Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Februar 1996 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt höheres Kurzarbeitergeld (Kug) für die Zeit vom 1. bis 31. August 1993.
Im Juli 1993 zeigte die Klägerin Kurzarbeit für sieben Betriebsabteilungen in der Zeit vom 1. August bis 31. Dezember 1993 an. Das Arbeitsamt (ArbA) erkannte die Voraussetzungen für Kug dem Grunde nach (§§ 63, 64 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz ≪AFG≫) für diese Zeit an (sieben Bescheide vom 20. August 1993). Auf entsprechende Anträge der Klägerin bewilligte das ArbA Kug für die Zeit vom 1. bis 31. August 1993 einschließlich des Beitragszuschusses zur Rentenversicherung; dabei legte es allerdings der Leistungsberechnung nicht die angegebene Arbeitszeit von wöchentlich 37 Stunden, sondern nur eine wöchentliche Arbeitszeit von 36 Stunden zugrunde, so daß sich Minderbeträge gegenüber den Anträgen der Klägerin ergaben (sieben Bescheide vom 30. September 1993; Widerspruchsbescheid vom 9. November 1993).
Klage und (zugelassene) Berufung blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 11. August 1994; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 28. Februar 1996). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Klägerin könne kein höheres Kug beanspruchen. Bei der Berechnung sei gemäß § 69 AFG für die nicht tarifgebundene Klägerin die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit gleicher oder ähnlicher Betriebe maßgebend. Diese betrage nach dem Manteltarifvertrag für die Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen (MTV) vom 29. Februar 1988 idF vom 6. Mai/19. Juni 1990 ab 1. April 1993 wöchentlich 36 Stunden. Die bei der Klägerin festgelegte wöchentliche Arbeitszeit von 37 Stunden für alle Arbeitnehmer entspreche nicht der Öffnungsklausel des § 3 Nr 3 MTV für eine längere Wochenarbeitszeit. Denn hiernach könne nur für höchstens 18 % aller Beschäftigten des Betriebes die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit verlängert werden; bei der Klägerin arbeiteten indes alle Arbeitnehmer 37 Stunden wöchentlich. Die Regelung des § 69 AFG begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG). § 69 AFG führe dazu, daß Arbeitnehmer nichttarifgebundener Betriebe Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nach den tatsächlichen Arbeitsstunden entrichteten und damit unter Umständen höhere Zahlungen als die Arbeitnehmer tarifgebundener Betriebe leisteten, während bei der Berechnung des Kug nur von der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit ausgegangen und eine vergleichsweise geringere Leistung erbracht werde. Diese Äquivalenzabweichung sei verfassungswidrig, weil hierfür kein hinreichender sachlicher Grund ersichtlich sei. Zumindest müsse § 69 AFG verfassungskonform dahin ausgelegt werden, daß jede von der tariflichen Wochenarbeitsstundenzahl abweichende Regelung maßgeblich sei, wenn der MTV nur überhaupt eine Öffnungsklausel enthalte; auf die im MTV vorgesehenen Voraussetzungen für die Abweichung von der tariflichen Wochenarbeitsstundenzahl, insbesondere auf die prozentuale Begrenzung der von einer verlängerten wöchentlichen Arbeitsstundenzahl betroffenen Arbeitnehmer, dürfe es nicht ankommen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 30. September 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. November 1993 zu verurteilen, höheres Kug für die Zeit vom 1. bis 31. August 1993 unter Berücksichtigung einer wöchentlichen Arbeitszeit von 37 Stunden zu zahlen,
hilfsweise,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Beigeladene hat sich weder zur Sache geäußert noch einen Antrag gestellt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist iS der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), da es an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen des LSG für eine abschließende Entscheidung fehlt.
Gegenstand der Klage ist die Höhe der Kug-Ansprüche der Arbeitnehmer in sieben Betriebsabteilungen der Klägerin. Diese Ansprüche macht die Klägerin als Prozeßstandschafterin der betroffenen Arbeitnehmer (vgl: BSGE 38, 94, 95 = SozR 1500 § 75 Nr 4; BSG SozR 3-4100 § 65 Nr 2) für den Zeitraum vom 1. bis 31. August 1993 geltend.
Ob den Arbeitnehmern der Klägerin höheres Kug zusteht, richtet sich nach § 68 AFG (hier idF des Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes und anderer Vorschriften vom 30. Juni 1989 – BGBl I 1297). Danach bemißt sich das für die Ausfallstunden zu zahlende Kug – unter Berücksichtigung der Lohnsteuerklasse und des Familienstatus (Abs 4) – nach dem Arbeitsentgelt, das der Arbeitnehmer ohne den Arbeitsausfall in der Arbeitsstunde erzielt hätte (§ 68 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und Satz 3, Abs 2 und 3 AFG; Lohnfaktor) und nach der Zahl der berücksichtigungsfähigen Ausfallstunden (Abs 1 Satz 2 Nr 2; Zeitfaktor). Die tatsächlichen Feststellungen des LSG, das sich ausschließlich mit dem Zeitfaktor befaßt hat, lassen zu keinem der die Höhe des Kug bestimmenden Kriterien eine abschließende Entscheidung zu.
Der Zeitfaktor bestimmt sich grundsätzlich nach der Anzahl der Arbeitsstunden, die der Arbeitnehmer am Ausfalltag innerhalb der Arbeitszeit (§ 69 AFG) geleistet hätte, wobei Stunden nicht zu berücksichtigen sind, für die ein Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht oder für die Arbeitsentgelt gezahlt wird (§ 68 Abs 1 Satz 2 Nr 2 AFG). Arbeitszeit iS der Vorschriften über das Kug ist die regelmäßige betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit, soweit sie die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit oder, wenn eine solche nicht besteht, die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit gleicher oder ähnlicher Betriebe nicht überschreitet (§ 69 AFG).
Nach den Ausführungen des LSG war im Betrieb der Klägerin eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 37 Stunden festgelegt; nähere tatsächliche Feststellungen hierzu fehlen, so daß dem Senat eine rechtliche Überprüfung dieses Ergebnisses auf die vom Gesetz geforderte Betriebsüblichkeit und Regelmäßigkeit nicht möglich ist. Die Arbeitszeit kann jedoch nach § 69 AFG ohnedies nur bis zur Höhe der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit, bei fehlender tariflicher Regelung bis zur Höhe der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit gleicher oder ähnlicher Betriebe berücksichtigt werden.
Auch zu diesem Punkt fehlen die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen des LSG; weder läßt sich nachvollziehen, ob oder inwieweit für die einzelnen Arbeitnehmer Tarifverträge galten, noch, weshalb der MTV iS des § 69 AFG einschlägig ist. Ebensowenig lassen die tatsächlichen Feststellungen eine Nachprüfung zu, ob und inwieweit neben dem MTV eventuell anderen Tarifverträgen eine nach § 69 AFG maßgebliche Arbeitszeit entnommen werden kann. Das LSG wird die notwendigen tatsächlichen Feststellungen ggf nachzuholen haben.
Sollte der MTV maßgebend sein, würde der Klägerin jedenfalls über den Zeitfaktor kein höheres Kug zustehen; denn im MTV ist eine wöchentliche Arbeitszeit von 36 Stunden geregelt, und eine Verlängerungsmöglichkeit ist nur für eine bestimmte – hier nicht eingehaltene – Quote (18 % aller Beschäftigten eines Betriebes) vorgesehen (§ 3 Nr 3 MTV).
Diese Feststellungen des LSG zum Inhalt der tariflichen Regelung des MTV sind für den Senat bindend; denn die Entscheidung des Berufungsgerichts über das Bestehen und den Inhalt von Vorschriften, auf deren Verletzung die Revision nicht gestützt werden kann, ist für die auf die Revision ergehende Entscheidung maßgebend (§ 202 SGG iVm § 562 Zivilprozeßordnung). § 3 Nr 3 MTV enthält kein nach § 162 SGG revisibles Recht, weil der MTV nicht über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus galt, sondern nur für das Land Nordrhein-Westfalen (§ 1 MTV). Revisibel wären die Ausführungen des LSG zum MTV somit nur, wenn bewußt und gewollt inhaltlich gleiche Vorschriften außerhalb Nordrhein-Westfalens vereinbart wären (vgl: BSGE 50, 121, 123 = SozR 4100 § 117 Nr 3; BSGE 55, 115, 116 = SozR 1500 § 162 Nr 17; BSG SozR 4100 § 117 Nr 14). Ob dies der Fall ist, hat der Senat mangels entsprechenden Vorbringens der Beteiligten nicht zu prüfen (BSGE 56, 45, 50 f = SozR 2200 § 70 Nr 1; BSG SozR 4100 § 117 Nr 14; kritisch hierzu allerdings der 11. Senat im Urteil vom 12. Dezember 1996 – 11 RAr 75/96 –, unveröffentlicht).
Entspricht aber eine Wochenarbeitszeit von 37 Stunden nicht den tarifvertraglichen Voraussetzungen für eine Abweichung von der im MTV vorgesehenen Wochenarbeitszeit von 36 Stunden, verbleibt es gemäß § 69 AFG bei einer Berechnung des Kug nach der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit von 36 Stunden (BSG, Urteil vom 31. Oktober 1996 – 11 RAr 41/96 –, zur Veröffentlichung vorgesehen; vgl auch Hennig/Kühl/Heuer/Henke, AFG, Stand April 1997, § 69 Rz 24 mwN, und Bieback in Gagel, AFG, Stand Januar 1996, § 69 Rz 25).
Daß diese Rechtsfolge verfassungsrechtlich unbedenklich ist, hat der 11. Senat in seiner Entscheidung vom 31. Oktober 1996 – 11 RAr 41/96 – (zur Veröffentlichung vorgesehen) in Fortführung einer früheren Entscheidung des erkennenden Senats vom 29. August 1974 (BSGE 38, 98, 100 ff = SozR 4100 § 69 Nr 1) ausführlich dargelegt; Raum für die vom Kläger verlangte verfassungskonforme Auslegung des § 69 AFG bleibt somit nicht.
Insbesondere verstößt die Regelung entgegen der Ansicht der Klägerin nicht gegen Art 3 Abs 1 GG. Art 3 Abs 1 GG enthält die allgemeine Weisung an den Gesetzgeber, „Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden” zu behandeln (vgl nur BVerfGE 90, 226, 239). Dabei liegt es grundsätzlich in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, die er im Rechtssinn als gleich ansehen will. Allerdings muß er die Auswahl sachgerecht treffen. Was sachlich vertretbar oder sachfremd und deshalb willkürlich erscheint, läßt sich nicht abstrakt und allgemein feststellen, sondern stets nur in bezug auf die Eigenart des konkreten Sachverhalts, der geregelt werden soll (vgl nur BVerfGE 75, 108, 157). Der normative Gehalt der Gleichheitsbindung erfährt daher seine Präzisierung jeweils im Hinblick auf die Eigenart des zu regelnden Sachbereichs (BVerfGE 90, 226, 239 mwN). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich also je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Der unterschiedlichen Weite des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums entspricht eine abgestufte Kontrolldichte bei der verfassungsrechtlichen Prüfung (vgl nur BVerfGE 92, 365, 407 und 92, 53, 69).
Die Begrenzungsnorm des § 69 AFG ist unter Berücksichtigung dieser Kriterien sachgerecht. Sie kann zwar dazu führen, daß Versicherte trotz unterschiedlicher Beitragsleistung gleiche Versicherungsleistungen erhalten; hierin liegt indes kein Verfassungsverstoß. Schon vom traditionellen Leistungsspektrum und der Leistungsausgestaltung her kennt die Arbeitslosenversicherung nur eine begrenzte Äquivalenz zwischen Beitrag und Leistung (BSG, Urteil vom 31. Oktober 1996 – 11 RAr 41/96 –, zur Veröffentlichung vorgesehen, mwN); die Regelung des § 69 AFG findet im übrigen ihre Rechtfertigung in der gesetzgeberischen Zielsetzung einer sachnahen und praktikablen Leistungsbegrenzung.
Funktion des § 69 AFG ist es nämlich, den Arbeitszeitfaktor bei der Berechnung des Kug-Anspruchs zu begrenzen und an einem standardisierten Sicherungsniveau festzuschreiben, das sich unschwer feststellen läßt (BT-Drucks V/2291 S 73 zu § 64). Wie bereits der Senat in seiner Entscheidung vom 29. August 1974 ausgeführt hat, liegt es „angesichts der Aufgabe der Tarifautonomie und des Gegengewichtsprinzips” nahe, tarifliche Regelungen als Anzeichen konjunktureller Normallagen anzusehen; § 69 AFG gewährleistet, daß das Kug keinesfalls von Hochkonjunktur beeinflußte Arbeitsbedingungen festschreibt (BSGE 38, 98, 102 = SozR 4100 § 69 Nr 1). Doch auch bei Fallgestaltungen, in denen die übertariflichen Arbeitszeiten andere Gründe haben, ist ein Abstellen auf die typisierende Regelung im Tarifvertrag sachlich gerechtfertigt. Die Begrenzung der betriebsüblichen wöchentlichen Arbeitszeit auf höchstens die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit soll nämlich verhindern, daß Betriebe, die keiner tariflichen Regelung über die Arbeitszeit unterliegen, leistungsrechtlich besser gestellt werden als Betriebe mit entsprechender tarifvertraglicher Regelung (BSG, Urteil vom 31. Oktober 1996 – 11 RAr 41/96 –, zur Veröffentlichung vorgesehen, mwN). Deshalb hat sich der Gesetzgeber bewußt gegen die ursprüngliche Fassung des Regierungsentwurfs entschieden, die eine uneingeschränkte Maßgeblichkeit der betrieblichen Arbeitszeit in nichttarifgebundenen Betrieben vorsah (vgl BT-Drucks V/2291 S 15 und V/4110 S 14 zu § 64). Durch die Begrenzung der Arbeitszeit iS des § 69 AFG wird die Kug-Berechnung standardisiert und an einem einheitlichen Sicherungsniveau ausgerichtet (vgl: BSGE 38, 98, 102 = SozR 4100 § 69 Nr 1; BSG SozR 3-4100 § 69 Nr 1; BSG, Urteil vom 31. Oktober 1996 – 11 RAr 41/96 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Der Gesetzgeber hätte insoweit selbst die Höchstgrenze des Zeitfaktors für die Bemessung des Kug festlegen können. Wenn er aber hierfür die jeweils maßgebliche tarifliche Norm als Bemessungsgrenze übernimmt, ist eine größere Sachnähe und Beweglichkeit gesichert, als wenn er selbst eine eigenständige starre gesetzliche Höchstgrenze festlegte (BSG, Urteil vom 31. Oktober 1996, aaO).
Sollte mithin, wie vom LSG angenommen, der MTV tatsächlich anwendbar sein, würde sich höheres Kug jedenfalls nicht unter Berücksichtigung des Zeitfaktors ergeben. Das LSG wird in diesem Fall die Höhe des den Arbeitnehmern der Klägerin zustehenden Kug unter Berücksichtigung der sonstigen gesetzlichen Kriterien zu überprüfen haben. Sollten sich dabei höhere Leistungen ergeben, wären allerdings auch die Voraussetzungen für den Bezug von Kug zu überprüfen, soweit dies nicht aufgrund der vorliegenden Anerkennungsbescheide ausgeschlossen ist. Das LSG wird schließlich zu prüfen haben, ob die Klägerin nicht neben höherem Kug auch höhere Beitragszuschüsse zur Rentenversicherung geltend macht und weitere Bescheide über die Gewährung von Kug für September bis Dezember Gegenstand des Verfahrens geworden sind; es wird außerdem über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen