Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 21.01.1991; Aktenzeichen L 2 J 155/90)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. Januar 1991 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob der Klägerin Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit zusteht.

Die 1932 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Im Jahre 1966 begann sie eine Tätigkeit als Postarbeiterin im Reinigungsdienst (Reinemachefrau) bei der Deutschen Bundespost (DBP). Ihre Entlohnung erfolgte nach Lohngruppe VII des Tarifvertrages für die Arbeiter der DBP (TV Arb). Nach einigen Jahren wechselte sie in den Postverteilungsdienst über und war dort als teilzeitbeschäftigte Briefsortiererin tätig. Sie wurde in die Lohngruppe V eingestuft und erhielt bis 1977 (mit kurzen Unterbrechungen) eine Zulage in Höhe des Unterschieds zur Lohngruppe II, danach bis 1981 eine Ausgleichszulage nach Lohngruppe IV und anschließend bis 1982 wiederum die Zulage nach Lohngruppe II. Vom 1. September 1982 an wurde die Klägerin in die Lohngruppe II eingruppiert, nach der sie auch entlohnt wurde, als sie mit Ablauf des 31. Juli 1988 wegen Dienstunfähigkeit aus dem Dienst der DBP ausschied. Seit dem 1. August 1988 gewährt ihr die Versorgungsanstalt der DBP eine vorläufige Rente.

Den im Januar 1988 gestellten Rentenantrag der Klägerin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. März 1988 ab. Das Vorliegen von Erwerbs- und Berufsunfähigkeit wurde verneint, weil die Klägerin auf dem für sie in Betracht kommenden allgemeinen Arbeitsmarkt noch fähig sei, körperlich leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten. Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid der Beklagten – Widerspruchsstelle -vom 18. Oktober 1988, Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Koblenz vom 6. Februar 1990, Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Rheinland-Pfalz vom 21. Januar 1991). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt:

Die Klägerin könne unter Berücksichtigung ihres beruflichen Werdeganges nicht als Facharbeiterin bezeichnet werden. Bei der von ihr zuletzt verrichteten Sortiertätigkeit handele es sich um eine einfache Tätigkeit. Die Regeleinarbeitungszeit betrage lediglich zwei Wochen. Allerdings sei die von der Klägerin erreichte Tariflohngruppe II nach der Beschreibung und dem Lohngefüge für Facharbeiter vorgesehen. Daß die Klägerin, ohne die Kenntnisse einer geprüften Dienstleistungsfachkraft auch nur annähernd besessen zu haben, in eine solche Lohngruppe eingruppiert worden sei, liege an den besonderen tarifrechtlichen Vorschriften für den Bereich der DBP. Die Eingruppierung sei allein deswegen erfolgt, weil die Klägerin auf einem Beamtendienstposten A 2/3 bzw 3/4 längere Zeit beschäftigt gewesen sei. Dies reiche nach der Überzeugung des Senats nicht aus, um ihr den Facharbeiterstatus im Sinne des Mehrstufenschemas zuzubilligen.

Der qualitative Wert eines Berufs bestimme den Kreis der zumutbaren Verweisungstätigkeiten. Von ihm aus bestimme sich auch, ob ein Versicherter den Anforderungen eines solchen Verweisungsberufs von seinem Wissen und Können her gewachsen sei. Habe nun ein Versicherter nichts gelernt, so könne er zur Festlegung eines Verweisungsberufs auch keine Berufsqualitäten einbringen. Dies sei der Grund, warum die Rechtsprechung bei Ausbildungsberufen gerade von der unwiderlegbaren Indizwirkung der tariflichen Einstufung abgewichen sei, um ungerechte Ergebnisse im Einzelfall zu vermeiden.

Auch die Klägerin könne von ihrem bisherigen Berufsleben keine Kenntnisse und Fertigkeiten einbringen, die bei der Festlegung eines Verweisungsberufes berücksichtigt werden könnten. Sie habe bisher nur ungelernte Tätigkeiten verrichtet. Die Tatsache, daß sie auf einem Beamtendienstposten wie ein Facharbeiter entlohnt worden sei, gebe die Berechtigung, sie als angelernte Arbeiterin im oberen Bereich einzustufen. Als eine solche sei sie auf ungelernte Tätigkeiten, die nicht nur ganz geringen qualitativen Wert hätten, verweisbar; insofern komme als Verweisungstätigkeit die Tätigkeit der einfachen Pförtnerin in Betracht.

Mit ihrer Revision wendet sich die Klägerin nur noch gegen die Versagung von Rente wegen Berufsunfähigkeit. Gerügt werde eine Verletzung des § 1246 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Zunächst stelle das LSG seine rechtliche Bewertung des bisherigen Berufs zu sehr auf die Dauer der Ausbildung ab. Es beachte dabei nicht die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung. Die Abweichung bestehe darin, daß das LSG die rechtliche Gleichstellung von Berufen, die keine oder nur eine kürzere Ausbildungsdauer zur Voraussetzung hätten, jedoch wie die anerkannten Ausbildungsberufe tarifvertraglich etwa gleichhoch eingestuft seien, nicht anerkenne. Außerdem habe sich das LSG über die einschlägige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Zuordnung von Postfacharbeitern, die Beamtentätigkeiten verrichteten und deshalb in Lohngruppen II bis IV des TV Arb eingruppiert gewesen seien, hinweggesetzt. Eine tatsächliche Feststellung, daß die Klägerin aus qualitätsfremden Gründen in eine höhere Stufe des nach Qualität geordneten TV Arb gekommen sei, habe das LSG nicht getroffen. Die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung über die rechtliche Bewertung von Beamtentätigkeiten des einfachen Postdienstes erweise sich auch aus einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt, nämlich hinsichtlich Dauer und Umfang der Ausbildung für den einfachen Postdienst, als zutreffend. So habe die Lernzeit der Postjungboten (Vorläufer der Dienstleistungsfachkraft) 2,5 Jahre gedauert. Damit werde das von der Rechtsprechung gesetzte Limit von mehr als 2 Jahren für die Zuordnung von Ausbildungsberufen in die Gruppe der Facharbeiter erfüllt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG vom 21. Januar 1991, das Urteil des SG vom 6. Februar 1990 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. März 1988 idF des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 1988 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr, der Klägerin, ab 1. Februar 1988 Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Dieses hat noch weitere tatsächliche Feststellungen zu der Frage zu treffen, ob die für die tarifliche Eingruppierung der Klägerin maßgeblichen Regelungen auf qualitätsfremden Merkmalen beruhen und daher für eine Beurteilung ihres bisherigen Berufs untauglich sind.

Maßgebend für den Anspruch der Klägerin auf Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit ist hier noch § 1246 RVO, weil der Rentenantrag der Klägerin bereits im Jahre 1988 gestellt worden ist (vgl § 300 Abs 2 des Sozialgesetzbuches – Sechstes Buch – ≪SGB VI≫). Nach § 1246 Abs 1 RVO erhält Rente wegen Berufsunfähigkeit der Versicherte, der berufsunfähig ist und zuletzt vor Eintritt der Berufsunfähigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, wenn die Wartezeit erfüllt ist. Berufsunfähig ist ein Versicherter,

dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 1246 Abs 2 RVO).

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist bei Prüfung der Berufsunfähigkeit Ausgangspunkt der Beurteilung der „bisherige Beruf” des Versicherten (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 107). Dieser ist zuerst zu ermitteln und sodann zu prüfen, ob der Versicherte ohne wesentliche Einschränkungen weiterhin zu seiner Ausübung in der Lage ist. Ist der Versicherte nämlich in seinem Beruf noch ausreichend erwerbsfähig iS des § 1246 Abs 2 Sätze 1 und 2 RVO, so ist er nicht berufsunfähig, ohne daß es auf seine Erwerbsfähigkeit in weiteren sog Verweisungstätigkeiten ankommt (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nr 126).

„Bisheriger Beruf” iS des § 1246 Abs 2 RVO ist, wie das BSG in zahlreichen Entscheidungen (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 130, 164) ausgesprochen hat, in der Regel die letzte, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Hiernach ist das LSG bei seinen Überlegungen zutreffend davon ausgegangen, daß „bisheriger Beruf” der Klägerin iS des § 1246 Abs 2 RVO die von der Klägerin zuletzt ausgeübte Tätigkeit der Briefsortiererin bei der DBP war. Ferner ergibt sich aus den mangels Verfahrensrügen für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG), daß die Klägerin nach ihrem Leistungsvermögen den körperlichen Anforderungen dieses Berufs nicht mehr gewachsen ist.

Für die damit erforderliche Suche nach der Klägerin zumutbaren Verweisungstätigkeiten iS des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO kommt es entscheidend auf die Wertigkeit ihres bisherigen Berufs an. Die Rechtsprechung des BSG hat in diesem Zusammenhang die Berufe der Versicherten nach ihrer Wertigkeit in verschiedene Gruppen eingeteilt. Die jeweilige Einstufung in dieses Raster bestimmt die Berufstätigkeiten, auf die der Versicherte verwiesen werden kann. Bei der Bildung der Berufsgruppen ist die Rechtsprechung von der Bedeutung, die die Ausbildung für die Qualität eines Berufs hat, ausgegangen. Dementsprechend sind folgende Leitberufe angenommen worden: Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion/besonders hoch qualifizierter Facharbeiter, Facharbeiter (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), angelernter Arbeiter (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren), ungelernter Arbeiter.

Von allen Senaten des BSG, die für die Arbeiterrentenversicherung zuständig und an der Entwicklung des Vierstufenschemas beteiligt waren, ist immer wieder deutlich gemacht worden, daß ausschlaggebend für die Zuordnung einer bestimmten Tätigkeit zu einer der Gruppen des Schemas allein die Qualifikationsanforderungen der verrichteten Arbeit sind, dh der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Grundlage für die Bestimmung der Qualität einer Arbeit in diesem Sinne sind die in § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO am Ende genannten Merkmale der Dauer und des Umfangs der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit. Es kommt also auf das Gesamtbild an.

Da die Klägerin weder einen Ausbildungsabschluß als Facharbeiterin besitzt, noch eine vergleichbare Prüfung abgelegt hat, kann ihr Beruf nicht unmittelbar auf der Facharbeiter-Stufe in das dargestellte Schema eingeordnet werden. Nach den Feststellungen des LSG hat sie sich die Kenntnisse und Fähigkeiten einer Dienstleistungsfachkraft bei der DBP (Ausbildungszeit mehr als zwei Jahre) auch nicht auf andere Weise angeeignet, so daß eine wettbewerbsfähige Ausübung eines derartigen Facharbeiterberufs nicht angenommen werden kann (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 53, 68). Der bloße Einsatz auf einem Arbeitsposten des einfachen Postdienstes läßt jedenfalls keine Rückschlüsse darauf zu, daß die Klägerin in vollem Umfang über die Kenntnisse und Fähigkeiten eines geprüften Postjungboten verfügte. Insofern ist es – entgegen der Ansicht der Klägerin – unbeachtlich, ob die Ausbildung der Postjungboten 2,5 Jahre dauerte.

Die Wertigkeit des bisherigen Berufs der Klägerin kann sich aber auch aus anderen aussagekräftigen Merkmalen ablesen lassen.

In diesem Zusammenhang hat das BSG zwei Gesichtspunkten Bedeutung beigemessen: Zum einen der abstrakten – „tarifvertraglichen” – Klassifizierung der Tätigkeit iS eines verselbständigten Berufsbildes innerhalb eines nach Qualitätsstufen geordneten Tarifvertrags (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 46, 111, 116, 122, 123, 164), zum anderen der – „tariflichen” – Eingruppierung der konkreten, zuletzt ausgeübten Tätigkeit des Versicherten in eine Berufssparte und hierüber in eine bestimmte Tarifgruppe des jeweils geltenden Tarifvertrages durch den Arbeitgeber (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 168, 169). In beiden Bereichen sind die Folgerungen für die Wertigkeit einer Arbeit jedoch verschieden.

Soweit die Tarifvertragsparteien eine bestimmte Berufsart im Tarifvertrag aufführen und einer Tarifgruppe zuordnen, kann in der Regel davon ausgegangen werden, daß die tarifvertragliche Einstufung der einzelnen in einer Tarifgruppe genannten Tätigkeiten auf deren Qualität beruht (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 46, 111, 116, 122, 123, 164). Denn die Tarifpartner als die unmittelbar am Arbeitsleben Beteiligten nehmen relativ zuverlässig eine Bewertung von Berufstätigkeiten vor, die auch den Anforderungen des Mehrstufenschemas in Bezug auf die nach § 1246 Abs 2 RVO maßgeblichen Merkmale entspricht. Demgemäß läßt die abstrakte (tarifvertragliche) Einordnung einer bestimmten Berufstätigkeit in eine Tarifgruppe, die hinsichtlich der Qualität der in ihr aufgeführten Arbeiten durch den Leitberuf des Facharbeiters geprägt ist, in der Regel den Schluß zu, daß diese Berufstätigkeit als Facharbeitertätigkeit zu qualifizieren ist. Der hierauf zielenden ständigen Rechtsprechung des 5. Senats des BSG (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 111, 116, 122, 123, 164) hat sich der 13. Senat angeschlossen (vgl das Senatsurteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 22/90 –). Von dem Grundsatz, daß von der tarifvertraglichen Einstufung einer Berufsart auszugehen ist, werden in der Rechtsprechung des BSG Ausnahmen bisher nur anerkannt, wenn die Einstufung durch qualitätsfremde Merkmale bestimmt ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 101, 123; SozR 3-2200 § 1246 Nr 13).

In seinem Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 14/90 – (zur Veröffentlichung vorgesehen) hat der 13. Senat diese Rechtsprechung fortentwickelt und entschieden, daß die Tarifvertragsparteien nicht nur die Bewertung von Berufen relativ zuverlässig vornehmen, die sie im Tarifvertrag konkret benennen, sondern daß sie ebenso sachgerecht die einzelnen Tätigkeitsmerkmale bewerten, die sie für die Eingruppierung von Arbeitnehmern festlegen. Deshalb können diese Merkmale ebenfalls als Maßstab für die Wertigkeit eines Berufs zugrundegelegt werden, sofern es sich nicht um qualitätsfremde Gesichtspunkte handelt.

Demgegenüber kommt der tariflichen Eingruppierung des einzelnen Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber deutlich weniger Gewicht zu (vgl Senatsurteile vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 14 und 22/90 –).

Diesen Grundsätzen hat das LSG bei seiner Entscheidung nicht hinreichend Rechnung getragen.

Zunächst können die einschlägigen tarifvertraglichen Regelungen nicht etwa deshalb von vornherein unberücksichtigt bleiben, weil die Lohngruppen nicht nach Qualitätsstufen geordnet wären. Vielmehr weisen sie eine Grundstruktur auf, wie sie sich auch im Mehrstufenschema der Rentenversicherung findet.

Nach § 10 Abs 3 TV Arb in der im Zeitpunkt des Ausscheidens der Klägerin aus dem Erwerbsleben am 31. Juli 1988 geltenden Fassung werden nämlich die Arbeiter nach Art ihrer Tätigkeit in Lohngruppen eingereiht:

  1. Handwerker und gleichgestellte Facharbeiter: Lohngruppen Ia bis IV,
  2. Angelernte Arbeiter: Lohngruppen V bis VII,
  3. Arbeiter in einfachen Tätigkeiten: Lohngruppe VIII.

Die im einzelnen für die Entlohnung maßgebende Lohngruppe ergibt sich gemäß § 10 Abs 2 TV Arb aus dem Verzeichnis der Lohngruppen (LoGrVerz) in Anlage 2 des TV. Dieses unterteilt sich in drei Abschnitte:

I. Allgemeine Bestimmungen für die Zuordnung zu Lohngruppen,

II. Entlohnung von Arbeitern, die auf einem Arbeitsposten für Beamte beschäftigt sind,

III. Entlohnung von Arbeitern, die auf einem Arbeitsposten für Arbeiter beschäftigt sind.

Das in Abschnitt III unter § 17 LoGrVerz enthaltene Verzeichnis der Tätigkeitsmerkmale spiegelt die in § 10 Abs 3 TV Arb vorgenommene qualitätsbezogene Einteilung wieder, wonach die Lohngruppe IV die unterste „Handwerkerlohngruppe” darstellt. Diese ist damit für den Leitberuf des Facharbeiters im Sinne des Mehrstufenschemas maßgebend.

Da die Klägerin zuletzt auf einem Arbeitsposten für Beamte beschäftigt war, ist im vorliegenden Fall insbesondere der Abschnitt II des LoGrVerz von Bedeutung. Wird ein Arbeiter auf einem Arbeitsplatz für Beamte beschäftigt, so richtet sich seine Entlohnung nach der Bewertung des Arbeitspostens, auf dem er beschäftigt ist. Maßgebend für die Feststellung, ob es sich um einen Arbeitsposten für Beamte handelt sowie für die Bewertung dieses Arbeitspostens sind die hierfür für Beamte der DBP jeweils geltenden Bestimmungen (§ 5 Abs 1 Sätze 1 und 3 LoGrVerz). Die nach § 5 Abs 1 Satz 4 LoGrVerz aufgeführte Tabelle nimmt eine Gegenüberstellung der Bewertung der Arbeitsposten nach Besoldungsgruppen mit der Entlohnung nach Lohngruppen vor. Dabei wird unterschieden zwischen Handwerkern und diesen gleichgestellten Arbeitern (1.), Dienstleistungsfachkräften (2.), Arbeitern mit bestandener postbetrieblicher Prüfung für Arbeiter oder Prüfung für den einfachen Postdienst (3.) sowie den übrigen – nicht unter 1. bis 3. fallenden – Arbeitern (4.). Für letztere – zu dieser Gruppe gehört nach den Feststellungen des LSG die Klägerin – gilt während der ersten sechs Monate einer ununterbrochenen oder bis zu einer insgesamt zweijährigen Beschäftigung bei der DBP auf allen Arbeitsposten für Beamte die Lohngruppe IV, danach die Lohngruppe III. Die Lohngruppe II ist vorgesehen nach Ablauf einer zweijährigen ununterbrochenen oder einer insgesamt dreijährigen Beschäftigung bei der DBP bei Bewertung des Arbeitspostens nach Besoldungsgruppe A 3/A 4 oder nach Bewährung und vierjähriger Beschäftigung auf Arbeitsposten für Beamte.

Da sich das LoGrVerz des TV Arb somit auch in Abschnitt II vom Ansatz her nach dem Vorhandensein bestimmter Ausbildungsabschlüsse (Handwerker, Dienstleistungsfachkräfte, Arbeiter mit bestandender postinterner Prüfung, übrige Arbeiter) gliedert, weist es hinreichende Qualitätsstufen auf, um als Anknüpfungspunkt für eine Bewertung des bisherigen Berufs iS des § 1246 Abs 2 RVO dienen zu können.

In Anwendung dieser tarifvertraglichen Regelungen auf den vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht außer acht gelassen, daß für die Bewertung des bisherigen Berufs nicht ohne weiteres die letzte tarifliche Eingruppierung der Klägerin herangezogen werden kann. Grundsätzlich ist nämlich auf die „Einstiegslohngruppe” für eine bestimmte Tätigkeit abzustellen, da Erhöhungen wegen Zeitablaufs oder im Rahmen eines sog Bewährungsaufstiegs unberücksichtigt zu bleiben haben (vgl BSGE 44, 10, 12 = SozR 2200 § 1246 Nr 17; BSG, Urteil vom 3. November 1982 – 1 RJ 32/82 –, Umdruck S 8). Wenn sich die Qualität der Arbeit weder von ihren Anforderungen noch von der Leistungsfähigkeit des Versicherten her geändert hat, beruht eine derartige Höhergruppierung auf – qualitätsfremden – sozialen Erwägungen. Wenn danach hier nicht die Lohngruppe II, sondern die für „übrige Arbeiter” ohne weitere Erhöhungsmerkmale auf allen Arbeitsposten für Beamte geltende Lohngruppe IV maßgebend war (vgl § 5 Abs 1 LoGrVerz), so ist dies für den Berufsschutz der Klägerin jedoch letztlich unerheblich, da bereits die Lohngruppe IV vom Leitberuf des Facharbeiters im Sinne des Mehrstufenschemas der Rentenversicherung geprägt ist (vgl auch BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 111, 123). Folglich ist nach der Rechtsprechung des BSG zur Einstufung von sog „Beamtendiensttuern” im Postbereich (vgl Urteile vom 24. Juni 1983 – 5b RJ 74/82 – ≪Briefzusteller≫ vom 28. März 1984 – 5b RJ 16/83 – ≪Posthalterin≫ vom 3. Oktober 1984 – 5b RJ 20/84 – und – 5b RJ 28/84 – ≪Postzusteller/in≫; Beschluß vom 14. März 1985 – 5b S 1/85 – ≪Postzusteller≫; Urteile vom 27. Februar 1990 – 5 RJ 12/88 – ≪Briefzustellerin≫ vom 11. September 1991 – 5 RJ 33/90 – ≪Paket- und Landzusteller≫), der sich der erkennende Senat in Abweichung von Entscheidungen des 1. und des 4. Senats (vgl Beschluß vom 29. November 1984 – 4 RJ 19/84 –; Urteile vom 21. Februar 1985 – 4 RJ 33/84 –, vom 3. April 1986 – 4a RJ 19 und 27/84 –, vom 7. Oktober 1987 – 4a RJ 167/87 – sowie vom 3. November 1982 – 1 RJ 32/82 –) angeschlossen hat (vgl Senatsurteile vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 22/90 – ≪mit eingehender Begründung≫ und vom 23. April 1992 – 13/5 RJ 76/90 –), im Rahmen des § 1246 Abs 2 RVO grundsätzlich davon auszugehen, daß die Klägerin einer Facharbeiterin gleichgestellt war, sofern sie zu Recht nach dieser Lohngruppe entlohnt wurde.

Eine abweichende Beurteilung der Wertigkeit des bisherigen Berufs kommt nur dann in Betracht, wenn die Einordnung der Berufsgruppe in das Tarifgefüge auf qualitätsfremden Merkmalen beruht (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 102, 129). Der 5. Senat des BSG hat bisher entschieden, daß hierzu die Höherstufung wegen äußerer Belastungen (Schmutz, Geruch, Witterungseinflüsse usw) oder aus sozialen Gründen gehöre; weitere Gründe habe die Rechtsprechung nicht zugelassen (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 122, 123; Urteil vom 14. Mai 1991 – 5 RJ 82/89 –). Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 22/90 – bereits Bedenken geäußert, ob der Begriff „qualitätsfremde Merkmale” so weit eingeengt werden kann. Er hält es für möglich, daß die einzelne tarifvertragliche Einordnung eines Berufs auch noch von anderen Gesichtspunkten bestimmt sein kann, die ebenfalls als qualitätsfremd angesehen werden müssen. Der gegenwärtige Stand des Verfahrens gibt aber noch keinen Anlaß, diese Frage abschließend zu entscheiden, da keine Feststellungen des LSG vorliegen, die erkennen lassen, daß hier – außer sozialen – noch andere möglicherweise anzuerkennende qualitätsfremde Gründe in Betracht kommen könnten.

Zwar sind in dieser Hinsicht nur bei konkreten Anhaltspunkten Ermittlungen des Tatsachengerichts geboten (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 71, 98, 111, 123), hier hat das LSG jedoch derartige Zweifel – wenn auch in anderem Zusammenhang – deutlich genug angemeldet. So hat es festgestellt, daß es sich bei dem von der Klägerin zuletzt verrichteten Briefsortieren um eine einfache Tätigkeit gehandelt habe, deren tarifvertragliche Einstufung auf „besondere tarifrechtliche Vorschriften” zurückzuführen sei. Unter diesen Umständen hätte das LSG der Frage eines Vorliegens von qualitätsfremden Erwägungen der Tarifvertragsparteien im einzelnen nachgehen müssen. Insbesondere fehlt eine nähere Abklärung dazu, was die Tarifvertragsparteien zu der hohen tariflichen Einstufung einfach erscheinender Verrichtungen bewogen hat. Dabei ist allerdings zu beachten, daß von der Rechtsprechung des BSG besondere Anforderungen an Verantwortung, Zuverlässigkeit, Gewissenhaftigkeit, physische Kraft, Ausdauer und Geschicklichkeit als qualitätsbezogene Merkmale angesehen worden sind (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 99, 111, 122, 123). Da die Feststellungen des LSG somit nicht ausreichen, um das Vorliegen einer aus qualitätsfremden Gründen zustande gekommenen tarifvertraglichen Zuordnung bestätigen zu können, ist unter diesem Gesichtspunkt eine Zurückverweisung der Sache zur weiteren Sachaufklärung tunlich (vgl § 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Dabei läßt der Senat offen, ob er gegebenenfalls befugt wäre, die erforderlichen Ermittlungen zur Auslegung des TV Arb auch selbst durchzuführen.

Über die Kosten des Verfahrens wird das LSG zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173128

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