Beteiligte
…, Kläger und Revisionsbeklagter |
…, Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU).
Der 1926 geborene Kläger - ein dänischer Staatsangehöriger - war bis 1940, in Dänemark als Fabrikarbeiter und sodann bis 1966 bei verschiedenen Firmen als Kraftfahrer beschäftigt. Vom 14. März 1966 bis 30. Mai.1967 arbeitete der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland als Heizungsmonteur-Helfer und leistete Beiträge zur beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA). Anschließend war er bis November 1977 bei einer Firma in Kopenhagen als Fernfahrer beschäftigt. Seit 1983 erhält er vom dänischen Sozialversicherungsträger Invalidenrente.
Im Februar 1981 beantragte der Kläger bei der Beklagten Versichertenrente. Die Beklagte lehnte diesen Antrag ab (Bescheid vom 15. Juni 1981). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. März 1981 Rente wegen BU zu gewähren, im übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 22. Juli 1982). Die Beklagte hat Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 25. Oktober 1983). Es hat im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei nur noch in der Lage, leichte Arbeiten vollschichtig mit regelmäßigen Unterbrechungen von Sitzen, Stehen und Gehen zu verrichten. Die Arbeitshaltung zwischen Sitzen, Stehen und Gehen müsse alle 20 bis 30 Minuten gewechselt werden. Es dürfe sich nur um Arbeiten ohne häufiges Bücken und Heben oder Tragen, ohne Gefährdung durch Nässe oder Kälte, ohne Leistungsdruck und Anspannung, nicht an schnell laufenden Maschinen handeln, möglichst an einem Arbeitsplatz, an dem der Kläger eigenständig schalten und walten könne. Der Kläger dürfe weder ein Auto noch andere Fahrzeuge führen. Die Anmarschstrecke sollte 750 Meter nicht überschreiten.
Der Kläger genieße Berufsschutz als Facharbeiter. Er habe jahrelang als Fernfahrer mit großen Lastwagen ganz Europa befahren und sei von seinen Arbeitgebern, wie in Dänemark üblich, nach Tonnage und Anzahl der gefahrenen Kilometer entlohnt worden. Der Kläger habe zuletzt umgerechnet etwa 4.000 DM monatlich verdient. Dies stelle den Kläger in qualitativer Hinsicht einem Fernfahrer gleich, der in der Bundesrepublik Deutschland "nach der Ausbildungsordnung von 1974" als Berufskraftfahrer im Fernverkehr tätig sei. Der Kläger verkörpere geradezu den Prototyp des langjährig erfahrenen Fernfahrers. Der in Dänemark ausgeübte Beruf stehe einem in der Bundesrepublik ausgeübten hinsichtlich des Berufsschutzes gleich. Seinen Beruf könne der Kläger nicht mehr ausüben. Verwiesen werden könne er nur noch auf Anlerntätigkeiten oder herausgehobene ungelernte Tätigkeiten. Auf dieser Ebene könnten ihm Beschäftigungsmöglichkeiten nicht benannt werden.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 1246 Reichsversicherungsordnung (RVO).
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts vom 22. Juli 1982 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Den Beteiligten ist das in der beim erkennenden Senat anhängig gewesenen Streitsache 5 RJ 31/88 erlassene Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 7. Juni 1988 (Az.: 20/85) in Fotokopie übersandt und Gelegenheit gegeben worden, hierzu Stellung zu nehmen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Ob der Kläger berufsunfähig iS des § 1246 Abs 2 RVO ist, läßt sich erst nach Ermittlungen weiterer Tatsachen feststellen.
Ausgangspunkt für die Beurteilung eines gemäß § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO zumutbaren und damit die Berufsunfähigkeit ausschließenden Verweisungsberufes ist der bisherige Beruf des Versicherten, wobei nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ein abgestuftes Berufsgruppenschema zugrunde zu legen und grundsätzlich von der Tätigkeit auszugehen ist, die im Arbeitsleben des Versicherten den qualitativ höchsten Wert verkörpert hat (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 140, 143, 151 mwN). Dieses Mehrstufenschema gliedert die Arbeiterberufe nach verschiedenen "Leitberufen", nämlich demjenigen des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters, des "angelernten" und schließlich des ungelernten Arbeiters. Grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächst niedrigere Gruppe verwiesen werden. Denn das Gesetz sieht den Versicherten nicht schon dann als berufsunfähig an, wenn er seinen "bisherigen Beruf" aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann, sondern es verlangt, daß der Versicherte, ausgehend von diesem Beruf, einen "zumutbaren" beruflichen Abstieg in Kauf nimmt. Erst wenn der Versicherte in diesem Sinne nicht auf eine zumutbare andere Tätigkeit verwiesen werden kann - sei es, daß es eine solche Tätigkeit (objektiv) nicht gibt, sei es, daß er (subjektiv) aus gesundheitlichen Gründen oder wegen fehlender (nicht ausreichender) Kenntnisse und Fähigkeiten eine solche Tätigkeit nicht zu verrichten vermag - ist er berufsunfähig (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 143 mwN).
Bisheriger Beruf in dem aufgezeigten Sinne kann auch ein in einem anderen Land der EWG ausgeübter Beruf sein. Auch eine in einem anderen EWG-Land erworbene berufliche Qualifikation kann für die Frage maßgebend sein, von welchem bisherigen Beruf iS des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO bei der Prüfung der BU auszugehen ist. Das hat der Senat bereits in den Urteilen vom 29. November 1978 (BSGE 47, 183 = SozR 2600 § 45 Nr 24) und 12. September 1979 - 5 RJ 76/78 - daraus hergeleitet, daß nach dem Recht der EWG im Inland die ausländischen Versicherungszeiten angerechnet werden. Sie sind dann im Inland nicht nur hinsichtlich der Erfüllung der Wartezeit, sondern auch für die Frage von Bedeutung, von welcher Berufstätigkeit bei der Beurteilung des inländischen Versicherungsfalles auszugehen ist (Urteil vom 12. September 1979 aaO S 5). Der EuGH hat diese Rechtsauffassung in dem anläßlich der beim erkennenden Senat anhängig gewesenen Streitsache 5 RJ 31/88 erlassenen und den Beteiligten des vorliegenden Rechtsstreits zur Kenntnis gebrachten Urteil vom 7. Juni 1988 - 20/85 - bestätigt. Danach ist die Nummer 15 des Anhangs VI Abschnitt C der EWG-Verordnung Nr 1408/71 insofern ungültig als nach ihr dann, wenn nach den deutschen Rechtsvorschriften - ua - für den Anspruch auf Rente wegen BU auf den bisherigen Beruf abzustellen ist, bei der Prüfung dieses Anspruchs nur nach deutschen Rechtsvorschriften versicherungspflichtige Beschäftigungen berücksichtigt werden sollten. Aus der Begründung des Urteils ergibt sich, daß der EuGH in der Beschränkung darauf, die im Inland erworbene Qualifikation anzuerkennen, eine versteckte Diskriminierung ausländischer Wanderarbeiter gesehen hat, weil diese Beschränkung zu einer Behinderung der Freizügigkeit der Arbeiter innerhalb der EWG führen würde. Von dieser Rechtsauffassung geht nunmehr offensichtlich auch die Beklagte aus, weil sie nach Kenntnisnahme von der Entscheidung des EuGH ihre ursprüngliche Ansicht, der Kläger sei auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes verweisbar, in ihrem letzten Schriftsatz vom 19. Juli 1988 nicht mehr aufrecht erhalten hat.
Das LSG ist somit zutreffend - und von der Revision der Beklagten insoweit nicht mehr beanstandet - davon ausgegangen, daß die BU des Klägers unter Zugrundelegung der in Dänemark ausgeübten und qualitativ am höchsten zu bewertenden Fernfahrer- bzw Kraftfahrertätigkeiten als bisheriger Beruf zu prüfen ist. Insoweit wendet sich die Beklagte aber weiterhin dagegen, daß der Fern- und Kraftfahrer ein Facharbeiter iS des eingangs aufgezeigten Berufsgruppenschemas sei.
Nach der früheren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) war der Kraftfahrer allerdings - insbesondere unter Berücksichtigung der Berufskraftfahrer-Ausbildungsordnung vom 26. Oktober 1973 (BGBl I 1518) - als ein Facharbeiter angesehen worden (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 67, 68, 94). Zur Gruppe der Berufskraftfahrer ist der Kläger dabei auch dann zu rechnen, wenn er selbst nicht die Ausbildung durchlaufen hat, die in der genannten Ausbildungsordnung vorgesehen ist. Denn das LSG ist in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen, daß der Kläger den Beruf des Kraftfahrers vollwertig ausgeübt hat. Denen, die die normale Ausbildung erhalten haben, ist er damit nach dem Urteil des 4. Senats des BSG vom 21. Juli 1987 (SozR 2200 § 1246 Nr 143) gleichzustellen. In diesem Urteil ist der Beruf des Kraftfahrers erstmals abweichend von der genannten bisherigen Rechtsprechung beurteilt worden, nachdem in der Rechtsprechung die Grenze zwischen angelerntem Arbeiter und Facharbeiter genauer gezogen worden war. Zur Gruppe mit dem Leitberuf des sonstigen Ausbildungsberufes ("Angelernter") iS des Mehrstufenschemas gehören danach nunmehr diejenigen Tätigkeiten, die eine Ausbildungszeit von längstens 2 Jahren erfordern. Die Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters setzt grundsätzlich eine Ausbildungszeit von mehr als 2 Jahren - regelmäßig 3 Jahren - voraus (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 132, 138, 140).
Da in der Berufskraftfahrer-Ausbildungsordnung (§ 2) nur eine Ausbildungszeit von 2 Jahren gefordert wird hat der 4. Senat des BSG im Urteil vom 21. Juli 1987 aaO den Beruf des Kraftfahrers noch der Gruppe der Angelernten, und zwar dem oberen Bereich der Angelernten zugeordnet. Wie der Senat aber bereits im Urteil vom 9. September 1986 (SozR 2200 § 1246 Nr 140 S 455) ausgeführt hat, kann auch ein Beruf, der nur eine zweijährige Ausbildung voraussetzt, ausnahmsweise dann ein Facharbeiterberuf sein, wenn die Ausbildung dazu nicht schon im Alter von etwa 15 Jahren, sondern erst später begonnen wird. Der Senat hat als Beispiel den Beruf des Hauers im Bergbau genannt. Ein Beruf, der erst erlernt werden kann, wenn derjenige, der den Beruf ergreifen möchte, bereits eine gewisse Reife erlangt hat, besitzt neben der Ausbildung ein weiteres Qualitätsmoment. Die schon etwas älteren Arbeitnehmer, die einen solchen Beruf erlernen, nehmen gewöhnlich den Lehrstoff rascher auf und ihnen kann auch von Anfang an und in rascherem Fortschreiten höhere Verantwortung übertragen werden. Die gleiche Ausbildungsdauer (2 Jahre) deutet bei einem solchen "Erwachsenen-Beruf" daher auf eine höhere Qualität hin als sie ein Beruf hat, dessen Ausbildung bereits nach Abschluß der Hauptschule etwa im Alter von 15 Jahren begonnen werden kann.
Nach § 1 Abs 2 der Berufskraftfahrer-Ausbildungsordnung ist Berufskraftfahrer iS dieser Verordnung, wer die Fahrerlaubnis der Klasse 2 erworben und die Fertigkeiten und Kenntnisse des Ausbildungsberufsbildes in einer Abschlußprüfung nachgewiesen hat. Nach § 9 Abs 6 der Ausbildungsordnung ist zur Abschlußprüfung nur zuzulassen, wer die Fahrerlaubnis der Klasse 2 besitzt. Gemäß § 7 der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) darf niemand ein Kraftfahrzeug der Klasse 2 vor Vollendung des 21. Lebensjahres führen. Die Verwaltungsbehörde kann allerdings Ausnahmen zulassen (§ 7 Abs 2 StVZO). Das kann darauf hindeuten, daß der Beruf des Kraftfahrers im allgemeinen erst in einem Alter erlernt wird, das höher ist als das Ausbildungsalter bei anderen Arbeiterberufen. Das ist - im Hinblick auf die genannte Ausnahmeregelung - allein aus den gesetzlichen Vorschriften aber nicht zu erkennen. Es ist in erster Linie eine Frage der tatsächlichen Übung, wie sie sich unter Billigung durch die Behörden in den betreffenden Wirtschaftkreisen tatsächlich herausgebildet hat. Da der Senat die danach noch erforderlichen tatsächlichen Aufklärungen dem LSG überlassen muß, vermag er nicht abschließend zu entscheiden, ob er sich hinsichtlich der beruflichen Verweisbarkeit eines Kraftfahrers die vom 4. Senat des BSG im Urteil vom 21. Juli 1987 aaO vertretene Rechtsauffassung zu eigen machen kann.
Sollte es sich herausstellen, daß auch der Beruf des Kraftfahrers regelmäßig in einem Alter begonnen werden kann, das auch für die sonstigen gesetzlich geregelten Anlernberufe maßgebend ist, so verbleibt es allerdings dabei, daß der Kraftfahrer als oberer Angelernter anzusehen ist. Als solcher kann er jedoch nicht auf angelernte Tätigkeiten von ganz geringem qualitativen Wert verwiesen werden und es ist ihm eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen (vgl BSG in SozR 2200 § 1246 Nrn 132, 140). Für diesen Fall sind die entsprechenden tatsächlichen Feststellungen des LSG zusätzlich erforderlich.
Das LSG wird auch über die Kosten der Revisionsinstanz zu befinden haben.
Fundstellen