Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. Dezember 1989 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Erstattung der Kosten, die er für eine Entgiftungsbehandlung des Beigeladenen in der Zeit vom 12. März bis 1. April 1982 im W. … Landeskrankenhaus M. … in Höhe von 2.285,25 DM (1.966,65 DM für Behandlung, zuzüglich 318,60 DM für Krankentransport) gezahlt hat.
Der 1940 geborene Beigeladene ist bei der Beklagten rentenversichert. Seine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung bei der AOK H.
endete am 18. August 1981. Nachdem er bereits im Jahre 1979 wegen chronischen Alkoholmißbrauchs aufgrund einer Einweisung nach dem Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten des Landes Nordrhein-Westfalen im W. … Landeskrankenhaus M. … stationär behandelt worden war, wurde er im März 1982 erneut durch richterliche Anordnung wegen Selbst- und Fremdgefährdung aufgrund fortgeschrittener Alkoholabhängigkeit in dieses Krankenhaus eingewiesen. Die Einlieferung am 12. März 1982 erfolgte aus dem Polizeigewahrsam. Ab 19. März 1982 wurde die Behandlung auf freiwilliger Grundlage fortgeführt. Am 2. April 1982 wurde der Beigeladene auf die Entwöhnungsstation übernommen. Die Kosten für die Entwöhnungsbehandlung trug die Beklagte.
Die Beklagte lehnte es dem Kläger gegenüber wiederholt ab, die von diesem vorläufig getragenen Kosten der Entzugsbehandlung zu erstatten, da es sich hier um eine reine Entgiftung gehandelt habe, die in den Zuständigkeitsbereich der Krankenkassen falle. Der Rentenversicherungsträger sei nicht als subsidiäre Krankenversicherung anzusehen.
Die Klage auf Erstattung der streitigen Kosten blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts Münster ≪SG≫ vom 9. März 1988). Die Berufung des Klägers gegen diese Entscheidung wies das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 8. Dezember 1989 zurück. Ein Erstattungsanspruch aus § 104 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches -Verwaltungsverfahren- (SGB X) sei nicht gegeben, da die Beklagte nicht der zur Leistung endgültig verpflichtete Leistungsträger sei. Bei der Entzugsbehandlung des Beigeladenen im März und April 1982 habe es sich nicht um eine medizinische Leistung zur Rehabilitation iS von § 1237 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gehandelt. Von einer Rehabilitationsmaßnahme könne auch nur dann gesprochen werden, wenn der Betroffene rehabilitationswillig und -fähig sei. Der Beigeladene sei jedoch durch richterlichen Beschluß als Notfall in das Landeskrankenhaus eingewiesen worden. Zwar habe er nach einigen Tagen sein Einverständnis zum weiteren Verbleib in stationärer Behandlung erklärt. Nach dem ärztlichen Bericht des Landesmedizinaldirektors Dr. R. … sei der Senat jedoch überzeugt, daß die Einsichtsfähigkeit in die Notwendigkeit einer Suchtbehandlung erst bei Abschluß der Entzugsbehandlung am 1. April 1982 vorgelegen habe.
Der Kläger hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Er rügt eine Verletzung der §§ 1236 ff RVO, der §§ 2, 5 und 10 des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes (RehaAnglG), des § 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), weiterhin eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sowie als Verfahrensmangel einen Verstoß gegen § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Aufgrund der Urteile des 5. Senats des BSG vom 16. November 1989 und 5. Dezember 1989 – Az: 5 RJ 3/89 und 5 RJ 19/88 – sei grundsätzlich eine Verpflichtung der Beklagten zur Erbringung einer Rehabilitationsmaßnahme, wie sie die Entgiftung des Beigeladenen darstelle, gegeben. Eine Zuordnung der streitigen Maßnahme an den Kläger als Krankenhilfeleistung gemäß § 37 BSHG sei rechtlich nicht haltbar. Die Feststellung des Berufungsgerichts, der Beigeladene sei nicht rehabilitationswillig und -fähig gewesen, könne ebenfalls nicht aufrechterhalten werden. Insofern habe das Gericht die vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen unzutreffend gewürdigt und hätte weitere Beweise erheben müssen. Ein Antrag des Beigeladenen auf Vornahme von Rehabilitationsmaßnahmen habe bei der Beklagten spätestens am 19. März 1982 vorgelegen. Zumindest ab diesem Tag seien nach der Rechtsprechung des BSG die Voraussetzungen des § 1545 Abs 1 Nr 2 RVO erfüllt.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. Dezember 1989 und des Sozialgerichts Münster vom 9. März 1988 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die in der Zeit vom 12. März 1982 bis 1. April 1982 im W. … Landeskrankenhaus M. … entstandenen Kosten für die Behandlung des Beigeladenen D. … W. … in Höhe von 2.285,25 DM zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und tritt der Rechtsauffassung des Klägers entgegen.
Der Beigeladene hat sich zur Sache nicht geäußert und auch keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II
Die kraft Zulassung durch das LSG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sowie begründete und damit auch zulässige Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die vom LSG getroffenen Feststellungen reichen für eine abschließende Entscheidung über den Antrag des Klägers noch nicht aus. Das Gericht wird weitere Ermittlungen zu den Fragen der Antragstellung gemäß § 1545 Abs 1 Nr 2 RVO, der Zustimmung nach § 4 Abs 1 Satz 1 RehaAnglG und der Erfolgsaussicht der streitigen Behandlung als Rehabilitationsmaßnahme iS von § 1236 Abs 1 Satz 1 RVO anzustellen haben.
Der erkennende Senat hat die rechtlichen Grundlagen für einen Erstattungsanspruch der streitigen Art in seinen Urteilen vom 23. April 1992 in den Verfahren 13/5 RJ 12/90 und 13 RJ 25/91, die zwischen denselben Parteien in derselben Prozeßrolle wie in diesem Rechtsstreit anhängig gewesen sind, im einzelnen und näher dargelegt. Hierauf wird zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen verwiesen. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch hier als mögliche Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch den § 104 SGB X angesehen. Ebenfalls lagen nach seinen mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen nicht angegriffenen und damit gemäß § 163 SGG für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen sowohl die allgemeine Leistungsvoraussetzung des § 1236 Abs 1a RVO als auch eine Beeinträchtigung des Befindens des Beigeladenen vor, wie sie § 1236 Abs 1 Satz 1 RVO als Ausgangssituation für eine Rehabilitation durch den Rentenversicherungsträger vorsieht.
Aus den Gründen des angefochtenen Urteils läßt sich aber nicht erkennen, was für den Antrag auf Rehabilitation iS von § 1545 Abs 1 Nr 2 RVO und die Zustimmung zu der durchgeführten Maßnahme gemäß § 4 Abs 1 Satz 1 RehaAnglG zu gelten hat. Beide Erfordernisse sind mit Rücksicht auf die Tatsache zweifelhaft, daß der Beigeladene aufgrund richterlicher Unterbringungsanordnung aus dem Polizeigewahrsam – also prima facie gegen seinen Willen – in das W. … Landeskrankenhaus M. … verbracht wurde. Zwar hat der Beigeladene bei der richterlichen Anhörung am 19. März 1982 erklärt, sich der weiteren stationären Behandlung freiwillig so lange zu unterziehen, wie es die Ärzte für erforderlich hielten. Welche Bedeutung dieser Erklärung in den beiden oben bezeichneten Beziehungen zukommt, wird vom LSG aber erst noch zu ermitteln sein. Denn offen ist bisher nicht nur, ob und wann diese Erklärung – wie zu ihrer Wirksamkeit als empfangsbedürftige Willenserklärung vorausgesetzt – dem Rentenversicherungsträger oder einem sonst Empfangsbefugten zugegangen ist. Zu beantworten ist vielmehr auch, inwieweit in dieser Erklärung gehaltlich ein Rehabilitationsantrag nach § 1545 Abs 1 Nr 2 RVO und eine Zustimmung nach § 4 Abs 1 Satz 1 RehaAnglG zu sehen sind (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 23. April 1992 – 13/5 RJ 12/90 –).
Im Hinblick auf die Besonderheit des vorliegenden Falles ist für den Rehabilitationsantrag hervorzuheben, daß ein Antrag nicht schon allein deshalb gänzlich wirkungslos ist, weil er erst im Verlauf einer bereits begonnenen Rehabilitation gestellt wurde. Das BSG hat wiederholt entschieden, daß ein nach Beginn einer Rehabilitationsmaßnahme gestellter Antrag die Erstattungsfähigkeit der Leistungen zumindest für die ab Antragstellung erfolgten Rehabilitationsbemühungen nicht ausschließt (BSGE 57, 157 = SozR 2200 § 1236 Nr 45 und BSGE 58, 263 = SozR 2200 § 1237 Nr 20). Diesen Entscheidungen liegt der Gedanke zugrunde, daß die faktische Einheit einer Rehabilitationsmaßnahme als solche nicht notwendig zur Schlußfolgerung führt, die Pflicht des Rentenversicherungsträgers zur Vornahme dieser Leistung könne ebenfalls nur einheitlich verstanden, dh lediglich für die Maßnahme insgesamt bejaht oder verneint werden. In den Entscheidungen des BSG wird vielmehr auch eine bloß abschnittsweise Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers für eine bestimmte Rehabilitationsmaßnahme als möglich angesehen. Ist damit aber der nachträgliche Eintritt eines Rentenversicherungsträgers in ein bereits laufendes Rehabilitationsverfahren der Sache nach grundsätzlich zugelassen, so kann dies für die einzelnen Voraussetzungen der Leistungspflicht des Rentenversicherungsträgers nur heißen, daß sie auch bezogen auf diesen Zeitpunkt des Eintritts zu prüfen sind und vorliegen müssen. Für die Beachtlichkeit des Rehabilitationsantrages im vorliegenden Fall kann dementsprechend auch ein späterer Zeitpunkt als der Beginn der Unterbringung des Beigeladenen im W. … Landeskrankenhaus M. … maßgebend sein.
Bei der von ihm erneut zu treffenden Entscheidung über den Rechtsstreit wird das Berufungsgericht nicht an seiner Auffassung festhalten können, daß es sich bei der im Streit stehenden Entgiftungsbehandlung des Klägers schon vom Typ her nicht um eine medizinische Leistung zur Rehabilitation iS des § 1237 RVO handeln könne. Das BSG hat wiederholt entschieden, daß die stationäre Entgiftungsbehandlung eines Alkoholkranken, die der stationären Entwöhnungsbehandlung vorausgeht, ebenso wie diese eine medizinische Leistung zur Rehabilitation iS von § 1237 RVO sein kann (BSGE 57, 157 = SozR 2200 § 1236 Nr 45; BSGE 66, 87 ff = SozR 2200 § 1237 Nr 23; Urteil vom 5. Dezember 1989 – 5 RJ 19/88 –; BSGE 67, 100, 102). Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat in diesem Rechtsstreit in gleicher Weise wie im Verfahren 13/5 RJ 12/90 an.
Das LSG wird außerdem Ermittlungen zur Frage der Erfolgsaussicht der Rehabilitation anzustellen haben. Die in § 1236 Abs 1 Satz 1 RVO normierte Zwecksetzung einer Rehabilitation durch den Träger der Rentenversicherung hat für die Prüfung im konkreten Einzelfall, ob eine Maßnahme nach §§ 1237 ff RVO zu gewähren ist oder nicht, zur Folge, daß außer der Prüfung der sonstigen Tatbestandsmerkmale stets auch eine individuell bezogene Prognose erstellt werden muß, ob und wie weit die beabsichtigte Rehabilitation Aussicht auf Erfolg hat (so zutreffend BSG SozR 3-2200 § 1237 Nr 1). Dies gilt sowohl in bezug auf die Grundfrage, ob die Krankheit nach Art und bisherigem Verlauf überhaupt im Sinne der Besserung der Erwerbsfähigkeit beeinflußt werden kann, als auch in bezug auf die Eignung jeder konkreten Einzelmaßnahme.
An einer ausreichend detaillierten Feststellung hierzu hat es das LSG bisher nicht nur für den Beginn der Maßnahme am 12. März 1982 fehlen lassen, sondern insbesondere auch für die Zeit ab 19. März 1982, nachdem der Beigeladene seine Bereitschaft erklärt hatte, sich freiwillig weiterbehandeln zu lassen. Die Tatsache, daß der Beigeladene am 12. März 1982 aus dem Polizeigewahrsam aufgrund eines gerichtlichen Unterbringungsbeschlusses in das W. … Landeskrankenhaus eingewiesen worden ist, trägt für sich allein noch nicht die Prognose, daß die am 12. März 1982 begonnene Entgiftungsbehandlung des Beigeladenen hinsichtlich seiner Erwerbsfähigkeit ohne Aussicht auf Erfolg war. Zu Recht hat der Kläger in dieser Beziehung gerügt,
daß das Gericht hierzu durch Beiziehung weiterer Unterlagen noch genauere Ermittlungen hätte anstellen müssen.
Für die vom Berufungsgericht neu zu treffende Entscheidung wird ferner auch nicht die Überlegung von Bedeutung sein können, daß der Rentenversicherungsträger in einem Fall wie hier keinen Einfluß mehr auf das konkrete „Wie” der Entgiftung iS von § 1236 Abs 1 Satz 5 RVO nehmen kann, weil bereits der Sozialhilfeträger eine konkrete Bestimmung darüber getroffen und realisiert, dh die grundsätzlich dem Rehabilitationsträger zustehende Auswahl schon faktisch vorweggenommen hat. Eine solche faktische Vorwegnahme von Sozialleistungen ist für die Rechtsfigur des Erstattungsanspruchs gerade der Anlaß zur vorhandenen gesetzlichen Regelung und insofern unabdingbare Voraussetzung des Anspruchs. Sie kann demzufolge nicht allein für sich dazu verwendet werden, um generell einen Leistungsanspruch des Versicherten gegen den Rehabilitationsträger zu verneinen und hieran anknüpfend auch einen Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers gegen den Rehabilitationsträger bei derartigen Vor-Leistungen auszuschließen. Ein anderes Ergebnis wäre insofern allenfalls dann zu vertreten, wenn der Sozialhilfeträger nicht nach den Leistungskriterien geleistet hat, die der Rentenversicherungsträger angelegt hätte, wäre er selbst Leistender gewesen, also etwa mit der konkret durchgeführten Behandlung eine Maßnahme getroffen hat, die zur Rehabilitation des Suchtkranken nicht in dem Sinn „geeignet” war, wie ihn der erkennende Senat in seinem Urteil im Verfahren 13 RJ 25/91 im Anschluß an den 5. Senat (BSGE 66, 87 = SozR 2200 § 1237 Nr 23) umrissen hat, oder die offensichtlich nicht dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit iS des § 1236 Abs 1 Satz 5 RVO genügte. Im vorliegenden Fall sind bisher keine Anhaltspunkte dafür gegeben, daß eine solche sachlich unangebrachte Behandlung des Beigeladenen durch den Kläger erfolgt ist.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen