Entscheidungsstichwort (Thema)
Witwenabfindung. Witwerabfindung. Rentenabfindung. Einbehaltung. Abfindungszeitraum. Wiederaufleben. Witwenrente. Witwerrente. Rentenantrag. Aufschieben. Hinauszögern. Verspätung. neues Recht. altes Recht. Übergangsregelung
Leitsatz (amtlich)
1. Hat die Berechtigte infolge der Auflösung der letzten Ehe anrechenbare Ansprüche, die niedriger sind als die wiederaufgelebte Witwenrente nach dem vorletzten Ehegatten, ist der auf die Zeit ab Auflösung der zweiten Ehe entfallende Teil der Rentenabfindung auch dann von der wiederaufgelebten Witwenrente einzubehalten, wenn der Antrag auf diese Rente nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt gestellt wurde (Abgrenzung zu BSGE 66, 300 = SozR 3-2200 § 1291 Nr. 2).
2. Nur wenn infolge verspäteter Rentenantragstellung die Zahlung der wiederaufgelebten Witwenrente nach dem 31.12.1991 beginnt, mindert sich die einzubehaltende Rentenabfindung um den Zahlbetrag, der bei frühestmöglicher Antragstellung an Witwenrente nach vorletzten Ehegatten zugestanden hätte.
Normenkette
RKG § 83 Abs. 3; RVO § 1291 Abs. 2; SGB VI § 90 Abs. 2, § 300 Abs. 1-2
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 15.07.1993; Aktenzeichen L 2 Kn 3/93) |
SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 13.11.1992; Aktenzeichen S 6 (2) Kn 6/92) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. Juli 1993 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist der Ausführungsbescheid eines sozialgerichtlichen Vergleichs. Die Beklagte hatte sich verpflichtet, der Klägerin nach den rechtskräftigen Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) in den Streitsachen 5/4a RJ 51/87 und 5/4a RJ 13/86 erneut einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des BSG zu erteilen.
Bis April 1977 hatte die Klägerin Witwenrente aus der Versicherung ihres zweiten Ehemannes J. I. in Höhe von zuletzt monatlich 1.198,60 DM erhalten. Aus Anlaß der am 19. April 1977 erfolgten Eheschließung mit dem ebenfalls bei der Beklagten versicherten F. K. erhielt sie eine Abfindung in Höhe von 71.916,– DM, dem fünffachen Jahresbetrag der bisher bezogenen Witwenrente. F. K. verstarb am 26. Mai 1977. Die Klägerin bezog aus dessen Versicherung Witwenrente, und zwar zunächst in Höhe von monatlich 1.980,80 DM für die Monate Juni bis August 1977 und ab dem 1. September 1977 in Höhe von monatlich 1.188,50 DM. Damals hätte die Witwenrente aus der Versicherung des Herrn I. 1.318,70 DM betragen.
Auf Antrag vom 28. September 1987 erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 27. April 1988 den Anspruch auf wiederaufgelebte Witwenrente aus der Versicherung des J. I. mit Wirkung ab 1. September 1987 in Höhe von monatlich 175,96 DM an, lehnte aber eine Rentenzahlung bis zu dem Zeitpunkt ab, in dem der auf die Zeit vom 1. September 1977 bis 30. April 1982 entfallende Anteil der Witwenrentenabfindung in Höhe von 67.121,60 DM zurückgezahlt sei. Der deswegen entstandene Rechtsstreit endete mit dem bereits erwähnten gerichtlichen Vergleich vom 9. Dezember 1988.
Mit Bescheid vom 16. Juli 1991 hielt die Beklagte nach Auswertung des Urteils des BSG vom 25. April 1990 – 5/4a RJ 51/87 – (BSGE 66, 300 = SozR 3-2200 § 1291 Nr. 2) am Bescheid vom 27. April 1988 fest. Die wiederaufgelebte Witwenrente könne nach wie vor nicht ausgezahlt werden. Von September 1987 bis Juli 1991 sei Witwenrente in Höhe von 8.657,26 DM einbehalten worden; die verbleibende Überzahlung betrage 58.463,34 DM. Der dagegen erhobene Widerspruch war erfolglos. Die Beklagte meinte, das Urteil des 5. Senats des BSG vom 25. April 1990 betreffe einen anderen Fall.
Das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen hat mit Urteil vom 13. November 1992 die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, den Bescheid vom 27. April 1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. August 1988 zurückzunehmen und der Klägerin ab dem 1. September 1987 wiederaufgelebte Witwenrente aus der Versicherung des J. I. ohne Einbehaltung der im Jahre 1977 gezahlten Witwenrentenabfindung zu gewähren. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 15. Juli 1993 das Urteil des SG „geändert” und die Klage abgewiesen. Nach Auffassung des LSG ist § 83 Abs. 3 Satz 4 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) so auszulegen, daß eine Abfindung auch dann „für die Zeit nach Wiederaufleben des Anspruchs auf Rente” gewährt ist, wenn innerhalb des „Abfindungszeitraums” die wiederaufgelebte Rente nicht beansprucht wird; es komme auf das Wiederaufleben des Stammrechts und nicht auf den antragsabhängigen Beginn des Anspruchs auf Zahlung an. Die entgegenstehende Auffassung des 5. Senats des BSG sei abzulehnen.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin.
Sie rügt die Verletzung des § 83 RKG. Da der Anspruchsbeginn der wiederaufgelebten Witwenrente außerhalb des der Abfindung zugrunde gelegten Fünfjahreszeitraumes liege, könne weder von ihrer Doppelversorgung noch von einer Doppelbelastung der Versicherungsgemeinschaft die Rede sein. Das LSG könne sich nicht auf den 12. und den 1. Senat des BSG berufen, denn der 12. Senat sei für die hier interessierende Fragestellung nicht mehr zuständig und der 1. Senat habe im Beschluß vom 19. April 1990 – 1 S 1/87 – deutlich gemacht, daß er an seiner entgegenstehenden Auffassung nicht mehr festhalte.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. Juli 1993 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 13. November 1992 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Die form- und fristgerecht eingelegte Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, in Ausführung des am 9. Dezember 1988 vor dem SG Gelsenkirchen im Verfahren S 3 Kn 63/88 geschlossenen gerichtlichen Vergleichs den bestandskräftigen Bescheid vom 27. April 1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. August 1988 abzuändern und ab 1. September 1987 Witwenrente aus der Versicherung des Herrn I. ohne die Anrechnung des auf die Zeit vom 1. September 1977 bis 30. April 1982 entfallenden Anteils der Witwenrentenabfindung in Höhe von 67.121,60 DM zu zahlen.
Der Anspruch der Klägerin ergibt sich nicht unmittelbar aus dem gerichtlichen Vergleich vom 9. Dezember 1988. Hier hatte sich die Beklagte verpflichtet, „der Klägerin nach den rechtskräftigen Entscheidungen des BSG in den Streitsachen 5/4a RJ 51/87 und 5/4a RJ 13/86 erneut einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des BSG zu erteilen”.
Die Vorinstanzen haben sich mit dem Inhalt des gerichtlichen Vergleichs vom 9. Dezember 1988 nicht auseinandergesetzt, so daß das Revisionsgericht diesen selbst auslegen kann. In Betracht kommt einerseits ein Überprüfungsvergleich, der den Rechtsstreit nicht erledigt, sondern lediglich in ein späteres Verfahren verlagert. Andererseits muß aber auch an einen Unterwerfungsvergleich gedacht werden, der in einem Verfahren nach dem SGG zulässig ist (vgl BSG vom 17. Mai 1989, SozR 1500 § 101 Nr. 8). In diesem Falle wäre die Beklagte bei der zugesagten Neubescheidung an den materiellen Ausgang des Musterverfahrens gebunden. Welche der beiden Auslegungsvarianten zutrifft, kann jedoch dahingestellt bleiben, weil in beiden Revisionsverfahren der 5. Senat des BSG über einen Fall wie den vorliegenden nicht zu entscheiden hatte.
Das Verfahren 5/4a RJ 13/86 endete ohne Urteil durch Rücknahme der Sprungrevision in der mündlichen Verhandlung am 26. Juni 1990. Im Verfahren 5/4a RJ 51/87 erging das Urteil des 5. Senats vom 25. April 1990 (BSGE 66, 300 = SozR 3-2200 § 1291 Nr. 2). Diesem Urteil ist für die vorliegende Fallkonstellation jedoch keine „Rechtsauffassung des BSG” zu entnehmen, der sich die Beklagte unterworfen haben könnte. Der 5. Senat hielt die Einbehaltung der Witwenabfindung, gestützt auf § 1291 Abs. 2 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) (gleichlautend § 83 Abs. 3 Satz 4 RKG idF des Hinterbliebenen- und Erziehungszeitengesetzes (HEZG) vom 11. Juli 1985 ≪BGBl I S 1450≫), bei einer „verspäteten” Rentenantragstellung jedenfalls dann für rechtswidrig, wenn die Berechtigte infolge der Auflösung der letzten Ehe keinen anrechenbaren Anspruch hat, der niedriger ist als, die wiederaufgelebte Witwenrente. Nur wenn infolge der Auflösung der zweiten Ehe solche Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenansprüche bestehen, sei eine Doppelbelastung der Versichertengemeinschaft, deren Vermeidung der ausschließliche Zweck der Regelung des § 1291 Abs. 2 Satz 2 RVO aF sei, überhaupt denkbar (BSGE 66, 300, 304). Die Klägerin des damaligen Verfahrens hatte aber nach der Scheidung ihrer letzten Ehe keinen derartigen Anspruch. Der 5. Senat ließ deshalb die Rechtsfrage, ob durch das Hinauszögern des Antrags auf Zahlung der wiederaufgelebten Witwenrente die Anrechnung der Abfindung in diesen Fällen (Wiederaufleben der Witwenrente nur als „Aufstockung” der Versorgung nach dem letzten Ehemann) ganz oder zum Teil vermieden werden könne, unbeantwortet. Er konnte darüber auch nicht entscheiden, weil der 1. Senat seine in den Urteilen vom 15. März und 5. Juli 1978 (BSG SozR 2200 § 1291 Nrn 15 und 17) vertretene Rechtsauffassung mit den Beschlüssen vom 22. Juli 1987 und 19. April 1990 (1 S 1/87) für diese Fallkonstellation nicht aufgegeben hatte und deshalb insoweit eine Entscheidung des Großen Senats des BSG erforderlich gewesen wäre. Im übrigen hatte bereits der 4a Senat im Antragebeschluß an den 1. Senat vom 18. Dezember 1986 (4a RJ 13/86) diese Variante ausgeklammert. Und auch der 5. Senat hatte im Vorlagebeschluß an den Großen Senat vom 13. Juli 1988 (5/4a RJ 13/86) „keine Bedenken, für diesen Fall die Rechtsprechung des 1. Senats unter dem Aspekt des Mißbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten wegen der dann tatsächlich vorliegenden Doppelbelastung der Versichertengemeinschaft beizubehalten”.
Der Bescheid der Beklagten vom 24. April 1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. August 1988 ist rechtmäßig und deshalb weder aufgrund der Überprüfungszusage im gerichtlichen Vergleich vom 9. Dezember 1988 noch nach § 44 Abs. 1 bzw § 48 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) für die Vergangenheit oder die Zukunft zurückzunehmen.
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG richtet sich der Anspruch auf Gewährung wiederaufgelebter Witwenrente nach dem zur Zeit der Auflösung der letzten Ehe maßgeblichen Recht (vgl BSG vom 24. April 1980, SozR 2200 § 1291 Nr. 20 mwN). Der Versicherte F. K. ist am 26. Mai 1977 verstorben.
Nach § 83 Abs. 3 Satz 2 RKG idF des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I S 1965) ist eine bei Wiederverheiratung gezahlte Abfindung in angemessenen monatlichen Teilbeträgen einzubehalten, soweit sie für die Zeit nach Wiederaufleben des Anspruchs auf Rente gewährt ist. Der Anspruch lebt nach § 83 Abs. 3 Satz 1 1. Halbsatz RKG idF des RRG vom Ablauf des Monats, in dem die Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist, wieder auf, wenn der Antrag spätestens 12 Monate nach Auflösung oder Nichtigkeitserklärung der Ehe gestellt ist (gleichlautend § 1291 Abs. 2 Satz 1 und 2 RVO idF des ArVNG vom 23. Februar 1957 ≪BGBl I S 45 ≫ und des Art. 1 § 1 Nr. 20 RRG vom 16. Oktober 1972 ≪BGBl I S 1965≫). Die Neufassung durch das HEZG vom 11. Juli 1985 (BGBl I S 1450), in Kraft ab 1. Januar 1986 und gültig bis zum 31. Dezember 1991, führte in den hier interessierenden Teilen zu keiner inhaltlichen Änderung (der bisherige § 83 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz wurde Bestandteil des neu gefaßten Satz 2; Satz 3 wurde neu eingefügt; der bisherige Satz 2 wurde unverändert zum Satz 4).
Der Senat schließt sich – eingeschränkt auf die Fälle, in denen Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenansprüche aus der letzten Ehe bestehen, jedoch niedriger sind als die wiederaufgelebte Witwenrente – im Ergebnis der bisherigen Rechtsprechung des 1. und 12. Senats des BSG an (BSG vom 18. September 1973, SozR § 1291 Nr. 36; BSG vom 15. März 1978, SozR 2200 § 1291 Nr. 15; BSG vom 5. Juli 1978, SozR 2200 § 1291 Nr. 17) an. Bei der Auslegung des Begriffs „Wiederaufleben des Anspruchs” ist nicht auf den tatsächlichen Beginn der Rentenleistungen abzustellen, der vom Rentenantrag abhängt, sondern auf den Tag, von dem an der Rentenantrag hätte gestellt werden können. Dieser ist identisch mit dem Tag des Wiederauflebens des „Stammrechts”, dh dem Tag nach dem Tode des letzten Ehegatten.
Der 5. Senat des BSG hat im Urteil vom 25. April 1990 (BSGE 66, 300 = SozR 3-2200 § 1291 Nr. 2) mit einer überzeugenden Argumentation dargelegt, daß es alleiniger Sinn und Zweck des Rechtsinstituts des „Einbehaltens” bei Zusammentreffen von Abfindung und wiederaufgelebter Witwenrente ist, eine Doppelbelastung der Versichertengemeinschaft bzw Doppelversorgung der Witwe zu vermeiden, dh, es soll nicht für den gleichen Zeitraum Abfindung und Rente gezahlt werden.
Eine solche Doppelbelastung der Versichertengemeinschaft bzw Doppelversorgung der Witwe liegt hier vor. Zwar wurden im „Abfindungszeitraum” von fünf Jahren keine Rentenleistungen aus diesem Versicherungsverhältnis erbracht. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist die gezahlte Abfindung weder eine Kapitalabfindung der Rente noch eine Rentenvorauszahlung für den „Abfindungszeitraum”. Sie ist vielmehr eine Leistung besonderer Art, deren Zweck, Rentenkonkubinate zu beenden und eine „Starthilfe” für die neue Ehe zu gewähren, mit der zweiten Eheschließung erreicht ist. Gleichwohl liegt hier eine Doppelbelastung der Versichertengemeinschaft in ihrer Gesamtheit vor, denn die Klägerin hat seit dem 1. Juni 1977 Witwenrente nach dem Versicherten K. bezogen und zusätzlich die Witwenrentenabfindung in Höhe von 71.916,– DM erhalten. Eine Witwe, die keinerlei Ansprüche aus der zweiten Ehe hat (Unterhalts-, Versorgungs- und Rentenansprüche) bereichert weder sich selbst noch entreichert sie die Versichertengemeinschaft, wenn sie den Antrag auf Wiederaufleben der Witwenrente nach dem verletzten Ehemann nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt stellt. Denn der einzubehaltende Teil der Abfindung entspricht hinsichtlich Fälligkeit und Höhe höchstens der fiktiven wiederaufgelebten Rente, auf die durch die hinausgeschobene Antragstellung verzichtet wird. Der zusätzliche Nutzen aus dem Kapital wird in den meisten Fällen durch den Verzicht auf die Rentenanpassungen ausgeglichen. Ein solcher Fall lag der Entscheidung des 5. Senats vom 25. April 1990 (BSGE 66, 300 = SozR 3-2200 § 1291 Nr. 2) zugrunde.
Anders ist die Belastung der Versichertengemeinschaft (bzw die damit einhergehende Begünstigung der Witwe), wenn aus der zweiten Ehe Unterhalts-, Versorgungs- und Rentenansprüche bestehen, die niedriger sind als die Witwenrente nach dem vorletzten Ehemann und wegen der Anrechnung dazu führen, daß die wiederaufgelebte Witwenrente nur zu einem Teil ausgezahlt wird. Hier besteht hinsichtlich Höhe und Fälligkeit keine Identität des Zahlbetrags der wiederaufgelebten Witwenrente und des Teils der Abfindung, der nach Auflösung der zweiten Ehe und frühestmöglicher Antragstellung von der wiederaufgelebten Rente einzubehalten werden könnte. Selbst wenn der gesamte wiederaufgelebte Zahlbetrag der Witwenrente einbehalten würde, wäre der „Einbehaltungszeitraum” immer länger als der verbleibende „Abfindungszeitraum” nach Auflösung der zweiten Ehe (vgl Schimanski/Emmerich/Warode/Lueg, Komm Knappschaftsversicherung, Stand Februar 1991, Anm 8 zu § 83 RKG; BSG vom 24. Februar 1967, BSGE 26, 114 = SozR Nr. 18 zu § 1291 RVO). In diesen Fällen könnte durch manipulatives Hinausschieben der Antragstellung auf die Zeit nach Ablauf des „Abfindungszeitraums” die Einbehaltung der Abfindung umgangen werden, wenn lediglich auf den antragsabhängigen Zahlbeginn der wiederaufgelebten Witwenrente abgestellt wird (vgl BSG Urteil vom 15. März 1978, SozR 2200 § 1291 Nr. 15). In dieser Weise könnten sich überdies nur gut versorgte Witwen verhalten, andere jedoch, die auf die wiederaufgelebte Witwenrente zur Bestreitung des Lebensunterhalts angewiesen sind, wären gezwungen, den Rentenantrag zu stellen. Nur sie wären damit belastet, daß die auf die Zeit nach Auflösung der zweiten Ehe entfallende Abfindung von der laufenden wiederaufgelebten Witwenrente einbehalten wird.
Die Witwe, die einen (Zahl-)Anspruch auf eine Witwenrente nach dem vorletzten Ehemann hat, weil ihre Unterhalts-, Versorgungs- und Rentenansprüche nach dem letzten Ehemann niedriger sind, hatte deshalb nach § 83 Abs. 3 RKG aF (entsprechend § 1291 Abs. 2 RVO aF) ein Wahlrecht. Sie konnte entweder auf Dauer auf die wiederaufgelebte Witwenrente nach dem vorletzten Ehemann verzichten, indem sie keinen Antrag stellt. Dies konnte durchaus wirtschaftlich sein, zB wenn die Kapitalerträge aus der Abfindung höher sind als der Unterschiedsbetrag zwischen der Witwenrente nach dem letzten und vorletzten Ehemann. Sie konnte aber auch zu einem beliebigen Zeitpunkt Antrag auf die wiederaufgelebte Witwenrente stellen, mußte sich dann aber hinsichtlich der Einbehaltung der Abfindung so behandeln lassen, als hätte sie zum frühestmöglichen Zeitpunkt den Antrag auf die Rente nach dem vorletzten Ehemann gestellt. Die in Teilbeträgen einzubehaltende Abfindung mindert sich dabei nicht um die fiktive wiederaufgelebte Witwenrente, die bei rechtzeitiger Rentenantragstellung zu zahlen gewesen wäre. Eine solche Anrechnung sieht § 83 Abs. 2 RKG aF nicht vor (vgl BSG vom 5. Juli 1978, SozR 2200 § 1291 Nr. 17).
Wie bereits ausgeführt, weicht der Senat nicht von der – in den Verfahren 5/4a RJ 13/86 und 5/4a RJ 51/87 harmonisierten – Rechtsansicht des 1., 4, und 5. Senats des BSG ab. Eine Antrage bei diesen Senaten oder ggfs eine Vorlage an den Großen Senat des BSG erübrigt sich deshalb.
Das gefundene Ergebnis entspricht weitgehend der für Fälle des Wiederauflebens einer Witwen- und Witwerrente ab 1. Januar 1992 geltenden Regelung des § 90 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Der Fall einer verspäteten Rentenantragstellung ist nunmehr ausdrücklich geregelt. Ein Rentenantrag, der nach Ablauf des fiktiven „Abfindungszeitraums” gestellt wird, hindert grundsätzlich nicht daran, die auf die Zeit nach Auflösung der letzten Ehe (fiktiv) entfallende Rentenabfindung in angemessenen Teilbeträgen einzubehalten. Es kommt also im Sinne der früheren Rechtsprechung des 1. Senats und 12. Senats auf die Entstehung des antragsunabhängigen „Rentenstammrechts” an. Allerdings mindert sich die einzubehaltende Rentenabfindung um den Betrag, der dem Berechtigten bei frühestmöglicher Antragstellung auf Witwenrente oder Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten zugestanden hätte. Der der Entscheidung des BSG 5. Senat vom 25. April 1990 (BSGE 66, 300 = SozR 3-2200 § 1291 Nr. 2) zugrundeliegende Fall (keine Unterhalts-, Versorgungs- und Rentenansprüche aus der letzten Ehe) wird damit nach § 90 SGB VI im Ergebnis in gleicher Weise gelöst. Im vorliegenden Falle würde die Anwendung der Regelung des § 90 Abs. 2 Satz 2 SGB VI aber bedeuten, daß zwar die auf die Zeit nach Auflösung der letzten Ehe entfallende Abfindung (67.121,60 DM) in Teilbeträgen einbehalten wird, jedoch – im Gegensatz zum Rechtszustand nach § 83 RKG (§ 181 RVO) – eine fiktive Witwenrente nach dem vorletzten Ehemann aus der Zeit vom 1. September 1977 bis 31. August 1987 (nach den Feststellungen des LSG zwischen 130.20 DM und 175,96 DM monatlich, insgesamt ca 18.300,– DM) die einzubehaltende Abfindung vorab mindert. Damit würde sich an der wirtschaftlichen Situation der Klägerin nur bei ungewöhnlich hoher Lebenserwartung etwas ändern.
Diese neue Regelung gilt nur bei Erstfeststellung einer wiederaufgelebten Witwen- und Witwerrente mit Zahlungsbeginn nach dem 31. Dezember 1991, vgl § 300 Abs. 1 SGB VI. Im vorliegenden Falle wird bereits seit 1. September 1987 die wiederaufgelebte Witwenrente gezahlt, wenn auch in voller Höhe einbehalten. Das neue Recht kann nicht auf die „Altfälle” übertragen werden. Nach den Gesetzesmaterialien (Begründung des mit § 90 SGB VI wortgleichen § 89 des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP, BT-Drucks 11/4124, S 174), ging der Gesetzgeber davon aus, daß nur § 90 Abs. 2 Satz 1 SGB VI dem bisherigen Recht (einschließlich der dazu ergangenen Rechtsprechung) entspricht. Die in den Materialien ausdrücklich als „ergänzend” bezeichnete Regelung des § 90 Abs. 2 Satz 2 SGB VI kann nicht (im Sinne einer authentischen Interpretation der früheren Rechtslage) auf die Fälle mit Zahlungsbeginn bis zum 31. Dezember 1991 übertragen werden. Der Gesetzgeber hat § 90 Abs. 2 Satz 2 SGB VI nicht rückwirkend in Kraft gesetzt. Es dient der Rechtssicherheit, eine über Jahrzehnte gefestigte Rechtsprechung, die nur hinsichtlich einer Fallvariante durch die Entscheidung des 5. Senats vom 25. April 1990 modifiziert wurde, und die darauf gestützten Verwaltungsentscheidungen unangetastet zu lassen. Auch im Lichte der Neuregelung bleiben die vom 1. Senat im Urteil vom 5. Juli 1978 (SozR 2200 § 1291 Nr. 17) angeführten Gründe überzeugend. Die rückwirkende Berechnung einer Witwen- und Witwerrente, die bei rechtzeitiger Antragstellung (fiktiv) zu zahlen gewesen wäre, ist zudem nur im vorliegenden Falle einfach. Wären zB Unterhalts- und Versorgungsansprüche zu berücksichtigen, stünde die Verwaltung vor der Schwierigkeit, diese nachträglich zu ermitteln. Die frühere Rechtsprechung ist deshalb zwar „obsolet” (Kasseler Komm – Gürtner § 90 SGB VI RdNr. 27), jedoch nur für die Fälle des Zahlungsbeginns einer Witwen- und Witwerrente nach dem 31. Dezember 1991.
Soweit das LSG die Einbehaltung der vollen wiederaufgelebten Witwenrente (August 1987 monatlich 175,96 DM) als „angemessen” iS von § 83 Abs. 3 RKG aF bezeichnet, ist dies nicht zu beanstanden. Angesichts der vom LSG festgestellten Höhe der einzubehaltenden Witwenrentenabfindung (67.121,60 DM) und des relativ geringen Zahlbetrags der wiederaufgelebten Witwenrente sowie vor allem des durch die Rente nach dem letzten Ehemann gesicherten Unterhalts konnte die Beklagte rechtsfehlerfrei die volle Witwenrente einbehalten (vgl BSG vom 15. März 1978, SozR 2200 § 1291 Nr. 15).
Die Revision der Klägerin blieb deshalb ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen