechnung vom laufenden Honoraranspruch “abzusetzen” sind.
Dem kann einmal die stillschweigende Regelung zugrunde liegen, daß die KZÄV wegen ihrer Verpflichtung, die vertragszahnärztliche Versorgung der Versicherten durch ihre Mitglieder, die Kassenzahnärzte, sicherzustellen und zu gewährleisten, neben dem Vertragszahnarzt auf Schadensersatz haftet. Dann wäre die KK gegenüber der KZÄV grundsätzlich ab Schadenseintritt zur Aufrechnung befugt, und die in Satz 1 getroffene Regelung wäre dahin zu verstehen, daß die KZÄV im Falle der “Anerkennung durch Vertragsinstanzen” die Schadensersatzforderung auch ohne Aufrechnungserklärung der KK von sich aus abzusetzen hat.
Der Satz 1 kann nach seinem Wortlaut aber auch besagen, daß die KZÄV nur auf die ordnungsgemäße Einziehung der Schadensersatzforderung der KK gegen den Vertragszahnarzt und die anschließende Abführung des Erlöses haftet, wobei im Falle der “Anerkennung durch Vertragsinstanzen” die Zahlung an die KK in Form der “Absetzung” schon vor der Zahlung des Vertragszahnarztes an die KZÄV zu erfolgen hat (Einziehungsregelung).
Für die Auslegung als bloße Einziehungsregelung spricht das Übergewicht der Gründe, insbesondere der Sinnzusammenhang mit Satz 2, die bereits angeführte Rechtsprechung zu § 24 BMV-Zahnärzte, die Parallele zur Schadensersatzpflicht bei vertragswidriger Verordnungsweise, die zentrale Bedeutung der “Anerkennung durch Vertragsinstanzen” als ein alle Beteiligten bindender Verwaltungsakt und die von den Vertragspartnern weithin gewollte Parallelität zu der für den RVO-Bereich geltenden Regelung.
Die in Satz 2 des § 12 Nr 6 EKV-Zahnärzte vorgesehene Rückzahlung (Schadloshaltung) bei Nichtdurchsetzbarkeit der Forderung gegen den Vertragszahnarzt zeigt, daß die KZÄV das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Vertragszahnarztes nicht tragen soll. Damit wäre eine Mithaftung als Mitschuldner oder Bürge unvereinbar. Denn es gehört zum Wesen dieser Rechtsinstitute, das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners zu tragen. Damit setzt die in Satz 2 getroffene Regelung voraus, daß die KZÄV ausschließlich für den ordnungsgemäßen Einzug der Schadensersatzforderung haftet. Denn eine Mithaftung bliebe von der Erfolglosigkeit der ordnungsgemäßen Erfüllung der Einzugsverpflichtung unberührt, und diese Erfolglosigkeit könnte deshalb im Falle einer Mithaftung keinen Rückzahlungsanspruch begründen.
Auf dieser Grundlage kann die in Satz 1 getroffene Regelung nur dahin verstanden werden, daß die KZÄV zur Einziehung und zur Abführung der eingezogenen Beträge an die KK verpflichtet wird. Satz 1 beläßt es jedoch nicht dabei, daß die KZÄV wie im Normalfall einer Einziehungsverpflichtung erst nach erfolgreichem Einzug oder bei verschuldeter Erfolglosigkeit zahlungspflichtig wird. Vielmehr soll bereits die Feststellung der Schadensersatzforderung der KK gegen den Vertragszahnarzt durch die Vertragsinstanz die Zahlungspflicht der KZÄV auslösen und dementsprechend zur “Absetzung” verpflichten, vorbehaltlich einer Rückbelastung, wenn die Schadensersatzforderung der KK trotz ordnungsgemäßer Bemühungen nicht realisiert werden kann. Diese Regelung läßt eine Aufrechnung durch die KK mit deren Zahlungsanspruch gegen die KZÄV erst nach der Feststellung der Schadensersatzforderung durch die Vertragsinstanz zu, weil der Zahlungsanspruch vorher nicht entstanden ist. Der Schadensersatzanspruch der KK gegen den Vertragszahnarzt ist zur Aufrechnung ungeeignet, weil es jedenfalls an der Gegenseitigkeit fehlt.
Wie § 12 Nr 6 Satz 1 EKV-Zahnärzte scheint auch der Wortlaut des § 24 BMV-Zahnärzte davon auszugehen, daß sich der Schadensersatzanspruch der KK gegen die KZÄV richtet, wenn es heißt, daß die KZÄV den durch die Prüfungseinrichtungen festgestellten Schaden zu ersetzen hat, soweit ihr ein Rückgriff gegen den Kassenzahnarzt durch Aufrechnung gegen Honorarforderungen möglich ist. Auch hier zeigt erst die Einschränkung, wie vom BSG (aaO) bereits entschieden, daß es sich rechtlich lediglich um die Abführung des Erlöses des gegen den Zahnarzt durchgesetzten Regreßanspruchs handelt, die KZÄV also keine Garantiehaftung iS einer Schuldübernahme oder auch nur bürgenähnliche Haftung übernimmt, sondern das Ausfallrisiko allein bei der KK liegt. Eine solche Einstandspflicht der KZÄV ergibt sich auch nicht aus ihrem allgemeinen Sicherstellungsauftrag nach § 368n Abs 1 RVO aF, der es wohl verbieten kann, sich im Rahmen eines Erstattungsanspruchs – der hier nicht in Frage steht –, auf einen Wegfall der Bereicherung zu berufen (vgl dazu BSGE 61, 19, 23 = SozR 2200 § 368f Nr 11). Der Sache nach handelt es sich also um eine vertragliche Feststellungs- und Einziehungsermächtigung sowie Einziehungsverpflichtung der KZÄV hinsichtlich des der KK zustehenden Schadensersatzanspruchs. Somit ist auch der letzte Satz des § 24 BMV-Zahnärzte, wonach die KZÄV den Anspruch auf den Regreßbetrag an die KK zur unmittelbaren Einziehung abtritt, wenn eine Aufrechnung gegen Honorarforderungen des Zahnarztes nicht mehr möglich ist, allein dahin auszulegen, daß es sich um eine Regelung der Beendigung der Einziehungsermächtigung der KZÄV handelt.
Der gegen den Zahnarzt gerichtete Schadensersatzanspruch wegen unbrauchbarer und damit auch unwirtschaftlicher Prothetikleistungen ist dem Schadensersatzanspruch wegen vertragswidriger Verordnungsweise strukturell vergleichbar, der auch der KK gegen den Zahnarzt zusteht, der auch vom Vorstand der KZÄV gegen den Zahnarzt verbindlich festgestellt wird, worauf noch näher einzugehen ist, und der auch erst nach der verbindlichen Feststellung einen Zahlungsanspruch der KK gegen die KZÄV auslöst.
Die ErsKen haben auf die Feststellung der Schadensersatzforderung durch die KZÄV einen solchen Einfluß, daß dieser Feststellung die aufgezeigte zentrale Bedeutung auch für die Rechtsbeziehungen zwischen KK und KZÄV ohne Gefährdung ihrer berechtigten Interessen beigemessen werden kann.
Die Festsetzung erfolgt, wie mehrfach entschieden, durch Verwaltungsakt (BSG SozR 3-5555 § 12 Nrn 1, 2 und 3). Wird der Verwaltungsakt auf Klage des Vertragszahnarztes vom SG oder vom LSG aufgehoben, so ist die beigeladene ErsK hierdurch beschwert und ihre auf Abweisung der Klage gerichtete Berufung oder Revision zulässig, wie in den angeführten Urteilen jeweils stillschweigend angenommen. Soweit die KZÄV die Schadensersatzforderung niedriger als beantragt festsetzt oder den Antrag der KK in vollem Umfang abweist, ist dies ebenfalls ein Verwaltungsakt. Hiergegen kann die ErsK Widerspruch und nötigenfalls Klage erheben. In dem bestehenden Dreiecksverhältnis muß die Entscheidung notwendig einheitlich ergehen, da es sich um die Feststellung eines einzigen Anspruchs handelt. Der Zahnarzt ist deshalb zutreffend nach § 75 Abs 2 SGG notwendig beigeladen worden, um die Rechtskraft des Urteils – die bei einer Aufrechnung auch die Gegenforderung umfaßt, vgl § 141 Abs 2 SGG – auch auf ihn zu erstrecken und ihm das notwendige rechtliche Gehör zu gewähren.
Für die zentrale Bedeutung der Feststellung des Schadensersatzanspruchs und deren Anfechtbarkeit auch seitens der ErsKen spricht die von den Vertragspartnern weithin gewollte Parallelität zu der für den RVO-Bereich geltenden Regelung.
In § 525c RVO aF war § 368n Abs 5 RVO aF, der das Verfahren zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung regelte, nicht ausdrücklich in Bezug genommen. Daraus kann wohl geschlossen werden, daß der Gesetzgeber nicht vorgeschrieben hat, das Verfahren zur Überwachung des Wirtschaftlichkeitsgebots, das auch ohne ausdrückliche Anordnung im Ersatzkassenbereich gilt, in gleicher Weise durchzuführen wie im RVO-Bereich. Tatsächlich weist das im EKV-Zahnärzte vereinbarte, bis zum 31. Dezember 1988 geltende Prüfungsverfahren Abweichungen auf, insbesondere bei der Besetzung der Prüfungseinrichtungen (§ 13 EKV-Zahnärzte). Das Gesetz erlaubt es aber – wenn es nicht dazu verpflichtet –, sich den Regelungen im RVO-Bereich anzugleichen. Davon haben die Vertragspartner Gebrauch gemacht. Insgesamt lassen die vertraglichen Regelungen eine weitgehende Parallelität zum BMV-Zahnärzte erkennen, insbesondere was den Ablauf des Verwaltungsverfahrens, die Prüfungsgegenstände und Prüfungsmethoden betrifft. Deshalb ist der Schluß gerechtfertigt, daß die Vertragspartner dort, wo die vertraglichen Vereinbarungen lückenhaft geblieben sind, im Zweifel die sinngemäße Anwendung der im RVO-Bereich geltenden Regelungen beabsichtigt haben. Das bestätigt die Auslegung, daß die im EKV-Zahnärzte nicht näher geregelte Feststellung der Schadensersatzverpflichtung des Zahnarztes durch den Vorstand der KZÄV erfolgt, dies als ausschließliche Zuständigkeit zu verstehen ist, die Entscheidung auch für die KK verbindlich wird und vor einer solchen Entscheidung ein Anspruch der Kasse weder gegen den Zahnarzt noch gegen die KZÄV besteht.
Diese Schlußfolgerung ist vor allem aus der vertraglich eingehend geregelten Prüfung der Verordnungsweise des Zahnarztes zu ziehen, bei der es darum geht, einen durch unwirtschaftliche und damit vertragswidrige Verordnungsweise des Zahnarztes den KKen entstandenen Schaden festzustellen und damit ebenfalls einen Schadensersatzanspruch durchzusetzen. § 15 Nr 3 EKV-Zahnärzte bestimmt ausdrücklich, daß die Prüfungseinrichtungen feststellen, ob und in welcher Höhe der Vertragszahnarzt der Vertragskasse den entstandenen Schaden zu ersetzen hat. Auch dies muß iS einer ausschließlichen Zuständigkeit verstanden werden. Denn nach § 16 Nr 3 EKV-Zahnärzte werden die Entscheidungen der Prüfungseinrichtungen den Betroffenen (Vertragszahnarzt und Vertragskasse, vgl die voranstehende Nr 2) mit Rechtsmittelbelehrung zugestellt. Nach § 17 Nr 1 EKV-Zahnärzte können die Betroffenen gegen die Entscheidungen der Prüfungsausschüsse Beschwerde einlegen und nach Abschluß des Beschwerdeverfahrens Klage zum SG erheben. Diese eingehend geregelte vertragliche Verfahrensweise schließt es aus, daß die KK vor einer verbindlichen Entscheidung der Prüfungseinrichtungen einen Schadensersatzanspruch wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise in der Weise durchsetzen kann, daß sie gegen laufende Honorarforderungen aufrechnet.
Diese Regelung bestätigt, daß der Einwand der Beklagten, die Klägerin könne ihr gegenüber als öffentlich-rechtlicher Körperschaft nicht hoheitlich tätig werden und durch Verwaltungsakt verbindlich entscheiden, unzutreffend ist. Die Befugnis zum Erlaß eines Verwaltungsaktes setzt nicht voraus, daß ein allgemeines Über-Unterordnungsverhältnis wie zwischen Staat und Bürger besteht. Es genügt, wenn das Gesetz einer Verwaltungsstelle eine hoheitliche Entscheidungskompetenz zuweist und gleichzeitig anordnet, daß diese auch für betroffene öffentlich-rechtliche Rechtsträger gilt, also insoweit ein Über- Unterordnungsverhältnis bestehen soll (vgl BSGE 45, 296, 298 = SozR 2200 § 381 Nr 26; BSGE 58, 54, 57 = SozR 5420 § 87 Nr 1; Meyer-Ladewig, SGG, 4. Aufl., nach § 54 Rdnr 14; Kopp, VwGO, 9. Aufl, § 42 RdNr 10). Ausreichend ist, daß die Zuweisung der Entscheidungskompetenz durch eine untergesetzliche Rechtsnorm, hier durch öffentlich-rechtlichen Vertrag, im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung festgelegt wird (zur Normsetzung durch Vertrag vgl BSGE 28, 224, 225 = SozR Nr 45 zu § 55 SGG; BSGE 29, 254, 255 = SozR Nr 6 zu § 368g RVO; BSGE 67, 251 = SozR 3-2500 § 92 Nr 2; BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 4). Die Befugnis der Prüfungsgremien, ihre Entscheidungen mit Verbindlichkeit gegenüber der KZÄV, den KKen und deren Landesverbänden zu treffen, ergibt sich für den RVO-Bereich aus § 368 m Abs 5 RVO aF. Für den Ersatzkassenbereich ergibt sie sich eindeutig für den Fall einer vertragswidrigen Verordnungsweise aus § 15 EKV-Zahnärzte.
Der Senat läßt offen, ob die von ihm im Wege der Lückenfüllung vorgenommene Vertragsauslegung oder -ergänzung in dem Sinne zwingend ist, daß sie eine andersartige Feststellung oder Regelung durch die Arbeitsgemeinschaft nach § 22 EKV-Zahnärzte ausschließt, wie es das Berufungsgericht angenommen hat. Durch die protokollierte Vereinbarung der Arbeitsgemeinschaft vom 27. November 1984 über das Verfahren bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ist schon deshalb keine gültige anderweitige Regelung getroffen worden, weil sie nicht in der gebotenen Form erfolgt und veröffentlicht worden ist. Aufgabe der Arbeitsgemeinschaft ist es nach Ziff 2 Buchst a der genannten Vertragsbestimmung, die Bestimmungen des Vertrages verbindlich auszulegen sowie die sich aus der Durchführung des Vertrages ergebenden grundsätzlichen Fragen zu klären. Nach Ziff 3 äußert sie sich durch Feststellungen und Beschlüsse, die nach Ziff 4 alsbald in den Zeitschriften “Zahnärztliche Mitteilungen” und “Die Ersatzkasse” zu veröffentlichen sind. Die hier streitige Vereinbarung ist weder als Feststellung noch als Beschluß bezeichnet und auch nicht – im Gegensatz zu dem in derselben Sitzung gefaßten Beschluß Nr 104 über den Beanstandungskatalog für prothetische Abrechnungsfälle – in den genannten Zeitschriften veröffentlicht worden. Damit fehlt es an einem wesentlichen Erfordernis für das Wirksamwerden dieser Vereinbarung als Rechtsnorm, wozu gehört, daß der Normunterworfene die Möglichkeit erhält, in einem dafür vorgesehenen und für ihn zugänglichen Verkündungsblatt sich über alle Bestandteile der Norm zu unterrichten (vgl BSGE 29, 41 ff; 34, 115, 118). Normunterworfener ist aber in erster Linie der Vertragszahnarzt, gegen den sich die Schadensersatzforderung richtet. Mit der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung unterwirft er sich nur solchen Regelungen, die gesetzlich und vertraglich einwandfrei zustande gekommen sind. Es würde auch nicht ausreichen, wenn die Vertragspartner unter sich ein bestimmtes Verfahren im Sinne einer ständigen Übung praktizieren – wie die Beklagte meint –; jedenfalls solange der Vertragsarzt davon keine Kenntnis hat und nicht daran teilnimmt, müßte er sich dies nicht im Sinne von Gewohnheitsrecht entgegenhalten lassen. Unter diesen Umständen kann dahinstehen, ob zumindest unter den Vertragspartnern aufgrund der Vereinbarung eine tatsächliche Übung bestanden hat. Denn dafür, daß der beigeladene Zahnarzt darüber unterrichtet und daran beteiligt war, ist selbst im Revisionsverfahren nichts vorgetragen worden.
Da die Klageforderung zu Recht besteht, ist auch der geltend gemachte Zinsanspruch der Klägerin von den Vorinstanzen zutreffend nach § 12 Nr 5 EKV-Zahnärzte zuerkannt worden. Die Revision hat daran nichts beanstandet.
5) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Eine Auferlegung der außergerichtlichen Kosten der Klägerin auf die im Rechtsstreit unterlegene Beklagte kam nicht in Betracht. Der durch Art 15 Nr 2 des Gesundheits-Struktur-Gesetzes (GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 2266) neu geschaffene § 193 Abs 4 Satz 2 SGG hat zwar den im vorausgehenden Satz 1 aaO aufgestellten Grundsatz, daß die Aufwendungen der Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht erstattungsfähig sind, ua für die im Verfahren nach § 51 Abs 2 Satz 1 SGG als Kläger oder Beklagte beteiligten Körperschaften durchbrochen, so daß insoweit nunmehr § 193 Abs 1 SGG uneingeschränkt anzuwenden ist. Wie eingangs bereits ausgeführt, handelt es sich hier um ein solches Verfahren. Diese Regelung gilt jedoch nur für Rechtsstreitigkeiten, die nach dem Inkrafttreten der Gesetzesergänzung am 1. Januar 1993 (Art 35 Abs 1 GSG) anhängig geworden sind bzw für Rechtsmittelverfahren, in denen das Rechtsmittel nach diesem Zeitpunkt eingelegt worden ist, obwohl eine entsprechende ausdrückliche Übergangsregelung fehlt.
Allerdings ergreifen Änderungen des Prozeßrechts in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich auch schwebende Verfahren, soweit nicht Übergangsbestimmungen etwas anderes vorschreiben oder sich Abweichendes aus Sinn und Zweck der Vorschrift oder aus dem Zusammenhang mit anderen Grundsätzen ergibt (BVerfGE 39, 156, 167; 65, 76, 98; BSGE 70, 133 f = SozR 3-1300 § 24 Nr 6 S 15 mwN).
Die Regel, daß neues Prozeßrecht auch für anhängige Verfahren gilt, steht jedoch unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Diese können die Möglichkeit des Gesetzgebers begrenzen, auf eine bislang gegebene verfahrensrechtliche Lage, in der ein Prozeßbeteiligter sich befindet, einzuwirken und eine unter der Geltung des alten Rechts entstandene prozessuale Rechtsposition nachträglich zu verändern oder zu beseitigen (BVerfGE 63, 343, 359; BVerfG NJW 1993, 1123 = DVBl 1992, 1531 = NVwZ 1992, 1182). Zwar ist das Vertrauen in den Fortbestand verfahrensrechtlicher Regelungen im allgemeinen weniger geschützt als das Vertrauen in die Aufrechterhaltung materieller Rechtspositionen; im Einzelfall aber können verfahrensrechtliche Regelungen ihrer Bedeutung und ihres Gewichts wegen in gleichem Maße schutzwürdig sein wie Besitzstände des materiellen Rechts. Von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung wird das dann angenommen, wenn das in Rede stehende Verfahrensrecht nicht bloß ordnungsrechtliche, technische Prozeßführungsregeln zum Inhalt hat, sondern Rechtspositionen gewährt, die in ihrer Schutzwürdigkeit materiell-rechtlichen Gewährleistungen vergleichbar sind (BVerfG aaO).
Eine Regelung, die einen Verfahrensbeteiligten nachträglich einem Kostenrisiko aussetzte, das bei Beginn des Prozesses oder bei Einlegung eines Rechtsmittels noch nicht gegeben war, würde in eine derart geschützte verfahrensrechtliche Position eingreifen. Sie könnte im Falle des § 193 Abs 4 Satz 2 SGG nF zu einer so hohen finanziellen Belastung führen, daß den wirtschaftlichen Dispositionen des Betroffenen die Grundlage entzogen und die Prozeßführung für ihn untragbar würde. Was für den Vertrauensschutz des Bürgers spricht, ist auch für Dispositionen einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft von Bedeutung, die mit ihren Finanzmitteln wirtschaftlich umgehen muß. Dem steht kein erkennbares öffentliches Interesse gegenüber, das es gebieten würde, die geänderte Kostenregelung auf bereits laufende Verfahren zu erstrecken. Diese Überlegungen finden ihren Niederschlag in zahlreichen anderen Gesetzen, in denen die Änderung kostenrechtlicher Bestimmungen regelmäßig mit der Maßgabe erfolgt, daß die Kosten nach dem alten Recht zu erheben sind, wenn der kostenauslösende Tatbestand (Anhängigkeit eines Verfahrens, Einlegung eines Rechtsmittels, Fälligkeit einer Gebühr, Beauftragung mit der Vertretung, Begutachtung oder Übersetzung) vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung liegt (vgl etwa Art XI § 3 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften (KostÄndG) vom 26. Juli 1957 (BGBl I S 861, 935); Art 5 § 2 des Gesetzes zur Änderung des Gerichtskostengesetzes, des Gesetzes über Kosten der Gerichtsvollzieher, der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte und anderer Vorschriften (KostÄndG 1975) vom 20. August 1975 (BGBl I S 2189, 2243); Art 1 Nr 30 des Fünften Gesetzes zur Änderung der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGebOÄndG 5) vom 18. August 1980 (BGBl I S 1503, 1506). In neueren Kostengesetzen findet sich der angesprochene Grundsatz vielfach in der Form einer “permanenten”, alle künftigen Änderungen erfassenden Übergangsvorschrift (so etwa in § 73 Gerichtskostengesetz (GKG), § 161 Kostenordnung (KostO), § 18 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZuSEG), § 16 Justizverwaltungs-Kostenordnung, § 134 Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRGebO), jeweils idF durch das Gesetz zur Änderung von Kostengesetzen vom 9. Dezember 1986 (KostÄndG 1986) (BGBl I 1986, 2326). Im Gesetzgebungsverfahren wurde unwidersprochen schon in der Regierungsbegründung, Allgemeines, zu den Übergangsvorschriften der angeführten Kostengesetze erläutert, diese sollten als allgemeine Übergangsvorschriften für diese und künftige Änderungen gelten; künftig werde die Einfügung von Übergangsvorschriften nur in seltenen Ausnahmefällen notwendig sein, wenn aus besonderen Gründen eine abweichende Regelung getroffen werden müsse (BT-Drucks 10/5113 S 17). Die Übergangsregelung orientiert sich an dem bereits angeführten Art 5 § 2 KostÄndG 1975 (BT-Drucks 10/5113 S 28 zu Nummern 4 und 5 – § 73 GKG –, S 35 zu Nummern 23 und 24 – § 161 KostO – S 39 zu Nummer 32 – § 134 BRGebO – und S 40 zu Nummer 5 – § 18 ZuSEG –). Die zu diesen Vorschriften im späteren Gesetzgebungsverfahren beschlossene Änderung läßt diese Zielsetzung unberührt (vgl. hierzu die Stellungnahme des Bundesrates ≪BT-Drucks 10/5113 S 47≫ und des Ausschusses ≪BT-Drucks 10/6400 S 42≫). Die Gesetzgebungspraxis geht mithin davon aus, daß dem Vertrauensschutz in der Regel Vorrang vor dem Interesse der Justizverwaltung oder des Prozeßgegners an einer sofortigen Geltung neuer Kostenvorschriften gebührt.
Das Fehlen einer entsprechenden ausdrücklichen Übergangsvorschrift im GSG bedeutet eine Regelungslücke, die durch die Rechtsprechung verfassungskonform ausgefüllt werden kann. Daß der Gesetzgeber des GSG bewußt keine Übergangsregelung getroffen hat, ist nicht ersichtlich. Die Gesetzesmaterialien ergeben keinen Anhalt, daß die Frage des zeitlichen Geltungsumfangs der neuen Vorschrift überhaupt bedacht worden wäre. Die konkret auf die Ergänzung des § 193 Abs 4 SGG bezogenen Äußerungen (BT-Drucks 12/3209 S 33, 83; 12/3608 S 58, 153; 12/3930 S 137; BR-Drucks 560/92 S 73, 201; 856/92 S 79, 80) gehen hierauf auch nicht andeutungsweise ein, sondern beschränken sich auf die Darlegung, daß es nach der Erweiterung des Katalogs der Streitigkeiten in der Sozialgerichtsbarkeit, bei denen die Rechtsanwaltsgebühren nach dem Streitwert abgerechnet werden, “in bestimmten Fällen nicht mehr angemessen (sei), staatliche Einrichtungen – soweit sie Kläger oder Beklagter sind – mit den außergerichtlichen Kosten für eigene Prozeßbevollmächtigte auch dann zu belasten, wenn sie obsiegen”. Damit aber kann nicht angenommen werden, daß von dem auf rechtsstaatlichen Erwägungen beruhenden Grundsatz der Nichtanwendbarkeit neuer kostenrechtlicher Vorschriften auf vorher begonnene Verfahren abgewichen werden sollte; eine verfassungskonforme Auslegung bleibt damit zulässig: Der Senat schließt sich insoweit dem Urteil des 3. Senats vom 30. März 1993 – 3 RK 1/93 – (zur Veröffentlichung bestimmt) an.
Fundstellen