Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Der Kläger begehrt höheres Kindergeld für eine Zeit, in der sein Sohn als Gasthörer an der Universität Tübingen Sprachkurse besuchte, um die allgemeine Hochschulreife sowie die in einem Theologiestudium erforderlichen Sprachkenntnisse zu erwerben.
Der im Jahre 1964 geborene R. A. (R.) ist nichteheliches Kind des Klägers und der Beigeladenen zu 2). Diese wiederum ist Bedienstete des zu 1) beigeladenen Landes.
R. erwarb im Mai 1987 die eingeschränkte Hochschulreife; zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife fehlte ihm das Latinum. Mit dem Ziel eines Studiums der evangelischen Theologie und dem Berufsziel Pastor schrieb sich R. nach Abschluß seines Zivildienstes zum Wintersemester 1989/90 bis zum Wintersemester 1990/91 an der Universität Tübingen als Gasthörer ein und belegte Sprachkurse für Latein (jeweils vier Wochenstunden), Griechisch (jeweils fünf Wochenstunden; im Wintersemester 1990/91 zwei Wochenstunden) und Aramäisch (eine Wochenstunde; nur im Wintersemester 1989/90). Die Ergänzungsprüfung in Latein vor dem Oberschulamt Stuttgart im März 1991 bestand R. nicht. Ab dem Wintersemester 1991/92 besucht er eine Pädagogische Hochschule.
Den Antrag der Beigeladenen zu 2) auf Wiedergewährung des Kindergeldes nach dem Abschluß des Zivildienstes hatte das zu 1) beigeladene Land durch Bescheid vom 18. September 1989 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 1990 bestandskräftig abgelehnt.
Der Kläger begehrt höheres Kindergeld unter Berücksichtigung von R. als Zählkind für die Zeit von Oktober 1989 bis September 1991. Das Sozialgericht (SG) hat - unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides vom 27. Juli 1990 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 1990 - der Klage stattgegeben. Auf die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 20. November 1992 das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen, als die Beklagte verurteilt worden war, R. auch in der Zeit von April bis September 1991 (nach der Ergänzungsprüfung) als Zählkind anzuerkennen; im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. R. habe sich von Oktober 1989 bis März 1991 insoweit in Schulausbildung i.S. des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) befunden, als er an Latein-Kursen zur Vorbereitung der Ergänzungsprüfung zur Erlangung der allgemeinen Hochschulreife teilgenommen habe. Auch der Besuch der Griechisch-Kurse sei als Ausbildung zu werten, wobei offenbleiben könne, ob es sich um Schul- oder Hochschulausbildung gehandelt habe. Die schulmäßige Organisation der Sprachkurse mit Hausaufgaben und Leistungskontrolle, wie sie R. als Zeuge vor dem SG geschildert habe, und der faktische Druck zu programmgemäßem Abschluß, der sich durch die aufeinander aufbauenden Kurse ergebe, genüge zur Bejahung des erforderlichen Maßes an schulmäßiger Einbindung in einen vorgegebenen Ablauf (Hinweis auf BSG SozR 5870 § 2 Nr. 32). Hieran ändere auch der Umstand nichts, daß R. als Gasthörer zu den Semesterabschlußklausuren nicht zugelassen war.
Hiergegen haben die Beklagte und das zu 1) beigeladene Land die vom LSG zugelassene Revision eingelegt.
Die Beklagte rügt die Verletzung des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 10 Abs. 1 BKGG. In der streitigen Zeit habe R. nicht in einer Schulausbildung gestanden; er habe keine allgemeinbildende Schule besucht. Ebensowenig könne das Gasthörerstudium als Berufsbildung angesehen werden. Selbst wenn man das Erlernen der lateinischen Sprache zum Erwerb des Latinums als unabdingbare Zulassungsvoraussetzung für das Theologiestudium als Teil der Berufsausbildung zum Theologen ansehe, scheitere die kindergeldrechtliche Berücksichtigung an dem unzureichenden zeitlichen Aufwand. Der Zeitaufwand für die beiden anderen studierten alten Sprachen, die nur "bei Gelegenheit" des Erwerbs der notwendigen Lateinkenntnisse an der Universität belegt worden seien, müsse außer acht bleiben.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Rheinland-Pfalz vom 20. November 1992 aufzuheben, soweit es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen hat und das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 3. Dezember 1991 insgesamt aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Das zu 1) beigeladene Land rügt sinngemäß eine Verletzung des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BKGG. Die Teilnahme an den Latein- bzw. Griechisch-Kursen könne weder als Schul- noch als Berufsausbildung angesehen werden. Bei dem Besuch von Sprachlehrgängen einer Universität liege kein Vollzeitunterricht vor; es bestehe auch keine einer herkömmlichen Schulausbildung vergleichbare Regelmäßigkeit und Stetigkeit der Ausbildung mit begleitenden Leistungs- und Lernzielkontrollen. Für eine Berufsausbildung in Form eines Hochschulstudiums sei die Einschreibung als ordentlicher Student Voraussetzung.
Das zu 1) beigeladene Land beantragt, das Urteil des Landessozialgericht Rheinland-Pfalz vom 20. November 1992 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene zu 2) hat sich im Revisionsverfahren zur Sache nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II.
Der Senat hat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz SGG ).
Die Revisionen der Beklagten und des zu 1) beigeladenen Landes sind zulässig.
Als erforderliche Beschwer des gemäß § 75 Abs. 1 SGG ("einfach") beigeladenen Landes reicht aus, daß das angefochtene Urteil seine wirtschaftlichen Interessen ohne Eingriff in eine bestehende Rechtsposition beeinträchtigt (vgl. Bundessozialgericht BSG - Großer Senat - vom 10. Dezember 1974, SozR 1500 § 161 Nr. 1 S. 8). Zwar hat es den Kindergeldantrag der Beigeladenen zu 2) bindend abgelehnt; verbliebe es jedoch bei dem angefochtenen Berufungsurteil, könnte es sich Ansprüchen der Beigeladenen zu 2) nach § 44 des Sozialgesetzbuchs - Zehntes Buch - ( SGB X , Zugunstenbescheid) für die Zeit ab Januar 1990 (vgl. § 44 Abs. 4 SGB X) ausgesetzt sehen.
Die Revisionen sind auch begründet.
Entgegen der Auffassung des LSG hat der Kläger für die noch streitige Zeit von Oktober 1989 bis März 1991 keinen Anspruch auf höheres Kindergeld unter Berücksichtigung von R. als Zählkind. R. stand in jener Zeit i.S. des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BKGG weder in Schulausbildung (1) noch in Berufsausbildung (2).
(zu 1) R. befand sich in der fraglichen Zeit nicht in einer Schulausbildung. Seine Schulausbildung war zwar noch nicht mit der höchsten denkbaren Stufe, nämlich der allgemeinen Hochschulreife, abgeschlossen (s BSG vom 22. Juli 1994 - 10 RKg 30/93, Umdruck S. 4); gerade deren Vorbereitung diente der Besuch der Sprachkurse für Latein vom Wintersemester 1989/90 bis zum Wintersemester 1990/91. Der Wertung i.S. des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BKGG als Schulausbildung steht jedoch entgegen, daß sich R. damals ausschließlich selbstbestimmt auf die Ergänzungsprüfung zur Erlangung der allgemeinen Hochschulreife vorbereitete. Diese Zeit genügt damit nicht den Voraussetzungen für eine Schulausbildung, die der Senat in seinen Urteilen vom 7. September 1988 (10 RKg 6/87, HV-INFO 1988, 2115), vom 14. März 1989 (10 RKg 19/87, SozSich 1989, 319) und 17. Mai 1989 (10 RKg 11/88, HV-INFO 1989, 1632) zusammengefaßt hat: Unter einer Schulausbildung ist in der Regel der Besuch öffentlicher oder privater allgemeinbildender oder weiterführender Schulen zu verstehen, wenn der Unterricht nach staatlich genehmigten Lehrplänen für öffentliche Schulen gestaltet wird (BSG vom 25. April 1984, SozR 5870 § 2 Nr. 32 m.w.N.). Deshalb ist eine Ausbildung im Rahmen der herkömmlichen Organisationsform einer Schule zu verlangen, d.h. der Besuch einer allgemeinbildenden Schule, bei welcher eine allgemeine Stetigkeit und Regelmäßigkeit der Ausbildung vorgeschrieben und ihre Dauer nicht allein der Selbstverantwortung des Schülers überlassen ist (BSG vom 25. November 1976, BSGE 43, 44 = SozR 2200 § 1262 Nr. 9). Die Zeit einer ausschließlich selbstbestimmten Vorbereitung auf eine Prüfung fällt nicht unter den Begriff der Schulausbildung (vgl. BSG vom 7. Dezember 1977, SozR 2200 § 1259 Nr. 25 m.w.N.). Der Schüler muß in eine schulische Mindestorganisation eingebunden sein, die eine gewisse dauernde Lernkontrolle ermöglicht.
Dem entsprach der von R. als Gasthörer besuchte Lateinkurs nicht. Er war kein Teil eines schulmäßig organisierten Kurses zur Vorbereitung auf die allgemeine Hochschulreife. Zwar wurde der Unterricht von Hausaufgaben und Leistungskontrolle begleitet. R. war jedoch als Gasthörer nicht zu den jeweiligen der Lernkontrolle dienenden Semester-Abschlußklausuren zugelassen. Auch reicht der vom LSG angenommene "faktische Druck" zu programmgemäßem Abschluß durch die aufeinander aufbauenden Kurse nicht aus, um davon ausgehen zu können, daß die Dauer der Ausbildung nicht mehr allein seiner Selbstverantwortung überlassen war. R. stand es z.B. frei, in jedem Semester neu zu entscheiden, welche Kursstufe er belegen wollte.
Eine andere Beurteilung gälte selbst dann nicht, wenn R. nach der hierfür vorgesehenen Zeit sein Lernziel erreicht hätte (vgl. BSGE 43, 44, 47 f.). Denn eine Prüfungsvorbereitung bleibt auch dann selbstbestimmt, wenn sie in kürzestmöglicher Zeit erfolgreich beendet wird. Überdies verbietet sich im Kindergeldrecht eine rückschauende Betrachtungsweise zur Feststellung des Kindergeldanspruchs. Über einen Kindergeldantrag muß sofort entschieden werden können. Dies dient nicht nur der Verwaltungsvereinfachung, sondern geschieht auch im Interesse der Verwirklichung der Zwecke des Kindergeldes, das den gegenwärtigen Unterhaltsbedarf des Kindes - teilweise - abdecken soll (BSG vom 15. Dezember 1992, SozR 3-5870 § 1 Nr. 2 S. 11). Etwas anderes folgt auch nicht aus der bereits zitierten Entscheidung des BSG vom 25. November 1976; damals war ein Fernunterrichtslehrgang mit zusätzlichem mündlichen Unterricht von 8 Stunden/Woche als Schulausbildung gewertet worden. Entscheidend hierfür war auch, daß die Tochter des damaligen Klägers in der zweiten Phase einer auf fünf Semester angelegten Vorbereitung auf das Abitur in einen die gesamte Ausbildung umfassenden Lehrgang eingebunden war.
(zu 2) Ein Anspruch auf Kindergeld unter Berücksichtigung von R. besteht für die streitige Zeit schließlich auch nicht auf der Grundlage der von diesem - in gleicher Weise wie die Latein-Kurse - besuchten Sprachkurse für Griechisch. Diese können von vornherein deshalb nicht als Schulausbildung angesehen werden, da sie nicht der Vorbereitung des Abiturs dienten. Entgegen der Auffassung des LSG sind sie jedoch auch nicht als Berufsausbildung zu werten.
Denn nach den Feststellungen des LSG hat R. die Griechisch-Kurse besucht, um nach Erwerb der allgemeinen Hochschulreife wie alle anderen ordentlichen Studenten, die das Graecum benötigen, die dafür nötige Prüfung zu absolvieren. Es hat jedoch nicht festgestellt, daß der Erwerb entsprechender Sprachkenntnisse im Wege eines Gasthörerstudiums Teil einer Studienordnung für das Fach evangelische Theologie oder Teil einer - in welcher Weise auch immer - geregelten Ausbildung als evangelischer Pfarrer wäre (zur Beurteilung von als Zulassungsvoraussetzung verlangten Sprachkursen S. BSG vom 22. Juni 1994 - 10 RKg 30/93, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Im Gegenteil ergibt sich aus der "Ordnung der akademischen Abschlußprüfung im Fachbereich evangelische Theologie der Universität Tübingen", Bekanntmachung vom 31. August 1976, mit Änderung vom 8. November 1985, daß das Studium der evangelischen Theologie eine Regelstudienzeit von 8 Semestern umfaßt, wobei Sprachsemester für das Studium der alten Sprachen (Latein, Griechisch, Hebräisch) bis zur Dauer von vier Semestern auf die Regelstudienzeit nicht angerechnet werden, soweit die entsprechenden Nachweise bei der Immatrikulation noch nicht vorliegen (§ 2 Abs. 1 und 2 a.a.O.).
Die zitierte Prüfungsordnung ist zwar grundsätzlich nicht revisibel. Ihrer Heranziehung steht jedoch § 162 SGG im vorliegenden Fall nicht entgegen, da das LSG sie unberücksichtigt gelassen hat (st Rspr; BSG vom 17. April 1958, BSGE 7, 122, 125 = SozR Nr. 99 zu § 162 SGG; ebenso in neuerer Zeit auch BSG vom 8. April 1992 - 10 RKg 31/90 = ZfJ 1993, 555; BSG vom 13. Oktober 1992, BSGE 71, 163, 165 = SozR 3-5050 § 15 Nr. 4 sowie BSG vom 13. Januar 1993, SozR 3-2500 § 88 Nr. 2 S. 18 f. jeweils m.w.N.).
Aus ihren Regelungen kann geschlossen werden, daß die Belegung von Sprachkursen nach Einschreibung als ordentlicher Student der einschlägigen Ausbildungsordnung entspricht, nicht jedoch der Erwerb entsprechender Kenntnisse bereits vor diesem Zeitpunkt. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, daß R. uU dieselben Sprachkurse besucht hat, an denen auch bereits eingeschriebene Theologiestudenten während ihrer Sprachsemester teilnehmen. Denn die Dauer eines Kursbesuchs als Gasthörer bleibt voll und ganz diesem überlassen, während den eingeschriebenen Theologiestudenten durch die Höchstzahl der nicht auf die Regelstudienzeit anzurechnenden Sprachsemester eine Studiendauer bis zur Ablegung der entsprechenden Sprachprüfungen (Graecum, Hebraicum) vorgegeben ist (zum Besuch von Lehrveranstaltungen als Gasthörer S. auch BSG vom 23. Februar 1994, SozR 3-5870 § 2 Nr. 23). Unberücksichtigt muß im vorliegenden Zusammenhang bleiben, daß es durchaus sinnvoll erscheinen konnte, neben der Vorbereitung auf den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife durch Lateinkurse bereits Kenntnisse der anderen im Theologiestudium benötigten alten Sprachen zu erwerben. Allein der Umstand jedoch, daß eine bestimmte Betätigung zweckmäßig sein kann, um das angestrebte Berufsziel zu erreichen, macht aus ihr keine Ausbildung i.S. des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BKGG.
Nichts anderes gilt für den von R. während seines ersten Semesters als Gasthörer zusätzlich belegten Sprachkurs in Aramäisch.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen