Entscheidungsstichwort (Thema)
Bösgläubigkeit für die Rücknahme eines Verwaltungsakts. Rechtsschutzbedürfnis für unechte Leistungsklage. Prüfungsschritte bei Anfechtung eines Bescheids über Rücknahme einer Kindergeldbewilligung
Leitsatz (amtlich)
1. Setzt die Rücknahme eines Verwaltungsaktes voraus, daß der Begünstigte dessen Rechtswidrigkeit kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X), so muß die Bösgläubigkeit im Zeitpunkt der Bekanntgabe jenes Verwaltungsaktes vorgelegen haben; auf spätere Hinweise der Verwaltung kommt es insoweit nicht an.
2. Wird durch die Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes die ursprüngliche Leistungsbewilligung wiederhergestellt, fehlt für eine (unechte) Leistungsklage nach § 54 Abs 4 SGG das Rechtsschutzbedürfnis.
3. Zu den Prüfungsschritten bei Anfechtung eines Bescheides, durch den die Bewilligung von Kindergeld für einen Asylbewerber zurückgenommen wird.
Normenkette
SGB X § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3; BKGG § 1 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1982-01-21, Nr. 1 Fassung: 1985-06-27; SGG § 54 Abs. 1, 4, § 48 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 4; SGB X § 45 Abs. 2 Sätze 1-2, 3 Nrn. 1-2
Verfahrensgang
SG Karlsruhe (Entscheidung vom 12.06.1986; Aktenzeichen S 11 Kg 531/86) |
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 24.01.1989; Aktenzeichen L 9 Kg 2222/86) |
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung von Kindergeld mit Wirkung ab Juni 1985.
Der Kläger, Palästinenser jordanischer Staatsangehörigkeit, ist 1977 als Asylbewerber in die in der Bundesrepublik Deutschland eingereist. Sein Verfahren über die Anerkennung als Asylberechtigter wurde im März 1986 mit negativem Ergebnis rechtskräftig abgeschlossen. Während der Dauer des Asylverfahrens hatte die Ausländerbehörde die Vollstreckung einer Ausreiseanordnung wiederholt ausgesetzt. Am 28. Februar 1985 erteilte sie dem Kläger für die weitere Dauer des Verfahrens eine bis zum 28. August 1986 befristete Aufenthaltsgestattung; in der Folgezeit hat sie die Abschiebung weiterhin wiederholt ausgesetzt.
Ab Dezember 1981 bzw März 1983 bezog der Kläger Kindergeld für seine Töchter L. und S. (Bewilligungsbescheide vom Mai 1982 bzw Mai 1983). Mit Bescheid vom 8. Februar 1985 bewilligte die Beklagte ab Dezember 1984 Kindergeld auch für den Sohn T. (geboren am 27. Dezember 1984); dieser Bescheid enthält folgenden Zusatz: "Ich habe Ihnen vorläufig bis März 1985 Kindergeld bewilligt, da Ihre Duldung bis 1. März 1985 befristet ist. Sobald die Duldung verlängert wird, bitte ich darüber einen Nachweis einzureichen".
Nachdem der Kläger die Aufenthaltsgestattung von 28. Februar 1985 nachgewiesen hatte, teilte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 22. Mai 1985 mit, daß Kindergeld für seine drei Kinder ab April 1985 nicht mehr gewährt werden könne. Kindergeld hätte von Anfang an nicht gezahlt werden dürfen, weil der Kläger Asylbewerber sei und weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gehabt habe. Von einer Rückforderung des zu Unrecht gewährten Kindergeldes werde abgesehen. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 1986).
Das Sozialgericht (SG) hat die Bescheide vom 22. Mai 1985 und vom 27. Januar 1986 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Kindergeld über den Monat März 1985 hinaus im gesetzlichen Umfang zu gewähren (Urteil vom 12. Juni 1986). Während des Berufungsverfahrens hob die Beklagte nach Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 11. Dezember 1986 die angefochtenen Bescheide auf und ersetzte sie. Sie nahm nunmehr gemäß § 45 des Sozialgesetzbuches - Zehntes Buch - (SGB X) die Kindergeldbewilligung mit Wirkung ab Juni 1985 zurück; bis einschließlich Mai 1985 genieße der Kläger Vertrauensschutz. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) nahm die Beklagte ihre Berufung gegen das Urteil des SG zurück, soweit darin ihre Bescheide aufgehoben worden waren. Das LSG hat das Urteil des SG insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Gewährung von Kindergeld ab Juni 1985 verurteilt worden war. Es hat außerdem auf die Klage den Bescheid vom 11. Dezember 1986 aufgehoben, soweit dieser die Bewilligung von Kindergeld ab Juni 1985 zurückgenommen hatte (Urteil vom 24. Januar 1989).
Das LSG hat im wesentlichen ausgeführt: Die Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Kindergeld über den Monat März 1985 hinaus sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Bereits die reine Anfechtungsklage habe zur Folge, daß die Bewilligungsbescheide in ihrer ursprünglichen Fassung wiederhergestellt würden. Weiterer Streitgegenstand des Berufungsverfahrens sei der Bescheid vom 11. Dezember 1986. Dieser sei rechtswidrig, soweit er die Aufhebung der Kindergeldbewilligung ab Juni 1985 ausspreche. Die Rücknahme eines Verwaltungsaktes nach § 45 SGB X sei in das pflichtgemäße Ermessen der Verwaltung gestellt. Ihr Ermessen habe die Beklagte in dem Bescheid vom 22. März 1985 und in dem Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 1986 nicht angewandt. Nach Abschluß des Vorverfahrens könne dies nicht nachgeholt werden. Mit dem Bescheid vom 11. Dezember 1986 habe die Beklagte die Bestimmungen des § 41 Abs 2 SGB X umgangen. Angesichts des übereinstimmenden Regelungsgegenstandes ihrer Bescheide sei die Beklagte nicht befugt gewesen, die unterlassene Ermessensausübung in einem neuen Bescheid nachzuholen. Wegen der fehlenden Ermessensentscheidung komme es nicht darauf an, ob die sonstigen Voraussetzungen des § 45 SGB X für die Rücknahme der Kindergeldbewilligungen vorgelegen hätten. Eine andere rechtliche Beurteilung der Streitsache ergebe sich auch nicht aus dem Zusatz in dem Bescheid vom 8. Februar 1985.
Gegen dieses Urteil haben beide Beteiligte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 54 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Zu Unrecht habe das LSG den Leistungsausspruch des SG aufgehoben. Das vorliegende Verfahren zeige, daß sich die Beklagte stets durch Erlaß neuer Bescheide der Zahlungspflicht entziehe. Insoweit bestehe für den Kläger ein Bedürfnis, eine Verurteilung zur Zahlung zu erhalten, damit eine Vollstreckung der gerichtlichen Entscheidung erfolgen könne.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. Januar 1989 aufzuheben, soweit darin das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 12. Juni 1986 abgeändert wurde, und die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. Januar 1989, soweit es auf die Klage den Bescheid vom 11. Dezember 1986 aufgehoben hat, aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen sowie die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie rügt eine Verletzung des § 45 SGB X. Das LSG habe den Bescheid vom 11. Dezember 1986 nicht allein wegen fehlender Ermessensausübung und unzulässigen Nachschiebens von Ermessensgründen aufheben dürfen, ohne die weiteren Voraussetzungen des § 45 SGB X zu prüfen. Im übrigen sei darüber zu entscheiden, ob ein Leistungsträger befugt sei, während des Klage- bzw Berufungsverfahrens einen Ersetzungsbescheid mit der zuvor unterbliebenen Ermessensausübung zu erlassen.
Der Senat hat mit Beschluß vom 14. Februar 1991 dem Großen Senat (GrS) die Frage vorgelegt:
Darf ein Leistungsträger das Ermessen, das er in einem Verwaltungsakt fehlerhaft nicht ausgeübt hat, dadurch nachholen, daß er während eines sozialgerichtlichen Verfahrens diesen Verwaltungsakt zurücknimmt und durch einen neuen, denselben Regelungsgegenstand betreffenden, Verwaltungsakt mit Ermessenserwägungen ersetzt?
Mit Beschluß vom 22. September 1993 hat der Senat dem GrS weiterhin hilfsweise die Frage vorgelegt:
Unter welchen Umständen darf ein Leistungsträger während eines sozialgerichtlichen Verfahrens den streitbefangenen Verwaltungsakt aufheben und durch einen neuen mit im wesentlichen gleicher Rechtsfolge ersetzen?
Mit seinem Beschluß vom 6. Oktober 1994 - GS 1/91 - hat der GrS die Vorlagefrage wie folgt beantwortet:
Ein während des Gerichtsverfahrens erlassener Verwaltungsakt, der nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens wird, verstößt nicht gegen das Verbot, die Anhörung oder Ermessensausübung nachzuholen, wenn er einen Verwaltungsakt ersetzt, der mangels Anhörung oder Ermessensausübung rechtswidrig war.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden, nachdem die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 SGG).
Die Revision des Klägers ist unbegründet (1); auf die Revision der Beklagten war das Berufungsurteil teilweise aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (2).
(zu 1) Zu Recht hat das LSG auf die Berufung der Beklagten unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Leistungsklage auf Weitergewährung des Kindergeldes (entsprechend dem in der Berufungsinstanz gestellten Antrag der Beklagten: für die Zeit ab Juni 1985) als unzulässig abgewiesen. Denn für eine entsprechende Klage fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Bereits durch die mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) erstrebte Aufhebung des Entziehungsbescheides vom 22. Mai 1985 in Gestalt des Widerspruchsbescheides wurde dem Klagebegehren voll und ganz Rechnung getragen. Denn diese Aufhebung hat ohne weiteres zur Folge, daß die bisherigen Kindergeldbewilligungen wiederhergestellt wurden, so daß die Beklagte zur entsprechenden Kindergeldzahlung auch über den März 1985 hinaus verpflichtet war.
Einer Verurteilung der Beklagten zur Leistung bedurfte es auch nicht etwa deshalb, weil die Beklagte in ihrem früheren Bescheid vom 8. Februar 1985 das Kindergeld "vorläufig bis März 1985 ... bewilligt" hatte. Denn dieser Zusatz enthielt keine Befristung iS des § 32 Abs 2 Nr 1 SGB X, welche die Kindergeldbewilligung durch reinen Zeitablauf hätte enden lassen. Vielmehr ist der Zusatz im Bewilligungsbescheid für T. als Bedingung iS des § 32 Abs 2 Nr 2 SGB X anzusehen. Die Beklagte stellte auf die damalige Ungewißheit ab, ob die Duldung des Aufenthalts des Klägers über den 1. März 1985 hinaus verlängert würde. Nach dem Erklärungsinhalt des Verwaltungsaktes erschien der Eintritt dieses Ereignisses unsicher. Dieser Bedingung aber genügte der Kläger durch Vorlage seiner Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens vom 28. Februar 1985. Insoweit kann offenbleiben, ob die im Bescheid vom 8. Februar 1985 enthaltene Nebenbestimmung nicht nur den neuen Anspruch auf Kindergeld für T., sondern auch die bereits bestehenden Ansprüche für die beiden Töchter des Klägers regelte. Jedenfalls lagen mit Aufhebung des Entziehungsbescheides vom 22. Mai 1985 sowie des entsprechenden Widerspruchsbescheides rechtswirksame Kindergeldbewilligungen mit Dauerwirkung für alle drei Kinder vor. Bereits aus diesen folgte die Pflicht der Beklagten zur Weitergewährung der entzogenen Leistung.
Für eine darüber hinausgehende Leistungsklage fehlt das Rechtsschutzbedürfnis (Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 15. Oktober 1987, SozR 1300 § 45 Nr 32 S 100 mwN; BSG vom 15. Februar 1979, BSGE 48, 33 = SozR 4100 § 44 Nr 19; BSG vom 28. September 1961, SozR Nr 7 zu § 123 SGG). Auch Gesichtspunkte der Verfahrensvereinfachung sprechen nicht für die Annahme eines Rechtsschutzbedürfnisses für eine (unechte) Leistungsklage iS des § 54 Abs 4 SGG neben der Anfechtungsklage.
Anders als der Kläger meint, bietet ein Leistungsurteil keine bessere Vollstreckungsmöglichkeit als ein reines Aufhebungsurteil. Denn beide Urteilsarten bedürfen zur endgültigen Durchsetzung der daraus folgenden Ansprüche weiterer gerichtlicher Entscheidungen. Sozialgerichtliche Leistungsurteile - wie auch das vom SG erlassene - ergehen in aller Regel als Grundurteil (§ 130 SGG), aus welchem nicht entsprechend der Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫ (§ 198 Abs 1 SGG iVm § 882a ZPO - zB durch Gerichtsvollzieher) vollstreckt werden kann. Vielmehr kann insoweit - wenn überhaupt - allenfalls ein Beschluß entsprechend § 201 Abs 1 SGG erwirkt werden (so Bayerisches LSG vom 9. Dezember 1974, AmtlMitt LVA Rheinprovinz 1975, 178; aA - keine Vollstreckungsmöglichkeit - zB Heilemann, SGb 1994, 636, 637 mwN), also eine weitere gerichtliche Entscheidung, durch die unter Androhung eines Zwangsgeldes die Verwaltung zum Erlaß eines Bewilligungsbescheides angehalten wird. Eines solchen neuen Bewilligungsbescheides bedarf es jedoch nicht, wenn aufgrund einer Anfechtungsklage ein Entziehungsbescheid aufgehoben wurde - wie im Falle des Klägers. Zwar sind derartige Gestaltungsurteile von vornherein nicht vollstreckbar. Sie entfalten ihre Wirkung mit Rechtskraft der Entscheidung, ohne daß insoweit eine Vollstreckung möglich wäre (s Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1993, § 178 RdNr 3; BSG vom 23. Juli 1967, BSGE 27, 31, 33 = SozR Nr 3 zu § 199 SGG). Aus einer bindenden früheren Bewilligung kann jedoch (ebenso wie aus einem im Rahmen des § 201 SGG erzwungenen Bescheid) unmittelbar auf die hierin bezifferte Leistung geklagt werden, was erst zu einem entsprechend der ZPO durchsetzbaren Vollstreckungstitel nach § 199 Abs 1 Nr 1 SGG führt. Die hierzu zur Verfügung stehende (echte) Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG setzt keinen vorherigen Antrag bei der Verwaltung voraus, die Zahlung gemäß der Bewilligung fortzusetzen (BSG vom 27. März 1980, BSGE 50, 82, 83 = SozR 1500 § 54 Nr 40; vgl ferner BSG vom 12. Juli 1990, BSGE 67, 143, 145 = SozR 3-1200 § 52 Nr 1 mwN). Sie kann ggf auch mit dem Antrag auf Erlaß einer (ebenfalls nach § 199 Abs 1 Satz 1 SGG vollstreckbaren) einstweiligen Anordnung (hierzu Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1993, § 97 RdNrn 20 ff) verbunden werden.
(zu 2) Der Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 1986, der gem § 153 Abs 1 iVm § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist, ist an die Stelle des Bescheides vom 22. Mai 1985 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides) getreten. Die Beklagte hat den ursprünglichen Bescheid aufgehoben und in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG die Berufung zurückgenommen. Zutreffend hat das LSG daher über die Klage gegen den Bescheid vom 11. Dezember 1986 entschieden.
Der Bescheid vom 11. Dezember 1986 ist entgegen der Meinung des LSG nicht bereits deshalb rechtswidrig, weil er den Bescheid vom 22. Mai 1985 in Gestalt des Widerspruchsbescheides ersetzt hat und dieser rechtswidrig war. Dabei kann offenbleiben, ob jener Bescheid nach dem insoweit maßgeblichen Empfängerhorizont (vgl BSG vom 20. Juni 1962, BSGE 17, 124, 126 = SozR Nr 1 zu Art 2 § 1 AnVNG; BSG vom 1. März 1979, BSGE 48, 56, 59 = SozR 2200 § 368a Nr 5; BSG vom 31. Januar 1981, BSGE 49, 258, 261 = SozR 2200 § 1251 Nr 75 S 197; BSG vom 29. Juli 1984, SozR 2200 § 490 Nr 1) das Kindergeld wegen ursprünglicher Unrichtigkeit seiner Bewilligung entzogen oder - lediglich - einen Neuantrag des Klägers auf Kindergeld nach vorheriger Befristung seines Anspruchs bis einschließlich März 1985 abgelehnt hatte. Denn in beiden Fallkonstellationen war die Beklagte grundsätzlich befugt, diesen Bescheid aufzuheben und durch den Rücknahmebescheid vom 11. Dezember 1986 zu ersetzen, auch wenn dies während des sozialgerichtlichen Verfahrens über die Rechtmäßigkeit des ersten Bescheides geschah. War dieser ein - schlichter - "Ablehnungsbescheid", so ist nichts ersichtlich, was dessen Aufhebung und Ersetzung durch den Bescheid vom 11. Dezember 1986 entgegenstehen könnte. Im Ergebnis nichts anderes gilt, wenn jener Bescheid als "Rücknahmebescheid" zu verstehen ist, der nicht (nur) einen Neuantrag ablehnt, sondern über eine Entziehung des dem Kläger gewährten Kindergeldes aus dem Grunde entscheidet, daß ihm diese Leistung von Anfang an nicht hätte gewährt werden dürfen; als Rechtsgrundlage eines solchen Bescheides kommt nur § 45 SGB X in Betracht, der die Ausübung von Ermessen voraussetzt. Auch dann aber war - entgegen der Meinung des LSG - der Beklagten die Nachbesserung im Berufungsverfahren nicht von vornherein untersagt. Denn ein während des Gerichtsverfahrens erlassener Verwaltungsakt, der nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens wird, verstößt nicht gegen das Verbot, die Ermessensausübung nachzuholen, wenn er einen Verwaltungsakt ersetzt, der mangels Ermessensausübung rechtswidrig war (so der GrS in seinem im vorliegenden Verfahren ergangenen Beschluß vom 6. Oktober 1994 - GS 1/91).
Die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Entziehung des Kindergeldes ab Juni 1985 kann jedoch entweder deswegen rechtswidrig sein, weil dem Kläger das Kindergeld in der streitigen Zeit bis Dezember 1986 aus materiell-rechtlichen Gründen (nach § 1 Bundeskindergeldgesetz ≪BKGG≫) zustand (a), oder deswegen, weil seiner Entziehung verwaltungsverfahrensrechtliche Gründe - § 48 Abs 1 (b) bzw § 45 SGB X (c) - entgegenstanden.
(zu a) Im streitigen Zeitraum (Juni 1985 bis Dezember 1986) galt für die Kindergeldberechtigung von Ausländern noch § 1 Nr 1 BKGG idF der Bekanntmachung vom 1. Januar 1982 (BGBl I 13), ab 1. Januar 1986 gleichlautend § 1 Abs 1 Nr 1 BKGG idF des Gesetzes vom 27. Juni 1985 (BGBl I 1251). Eine neue Rechtslage ergab sich insoweit erst durch das 12. BKGG-ÄndG vom 30. Juni 1989 (BGBl I 1294) mit Wirkung am 8. Juli 1989 - ohne Rückwirkung - (hierzu BSG vom 8. Dezember 1993, SozR 3-5870 § 2 S 6). Diese Neufassung ist jedoch - ebenso wie die weiteren Neuregelungen durch das Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 3. Juli 1990 (BGBl I 1354) sowie das Erste Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 2353) - im vorliegenden Verfahren unerheblich. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 11. Dezember 1986 ist der seines Erlasses; spätere Änderungen der Rechts- und Sachlage spielen insoweit keine Rolle (s hierzu eingehend BSG vom 20. April 1993, SozR 3-1500 § 54 Nr 18 mwN).
Nach der hier noch anzuwendenden Regelung des § 1 (Abs 1) Nr 1 BKGG aber stand Kindergeld einem Ausländer dann zu, wenn er seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BKGG hatte. Hierzu hat der erkennende Senat folgende Grundsätze aufgestellt (vgl die Darstellung in BSG vom 15. Dezember 1992, SozR 3-5870 § 1 Nr 2 S 6 f mwN): Asylbewerber haben während der Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, in welchem über ihre Asylberechtigung entschieden wird, im Regelfall keinen entsprechenden gewöhnlichen Aufenthalt. Ausnahmsweise jedoch wird der tatsächliche Aufenthalt im Bundesgebiet dann zum gewöhnlichen Aufenthalt iS des § 30 Abs 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), wenn nach dem Ausländerrecht und der Handhabung der einschlägigen Ermessensvorschriften durch die deutschen Behörden davon auszugehen ist, daß der Ausländer nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer im Bundesgebiet bleiben kann. Dabei kommt es auf die voraussehbare Zukunft an. In der Zeit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Anerkennung als Asylberechtigter ist demgemäß darauf abzustellen, ob der Ausländer auch bei endgültiger Ablehnung seines Asylantrags voraussichtlich nicht abgeschoben wird. Dieser Beurteilungsmaßstab gilt folgerichtig auch nach einem für den Ausländer negativen Abschluß des Asylverfahrens weiter - beim Kläger also für die Zeit ab März 1986.
Auf der Grundlage seiner Rechtsansicht hat das LSG nicht geprüft, ob damit zu rechnen war, daß der Kläger auch über den Abschluß seines Asylverfahrens hinaus in der Bundesrepublik Deutschland würde bleiben dürfen. Wäre eine entsprechende Prognose im streitigen Zeitraum zu treffen gewesen, war die Kindergeldentziehung ab Juni 1985 durch den Bescheid vom 11. Dezember 1986 bereits aus diesem Grunde rechtswidrig.
(zu b) Rechtmäßig wäre jene Entscheidung hingegen, soweit dem Kläger nach den oben genannten Maßstäben nicht nur die Kindergeldberechtigung im streitigen Zeitraum fehlte, sondern sich die entsprechende Sachlage zwischen der jeweils maßgeblichen Kindergeldbewilligung (im Mai 1982 für L., im Mai 1983 für S., im Februar 1985 für T.) und dem Erlaß des Entziehungsbescheides vom 11. Dezember 1986 (nachträglich) geändert hätte - etwa durch eine veränderte Abschiebepraxis in Baden-Württemberg hinsichtlich Palästinensern jordanischer Staatsangehörigkeit. Hätte eine veränderte Sachlage zu einer (gegenüber den Verhältnissen im jeweiligen Bewilligungszeitpunkt) veränderten, für den Kläger nunmehr ungünstigen Prognoseentscheidung geführt, also zu einem Verlust des gewöhnlichen Aufenthalts iS der obigen Rechtsprechung, könnte eine Aufhebung der Kindergeldbewilligung insoweit auf § 48 Abs 1 SGB X gestützt werden.
Auf diesem Wege wäre jedoch zunächst nur eine Kindergeldentziehung (für die Zukunft) mit Wirkung ab Januar 1987 möglich. Denn für eine Entziehung dieser Leistung mit Wirkung für die Vergangenheit müssen die zusätzlichen Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X erfüllt sein, wobei hier allenfalls die Nr 4 der genannten Vorschrift (Bösgläubigkeit hinsichtlich des Anspruchswegfalls) in Betracht kommt. Eine Entziehung des Kindergeldes mit Wirkung für die Vergangenheit ist dann (erst) mit dem Eintritt der Bösgläubigkeit möglich. Da es sich insoweit um eine "Soll"-Vorschrift handelt, steht der Beklagten ein Ermessen nur dann zu, wenn beim Kläger ein "atypischer Fall" vorliegt (st Rspr des BSG seit dem Urteil des Senats vom 29. März 1984, SozR 5870 § 2 Nr 30; vgl aus neuerer Zeit BSG vom 29. Juni 1994 - 1 RK 45/93, demnächst in SozR 3-1300 § 48 Nr 33 mwN).
Für die Abgrenzung zwischen der Wirkung der Aufhebung der Kindergeldbewilligungen mit Wirkung (lediglich) für die Zukunft (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB X) einerseits und mit Wirkung (auch) für die Vergangenheit (§ 48 Abs 1 Satz 2 SGB X) andererseits kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte die Zahlung von Kindergeld an den Kläger bereits zu einem Zeitpunkt vor Bescheiderlaß (hier, soweit ersichtlich: mit dem Monat März 1985) eingestellt hatte. Denn mit Wirkung für die Zukunft wird ein Verwaltungsakt nur dann aufgehoben, wenn die Wirkung des Aufhebungsbescheides (hier: die Leistungsentziehung) frühestens mit dem Tage seiner Bekanntgabe einsetzt (BSG vom 24. Februar 1987, BSGE 61, 189 = SozR 1300 § 48 Nr 31; BSG vom 9. Juni 1988, SozR 2200 § 1255a Nr 19 S 56). Jede davon abweichende Rückwirkung (auch zB ab einer "vorsorglichen" Zahlungseinstellung vor Erlaß des Aufhebungsbescheides) unterliegt den strengeren Voraussetzungen einer Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit (vgl auch das Urteil des Senats vom 29. Oktober 1992, SozR 3-5870 § 3 Nr 3 S 10).
Für den im Rahmen des § 48 Abs 1 SGB X anzustellenden Vergleich zwischen den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Verwaltungsakts zu denen im Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheides ist im vorliegenden Fall eine getrennte Betrachtung für jedes Kind des Klägers geboten. Denn diesem ist das Kindergeld in jeweils getrennten, zu unterschiedlichen Zeitpunkten ergangenen, Bescheiden bewilligt worden. Hierauf aber ist für die Aufhebung jener Bewilligungen abzustellen. Dies gilt schon deshalb, weil für mehrere Kinder kein einheitlicher Kindergeldanspruch besteht, der sich durch das Hinzutreten weiterer Kinder erhöht; vielmehr steht dem Kindergeldberechtigten für jedes einzelne berücksichtigungsfähige Kind ein getrennter Kindergeldanspruch zu (s BSG vom 22. September 1993, SozR 3-5870 § 2 Nr 21 S 66). Daß auch die ursprünglichen Bewilligungsbescheide für L. und S. nach Ablauf der "Befristung" im Bescheid vom 8. Februar 1985 fortgalten, ist bereits oben (zu 1) näher erläutert.
Erwiese sich eine Aufhebung der Kindergeldbewilligung nach § 48 Abs 1 SGB X als rechtmäßig, so wäre unschädlich, daß sich der Bescheid vom 11. Dezember 1986 auf § 45 (und nicht auf § 48 Abs 1) SGB X stützt. Denn insoweit ist eine Umdeutung (§ 43 SGB X) in der Regel zulässig (s BSG vom 10. Februar 1993, SozR 3-3660 § 1 Nr 1 S 3 f mwN). Unschädlich wäre auch, daß der Bescheid vom 11. Dezember 1986 nicht näher kennzeichnet, welche Kindergeldbewilligungen er aufhebt (bzw zurücknimmt); es reicht, daß aus ihm der Wille erkennbar wird, das Kindergeld insgesamt zu entziehen (vgl BSG vom 11. Dezember 1992, BSGE 72, 1, 2 = SozR 3-1300 § 48 Nr 22).
(zu c) Hätte dagegen bereits zu den jeweiligen Bewilligungszeitpunkten die Prognoseentscheidung über das Verweilen des Klägers im Bundesgebiet zu seinen Ungunsten ausfallen müssen, richtet sich die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 11. Dezember 1986 - insoweit - nach § 45 SGB X. Denn dann wäre die Bewilligung von Kindergeld von Anfang an unrichtig gewesen.
Auch in diesem Zusammenhang sind die Beurteilungsmaßstäbe unterschiedlich, soweit die Rücknahme nur mit Wirkung für die Zukunft oder soweit sie auch mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgt.
Sollte sich die Bewilligung von Kindergeld für den streitigen Zeitraum nach den oben genannten Maßstäben als rechtswidrig erweisen, so erscheint von den Voraussetzungen für eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit vor allem problematisch, ob die Beklagte die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X eingehalten hat und ob der Kläger iS des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X bösgläubig war.
Die Ein-Jahres-Frist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X hat die Beklagte nicht schon deshalb versäumt, weil sie bereits länger als ein Jahr vor Bekanntgabe des Entziehungsbescheides vom 11. Dezember 1986 von dem Umstand erfahren hatte, daß der Kläger Asylbewerber ist. Denn die Kenntnis iS der genannten Vorschriften hat sich nicht nur auf die Tatsachen zu erstrecken, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des früheren Verwaltungsakts ergibt, sondern auch auf die Tatsachen, welche die übrigen Rücknahmevoraussetzungen begründen (BSG vom 15. Februar 1990 und 21. März 1990, SozR 3-1300 § 45 Nrn 1, 2; jeweils mwN), zB die Bösgläubigkeit. Der Senat kann beim gegenwärtigen Streitstand offenlassen, inwieweit dies auch hinsichtlich der Tatsachen für die Ermessensausübung gilt. Jedenfalls wäre unerheblich, ob die Behörde weniger als ein Jahr vor Erlaß des Rücknahmebescheides noch einmal ermittelt hat, wenn nicht ersichtlich wäre, inwieweit die dabei bekanntgewordenen Tatsachen das Ermessen beeinflußt haben (BSG vom 11. September 1991 - 5 RJ 25/90). Im vorliegenden Fall ist daher zu prüfen, ob der Beklagten Tatsachen, die sie ihrem Rücknahmebescheid vom 11. Dezember 1986 zugrunde gelegt hat, erst in dem seiner Bekanntgabe vorangehenden Jahr bekannt geworden sind.
Der Lauf der Jahresfrist nach § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X wird nicht durch den Erlaß des - später wieder aufgehobenen - Bescheides vom 22. Mai 1985 beeinflußt. Hierbei handelte es sich um einen (Rücknahme-)Bescheid, den die Beklagte wegen eines Rechtsanwendungsfehlers aufgehoben hat. Ein solcher hemmt oder unterbricht die hier streitige Frist nicht (so unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung ≪BSG, 11. Senat, vom 26. August 1987, BSGE 62, 103, 108 = SozR 1300 § 48 Nr 39≫ nunmehr BSG, 11. Senat, vom 27. Juli 1989, BSGE 65, 221, 223 f = SozR 1300 § 45 Nr 45 sowie BSG, 7. Senat, vom 15. Februar 1990, BSGE 66, 204, 208 f = SozR 3-1300 § 45 Nr 1 S 6 und BSG vom 11. September 1991 - 5 RJ 25/90). Dieser Auffassung ist auch der erkennende Senat.
Eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit setzt ferner voraus, daß der Berechtigte entweder iS des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X unlauter war oder ein Wiederaufnahmegrund nach § 45 Abs 3 Satz 2 SGB X vorliegt (§ 45 Abs 4 Satz 1 SGB X). Insoweit dürfte vermutlich allenfalls eine Bösgläubigkeit iS des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X in Betracht kommen. Hiernach kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
Die Bösgläubigkeit muß im Zeitpunkt der Bekanntgabe des früheren, zurückzunehmenden Bescheides vorgelegen haben (so zB auch Schneider-Danwitz in: SGB-SozVers-GesamtKomm, § 45 SGB X, Anm 57a - Stand: Oktober 1985 -; ausführlich Kunze, DAngVers 1989, 264, 269 f unter 5.3.2). Für eine solche Auslegung sprechen Wortlaut ("kannte") und Sinn der Vorschrift, wie ein Vergleich mit § 45 Abs 2 Satz 3 Nrn 1 und 2 SGB X zeigt, wonach schwerere Verstöße sogar dem Erlaß des begünstigenden Verwaltungsaktes vorausgegangen sein müßten. Hier ist deshalb - anders als im Rahmen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X (s ≪zu b≫) - insbesondere unerheblich, ob die Behörde den Begünstigten durch einen späteren Hinweis - zB im Rahmen des Anhörungsverfahrens - von der Rechtswidrigkeit in Kenntnis gesetzt hat. Denn anderenfalls könnte die Verwaltung stets den Vertrauensschutz aufgrund der Abwägung nach § 45 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB X ausschalten. Zu Unrecht stellt daher der Bescheid vom 11. Dezember 1986 - augenscheinlich - auf eine Bösgläubigkeit des Klägers aufgrund des (von der Beklagten später aufgehobenen) Bescheides vom 22. Mai 1985 ab. In gleicher Weise kann im vorliegenden Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob und inwieweit der Kläger in der Folgezeit darüber aufgeklärt worden ist, daß ihm als Asylbewerber - möglicherweise (siehe die Ausführungen oben ≪zu a≫) - kein Kindergeld zustand.
Erst unter der Voraussetzung, daß die noch zu ermittelnden Umstände sämtliche, ua die eben aufgeführten, Voraussetzungen für eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit erfüllen, kann es dann noch darauf ankommen, inwieweit die Beklagte ihr Ermessen richtig ausgeübt hat. Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf Null könnten sich allenfalls aus dem Ausmaß der Unlauterkeit bzw Bösgläubigkeit nach § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 und 3 SGB X ergeben (zum Urteil des 4. Senats des BSG vom 25. Januar 1994, SozR 3-1300 § 50 Nr 16 s eingehend die zur Veröffentlichung bestimmte Entscheidung des 8. Senats des BSG vom 24. Januar 1995 - 8 RKn 11/93 -).
Sollte sich herausstellen, daß eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit scheitert, so bleibt zu prüfen, ob der dann insoweit fehlerhafte Rücknahmebescheid vom 11. Dezember 1986 nicht zumindest die Voraussetzungen für eine Rücknahme mit Wirkung nur für die Zukunft erfüllt. Einer solchen Rücknahme (auch für L. und S.) steht nicht bereits die Zwei-Jahres-Frist des § 45 Abs 3 Satz 1 SGB X entgegen; diese Vorschrift ist im Rahmen des Kindergeldrechts nicht anzuwenden (§ 20 Abs 4 BKGG).
Auch für eine Rücknahme mit Wirkung lediglich für die Zukunft ist erheblich, ob der Kläger bei der jeweiligen Bewilligung des Kindergeldes im oben erläuterten Sinne bösgläubig (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X) war. Sollte dies nicht der Fall gewesen sein, setzt die Rücknahme der Kindergeldbewilligung die Interessenabwägung nach § 45 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB X voraus. Soweit der Kläger hinsichtlich der Weiterzahlung des Kindergeldes auch über Dezember 1986 hinaus ein schutzwürdiges Vertrauen iS des § 45 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB X hat, scheidet eine Rücknahme dann von vornherein aus. Soweit ihm jedoch ein schutzwürdiges Vertrauen nicht zur Seite steht, bleibt zu prüfen, ob die Beklagte das ihr dann zustehende Ermessen im Bescheid vom 11. Dezember 1986 richtig ausgeübt hat.
Aufgrund der Zurückverweisung wird das LSG nach alledem zu prüfen haben, ob sich der Bescheid vom 11. Dezember 1986 auf § 48 Abs 1 oder § 45 SGB X stützen kann. Eine zwingende Prüfungsreihenfolge hinsichtlich der jeweiligen Tatbestandsmerkmale kann insoweit nicht vorgegeben werden. Zwar würde eine Entziehung des Kindergeldes jedenfalls dann scheitern, wenn der Kläger im streitigen Zeitraum materiell kindergeldberechtigt war; dies kann jedoch dann offenbleiben, wenn jedenfalls die Voraussetzungen für eine Aufhebung bzw Rücknahme der Kindergeldbewilligungen nicht vorlagen.
Die Entscheidung über die Kosten - hierin eingeschlossen auch die Kosten des Revisionsverfahrens - bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 1049485 |
Breith. 1995, 988 |