Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 27.09.1990) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. September 1990 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der im Jahre 1942 geborene Kläger erhielt von der Beklagten wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 25. November 1972 Verletztenrente auf Dauer nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH (Bescheid vom 26. September 1974). Auf seinen Antrag gewährte ihm die Beklagte gemäß § 604 der Reichsversicherungsordnung (RVO) eine Kapitalabfindung (Bescheid vom 28. September 1976) und stellte die Zahlung der Verletztenrente zum Ende des Monats September 1976 ein.
Im April 1984 beantragte der Kläger unter Hinweis auf eine Verschlimmerung der Unfallfolgen, ihm die Verletztenrente wieder zu gewähren. Die Beklagte lehnte dies ab (Bescheid vom 24. April 1985 idF des Widerspruchsbescheides vom 25. August 1986).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, weil in den Folgen des Unfalls keine wesentliche Verschlimmerung iS des § 605 RVO eingetreten sei (Urteil vom 25. September 1987). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 27. September 1990). Es hat die Berufung zwar als statthaft angesehen. Denn die Voraussetzungen für den Berufungsausschlußgrund des § 145 Nr 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) lägen nicht vor. Streitig sei hier die Gewährung von Verletztenrente. Dies gelte auch, wenn bei einer, wenn auch abgefundenen Rente wegen wesentlicher Verschlimmerung der Unfallfolgen die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 10 vH oder mehr im Streit stehe. Die Berufung sei jedoch in der Sache nicht begründet, weil die Voraussetzungen für eine Wiedergewährung nicht vorlägen.
Das LSG hat wegen Abweichung von der Entscheidung des Senats vom 30. Oktober 1962 (SozR Nr 12 zu § 145 SGG) zur Frage der Statthaftigkeit der Berufung die Revision zugelassen.
Der Kläger rügt mit der Revision eine Verletzung der §§ 103, 106 Abs 1 und 109 Abs 2 SGG.
Der Kläger beantragt,
- die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. September 1990 und des Sozialgerichts Mannheim vom 25. September 1987 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. April 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. August 1986 aufzuheben,
- die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger aus Anlaß des Arbeitsunfalls vom 25. November 1972 ab April 1984 erneut Verletztenrente zu gewähren,
hilfsweise,
die angefochtenen Urteile mit den ihnen zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie meint, entgegen der Ansicht des LSG im angefochtenen Urteil sei die Berufung des Klägers nicht zulässig. Soweit der Senat an dieser Rechtsprechung festhalte, sei eine sachliche Überprüfung des Berufungsurteils nicht möglich.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Entgegen der Auffassung des LSG ist die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil vom 27. September 1990 nicht zulässig.
Bei einer – vom LSG zugelassenen – Revision hat das Revisionsgericht zunächst von Amts wegen zu prüfen, ob die Prozeßvoraussetzungen für das Klage- und Berufungsverfahren vorliegen (BSGE 2, 225, 227; 2, 245, 246; 4, 261, 262; BSG SozR 1500 § 146 Nr 20). Dies gilt unabhängig davon, wer von den Beteiligten im Berufungs- und Revisionsverfahren der jeweilige Rechtsmittelkläger ist. Zu den Prozeßvoraussetzungen für das Berufungsverfahren gehört auch die Zulässigkeit der Berufung (BSGE 2, 225, 227). Diese hat das LSG zu Unrecht bejaht; die Berufung ist vielmehr durch § 145 Nr 4 SGG ausgeschlossen.
In Angelegenheiten der Unfallversicherung ist nach dieser Vorschrift die Berufung nicht zulässig, soweit sie die Neufeststellung von Dauerrenten wegen Änderung der Verhältnisse betrifft, es sei denn, daß die Schwerbeschädigteneigenschaft oder die Gewährung der Rente davon abhängt oder die Änderung durch ein neu hinzugetretenes Leiden verursacht worden ist. Ist Streitgegenstand die abgelehnte Neufeststellung der Dauerrente nach § 605 RVO wegen einer vom Verletzten geltend gemachten Verschlimmerung der Unfallfolgen nach einer Kapitalabfindung, so ist die Berufung nach § 145 Nr 4 SGG ausgeschlossen. Denn die Gewährung einer Rentenabfindung stellt nur eine besondere Form der Zahlung einer festgestellten Entschädigungsleistung – kapitalisierter Einmalbetrag statt Gewährung laufender Leistungen -dar (RVA AN 1926, 358 sowie AN 1927, 349, 350; Urteile des Senats vom 30. Oktober 1962 – SozR Nr 12 zu § 145 SGG – sowie vom 30. April 1991 – 2 RU 56/90 –). Entgegen der Auffassung des LSG ist dann nicht die Gewährung der Rente selbst streitig, sondern nur die Erhöhung im Rahmen der geltend gemachten Verschlimmerung. Die Berufung ist hingegen nicht ausgeschlossen, wenn lediglich aus Anlaß einer Neufeststellung einer Dauerrente wegen Änderung der Verhältnisse die Frage streitig geworden ist, in welcher Weise bei Eintritt einer Verschlimmerung die wiederaufgelebte Rente nach vorangegangener Abfindung anzurechnen ist (s BSG SozR 1500 § 145 Nr 2; SozR 2200 § 606 Nr 4 sowie § 611 Nr 4).
Im vorliegenden Fall war Streitgegenstand der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25. April 1985 idF des Widerspruchsbescheides vom 25. August 1986, der eine – abgelehnte – Neufeststellung der Dauerrente nach § 605 RVO wegen einer vom Kläger geltend gemachten Verschlimmerung der Unfallfolgen nach einer im Jahre 1976 gewährten Kapitalabfindung auf Lebenszeit enthält. Dementsprechend war die Berufung nach § 145 Nr 4 SGG ausgeschlossen. Statt durch Sachurteil zu entscheiden, hätte das LSG die Berufung des Klägers als unzulässig verwerfen müssen.
Die Revision des Klägers ist schon deshalb nicht begründet, so daß dem Senat eine sachliche Überprüfung des Berufungsurteils nicht möglich war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen