Entscheidungsstichwort (Thema)
Erziehungsgeld. Ausländer. Asylberechtigter. Aufenthaltserlaubnis. Kind. Geburt. Änderung. Vertrauensschutz. Stammrecht
Leitsatz (amtlich)
Die ab dem 1.7.1989 geltende Einschränkung, daß der Anspruch eines Ausländers auf Erziehungsgeld den Besitz eines der in § 1 BErzGG genannten Aufenthaltstitel voraussetzt, gilt nicht für vor diesem Zeitpunkt geborene Kinder.
Normenkette
BErzGG § 1 Abs. 1; BErzGGuaÄndG; GG Art. 20
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 17.12.1993; Aktenzeichen L 13 Kg 89/93) |
SG Köln (Entscheidung vom 27.04.1993; Aktenzeichen S 23 Kg 35/90) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. Dezember 1993 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt auch die dem Kläger im Revisionsverfahren entstandenen Kosten.
Tatbestand
I
Der Kläger ist Ausländer. Er begehrt Erziehungsgeld (Erzg) für sein am 23. Juni 1989 geborenes Kind. Sein Asylantrag war im Oktober 1988 abgelehnt worden. Er wurde im November 1990 durch ein inzwischen rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts Köln als asylberechtigt anerkannt. Am 21. Mai 1991 erhielt er eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Er bezog Erzg für die Zeit vom 23. Juni bis zum 22. Juli 1989. Erzg für die nachfolgende Zeit lehnte der Beklagte ab, weil der Kläger nicht im Besitz der nunmehr erforderlichen Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis sei (Bescheid vom 29. November 1989; Widerspruchsbescheid vom 5. September 1990). Die Klage auf Erzg für die Zeit vom 23. Juli 1989 bis zum 22. Juni 1990 blieb vor dem Sozialgericht (SG) erfolglos (Urteil vom 27. April 1993). Sie hatte vor dem Landessozialgericht (LSG) Erfolg (Urteil vom 17. Dezember 1993).
Der Beklagte macht mit der vom LSG zugelassenen Revision geltend, der Anspruch eines Ausländers auf Erzg setze nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) in der ab 1. Juli 1989 geltenden Fassung den Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis voraus. Das LSG sei der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), daß dies auch für anerkannte Asylberechtigte gelte (BSGE 70, 197 ff), zu Unrecht nicht gefolgt.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. Dezember 1993 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 27. April 1993 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten war zurückzuweisen. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht den Beklagten verurteilt, Erzg für die Zeit vom 23. Juli 1989 bis zum 22. Juni 1990 zu zahlen.
Der Anspruch des Klägers auf Erzg wegen der Erziehung seines am 23. Juni 1989 geborenen Kindes richtet sich auch für die streitige Zeit vom 23. Juli 1989 bis zum 22. Juni 1990 nach § 1 Abs. 1 BErzGG in der ursprünglichen Fassung des Gesetzes vom 6. Dezember 1985 (BGBl I 2154). Die Änderung der Vorschrift durch das Gesetz zur Änderung des BErzGG und anderer Vorschriften (BErzGGuaÄndG) vom 30. Juni 1989 (BGBl I 1297), die mit Wirkung vom 1. Juli 1989 anzuwenden ist (Art. 8 Abs. 1 BErzGGuaÄndG), gilt – entgegen der nicht näher begründeten Auffassung des SG und des LSG – nur für Kinder, die nach dem 1. Juli 1989 geboren sind.
Der Anspruch eines Ausländers auf Erzg setzt nach § 1 Abs. 1 Satz 2 idF des BErzGGuaÄndG neben dem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes ua voraus, daß er „im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis ist, die nicht nur für einen bestimmten, seiner Natur nach vorübergehenden Zweck erteilt worden ist” (Satz 2 des § 1 Abs. 1 BErzGG). Während in der Zeit bis zum Inkrafttreten des BErzGGuaÄndG am 1. Juli 1989 eine nachträgliche Anerkennung als Asylberechtigter nach der insoweit übereinstimmenden Rechtsprechung des 4. Senats und des nunmehr für diese Angelegenheiten allein zuständigen erkennenden Senats den Anspruch auf Erzg rückwirkend begründen konnte (vgl BSGE 65, 261 = SozR 7833 § 1 Nr. 7; BSGE 70, 197, 199 = SozR 3–7833 § 1 Nr. 7), gilt das seit diesem Zeitpunkt nicht mehr. Seit dem 1. Juli 1989 haben alle Ausländer, und damit auch solche, die später als asylberechtigt anerkannt werden, nur dann Anspruch auf Erzg, wenn sie im fraglichen Leistungszeitraum eine Aufenthaltsberechtigung oder eine nicht nur für einen bestimmten, seiner Natur nach vorübergehenden Zweck erteilte (sog zweckgebundene) Aufenthaltserlaubnis besitzen (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt: BSG SozR 3–7833 § 1 Nr. 12 mwN und Nr. 10). Die gegen die letztgenannte Entscheidung eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG vom 2. Mai 1994 – 1 BvR 1913/92 –). Da die Neufassung des § 1 BErzGG hier nicht anzuwenden ist, was noch näherer Begründung bedarf, können die gegen diese Rechtsprechung vom LSG erhobenen Bedenken unerörtert bleiben. Der Senat stellt hierzu jedoch klar, daß er auch nach erneuter Prüfung an dieser Rechtsprechung festhält. Er weist zusätzlich daraufhin, daß auch im Kindergeldrecht nach der Rechtsprechung des 10. Senats des BSG die Anerkennung als Asylberechtigter keinen rückwirkenden Anspruch auf Kindergeld begründet. Deklatorische Bedeutung und eine damit verbundene Rückwirkung hat hiernach die Anerkennungsentscheidung nur hinsichtlich der Asylberechtigung als solcher; anerkannte Asylberechtigte können eine Nachzahlung von Sozialleistungen, die ihnen bei einer sofortigen Anerkennung zugestanden hätten, nur verlangen, soweit das in dem jeweils maßgebenden Leistungsgesetz vorgesehen ist (BSG SozR 3–1300 § 34 Nr. 2).
Der Senat hat die Neufassung bisher ausschließlich auf Kinder angewandt, die nach dem Inkrafttreten des BErzGGuaÄndG geboren waren (vgl die jeweils in Klammern gesetzten Geburtsdaten: BSGE 70, 197 = SozR 3–7833 § 1 Nr. 7 ≪12. April 1990≫; BSG SozR 3–7833 § 1 Nr. 10 ≪19. Oktober 1989≫; BSG Urteil vom 9. September 1992 – 14b/4 REg 24/91 – USK 92139 ≪27. September 1989≫; BSG SozR 3–7833 § 1 Nr. 12 ≪1. November 1989≫; Urteil vom 9. Februar 1994 – 14/14b REg 10/93 – ≪13. Februar 1990≫).
Der Senat hat sich in dem zuletzt angeführten Urteil im Rahmen der Auslegung als neue Anspruchsvoraussetzung mit dem Fehlen von Übergangsvorschriften befaßt und hierzu ausgeführt: „Es entspricht einhelliger Rechtsauffassung, daß neues Recht unmittelbar mit seinem Inkrafttreten wirksam wird und zumindest solche Sachverhalte uneingeschränkt erfaßt, die erstmals nach dem Geltungsbeginn eintreten (eingehend hierzu Kopp, Grundsätze des intertemporalen Verwaltungsrechts, SGb 1993, 593). Die in Art. 1 Nr. 1 Buchst a BErzGGuaÄndG für Ausländer angeordnete Regelung ist nach dessen Art. 8 Abs. 1 mit Wirkung vom 1. Juli 1989 in Kraft getreten. Sie gilt danach jedenfalls für Kinder, die nach dem 30. Juni 1989 geboren sind, wie dies beim Kind des (ergänze: damaligen) Klägers der Fall ist. Dazu bedurfte es keiner Übergangsregelung. Insoweit kann aus dem Fehlen einer Übergangsregelung nichts gegen eine Änderungsabsicht des Gesetzes hergeleitet werden. Lediglich hinsichtlich der Kinder, die vor dem 1. Juli 1989 geboren wurden, kann eingewandt werden, der Gesetzgeber würde die Geltung der Neuregelung für Bezugszeiten nach dem 30. Juni 1989 in einer Übergangsvorschrift ausdrücklich angeordnet haben, wenn er diese gewollt hätte. Ob die Neuregelung aus diesem Grunde dahin auszulegen ist, daß sie nur für Kinder gilt, die nach dem 30. Juni 1989 geboren wurden, war hier nicht zu entscheiden.”
Das Gesetz enthält insoweit eine unbeabsichtigte Lücke. Der Gesetzgeber hat zwar bei späteren Änderungen von Anspruchsvoraussetzungen ausdrücklich klargestellt, wenn diese nur auf Kinder angewandt werden sollten, die nach Inkrafttreten der Änderung geboren wurden. So heißt es etwa in § 1 Abs. 6 BErzGG idF durch das Erste Gesetz zur Änderung des BErzGG (BErzGGÄndG 1) vom 17. Dezember 1990 (BGBl I 2823), Anspruch auf Erzg „für nach dem 30. Juni 1990 geborene Kinder hat unter den Voraussetzungen des Abs. 1 auch der Ehegatte eines Mitglieds der Truppe oder des zivilen Gefolges eines Natomitgliedstaates, der …”, und entsprechend in § 1 Abs. 3 Nr. 3 BErzGG idF durch das Zweite Gesetz zur Änderung des BErzGG und anderer Vorschriften (BErzGGÄndG 2) vom 6. Dezember 1991 (BGBl I 2142), „ein nach dem 31. Dezember 1991 geborenes leibliches Kind des nicht sorgeberechtigten Antragstellers, …”.
Bei früheren Änderungen des BErzGG, insbesondere beim BErzGGuaÄndG, kann nicht ohne weiteres angenommen werden, daß der Gesetzgeber sich einer solchen Formulierung bedient hätte, wenn er die Regelung nur auf Kinder angewandt wissen wollte, die nach dem 30. Juni 1989 geboren wurden. Es sind auch keine anderen Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß der Gesetzgeber im BErzGGuaÄndG bewußt auch die vor dem Inkrafttreten der Änderung geborenen Kinder einbeziehen wollte. Die im BErzGGuaÄndG zum Besitz einer Aufenthaltserlaubnis getroffene Regelung ist erst in der Ausschuß-Beratung des Gesetzes eingefügt worden. Die Ausschuß-Begründung gibt keinen Hinweis, daß die Anwendung auf Kinder bedacht wurde, die vor dem für das Inkrafttreten vorgesehenen Zeitpunkt geboren wurden (BT-Drucks 11/4776 S 2). Das legt die Annahme nahe, daß die Frage der Übergangsregelung übersehen wurde.
Diese Lücke ist dahin zu schließen, daß die Neuregelung nur für nach ihrem Inkrafttreten geborene Kinder gilt. Die Neuregelung, daß Ausländer im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis (oder Aufenthaltsberechtigung) sein müssen, galt zunächst nur für das Erzg und enthält keinen allgemeinen Grundsatz, der auch bei anderen Sozialleistungen zu beachten wäre (vgl zur Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung BSG SozR 3–2600 § 56 Nr. 3) oder wegen seiner Bedeutung im Zweifel auch auf frühere Zeiträume angewandt werden müßte. Sie ist vielmehr im Hinblick auf ihr Ziel, eine Rechtsprechung des BSG ohne Rückwirkung zu korrigieren, im Zweifel nur auf neu entstehende Ansprüche anzuwenden. Die Änderung sollte „die erforderlichen Konsequenzen aus der Rechtsprechung zu den Wohnsitzvoraussetzungen” ziehen, also eine von dieser Rechtsprechung zum Nachteil der Anspruchsberechtigten abweichende Regelung treffen (BT-Drucks 11/4776 S 2). Für vor dem Inkrafttreten des BErzGGuaÄndG geborene Kinder war das Stammrecht auf Erzg nach Maßgabe der angezogenen Rechtsprechung bereits entstanden. Das Erzg beruht zwar nicht auf eigenen Beiträgen und genießt deshalb keinen Eigentumsschutz iS des Art. 14 Grundgesetz (GG). Aber auch bei solchen Ansprüchen kann in Ansehung des Rechtsstaatsgedankens (Art. 20 GG) nur dann angenommen werden, daß der Gesetzgeber eine als erforderlich angesehene Korrektur der Rechtsprechung auch für bereits im Sinne eines Stammrechts entstandene Anwartschaften vornimmt, wenn ein solcher Wille deutlich hervortritt. Daran fehlt es hier.
Nach dem vor dem 1. Juli 1989 geltenden Recht stand dem Kläger bei dem vom LSG festgestellten Sachverhalt Erzg für die streitige Zeit dem Grunde nach zu, was keiner weiteren Begründung bedarf.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 1049499 |
SozSi 1997, 78 |