Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungsbemessungsgrenze. Beitragsbemessungsgrenze. Arbeitslosengeld. Höhe. Arbeitsentgelt. Anwartschaft. Beitrittsgebiet. neue Bundesländer. Härteregelung. Erlöschen. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Auch bei früherer Beschäftigung in den alten Bundesländern bemißt sich das Arbeitslosengeld nach der im Beitrittsgebiet geltenden, niedrigeren Leistungsbemessungsgrenze, wenn der Arbeitslose durch die zuletzt im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung die Anwartschaft für einen neuen Arbeitslosengeld-Anspruch erworben hat.
Normenkette
AFG § 249c Abs. 9, § 249d Nr. 15, § 111 Abs. 2 Nr. 5, § 112 Abs. 7, § 104 Abs. 1, 3, § 106 Abs. 3 S. 2, § 125 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 26. Januar 1995 wird zurückgewiesen, soweit der Kläger höheres Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. September bis 8. Oktober 1992 begehrt.
Im übrigen wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) höheres Arbeitslosengeld (Alg) ab 1. September 1992.
Der 1952 geborene Kläger war bis September 1990 in Berlin (West) beschäftigt; sein monatliches Bruttoarbeitsentgelt betrug zuletzt 5.822,– DM. Ab Oktober 1990 bis 31. August 1991 – unterbrochen durch eine freiberufliche Tätigkeit vom 2. April bis 18. Juli 1991 – erhielt er antragsgemäß Alg in Höhe von zuletzt 562,20 DM wöchentlich auf der Grundtage eines Bemessungsentgelts von 1.340,– DM wöchentlich (Bewilligungsbescheid des Arbeitsamtes ≪ArbA≫ Berlin 1 vom 2. August 1991).
Vom 1. September 1991 bis 31. August 1992 war der Kläger gegen ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt von 6.000,– DM im Ostteil Berlins beschäftigt. Antragsgemäß bewilligte ihm das ArbA Emden ab 1. September 1992 erneut Alg, nunmehr in Höhe von wöchentlich 422,40 DM. Bei der Bewilligung ging das ArbA davon aus, daß der Kläger wöchentlich gerundet 1.380,– DM erzielt hatte, legte jedoch der Berechnung des Alg nicht diesen Betrag, sondern ein wöchentliches Arbeitsentgelt von 1.120,– DM zugrunde. Dafür berief es sich auf die im Beitrittsgebiet ab 1. Januar 1992 geltende Leistungsbemessungsgrenze in Höhe, von monatlich 4.800,– DM, die nach § 249c Abs. 9 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) maßgeblich sei (Bewilligungsbescheid vom 22. September 1992, Änderungsbescheide vom 7. und 22. Oktober 1992, Widerspruchsbescheid vom 4. November 1992).
Die Klage auf höheres Alg hat das Sozialgericht (SG) – unter Einbeziehung eines weiteren Leistungsbescheides vom 6. April 1993, den das wegen eines zwischenzeitlichen Wohnsitzwechsels des Klägers zuständige ArbA Berlin I erteilt hatte – abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 3. Juni 1994). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 26. Januar 1995 die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, eine Erhöhung des Alg ab 1. September 1992 sei nicht möglich. Denn der Kläger sei „zuletzt” iS des § 249c Abs. 9 AFG, dh innerhalb des leistungsbestimmenden vollen Quartals vor Eintritt des Leistungsfalles (1. Juni bis 31. August 1992) im Beitrittsgebiet beschäftigt gewesen und demzufolge habe sich die Bemessung seines Alg nach der im Beitrittsgebiet geltenden Leistungsbemessungsgrenze (Ost) zu richten. Wie bereits durch die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 15. Dezember 1993 (SozR 3-4100 § 249c Nr. 2) geklärt sei, begegne § 249c Abs. 9 AFG grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Dies gelte auch für die hier streitige Leistungsvariante. § 249c Abs. 9 AFG betreffe nicht nur Arbeitnehmer, die ausschließlich im Beitrittsgebiet beschäftigt gewesen seien, sondern auch solche, die – wie der Kläger – in dem die Leistung bestimmenden vollen Bemessungszeitraum von drei Monaten dort gearbeitet hätten. Sie im Leistungsfall nach dem AFG anders zu behandeln als die ständig im Beitrittsgebiet tätigen Arbeitnehmer, sei mit dem Gleichbehandlungsgebot in Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht vereinbar.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 112 Abs. 7 AFG und der Art. 3 Abs. 1 und 14 GG: Wenn im Gesetz eine Übergangsregelung fehle, sei bei ihm zumindest die Härtefallregelung in § 112 Abs. 7 AFG entsprechend anzuwenden; bei der Bemessung des Alg müsse von der in den alten Bundesländern geltenden Leistungsbemessungsgrenze ausgegangen werden. Er habe durch eigene Leistung eine grundgesetzlich geschützte Anwartschaft auf ein um ca 30 vH höheres Alg innerhalb des dreijährigen Bemessungszeitraums des § 112 Abs. 7 AFG in den alten Bundesländern erworben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts vom 26. Januar 1995, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 3. Juni 1994 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 22. September. 7. und 22. Oktober 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. November 1992 nebst Folgebescheiden des Jahres 1993 zu verurteilen, Arbeitslosengeld ab 1. September 1992 nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1.380,– DM, hilfsweise 1.340,– DM zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend, Eine Anwartschaft auf eine höhere Leistung habe der Kläger durch Beschäftigungszeiten in den alten Bundesländern nicht erworben, denn sein früherer Anspruch sei nach § 125 AFG erloschen, Soweit der erloschene Alg-Anspruch noch nicht in vollem Umfang verbraucht gewesen sei, führe dies gemäß § 106 AFG nur zu einer entsprechenden Verlängerung der Dauer des neu erworbenen Alg-Anspruchs, beeinflusse jedoch nicht dessen Höhe.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet, soweit er höheres Alg für die Zeit ab 1. September bis 8. Oktober 1992 begehrt. Ob dem Kläger für den – durch eine kurzfristige freiberufliche Tätigkeit unterbrochenen – Leistungszeitraum ab 19. Dezember 1992 ebenfalls kein Anspruch auf höheres Alg zusteht, kann aufgrund der bisherigen Feststellungen des LSG nicht abschließend entschieden werden.
1. Allgemein bemißt sich die Höhe des Alg nach §§ 111, 112 AFG. Nach § 111 Abs. 1 AFG in der 1992 geltenden Fassung des Sechsten Gesetzes zur Änderung des AFG vom 20. Dezember 1985 (BGBl I 2484) beträgt das Alg für Arbeitslose, die – wie der Kläger – kein Kind iS des § 32 Abs. 1, 4 und 5 des Einkommensteuergesetzes haben, 63 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts (§ 112 AFG), Nach § 112 Abs. 1 Satz 1 AFG ist Arbeitsentgelt das Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Woche erzielt hat. Bemessungszeitraum sind nach § 112 Abs. 2 Satz 1 AFG die beim Ausscheiden des Arbeitnehmers abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume der letzten drei Monate der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung vor der Entstehung des Anspruchs.
Mit der Entstehung des Anspruchs ist die Entstehung eines neuen Stammrechts gemeint, die die erneute Erfüllung der Anwartschaftszeit voraussetzt. Die Anwartschaftszeit hat erfüllt, wer in der Rahmenfrist 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat (§ 104 Abs. 1 Satz 1 AFG). Die Rahmenfrist, die dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit unmittelbar vorausgeht, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt sind und drei Jahre beträgt, aber nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hineinreicht, in der der Arbeitslose eine Anwartschaft erfüllt hatte (§ 104 Abs. 2 und 3 AFG), lief hier mit Rücksicht auf die vorige Anwartschaftszeiterfüllung vom 1. Oktober 1990 bis 31. August 1992. In dieser Rahmenfrist ist der Kläger zunächst arbeitslos und ab 1. September 1991 bis 31. August 1992 im Beitrittsgebiet beitragspflichtig beschäftigt gewesen. Damit hat er die Anwartschaftszeit erneut erfüllt.
Zutreffend haben die Beklagte und ihr folgend die Vorinstanzen auf das Arbeitsentgelt aus dieser beitragspflichtigen Beschäftigung abgestellt. Danach hat der Kläger im maßgeblichen Bemessungszeitraum (Juni bis August 1992) ein Arbeitsentgelt von gerundet 1.380,– DM brutto wöchentlich verdient. Mit Recht ist jedoch der Bewilligung nicht dieser Betrag in voller Höhe, sondern nur 1.120,– DM zugrunde gelegt worden.
Wie vom LSG bereits ausgeführt, richtet sich die Höhe des Alg nicht ausschließlich nach dem jeweils ermittelten Arbeitsentgelt iS des § 112 AFG, daneben ist vielmehr § 111 Abs. 2 Nr. 5 AFG zu beachten. Den vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) jeweils für ein Kalenderjahr durch Rechtsverordnung nach § 111 Abs. 2 AFG bestimmten Leistungssätzen ist danach als Leistungsbemessungsgrenze die nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AFG für den Beitrag zur BA geltende Beitragsbemessungsgrenze zugrunde zu legen. Nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AFG ist Beitragsbemessungsgrundlage für den beitragspflichtigen Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt aus einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten. Diese betrug gemäß § 3 der Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 1992 vom 18. Dezember 1991 (BGBt I 2331) für das hier maßgebliche Jahr 1992 81.600,– DM jährlich, 6.800,– DM monatlich. Bei Anwendung des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AFG tritt jedoch gemäß § 249d Nr. 15 AFG an die Stelle der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten die Beitragsbemessungsgrenze des Rentenrechts, das in dem in Art. 3 des Einigungsvertrags (EinigVtr) genannnten Gebiet gilt (Beitrittsgebiet). Nach § 2 der 3. Rentenanpassungsverordnung vom 19. Dezember 1991 (BGBl I 2344) betrug die Beitragsbemessungsgrenze des Beitrittsgebiets für das Jahr 1992 57.600,– DM jährlich, 4.800,– DM monatlich. Diese Beitragsbemessungsgrenze bildet also zugleich für 1992 die Leistungsbemessungsgrenze.
Nach § 249c Abs. 9 AFG ist für die Höhe des Alg die Leistungsbemessungsgrenze maßgebend, die in dem Gebiet gilt, in dem der Arbeitslose vor Entstehung des Anspruchs zuletzt in einem die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnis gestanden hat. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob das Tatbestandsmerkmal „zuletzt” in dem Sinn zu verstehen ist, daß von dieser Regelung der Arbeitslose erfaßt wird, der – und sei es auch nur einen Tag – im Beitrittsgebiet beschäftigt war oder ob hiervon – wie vom LSG vertreten – jedenfalls der Arbeitslose erfaßt wird, der in dem vollen Bemessungszeitraum von drei Monaten dort gearbeitet hat. Selbst wenn – noch weitergehend – das Tatbestandsmerkmal „zuletzt” iS des § 249c Abs. 9 AFG entsprechend der Dynamisierungsregelung in § 249c Abs. 13 Satz 1 AFG iVm § 112a AFG dahingehend verstanden würde, daß das Arbeitsentgelt nach § 112 AFG „überwiegend” auf Zeiten mit Arbeitsentgelten aus dem Beitrittsgebiet beruht, würde auch bei dieser Auslegung der Kläger von der Regelung erfaßt. Denn er war vom 1. September 1991 bis 31. August 1992 im Beitrittsgebiet beitragspflichtig beschäftigt und hat ausschließlich mit dieser einjährigen Beschäftigung die Anwartschaft für den neuen Alg-Anspruch begründet.
Die BA hat deshalb der Berechnung des Alg des Klägers für die Zeit bis zum 8. Oktober 1992 zu Recht die dort geltende Leistungsbemessungsgrenze von umgerechnet wöchentlich 1.120,– DM zugrunde gelegt und im übrigen auch den Leistungssatz des Klägers nach der 1992 geltenden AFG-Leistungsverordnung vom 19. Dezember 1991 (BGBl I 2239) unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe A (Lohnsteuerklasse IV) mit wöchentlich 422,40 DM richtig berechnet.
2. Entgegen der Auffassung des Klägers läßt sich ein Anspruch auf höheres Alg weder unmittelbar noch entsprechend auf § 112 Abs. 7 AFG stützen. Hiernach ist das Alg nach dem am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort des Arbeitslosen maßgeblichen tariflichen oder mangels einer tariflichen Regelung nach dem ortsüblichen Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung zu bemessen, für die der Arbeitslose nach Lebensalter und Leistungsfähigkeit unter billiger Berücksichtigung seines Berufs und seiner Ausbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarkts in Betracht kommt, wenn es mit Rücksicht auf die von dem Arbeitslosen in den letzten drei Jahren vor der Arbeitslosmeldung überwiegend ausgeübte berufliche Tätigkeit unbillig hart wäre, von dem Arbeitsentgelt nach den Abs. 2 bis 6 auszugehen.
Diese Vorschrift betrifft also das Arbeitsentgelt iS des § 112 AFG und hat nichts mit den Leistungsbemessungsgrenzen zu tun, den Grenzen, bis zu denen das dem Alg zugrundezulegende Arbeitsentgelt nach den §§ 112, 112a AFG gemäß § 111 Abs. 2 Nr. 5 AFG bei der Bildung der Leistungssätze zu berücksichtigen ist. Deshalb kann die in § 112 Abs. 7 AFG vorgesehene Rechtsfolge, nämlich die Maßgeblichkeit eines (künftig) erzielbaren tariflichen oder ortsüblichen Arbeitsentgelts, auch die Leistungsbemessungsgrenzen nicht überspielen. Die Vorschrift des § 112 Abs. 7 AFG betrifft nicht die vom Kläger beanstandete Höhe des Alg nach § 111 AFG und erlaubt insoweit auch keine Korrektur.
3. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers gegen § 249c Abs. 9 AFG teilt der Senat nicht.
Wie der erkennende Senat bereits mit Urteil vom 15. Dezember 1993 (SozR 3-4100 § 249c Nr. 2) entschieden hat, ist § 249c Abs. 9 AFG verfassungsrechtlich unbedenklich, soweit die Vorschrift bei der Anwendung einer Rechtsverordnung nach § 111 Abs. 2 Satz 1 AFG auf unterschiedliche Leistungsbemessungsgrenzen im Beitrittsgebiet und in den alten Bundeständern abstellt. Das Gleichheitsgebot des Art. 3 GG ist nicht verletzt. Für das Abstellen auf unterschiedliche Leistungsbemessungsgrenzen im Beitrittsgebiet einerseits und in den alten Bundesländern andererseits gibt es – wie in der genannten Entscheidung näher ausgeführt wurde – vernünftige und einleuchtende Gründe, an die der Gesetz (Verordnungs) geber anknüpfen durfte. Zwar weicht die vorliegende Sachverhaltsgestaltung von der der zitierten Entscheidung des Senats zugrundeliegenden Fallgestaltung ab. Damals ging es um einen Arbeitslosen, der keine Beitragszeiten in den alten Bundesländern, sondern nur in der DDR und später im Beitrittsgebiet zurückgelegt hatte. Dies rechtfertigt jedoch im Fall des Klägers keine andere Beurteilung. Vielmehr stellt sich hier im Vergleich zur damaligen Fallgestaltung, die das Jahr 1991 betraf, die Übergangsproblematik mit geringerer Schärfe. Denn während sich die Beitrags- und Leistungsbemessungsgrenze für das Beitrittsgebiet bis zum 31. Dezember 1991 auf 40.800,– DM jährtich und 3.400,– DM monatlich (gegenüber 6.500,– DM in den alten Bundesländern) belief, gilt im Fall des Klägers die für das Jahr 1992 schon deutlich höhere Beitragsbemessungsgrenze von 4.800,– DM monatlich. Ab 1. Januar 1993 ist die Beitrags- und Leistungsbemessungsgrenze des Beitrittsgebiets erneut auf 5.300,– DM monatlich angehoben worden. Die Beitragsbemessungsgrenzen in den alten Bundesländern und im Beitrittsgebiet nähern sich also mit jedem Jahr – wie auch die von der Beklagten ihrer Revisionserwiderung beigefügte Tabelle bis 1995 zeigt (vgl. Anl 2 und Anl 2a zum SGB VI in den letzten Fassungen) – einander an. Vor diesem Hintergrund war der Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit auch nicht gehalten, für Beschäftigte, die – wie der Kläger – aufgrund einer Beschäftigung in den alten Bundesländern, einen Anspruch auf Alg erworben haben, dann im Beitrittsgebiet eine einen neuen Anspruch begründende Anwartschaft zurückgelegt haben und arbeitslos geworden sind, eine Härteregelung zu schaffen, die (ähnlich wie nach § 112 Abs. 7 AFG) unter bestimmten Voraussetzungen eine Korrektur des durch die niedrigere Leistungsbemessungsgrenze im Beitrittsgebiet bedingten Leistungssatzes erlaubt.
Die Anwendung der hier für den streitigen Zeitraum im Beitrittsgebiet geltenden Leistungsbemessungsgrenze gemäß § 249c Abs. 9 AFG verletzt auch nicht die nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentumsrechte des Klägers. Denn der auf Beschäftigungszeiten in den alten Bundesländern gestützte frühere Alg-Anspruch ist nach § 125 Abs. 1 AFG erloschen.
In der Entscheidung des Senats vom 15. Dezember 1993 (SozR 3-4100 § 249c Nr. 2) kam nach der dortigen Fallgestaltung eine Verletzung der Eigentumsrechte schon deshalb nicht in Frage, weil der betreffende Beschäftigte weder bis zu dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschrift noch danach eine sozialversicherungsrechtliche Position erlangt hatte, die einen entsprechenden Eigentumsschutz begründen konnte. Er hatte keine Beitragszeiten in den alten Bundesländern zurückgelegt und demzufolge keine Anwartschaft erworben, die ihn berechtigen könnte, Alg nach Maßgabe der in den alten Bundesländern geltenden Leistungsbemessungsgrenze zu beziehen. Der erkennende Senat hat deshalb in seiner zitierten Entscheidung ausdrücklich offengelassen, ob die Vorschrift des § 249c Abs. 9 AFG auch in den Fällen verfassungsgemäß ist, in denen Beschäftigte in den alten Bundesländern eine den Anspruch auf Alg begründende Anwartschaftszeit zurückgelegt haben, dann im Beitrittsgebiet versicherungspflichtig beschäftigt waren und arbeitslos geworden sind.
Die damals offengelassene Frage ist jedenfalls für den Fall des Klägers zu verneinen. Denn er hat zwar durch seine bis September 1990 in den alten Bundesländern zurückgelegten Beitragszeiten eine den Anspruch auf Alg begründende Anwartschaftszeit (§ 104 AFG) zurückgelegt und ab 1. Oktober 1990 Alg mit einer Anspruchsdauer von 312 Tagen nach Maßgabe der in den alten Bundesländern geltenden Leistungsbemessungsgrenze, dh ungekürzt, bezogen. Er hat jedoch dann aufgrund seiner mehr als 360 Kalendertage dauernden beitragspflichtigen Beschäftigung vom 1. September 1991 bis 31. August 1992 im Beitrittsgebiet eine neue Anwartschaft iS von § 104 AFG begründet, durch die nach Eintritt der erneuten Arbeitslosigkeit ab 1. September 1992 ein neuer Anspruch auf Alg entstanden ist. Mit der Entstehung des neuen Anspruchs auf Alg ist der früher entstandene Anspruch, der sich auf Beitragszeiten in den alten Bundesländern stützte, nach § 125 Abs. 1 AFG erloschen. Dies bedeutet, daß auf Modalitäten des alten Anspruchs auf Alg nicht zurückgegriffen werden kann.
Ein mit der Entstehung eines neuen Alg-Anspruchs erloschener Restanspruch kann zwar nach § 106 Abs. 3 Satz 2 AFG die Dauer des neuen Anspruchs erhöhen. Demgemäß hat sich bei dem Kläger der durch die Beitragszeiten im Beitrittsgebiet neu erworbene Anspruch auf Alg mit einer Anspruchsdauer von 156 Tagen (§ 106 Abs. 1 Satz 1 AFG) um die unverbrauchte Restdauer, nämlich 117 Tage, des erloschenen Alg-Anspruchs auf insgesamt 273 Tage erhöht (vgl. Änderungsbescheid vom 7. Oktober 1992). Hingegen ist nach Entstehung des neuen Alg-Anspruchs ein Rückgriff auf das dem alten, erloschenen Alg-Anspruch zugrundeliegende Bemessungsentgelt ausgeschlossen. Das folgt aus der oben behandelten Regelung über den Bemessungszeitraum (§ 112 Abs. 2 Satz 1 AFG); deshalb gilt, daß zur Bestimmung des Bemessungszeitraums, in dem das maßgebliche Arbeitsentgelt erzielt wurde, nicht auf außerhalb der Rahmenfrist liegende Lohnabrechnungszeiträume zurückgegriffen werden darf, die in eine frühere Rahmenfrist fallen (BSGE 63, 153, 158 = SozR 4100 § 112 Nr. 39; SozR 3-4100 § 112 Nr. 13).
Das Erlöschen des früheren Anspruchs auf Alg mit der Entstehung eines neuen Alg-Anspruchs ab 1. September 1992 (§ 125 AFG) stellt auch nicht seinerseits eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG dar. Ein verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz ist zwar für den Anspruch auf Alg zu bejahen (vgl. BVerfGE 72, 9, 18 f = SozR 4100 § 104 Nr. 13; BVerfGE 90, 226, 236 = SozR 3-4100 § 111 Nr. 6). Dies macht ihn jedoch nicht unabänderlich; der einmal erworbene Anspruch auf Alg wird vielmehr im Falle weiterer Beschäftigungen, die ihrerseits wegen ihrer Dauer eine (weitere) Anwartschaft iS von § 104 AFG erfüllen durch einen neuen Anspruch auf Alg überlagert. Der Alg-Anspruch und die ihn begründende Anwartschaft sind also – mit anderen Worten ausgedrückt – nicht statisch gestaltet, sondern fließende Rechtspositionen, die im Rahmen der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums den in §§ 104, 106 AFG formulierten Voraussetzungen unterliegen (vgl. BSG Urteil vom 30. März 1995 – 7 RAr 86/94, demnächst in SozR 4100 § 107 Nr. 8; SozR 3-4100 § 134 Nr. 8 mwN – zur Fixierung der fließenden Anwartschaft).
Schließlich begegnet es auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, daß der auf Beitragszeiten im Beitrittsgebiet beruhende Alg-Anspruch des Klägers ab 1. September 1992 sich zwar um die Dauer des Restanspruchs aus dem erloschenen alten Alg-Anspruch von 117 Tagen verlängert, jedoch gemäß § 249c Abs. 9 AFG nicht zu Leistungen unter Berücksichtigung der in den alten Bundesländern geltenden Leistungsbemessungsgrenzen führt. Denn – wie bereits dargestellt – erschöpft sich die dem Kläger aus dem alten erloschenen Anspruch zustehende Rechtsposition in der gemäß § 106 Abs. 3 AFG vorgesehenen Aufstockung, dagegen ist ein Rückgriff auf bestimmte frühere Arbeitsentgelte ausgeschlossen. Insoweit unterscheidet sich die Position des Klägers – wie die Beklagte in ihrer Revisionserwiderung zu Recht geltend gemacht hat – nicht von einem Arbeitslosen, der zuletzt in den alten Bundesländern beitragspflichtig beschäftigt war und der nach einem hohen Alg-Anspruch einen niedrigeren Alg-Anspruch erwirbt. Auch hier wird die Höhe des neuerworbenen Alg-Anspruchs allein durch das letzte Bemessungsentgelt bestimmt und nur die Dauer des Leistungsanspruchs verlängert.
Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, die Rechtssituation des Klägers unterscheide sich dadurch, daß er trotz des zuletzt bezogenen, sogar (geringfügig) höheren Arbeitsentgelts wegen der niedrigeren Leistungsbemessungsgrenze im Beitrittsgebiet einen niedrigeren Leistungsanspruch hat. Wie der erkennende Senat bereits in seiner Entscheidung vom 15. Dezember 1993 (SozR 3-4100 § 249c Nr. 2) dargelegt hat, hatte der Kläger während seiner Beschäftigung im Beitrittsgebiet auch nur Beiträge unter Berücksichtigung der niedrigeren Beitragsbemessungsgrenze zu zahlen. Er ist im übrigen durch die unterschiedlichen Verhältnisse in den neuen und alten Bundesländern nicht überrascht worden, da im Beitrittsgebiet noch vom DDR-Gesetzgeber festgelegte, gegenüber den alten Bundesländern niedrigere Beitragsbemessungsgrenzen galten und die Regelungen nach § 249c Abs. 9, § 249d Nr. 15 AFG bereits durch die Anl I Kap VIII Sachgebiet E Abschn II Nr. 1 Buchst e EinigVtr (BGBl II 1990, 889, 1033 ff) eingefügt worden sind.
Die Rechtsposition des Klägers weist keine spezifischen Besonderheiten auf, soweit der Rückgriff auf das frühere Bemessungsentgelt bzw die in den alten Bundesländern geltende Leistungsbemessungsgrenze ausgeschlossen ist. Auch in seinem Fall gilt deshalb der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) wiederholt betonte Grundsatz, daß es im Bereich der Arbeitslosenversicherung nicht geboten ist, das Alg in voller Äquivalenz zu den Beiträgen festzusetzen (vgl. BVerfGE 72, 9, 20 f = SozR 4100 § 104 Nr. 13; BVerfGE 76, 220, 236 f = SozR 4100 § 242b Nr. 3). Angesichts der für die Arbeitslosenversicherung typischen kurzen Anwartschaftszeiten, des kurzen Bemessungszeitraums und der häufig nur kurzen Leistungsbezugszeit kommt der Äquivalenzgedanke als vorrangiger Maßstab für die Bemessung von Ansprüchen gegen die Arbeitslosenversicherung nicht in Betracht (BVerfG aaO). Auch aus den beiden neueren Entscheidungen des BVerfG vom 25. März 1994 (BVerfGE 90, 226, 240 = SozR 3-4100 § 111 Nr. 6) und 11. Januar 1995 (1 BvR 892/88 = DB 1995, 1084; NZS 1995, 312) ergibt sich für den vorliegenden Fall nichts Gegenteiliges. In der Entscheidung vom 25. März 1994 wurde nochmals betont, daß es im Bereich der Arbeitslosenversicherung nicht geboten ist, das Alg in voller Äquivalenz zu den Beiträgen festzusetzen. Der Beschluß des BVerfG vom 11. Januar 1995 betraf eine völlig andere Fallgestaltung, nämlich die Behandlung von sog Einmalzahlungen in der Arbeitslosenversicherung bei Versichertengruppen mit gleicher Beitragsleistung; auch hier wurde im Grundsatz daran festgehalten, daß die kurzfristigen Leistungen der Arbeitslosenversicherung in ihrer Höhe nicht in einer versicherungsmathematischen Äquivalenz zu den entrichteten Beiträgen stehen müssen.
4. Zusammenfassend ist somit festzustellen, daß das Alg des Klägers für die Zeit ab 1. September 1992 bis zur Arbeitsaufnahme am 9. Oktober 1992 nach einem Bemessungsentgelt von 1.120,– DM wöchentlich zu berechnen war. Daraus folgt, daß die Klage auf höheres Alg für die Zeit bis 8. Oktober 1992 unbegründet ist. Insoweit ist die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Im übrigen, dh für die Zeit nach dem Ende der kurzfristigen freiberuflichen Tätigkeit des Klägers steht aufgrund der bisherigen Feststellungen dagegen nicht fest, ob ihm kein höheres Alg zusteht, als die Beklagte ihm zugebilligt hat. Das LSG hat sich darauf beschränkt, festzustellen, daß der Kläger höheres Alg ab 1. September 1992 begehrt und sich seine Klage gegen die Verwaltungsakte des ArbA vom 22. September, 7. und 22. Oktober sowie 4. November 1992 „nebst den Folgebescheiden des Jahres 1993” richtet. Welche Leistungszeiträume in Betracht kommen und um welche Folgebescheide des Jahres 1993 es sich im einzelnen handelt bzw welchen Inhalt sie haben, ist vom LSG nicht festgestellt worden. Derartige Feststellungen sind jedoch erforderlich. Andernfalls ist keine Überprüfung möglich, ob die Anpassung des Bemessungsentgelts zu den richtigen Zeitpunkten vorgenommen worden ist, ob die zutreffenden Anpassungssätze zur Anwendung gekommen sind und ob schließlich aufgrund der richtig erhöhten Bemessungsentgelte, der maßgebenden Leistungsgruppe (bei einem etwaigen Steuerklassenwechsel für das Jahr 1993) und, was insbesondere von Bedeutung sein dürfte, der Leistungsbemessungsgrenze 1993 die richtigen Leistungssätze ermittelt worden sind.
Für die Zeit ab 9. Oktober 1992 kann der Senat daher nicht abschließend entscheiden, so daß insoweit die Sache gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen