Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwartschaftszeit. Anwartschaftszeitverordnung. Arbeitslosengeld. typische Saisonarbeitnehmer. Verfassungsmäßigkeit der AnwZV
Leitsatz (amtlich)
Die Regelung, nach der die Verkürzung der Anwartschaftszeit für Arbeitslosengeld auf 180 Kalendertage (§ 104 Abs. 1 S 4 AFG) nicht für Arbeitnehmer gilt, die innerhalb von 16 Monaten vor der Arbeitslosigkeit kein Arbeitslosengeld bezogen haben und weniger als 180 Kalendertage in Saisonbetrieben beschäftigt waren, ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Normenkette
AFG § 104 Abs. 1 Fassung: 1984-10-15; AnwZV § 1 Abs. 1, 2 Fassung: 1984-10-15; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 12.08.1993; Aktenzeichen L 9 Al 139/92) |
SG Regensburg (Entscheidung vom 10.04.1992; Aktenzeichen S 8 Al 235/91) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. August 1993 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) hat.
Die Klägerin meldete sich am 19. Dezember 1990 beim Arbeitsamt (ArbA) arbeitslos und beantragte Alg (Arbeitslosenhilfe ≪Alhi≫). Sie war vom 3. Oktober 1988 bis zum 20. Dezember 1988, vom 9. Oktober 1989 bis zum 15. Dezember 1989 und vom 2. Oktober 1990 bis zum 18. Dezember 1990 jeweils als „Saison-Aushilfskraft” bei dem Lebkuchenhersteller Schmidt in Nürnberg beschäftigt. Seit dem 3. Oktober 1988 war sie im übrigen keiner Beschäftigung nachgegangen.
Mit Bescheid vom 26. Februar 1991 und Widerspruchsbescheid vom 26. August 1991 lehnte das ArbA die Gewährung von Alg ab, weil die Klägerin innerhalb der Rahmenfrist nicht 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden habe und auch die Voraussetzungen des § 1 der Anwartschaftszeit-Verordnung (AnwZV) nicht erfülle. Die dagegen von der Klägerin bei dem Sozialgericht (SG) erhobene Klage blieb erfolglos (Urteil vom 10. April 1992). Das Landessozialgericht (LSG) hat die vom SG zugelassene Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 12. August 1993).
Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, der geltend gemachte Anspruch scheitere bereits daran, daß die Klägerin nicht die Voraussetzungen nach § 104 Abs. 1 Sätze 4 und 5 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) iVm § 1 Abs. 1 Nr. 2 AnwZV erfülle. Um zum Personenkreis des § 1 AnwZV zu gehören, hätte die Klägerin nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung in den letzten 16 Monaten vor dem Tag der Arbeitslosigkeit mindestens 180 Kalendertage in Saisonbetrieben arbeiten müssen. Zwar sei der Lebkuchenhersteller Schmidt unstreitig ein Saisonbetrieb. Sie habe in der genannten Zeit dort jedoch nur 140 Tage gearbeitet, so daß sie die Anwartschaftszeit für Alg nicht zurückgelegt habe. Die Gewährung von Alhi komme nicht in Frage, weil die Klägerin innerhalb der Vorfrist von einem Jahr nicht 150 Kalendertage in einer Beschäftigung gestanden habe (§ 134 Abs. 1 Nr. 4b AFG). Die Bedenken der Klägerin, die Definition des Saisonarbeiters in § 1 AnwZV sei von der Ermächtigung des § 104 Abs. 1 Satz 5 AFG nicht gedeckt, teile der Senat nicht.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 104 Abs. 1 Sätze 4 und 5 AFG, des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) sowie der Art. 3 Abs. 1, Art. 12, Art. 14 GG und des in Art. 20 GG verankerten Sozialstaatsprinzips. Die AnwZV stimme materiell nicht mit der Ermächtigung des § 104 Abs. 1 Satz 5 AFG überein. Die Gesetzesgeschichte dieser Verordnung ergebe, daß mit ihr nur eine genauere Abgrenzung des Personenkreises der Saisonarbeitnehmer nach § 104 Abs. 1 Satz 4 AFG vorgenommen werden sollte. Über dieses Ziel sei der Verordnungsgeber unzulässigerweise hinausgegangen, weil er in § 1 Abs. 1 AnwZV mit dem Zeitraum von 16 Monaten vor dem Tag der Arbeitslosigkeit, in dem die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 AnwZV erfüllt sein müßten, die gesetzliche Rahmenfrist von drei Jahren zusätzlich durch eine weitere Rahmenfrist eingeengt habe. Der Sinn und Zweck der Ermächtigung, den Schutz der Saisonarbeiter sicherzustellen, werde dadurch ins Gegenteil verkehrt. Auch die Regelung in § 1 Abs. 1 Nr. 1 AnwZV sei durch die Ermächtigung in § 104 Abs. 1 Sätze 4 und 5 AFG nicht gedeckt, denn unter dem Begriff „Näheres” könne der Verordnungsgeber nicht etwas anderes bestimmen als der Gesetzgeber vorgesehen habe.
Die Bestimmung des § 1 Abs. 1 AnwZV sei überdies verfassungswidrig. Sie verstoße gegen das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 GG, weil die Voraussetzungen für die Gewährung des Anspruchs auf Alg hier sachwidrig abgegrenzt worden seien und deshalb nicht den Anforderungen sozialer Gerechtigkeit entsprächen. Weiter verstoße diese Vorschrift gegen Art. 14 GG, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sei der auf § 100 Abs. 1 AFG beruhende Anspruch auf Alg bei Vorliegen aller gesetzlichen Voraussetzungen eine Vermögenswerte Rechtsposition, die auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruhe und seiner Existenzsicherung diene. Diese Position werde in ihrem Falle verletzt. Außerdem werde die Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 GG) unzulässig beschränkt. Schließlich liege ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor, weil durch § 1 Abs. 1 AnwZV eine unsachgemäße rechtliche Differenzierung zwischen Arbeitnehmern iS des § 104 Abs. 1 Satz 4 AFG, die innerhalb der letzten 16 Monate vor dem Tag der Arbeitslosigkeit die weiteren Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 AnwZV erfüllten und solchen, die nur innerhalb der Rahmenfrist von drei Jahren 180 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hätten, vorgenommen werde. Die letztere Gruppe erfülle die Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg nicht. Darin liege eine Ungleichbehandlung, die sachlich nicht gerechtfertigt sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG und des SG sowie den Bescheid des Arbeitsamtes Regensburg vom 26. Februar 1991 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. August 1991 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 19. Dezember 1990 Arbeitslosengeld für die Dauer von 78 Tagen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend, insbesondere § 1 Abs. 1 AnwZV für ermächtigungskonform.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision, mit der die Klägerin ausschließlich einen Anspruch auf Alg weiterverfolgt, ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Alg. Sie hat die Anwartschaftszeit nicht erfüllt.
1. Anspruch auf Alg hat nach § 100 Abs. 1 AFG, wer ua die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Die Anwartschaftszeit hat nach § 104 Abs. 1 Satz 1 AFG erfüllt, wer in der Rahmenfrist 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168 AFG) gestanden hat. Dies ist bei der Klägerin nicht der Fall. Innerhalb der für sie gemäß § 104 Abs. 2 und 3 AFG geltenden dreijährigen Rahmenfrist vom 19. Dezember 1987 bis zum 18. Dezember 1990 hat sie keine 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden.
Die Klägerin gehört auch nicht zum Personenkreis des § 104 Abs. 1 Sätze 4 und 5 AFG (idF des Art. 5 Nr. 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes vom 15. Oktober 1984, BGBl I 1277, ≪ÄndG 1984≫), für den erleichterte Voraussetzungen zur Erfüllung der Anwartschaftszeit gelten. Nach § 104 Abs. 1 Satz 4 AFG beträgt bei Arbeitnehmern, die allein wegen der Besonderheiten ihres Arbeitsplatzes regelmäßig weniger als 360 Kalendertage im Jahr beschäftigt werden, die Beschäftigungszeit nach Satz 1 der Vorschrift 180 Kalendertage. Nach Satz 5 der Vorschrift bestimmt der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) Näheres zur Abgrenzung dieses Personenkreises durch Rechtsverordnung. Dies ist durch die AnwZV vom 29. Januar 1982 (BGBl I 112), geändert durch die Verordnung vom 7. Februar 1983 (BGBl I 66) und Art. 6 ÄndG 1984 geschehen.
Nach § 1 Abs. 1 AnwZV ist Arbeitnehmer iS des § 104 Abs. 1 Satz 4 AFG, wer innerhalb der letzten 16 Monate vor dem Tag der Arbeitslosigkeit, durch den nach § 104 Abs. 2 AFG die Rahmenfrist bestimmt wird, entweder Alg bezogen und mindestens 120 Kalendertage oder mindestens 180 Kalendertage bei Betrieben iS des Abs. 2 in einer Beschäftigung gestanden hat, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen kann. Nach Abs. 2 der Vorschrift sind Betriebe iS dieser Verordnung solche, in denen in der Regel jährlich wiederkehrend ua Arbeitnehmer wegen einer Produktionssteigerung für eine zusammenhängende Zeit von mindestens vier, aber weniger als zwölf Monate beschäftigt werden.
Offen kann bleiben, ob die Klägerin in einem derartigen Betrieb beschäftigt war. Das hat das LSG zwar als „unstreitig” angenommen. Als ausreichende, den Senat gemäß § 163 SGG bindende tatsächliche Feststellung kann diese Annahme mangels Angabe von insoweit subsumtionsfähigen Tatsachen freilich nicht angesehen werden. Der Senat kann dennoch in der Sache entscheiden, denn die Klägerin erfüllt nicht die weiteren Voraussetzungen des hier allein in Betracht kommenden § 1 Abs. 1 Nr. 2 AnwZV, daß sie innerhalb der letzten 16 Monate vor dem Tag der Arbeitslosigkeit, durch den nach § 104 Abs. 2 AFG die Rahmenfrist bestimmt wird, mindestens 180 Kalendertage beschäftigt war. Das LSG hat zutreffend festgestellt, daß die Klägerin in der Zeit vom 19. August 1989 bis zum 18. Dezember 1990 keine 180, sondern nur 140 Kalendertage beschäftigt war. Folglich hat die Klägerin keinen Anspruch auf Alg.
2. Diese Rechtsfolge entfällt nicht deshalb, weil die AnwZV gegen höherrangiges Recht verstößt. Die insoweit von der Klägerin geltend gemachten Einwendungen sind unbegründet.
Die AnwZV in der hier anzuwendenden Fassung des ÄndG 1984 verstößt bereits deshalb nicht gegen Art. 80 Abs. 1 GG, weil die Verordnung ihre hier maßgebende Fassung durch den Gesetzgeber selbst erhalten hat. Eine derartige Verfahrensweise ist verfassungsrechtlich unbedenklich, weil es dem Gesetzgeber nicht verwehrt sein kann, eine zunächst dem Verordnungsgeber überlassene Regelungsbefugnis wieder für sich in Anspruch zu nehmen und eine bereits vorliegende Rechtsverordnung durch Bezugnahme auf ihren Inhalt nunmehr als Gesetz zu erlassen (vgl BVerfGE 22, 330, 346).
Dafür, daß der Gesetzgeber hier so verfahren ist, spricht, daß er die AnwZV bisheriger Fassung nicht nur geringfügig geändert hat, sondern durch Streichung des bisherigen § 1 und Änderung der Paragraphenfolge auf den gesamten Inhalt der Verordnung Bezug genommen hat. Der Gesetzgeber hat damit in Gesetzesform den Inhalt der Verordnung gebilligt. Diese Annahme wird dadurch gestützt, daß Art. 6 Abs. 2 ÄndG 1984 vorsieht, daß die auf Art. 6 Abs. 1 beruhenden Teile der AnwZV aufgrund des § 104 Abs. 1 Satz 5 AFG durch Rechtsverordnung geändert werden können; denn anderenfalls hätte die Ermächtigung des § 104 Abs. 1 Satz 5 AFG nicht mehr ausgeübt werden können. Der Umstand, daß der Gesetzgeber durch das ÄndG 1984 nicht nur die AnwZV, sondern zugleich durch Art. 5 auch § 104 Abs. 1 Sätze 4 und 5 AFG geändert und die AnwZV an den geänderten § 104 Abs. 1 AFG angepaßt werden sollte (vgl den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu Art. 1b und 1c, BT-Drucks 10/2012), bestätigt dies.
3. Selbst wenn man dieser Auffassung nicht folgt und die AnwZV idF des ÄndG 1984 weiterhin als Rechtsverordnung ansieht, entspricht die gesetzliche Ermächtigung in § 104 Abs. 1 Sätze 4 und 5 AFG den Erfordernissen des Art. 80 Abs. 1 GG und die AnwZV der Ermächtigung.
Nach Art. 80 Abs. 1 GG kann ua ein Bundesminister durch Gesetz ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Dabei müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. § 104 Abs. 1 Sätze 4 und 5 AFG genügt diesen Anforderungen. Abzustellen ist insoweit auf § 104 AFG in der durch das ÄndG 1984 bestimmten Fassung; denn hätte der Verordnungsgeber die Neufassung des AnwZV erlassen, hätte er die geänderte Ermächtigung zugrunde legen müssen.
Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung sind hinreichend bestimmt. Ob das der Fall ist, ist nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zu ermitteln. Wortlaut, Zweck und Sinnzusammenhang der Ermächtigung einschließlich der Entstehungsgeschichte der Norm sind dafür maßgeblich. Grundsätzlich muß sich aus dem Gesetz selbst ermitteln lassen, welches Programm durch die Verordnung erreicht werden soll, bzw welchen Inhalt die Verordnung haben kann. Unschädlich ist, wenn die Regelung unvollkommen und deshalb ausfüllungsbedürftig ist, weil der Gesetzgeber zB unbestimmte Rechtsbegriffe verwandt hat, denn oft kann nur ein derart generalisierter Tatbestand den vielen möglichen unterschiedlichen Lebenssachverhalten, die unter ihn fallen können, gerecht werden (vgl hierzu BVerfGE 5, 71, 76 f; 8, 274, 307 ff; 41, 251, 265 f; 58, 257, 277; 78, 249, 272 f). Schließlich muß der Gesetzgeber bei einer Ermächtigung darauf achten, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen Mitteln und Zweck gewahrt bleibt (BVerfGE 8, 274, 310). Alle genannten Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Der 7. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat in seinem Urteil vom 28. Oktober 1987 (SozR 4100 § 104 Nr. 17) unter Hinweis auf sein unveröffentlichtes Urteil vom 14. Februar 1985 – 7 RAr 68/83 – ausgeführt, § 104 Abs. 1 Satz 4 AFG idF des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) ermächtige den BMA in verfassungsrechtlich zulässiger Weise zur näheren Bestimmung des in Betracht kommenden Personenkreises. Zweck der Vorschrift sei es, vor allem Saisonarbeitern den Zugang zur Arbeitslosenversicherung zu erleichtern. Aufgabe des Verordnungsgebers habe es deshalb sein müssen, den Kreis der Berechtigten danach abzugrenzen, ob sie in Betrieben beschäftigt sind oder waren, deren Beschäftigungslage von regelmäßigen Unterbrechungen bzw Schwankungen gekennzeichnet sei, wie insbesondere bei Saisonbetrieben. Im Urteil vom 14. Februar 1985 hatte der Senat bereits ausgeführt, daß die in § 104 Abs. 1 Satz 4 AFG (Fassung AFKG) erteilte Ermächtigung mit Art. 80 Abs. 1 GG vereinbar sei. Der erkennende Senat hat diese Auffassung seinem Urteil vom 29. Mai 1990 (SozR 3-4100 § 104 Nr. 1) für die in seinem Fall idF des ÄndG 1984 anzuwendende AnwZV offensichtlich als zutreffend zugrunde gelegt, denn er hat keinen Anlaß gesehen, die AnwZV aufgrund der nunmehr in § 104 Abs. 1 Satz 5 AFG erteilten Ermächtigung (erneut) daraufhin zu überprüfen, ob sie ermächtigungskonform ist.
Die Ausführungen des 7. Senats (a.a.O.) treffen inhaltlich in vollem Umfang auch für die hier zugrunde zu legende Ermächtigungsnorm – § 104 Abs. 1 Sätze 4 und 5 AFG und die AnwZV idF des ÄndG 1984 – zu.
Die Gesetzesänderung bezweckte, „typischen Saisonarbeitnehmern” den Zugang zum Alg mehr als bisher zu erleichtern. Statt 240 Kalendertage (§ 104 Abs. 1 Satz 4 AFG aF, § 1 AnwZV aF), sollte künftig eine Anwartschaftszeit von 180 Kalendertagen genügen. Die erforderliche Dauer der Anwartschaftszeit sowie die Dauer der Ansprüche sollten im Gesetz geregelt werden und nicht mehr dem Rechtsetzungsermessen des Verordnungsgebers überlassen bleiben. Ihm oblag nur noch, den in § 104 Abs. 1 Satz 4 AFG unbestimmt bezeichneten Personenkreis – „Arbeitnehmer, die allein wegen der Besonderheiten ihres Arbeitsplatzes regelmäßig weniger als 360 Kalendertage im Kalenderjahr beschäftigt werden” – diesem Ziel entsprechend zu konkretisieren. Das ergibt sich vor allem aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift (vgl dazu bereits die genannten Urteile des BSG). Anläßlich der Änderung des § 104 AFG durch das AFKG im Dezember 1981 hatte der Gesetzgeber nämlich erkannt, daß die durch das AFKG beabsichtigte Verlängerung der Anwartschaftszeit von zuvor 180 Kalendertage auf 360 Kalendertage für diese Arbeitnehmergruppe wegen der bei ihr herrschenden besonderen Verhältnisse nicht erfolgen konnte, freilich diese Gruppe („Saisonarbeitnehmer”) mangels gesetzlicher Definition nicht eindeutig abgrenzbar war (vgl Text und Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks 9/846, S 9 und 43 zu Nr. 29a). Somit bestand Bedarf, diesen Personenkreis näher zu bestimmen. Um der Rechtsprechung nicht die Konkretisierung dieses Satzes zu überlassen, sollte der Verordnungsgeber deshalb „Näheres zur Abgrenzung des Personenkreises nach Satz 4 bestimmen”. Daran hat sich durch das ÄndG 1984 nichts geändert, denn Aufgabe der AnwZV ist es weiterhin, die Merkmale zu nennen, durch die der „typische Saisonarbeitnehmer” gekennzeichnet wird. Dafür mußte sich der Verordnungsgeber am Gesamtzusammenhang des Gesetzes und dem von Gesetzgeber verfolgten Zweck, wie er im Gesetz zum Ausdruck gekommen ist, orientieren. Differenzierungen über die Grenzen der Ermächtigung hinaus waren ihm jedoch verboten, denn sonst hätte er den Gesetzgeber unzulässig korrigiert (vgl BVerfGE 13, 248, 255, 16, 332, 338 f; 58, 68, 79 und 78, 249, 274).
Der hier einschlägige § 1 Abs. 1 AnwZV entspricht der Ermächtigung des § 104 Abs. 1 Sätze 4 und 5 AFG. Die AnwZV hat insoweit nichts anderes als der Gesetzgeber bestimmt, sondern die durch Gesetz bereits vorgegebene, aber noch nicht bestimmt genug ausgefallene Abgrenzung des Personenkreises der „Saisonarbeitnehmer” zweckentsprechend konkretisiert. Dazu hat sie sich als Mittel einer Beschäftigung in „Saisonbetrieben” bestimmten Umfangs innerhalb der letzten 16 Monate von der Arbeitslosmeldung bedient. Dieses Mittel entspricht dem Ermächtigungszweck, denn es führt im Ergebnis dazu, daß nur der „typische Saisonarbeitnehmer”, der regelmäßig als Arbeitnehmer in Saisonbetrieben iS des § 1 Abs. 2 AnwZV sein Einkommen verdient, begünstigt wird. Nicht in die Vergünstigung des § 104 Abs. 1 Satz 4 AFG einbezogen werden deshalb solche Arbeitnehmer, die in den letzten 16 Monaten nicht oder nicht in dem erforderlichen Umfang in einem „Saisonbetrieb” beschäftigt gewesen sind, ungeachtet, ob sie in den 16 Monaten anderweitig beschäftigt gewesen sind oder davor innerhalb der dreijährigen Rahmenfrist in einem „Saisonbetrieb”. Die AnwZV beschränkt sich auf die „Saisonarbeiter”, die im Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung noch regelmäßig als Arbeitnehmer in Betrieben iS des § 1 Abs. 2 AnwZV ihr Einkommen verdienten. Berücksichtigt werden danach zB solche Arbeitnehmer, die in den 16 Monaten in Betrieben iS des § 1 Abs. 2 Nr. 3 AnwZV mehr als einmal für eine zusammenhängende Zeit von vier Monaten beschäftigt werden und dadurch ausweisen, daß sie nicht nur „Gelegenheitsarbeitnehmer”, sondern Arbeitnehmer sind, die ihren Lebensunterhalt wesentlich durch Arbeit in derartigen Saisonbetrieben, also als „typische Saisonarbeitnehmer” verdienen. Arbeitnehmer, die früher „Saisonarbeiter” waren, werden hingegen ebensowenig einbezogen wie Arbeitnehmer, die innerhalb der letzten 16 Monate nur gelegentlich als Aushilfen in einem „Saisonbetrieb” Arbeitseinkommen, etwa als Zubrot zum Familieneinkommen, erzielt haben. Eine solche Ausfüllung des § 104 Abs. 1 Satz 4 AFG ist nicht zu beanstanden, weil die Verkürzung der Anwartschaftszeit nicht allen Arbeitnehmern zugute kommen sollte, sondern nur solchen, die „allein” wegen der Besonderheiten ihres Arbeitsplatzes weniger als 360 Kalendertage im Jahr beschäftigt werden. Allein wegen den Besonderheiten eines Saisonarbeitsplatzes wird aber nicht weniger als 360 Kalendertage beschäftigt, wer solch einen Arbeitsplatz längere Zeit nicht mehr innehatte oder nur gelegentlich Arbeit findet. Die „weitere Rahmenfrist” des § 1 Abs. 1 AnwZV, welche lediglich zur Abgrenzung von „Saisonarbeitern” zu anderen Arbeitnehmern dient, ist daher nicht zu beanstanden. Angesichts des Gestaltungsspielraums, den das Gesetz mit der Ermächtigung zur Regelung des Näheren durch Rechtsverordnung bei unbestimmten Rechtsbegriffen einräumt, läßt sich auch nicht beanstanden, daß Personen, die innerhalb der letzten 16 Monate kein Alg bezogen haben, in dieser Zeit mindestens 180 Kalendertage in „Saisonbetrieben” beschäftigt gewesen sein müssen, um als Arbeitnehmer iS des § 104 Abs. 1 Satz 4 AFG zu gelten.
Der von der Klägerin aufgegriffene, in der Literatur vertretene Einwand, § 1 Abs. 1 AnwZV bestimme nicht das Nähere, sondern etwas anderes als die gesetzliche Ermächtigungsnorm (vgl Hennig/Kühl/Heuer/Henke, AFG, Stand November 1994, § 104 RdNr. 3 sowie Anhang II/67), geht für den hier zu beurteilenden Zusammenhang fehl. Denn er bezieht sich offensichtlich nur auf § 1 Abs. 1 Nr. 1 AnwZV, nicht aber auf den vorliegend allein einschlägigen § 1 Abs. 1 Nr. 2 AnwZV. Im übrigen dürfte die Kritik übersehen, daß § 1 AnwZV nur regelt, wer Arbeitnehmer iS des § 104 Abs. 1 Satz 4 AFG ist.
4. Die weiteren Angriffe der Klägerin gegen die Rechtswirksamkeit der AnwZV sind ebenfalls unbegründet. § 1 AnwZV verstößt nicht gegen die von der Klägerin in ihrer Revisionsbegründung genannten Grundrechte bzw das aus Art. 20 GG hergeleitete Sozialstaatsprinzip.
a) Unrichtig ist die Auffassung der Klägerin, § 1 Abs. 1 AnwZV verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen anders zu behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (stRspr seit BVerfGE 55, 72, 88). Die zweckmäßigste und gerechteste Lösung muß der Gesetzgeber nicht wählen. Maßgeblich ist lediglich, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten hat (BVerfGE 81, 108, 118).
Der hier allein maßgebliche § 1 Abs. 1 Nr. 2 iVm Abs. 2 AnwZV genügt diesen Anforderungen. Oben ist bereits aufgezeigt worden, daß Gesetzesgeschichte, – zweck und -zusammenhang der genannten Vorschriften eindeutig dafür sprechen, in § 104 Abs. 1 Satz 4 AFG unter „Arbeitnehmern, die allein wegen der Besonderheiten ihres Arbeitsplatzes regelmäßig weniger als 360 Kalendertage im Kalenderjahr beschäftigt werden”, nur „typische Saisonarbeitnehmer” zu verstehen. Nur für solche durch die AnwZV näher eingegrenzten Arbeitnehmer beträgt die Anwartschaftszeit nach Satz 1180 Kalendertage. Wer nicht zum Personenkreis der „typischen Saisonarbeitnehmer” im hier geltenden Sinn gehört, muß als „normaler” Arbeitnehmer, zB auch einer, der nacheinander mehrere jeweils befristete Arbeitsverhältnisse eingeht oder gelegentlich Aushilfsarbeiten verrichtet, innerhalb der Rahmenfrist von drei Jahren 360 Kalendertage Beschäftigungszeiten aufweisen, um einen Anspruch auf Alg erlangen zu können. Gegenüber solchen und anderen Arbeitnehmern ist die begünstigende Bestimmung des Kreises der „typischen Saisonarbeitnehmer” sachgerecht vorgenommen worden.
Ob es neben den „typischen Saisonarbeitskräften” iS der AnwZV überhaupt noch weitere Personengruppen gibt, die wegen der Besonderheiten ihres Arbeitsplatzes weniger als 360 Kalendertage im Jahr beschäftigt werden und deshalb zwar unter § 104 Abs. 1 Satz 4 AFG, nicht aber die AnwZV fallen, wie die Klägerin zur Begründung ihres Standpunktes offenbar meint, bedarf hier keiner Erörterung. Denn daß durch die mit der AnwZV erfolgte „Konkretisierung” des Personenkreises nach § 104 Abs. 1 Satz 4 AFG generell oder speziell in ihrem Fall Härten auftreten, die mehr als nur eine kleine Zahl von Personen betreffen können (vgl BVerfGE 84, 348, 360) und dadurch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz gegeben ist, ist nicht erkennbar. Weil eine Massenerscheinung zu bewältigen war, konnte eine typisierende Regelung wie geschehen gewählt werden (vgl BVerfGE 78, 214, 227).
b) Die Behauptung der Klägerin, durch die genannte Regelung werde die Freiheit der Berufsausübung unzulässig beschränkt (Art. 12 Abs. 1 GG), ist nicht nachvollziehbar, denn die Regelung enthält keinen Eingriff in dieses Rechtsgut, sondern allenfalls einen sanktionslosen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit. § 104 Abs. 1 Satz 4 und 5 AFG, § 1 AnwZV hindern niemanden, auch nicht die Klägerin, in dem (beschränkten) Umfang zu arbeiten, wie sie es bisher praktiziert hat. Ob dadurch der Zugang zu Leistungen der Arbeitslosenversicherung eröffnet wird oder nicht, ist keine Frage der Berufsfreiheit oder -ausübung iS des Art. 12 Abs. 1 GG. Selbst wenn man eine mittelbare Beeinträchtigung annehmen und grundsätzlich als ausreichend ansehen würde, fehlt den hier in Betracht kommenden Vorschriften die vom BVerfG für solche Fälle geforderte „deutlich erkennbare berufsregelnde Tendenz” (vgl Jarass/Pieroth, GG, 2. Aufl 1992, Art. 12 RdNrn 11, 23 mwN).
c) § 1 Abs. 1 AnwZV verstößt auch nicht gegen Art. 14 GG, denn vorliegend ist diese Vorschrift nicht einschlägig.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind nur solche sozialrechtlichen Positionen, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützlich zugeordnet sind, auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruhen und zudem seiner Existenzsicherung dienen, schutzwürdig (vgl BVerfGE 69, 272, 300 ff; 76, 220, 235). Dafür kommt grundsätzlich auch ein Anspruch auf Alg in Betracht (BVerfGE 72, 9, 18). Die Eigentumsgarantie schützt jedenfalls die Rechtsposition solcher Versicherten, die innerhalb der gesetzlichen Rahmenfristen die Anwartschaftszeiten erfüllt haben (BVerfG a.a.O.). Daran fehlt es im Falle der Klägerin.
d) § 1 AnwZV verstößt schließlich auch nicht gegen das Sozialstaatsprinzip. Das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG ist ein konkretisierungsbedürftiges Grundprinzip des GG, das zu verwirklichen in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers ist (BVerfGE 65, 182, 193; 71, 66, 80). Dieser soll für eine gerechte Sozialordnung sorgen (BVerfGE 22, 180, 204). Ihm steht dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zu (BVerfGE 70, 278, 288). Unter diesen Gesichtspunkten sind die angegriffenen Vorschriften nicht zu beanstanden. Sie begünstigen „typische Saisonarbeitskräfte”; die durch die AnwZV vorgenommene Konkretisierung des § 104 Abs. 1 Satz 4 AFG hält sich im Rahmen des gesetzgeberischen bzw dem Verordnungsgeber eingeräumten Gestaltungsermessens. Selbst wenn aufgrund der vorgenommenen Abgrenzung in Einzelfällen Unbilligkeiten oder Härten auftreten sollten, wäre es keine Aufgabe des Sozialstaatsprinzips, solche zu modifizieren (vgl BSGE 60, 189, 193 = SozR 2200 § 183 Nr. 50; BVerfGE 69, 272, 314 f).
Nach alledem kann die Revision keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen