Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Dezember 2001 und des Sozialgerichts Dortmund vom 12. November 1999 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 6.077,22 € zu erstatten.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten, die die Klägerin für Maßnahmen der Behandlungspflege während des Schulbesuchs der Beigeladenen aufgewendet hat.
Die 1990 geborene Beigeladene leidet auf Grund neurologischer Störungen, die auf eine Frühgeburt zurückzuführen sind, an Schluckunfähigkeit und muss mit einem Tracheostoma (künstliche Öffnung der Luftröhre nach außen) versorgt werden. Mittels eines Katheters muss bei ihr zwischen 12- und 20-mal täglich je nach Bedarf Schleim abgesaugt werden. Zur Durchführung der hierfür erforderlichen Handgriffe ist es erforderlich, dass die Beigeladene rund um die Uhr von einer Hilfsperson versorgt wird. Andernfalls besteht die Gefahr des Erstickens binnen weniger Minuten. Die erforderlichen Hilfeleistungen werden überwiegend von der Mutter der Beigeladenen erbracht, die nachmittags teilweise durch ihren tagsüber berufstätigen Ehemann entlastet wird.
Trotz der Behinderung wurde der Beigeladenen von der zuständigen Stadtärztin Schulfähigkeit attestiert. Ihr Antrag, ihr während des Schulbesuchs eine Pflegeperson zur Verfügung zu stellen bzw die hierfür erforderlichen Kosten zu übernehmen, wurde von der Beklagten abgelehnt (Bescheid vom 19. Februar 1997). Die Beklagte vertrat die Auffassung, die Stellung einer Betreuungsperson in der Schule zähle nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung; darüber hinaus handele es sich um eine Leistung der Grundpflege, die von der Krankenkasse (KK) nur dann zu erbringen sei, wenn ansonsten eine Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar sei oder dadurch nicht erforderlich oder abgekürzt werde. Die klagende Stadt übernahm als Trägerin der Sozialhilfe die Kosten der Pflege bei einem täglichen Schulbesuch von vier Stunden als Hilfe zur angemessenen Schulbildung (§ 40 Abs 1 Nr 3 Bundessozialhilfegesetz ≪BSHG≫ iVm § 12 Nr 1 Durchführungsverordnung zu § 47 BSHG). Die Klägerin legte gegen den der Beigeladenen erteilten Bescheid Widerspruch ein und meldete ihren Erstattungsanspruch in Höhe von 11.886,00 DM für die in der Zeit vom 20. August bis 31. Oktober 1997 entstandenen Aufwendungen an. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 1998).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 12. November 1999); das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 6. Dezember 2001). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe ein Erstattungsanspruch nach § 104 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) nicht zu, weil sie im Verhältnis zur Beklagten nicht als nachrangig verpflichteter Leistungsträger tätig geworden sei; die Beklagte habe der Beigeladenen während des Schulbesuchs eine krankenpflegerische Versorgung nicht geschuldet. Der hier allein in Betracht kommende Anspruch auf Behandlungssicherungspflege bestehe nach § 37 Abs 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nur im häuslichen Bereich und werde hier zudem auch dadurch ausgeschlossen, dass die Beigeladene durch ihre Mutter versorgt werden könne.
Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 37 Abs 2 SGB V. Sie macht geltend, der Gesetzgeber habe die Einschränkungen auf den Haushalt vorwiegend aus der Überlegung heraus vorgenommen, dass die Verlagerung der Krankenhausbehandlung in Pflegeheime verhindert werden solle. § 37 Abs 2 SGB V wolle dagegen mit den Begriffen “häuslich”, “Familie” und “Haushalt” nicht den Leistungsort der Krankenpflege festschreiben. Die Auslegung des § 37 Abs 2 SGB V durch das Berufungsgericht verfehle hier jedoch auch den mit dieser Vorschrift vom Gesetzgeber verfolgten Zweck, Pflegebedürftigen die Möglichkeit zu geben, im häuslichen Bereich zu verbleiben und nicht gezwungen zu sein, sich wegen ihres Hilfebedarfs in Pflegeeinrichtungen zu begeben. Auch das Anliegen, den Versicherten ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, werde verfehlt, wenn schulpflichtigen pflegebedürftigen Versicherten Krankenpflegeleistungen während des Schulbesuchs verwehrt würden.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Dezember 2001 und des Sozialgerichts Dortmund vom 12. November 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die für den Zeitraum vom 20. August 1997 bis zum 31. Oktober 1997 erbrachten Leistungen in Höhe von 6.077,22 € zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene hat sich zur Sache nicht geäußert.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Klägerin steht in Höhe des von ihr geltend gemachten Betrages von 6.077,22 € (11.886 DM) für die von ihr im Zeitraum vom 20. August 1997 bis 31. Oktober 1997 finanzierte Behandlungspflege der Beigeladenen ein Erstattungsanspruch zu.
Die Klägerin hat den zunächst nach § 91a BSHG ebenfalls geltend gemachten Sachleistungsanspruch gerichtlich nicht weiterverfolgt.
Rechtsgrundlage des verbliebenen Erstattungsanspruchs der Klägerin ist § 104 Abs 1 SGB X. Danach ist ein vorrangig verpflichteter Leistungsträger einem nachrangig verpflichteten gegenüber erstattungspflichtig, wenn letzterer – ohne dass die Voraussetzungen des § 103 Abs 1 SGB X vorliegen – Sozialleistungen erbracht hat, soweit der vorrangig leistungspflichtige Träger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Trägers Kenntnis erlangt hat (Satz 1). Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (Satz 2). § 104 Abs 1 SGB X erfasst vor allem Fälle des institutionellen Nachrangs bzw der Systemsubsidiarität (vgl BSG SozR 3-1300 § 104 Nr 12 mwN), die bei gleichartigen Leistungen im Regelfall zwischen Sozialversicherung und Sozialhilfe besteht.
Der Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers ist begründet, wenn dieser gegenüber dem Versicherten eine Leistung erbracht hat, die die KK als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen gehabt hätte. Dies war hier entgegen der Annahme der Vorinstanzen der Fall. Die Beigeladene hatte während des streitigen Zeitraums einen Sachleistungsanspruch auf Gewährung von Behandlungspflege gemäß § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V. Nach dieser Vorschrift erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist.
Die medizinische Notwendigkeit des regelmäßigen Absaugens von Sekreten bei der Beigeladenen, die wegen einer neurologisch bedingten Schluckunfähigkeit ohne entsprechende Behandlung ersticken würde, ist unbestritten. Es wird auch nicht in Zweifel gezogen, dass es sich hierbei um eine Maßnahme der Behandlungspflege iS des § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V handelt. Zur Behandlungspflege gehören nach ständiger Rechtsprechung des Senats (BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2, BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 3 und 11 sowie BSGE 89, 50 = SozR 3-3300 § 12 Nr 1) alle Pflegemaßnahmen, die durch eine bestimmte Erkrankung verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen und der Beklagten steht dem Anspruch der Beigeladenen aus § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V nicht entgegen, dass die geschilderten Behandlungspflegemaßnahmen während des Schulbesuchs im Schulgebäude und nicht im häuslichen Bereich durchgeführt werden. § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V begrenzt die Leistungspflicht der KK nicht räumlich auf den Haushalt des Versicherten oder “seine Familie” als Leistungsort und schließt medizinisch erforderliche Maßnahmen, die bei vorübergehenden Aufenthalten außerhalb der Familienwohnung anfallen, dann nicht aus, wenn sich der Versicherte ansonsten ständig in seinem Haushalt bzw in seiner Familie aufhält und dort seinen Lebensmittelpunkt hat.
Der Wortlaut der hier maßgeblichen Vorschrift rechtfertigt die von der Beklagten und den Vorinstanzen angenommene Begrenzung nicht. Die erweiternde Auslegung des § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V ist nach seinem Wortlaut nicht nur möglich, sondern nach Sinn und Zweck der Bestimmung sowie nach dem Gebot “versichertenfreundlicher” Auslegung, wie es aus § 2 Abs 2 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) zu entnehmen ist, auch geboten. Nach dieser Vorschrift sind die in den §§ 3 ff SGB I aufgeführten sozialen Rechte, zu denen auch die notwendige Krankenversorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gehört (§ 4 Abs 2 Satz 1 SGB I), bei der Auslegung des SGB und bei der Ausübung von Ermessen zu beachten; dabei ist sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weit gehend verwirklicht werden (Effektuierungsgrundsatz, vgl Mrozynski, SGB I, 2. Aufl 1995, § 2 RdNr 15 ff; Rode SGb 1977, 268, 272). Nach § 2 Abs 1 SGB I dienen die sozialen Rechte der Erfüllung der in § 1 SGB I genannten Aufgaben, insbesondere der Schaffung gleicher Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit junger Menschen. Dazu gehört bei Kindern die Wiederherstellung und Sicherung der Möglichkeit zur sozialen Integration unter Gleichaltrigen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 27) in einem Kindergarten bzw in einer Kindertagesstätte sowie der Schulfähigkeit nach Eintritt der Schulpflicht (BSG SozR 2200 § 182 Nr 73; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 22).
Der Wortlaut des § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V führt mit “in ihrem Haushalt” und “in ihrer Familie” zwei Alternativen auf, bei denen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege zu erbringen ist. Zumindest die Alternative “in ihrer Familie” lässt sich räumlich nicht begrenzen. Der im Schrifttum teilweise unternommene Versuch (vgl etwa Krauskopf, Krankenversicherung, Soziale Pflegeversicherung, Stand: Dezember 2001, § 37 RdNr 3; Keß ErsK 1991, 357, 358), hieraus die Begrenzung auf den Haushalt der Familie abzuleiten, ist nicht überzeugend. Schon bei einer Beschränkung des Begriffs “Familie” auf den des Familienrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ergeben sich je nach Anzahl der Verwandten mehrere denkbare Familienhaushalte (so auch Höfler in: KassKomm SGB V § 37 RdNr 15; Poske, Hauspflege, 1990, S 167). Die Formulierung “in ihrer Familie” (statt: “in dem ihrer Familie”) legt zudem nicht die Beschränkung auf einen Haushalt der Familie nahe, sondern spricht eher dafür, dass es auf den jeweiligen Aufenthaltsort eines von unter Umständen mehreren, vom Versicherten frei wählbaren Familienverbünden ankommt, dem der Versicherte angehört. In diesem Sinn hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits zur Übernahme von Fahrtkosten nach Abschluss einer Krankenhausbehandlung entschieden (BSGE 40, 88, 89 = SozR 2200 § 184 Nr 2).
Der unklare Gesetzeswortlaut bringt den Willen des Gesetzgebers nur unzureichend zum Ausdruck. Dem Gesetzgeber ging es bei der Umschreibung des Aufenthaltsortes des Versicherten im Rahmen der Behandlungspflege vor allem um die Abgrenzung zur Leistungserbringung im stationären Bereich (Foerster/Pampel-Jabrane, “Häuslich muss nicht immer zu Hause sein”, ZfSH/SGB 2000, 214, 215). Die Regelung geht davon aus, dass Behandlungspflege dort zu erbringen ist, wo die Versorgung des Versicherten mit Grundpflege und hauswirtschaftlicher Hilfe, vergleichbar der entsprechenden Versorgung bei stationärer Behandlung im Krankenhaus, sicher gestellt ist (Wenig, KrV 1978, 116, 117). Im Schrifttum wird daher auch angenommen, der Versicherte könne sich ausschließlich zum Zwecke der häuslichen Pflege in “seine” Familie begeben, auch wenn er sonst einen eigenen Hausstand habe; dies habe zur Folge, dass er dort Behandlungspflege zu Lasten der KK in Anspruch nehmen könne, soweit sie von den Familienangehörigen – etwa mangels einschlägiger Qualifikation – nicht erbracht werden kann (vgl Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 37 SGB V RdNr 62; Mrozynski in: Wannagat SGB V, § 37 RdNr 19).
Die Notwendigkeit einer Abgrenzung zum stationären Bereich der Heimpflege stand dann bei der Diskussion anlässlich der Erweiterung des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege durch das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz (KVKG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I S 1069) im Vordergrund (vgl zum Gesetzgebungsverfahren: Zipperer, DOK 1978, 11, 20). Aus der Notwendigkeit eines eigenen Haushalts wurde der Schluss gezogen, dass bei einem Daueraufenthalt in Einrichtungen der Alten- oder Behindertenhilfe ein Leistungsanspruch nur dann bestehe, wenn die Versorgung des Versicherten nicht (vertraglich) umfassend von der Einrichtung geschuldet sei (vgl Hanau/Rolfs, VSSR 1993, 237, 252; Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand: 1. August 1999, § 37 RdNr 15; Höfler in: KassKomm SGB V § 37 RdNr 14). Die Frage, ob der Haushalt im räumlichen Sinn alleiniger Ort der Leistungserbringung ist, wurde im Zusammenhang mit der Ausweitung des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege im KVKG nicht erörtert.
Die Verwendung der Umschreibung “in ihrem Haushalt oder ihrer Familie” als bloße Unterscheidung von der Krankenhausversorgung (vgl Poske, Hauspflege, 1990, S 70 ff, 112 ff) wird schon aus der Ursprungsfassung des § 185 Reichsversicherungsordnung (RVO) aus dem Jahr 1911 deutlich: “Die Kasse kann mit Zustimmung des Versicherten Hilfe und Wartung durch Krankenpfleger, Krankenschwestern oder andere Pfleger namentlich auch dann gewähren, wenn die Aufnahme des Kranken in ein Krankenhaus geboten, aber nicht ausführbar ist, oder ein wichtiger Grund vorliegt, den Kranken in seinem Haushalt oder in seiner Familie zu belassen.” Die Formulierung wurde dann als Voraussetzung für den Anspruch auf Behandlungssicherungspflege übernommen, die mit dem KVKG vom 27. Juni 1977 (BGBl I S 1069) als § 185 Abs 1 Satz 2 RVO zunächst als Satzungsleistung eingeführt wurde. Durch das Gesetz über die 19. Anpassung der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz sowie zur Änderung weiterer sozialrechtlicher Vorschriften (KOV-AnpG 1990) vom 26. Juni 1990 (BGBl I S 1211) wurde die Behandlungssicherungspflege in § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V zur Regelleistung bestimmt. Im Gesetzentwurf (BT-Drucks 11/7343, S 1) wurde dies damit begründet, dass sich die bisherige Ausgestaltung der häuslichen Krankenpflege zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung nicht bewährt habe. Zahlreiche KKn hätten die Satzungsleistung befristet, weil sie beitragsrelevante Einnahmeausfälle durch die fehlende Ausgleichsfähigkeit von satzungsmäßigen Mehrleistungen in der Krankenversicherung der Rentner befürchteten. Bei der Einstellung oder Einschränkung von Krankenpflegemaßnahmen zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung müsse aber mit einer wesentlich kostenaufwändigeren Leistungserbringung im Rahmen der ärztlichen Behandlung gerechnet werden. Gesetzgeberisches Leitmotiv war damit die Kostenersparnis. Im Hinblick auf die hier umstrittene Frage der Erbringung von Behandlungspflege außerhalb der Familienwohnung lassen sich aus der Entstehungsgeschichte somit keine Erkenntnisse gewinnen, die für einen Leistungsausschluss sprechen. Insbesondere finden sich keine Äußerungen, die darauf hindeuten, dass ein Leistungsanspruch bei kurzfristigem Verlassen des familiären Wohnbereichs ausgeschlossen und damit ein versorgungsfreier Raum geschaffen werden sollte, in dem der Versicherte trotz des Bestehens einer behandlungsbedürftigen Krankheit von einem Anspruch auf Krankenbehandlung ausgeschlossen ist.
Das Kriterium des Haushalts wurde auch bei Einführung der Pflegeversicherung zur Abgrenzung der Ansprüche bei häuslicher Pflege und stationärer Pflege übernommen. Die im Wortlaut des § 36 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) zunächst enthaltene Begrenzung auf den Haushalt des Pflegebedürftigen oder einen anderen Haushalt, in den der Pflegebedürftige aufgenommen ist, wurde aber bereits im Jahre 1996 durch das 1. SGB XI-ÄndG vom 14. Juni 1996 (BGBl I S 830) aufgegeben, weil als selbstverständlich davon ausgegangen worden war, dass es insoweit auf die Örtlichkeit der Pflegemaßnahme nicht ankommen sollte, sondern nur auf die Art der Durchführung (vgl Udsching, SGB XI, 2. Aufl 2000, § 36 RdNr 4; Mrozynski, SGb 1995, 104, 110 unter Hinweis auf die Begründung zum ursprünglichen Gesetzentwurf BT-Drucks 12/5262, S 112).
Ebenso wie im Bereich der Pflegeversicherung kann auch bei der Behandlungspflege der Anspruch des Versicherten nicht davon abhängen, ob er sich zu Hause aufhält. Im Hinblick auf den vorrangigen Zweck der Behandlungspflege, das Ziel der ärztlichen Behandlung, also die Heilung, Besserung oder die Verhütung einer Verschlimmerung einer Krankheit zu sichern, ist der Aufenthaltsort des Versicherten – sofern nicht Krankenhausbehandlung oder vollstationäre Pflege vorliegt – ohne Belang. Im vorliegenden Fall kann die Sicherung des Erfolgs der ärztlichen Behandlung der Beigeladenen während des Schulbesuchs in gleicher Weise erreicht werden wie zu Hause.
Die Leistungspflicht der KK scheidet auch nicht deshalb aus, weil das kurzfristige Verlassen des Wohnbereichs dadurch veranlasst wird, dass die Beigeladene mit dem Besuch einer Schule der gesetzlichen Schulpflicht nachkommt. Eine Leistungspflicht des Schulträgers ist nicht ersichtlich (OVG NRW NVwZ-RR 2001, 34 = DVBl 2000, 1793; OVG Niedersachsen FEVS 52, 140).
Der Anspruch der Beigeladenen ist schließlich auch nicht gemäß § 37 Abs 3 SGB V ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift besteht der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann. Die Mutter der Beigeladenen ist zwar in der Lage, ihre Tochter mit den erforderlichen pflegerischen Maßnahmen zu versorgen, da sie diese Aufgabe auch immer dann übernimmt, wenn sie zu Hause ist. Ihr ist es jedoch nicht zuzumuten, ihre Tochter während des gesamten Schulbesuchs zu begleiten und damit praktisch einen Einsatz von 24 Stunden zu erbringen. Der Senat hat bereits in anderem Zusammenhang deutlich gemacht, dass der Inanspruchnahme von Haushaltsangehörigen zur Entlastung der Krankenversicherung nach § 37 Abs 3 SGB V Grenzen der Zumutbarkeit gesetzt sind (BSG SozR 3-2500 § 37 Nr 2).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG aF.
Fundstellen
Haufe-Index 913236 |
SozVers 2003, 275 |