Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Aufwendungen einer Arbeitgeberin für eine betriebliche Jubiläumsfeier bei nachträglicher Pauschalbesteuerung. Arbeitsentgelt. Beitragspflicht. Betragsfreiheit
Leitsatz (redaktionell)
1. Werden Aufwendungen für eine betriebliche Jubiläumsfeier von mehr als 110 Euro je Beschäftigtem nicht mit der Entgeltabrechnung, sondern erst erheblich später pauschal versteuert, sind für sie als geldwerter Vorteil die Sozialversicherungsbeiträge nachzuerheben.
2. Die Belange der Sozialversicherung erfordern aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit grundsätzlich, dass nach der Entstehung des Beitragsanspruchs dem Grunde nach die endgültige Höhe des Arbeitsentgelts und damit der Beiträge nicht von ungewissen in der Zukunft liegenden Ereignissen abhängig ist. Die Anwendung unterschiedlicher Grundsätze im Steuer- und im Beitragsrecht ist insoweit verfassungsrechtlich unbedenklich.
Normenkette
SGB IV §§ 14, 17, 28g; SvEV § 1 Abs. 1 S. 2; EStG § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a, § 40 Abs. 2, § 41b Abs. 2, § 41c Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. März 2022 sowie des Sozialgerichts Oldenburg vom 29. Januar 2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten in allen Rechtszügen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 60 043,71 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Umlagen in Höhe von 60 043,71 Euro auf Zuwendungen an die Beschäftigten der Klägerin im Rahmen einer Betriebsjubiläumsfeier.
Die klagende GmbH feierte am 5.9.2015 ihr Firmenjubiläum mit den Beschäftigten. Nachdem sie die hierfür aufgewendeten Kosten zunächst nicht bei der Steueranmeldung für September 2015 vom 8.10.2015 berücksichtigt und insoweit auch keine Lohnsteuer vom Arbeitslohn ihrer Arbeitnehmer einbehalten hatte, meldete die Klägerin am 31.3.2016 für September 2015 einen Betrag von 162 892,96 Euro für 162 Arbeitnehmer zur pauschalen Besteuerung an. Das Finanzamt akzeptierte dies (Bericht des Finanzamts vom 3.9.2018, Bescheid des Finanzamts über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung vom 26.9.2018, Abfrage des Steuerkontos der Klägerin vom 28.2.2022) .
Die Beklagte forderte nach einer Betriebsprüfung Beiträge und Umlagen in Höhe von 60 043,71 Euro auf die Aufwendungen der Klägerin zur Betriebsfeier. Ausgehend von dem pauschal versteuerten Gesamtbetrag legte sie in der gesetzlichen Kranken- (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) eine Entgeltsumme von 143 634,68 Euro und in der gesetzlichen Renten- (GRV), Arbeitslosenversicherung sowie für die Insolvenzgeldumlage von 156 473,53 Euro zugrunde. Dabei berücksichtigte sie, dass ein Teil der Beschäftigten der Klägerin die Jahresarbeitsentgeltgrenze in der GKV und sPV sowie die Beitragsbemessungsgrenze in der GRV und Arbeitslosenversicherung überschritten habe (Betriebsprüfungsbescheid vom 4.12.2017; Widerspruchsbescheid vom 31.5.2018) .
Das SG hat die Bescheide aufgehoben (Urteil vom 29.1.2020) , das LSG die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, Arbeitslohn aus Anlass von Betriebsveranstaltungen sei gemäß § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 3 Sozialversicherungsentgeltverordnung (SvEV), § 40 Abs 2 Einkommensteuergesetz (EStG) nicht dem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgelt zuzurechnen, wenn er 110 Euro pro Arbeitnehmer übersteige und vom Arbeitgeber pauschal besteuert worden sei. Maßgebend sei, dass die pauschale Besteuerung hier tatsächlich stattgefunden habe. Die Rentenversicherungsträger seien an die Entscheidung der Finanzverwaltung gebunden. Die Auffassung, dass nur eine bis zum 28.2.2016 geltend gemachte Pauschalbesteuerung sozialversicherungsrechtlich relevant sein könne, finde im Gesetz keine Stütze. Der Lohnsteuerbescheinigung, die bis zum 28.2. des Folgejahres auszustellen gewesen sei, komme vorliegend keine entscheidende Bedeutung zu. Während die Steueranmeldung wie eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung wirke, beweise die Lohnsteuerbescheinigung lediglich den Ist-Betrag der vom Entgelt abgeführten Lohnsteuer. Die Lohnsteueranmeldung zur Pauschalbesteuerung könne anders als der Lohnsteuerabzug vom Entgelt grundsätzlich auch nach Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung geändert werden. Sie beschreibe - ähnlich wie eine Festsetzung des Finanzamts - den Sollbetrag der Entrichtungssteuerschuld. Deren Korrektur sei möglich, solange - wie hier am 31.3.2016 - der Vorbehalt der Nachprüfung bestehe. Das Gesetz sehe keine Sanktion für die ursprünglich unterbliebene und erst nachträglich angemeldete Besteuerung vor (Urteil vom 24.3.2022) .
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 1 Abs 1 Satz 2 SvEV . Nach dieser zum 22.4.2015 geänderten Regelung komme es nicht mehr auf die Möglichkeit, sondern die tatsächliche Durchführung der Pauschalbesteuerung im Entgeltabrechnungszeitraum an. Die Beiträge zur Sozialversicherung seien jedenfalls am 28.2.2016 fällig gewesen, daran habe die Pauschalversteuerung am 31.3.2016 nichts mehr ändern können. Der steuerrechtliche Vorbehalt der Nachprüfung von vier Jahren sei nicht auf das Sozialversicherungsrecht zu übertragen. Im Beitragsrecht gebe es keine Beitragsvorauszahlung oder vorläufige Beiträge. Es sei kein Sollbeitrag, sondern immer ein Istbeitrag fällig. Im Sozialversicherungsrecht müsse im Monat der Entstehung des Anspruchs auf laufendes Entgelt und im Monat des Zuflusses einmalig gezahlten Arbeitsentgelts über die Beitragspflicht entschieden werden, um die Beiträge zum Fälligkeitszeitpunkt rechtzeitig zahlen zu können. Im Übrigen fehle es in der SvEV an einem Anwendungsbefehl für die Abgabenordnung (AO).
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. März 2022 sowie des Sozialgerichts Oldenburg vom 29. Januar 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Beitragsrechtlich werde kein "korrekter" Beitrag erhoben. Vielmehr seien jeden Monat die Beiträge zu schätzen, da die Beitragsnachweise spätestens am fünftletzten Bankarbeitstag zu übermitteln seien, wenn in der Regel noch keine Entgeltabrechnung vorliege. Arbeitgeber könnten generell auf den Vormonat zurückgreifen und mögliche Differenzen mit der Beitragsabrechnung des Folgemonats ausgleichen. Einmalig gezahltes Arbeitsentgelt sei dem Monat der Auszahlung zuzuordnen. Die Beitragshöhe sei gegebenenfalls durch Schätzung zu ermitteln. Eine zeitliche Beschränkung für die Pauschalbesteuerung sei § 1 SvEV nicht zu entnehmen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Die Urteile der Vorinstanzen sind aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der angefochtene Betriebsprüfungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat zu Recht Beiträge und Insolvenzgeldumlage anlässlich der Betriebsjubiläumsfeier festgesetzt.
Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide sind § 28p Abs 1 Satz 1 und 5 sowie § 28f Abs 2 Satz 1 SGB IV (jeweils in der Fassung ≪idF≫ der Bekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710) . Danach erlassen die Rentenversicherungsträger im Rahmen der Prüfung bei den Arbeitgebern Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der GKV, GRV und sPV sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide. Der prüfende Rentenversicherungsträger kann die Beiträge von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen, wenn eine personenbezogene Feststellung der Beitragshöhe wegen einer Aufzeichnungspflichtverletzung des Arbeitgebers nicht möglich ist. Das gilt für die Insolvenzgeldumlage entsprechend ( § 359 Abs 1 Satz 2 SGB III idF des Unfallversicherungsmodernisierungsgesetzes vom 30.10.2008, BGBl I 2130).
1. Der Beitragsbemessung in der Sozialversicherung liegt ua das Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zugrunde ( § 162 Nr 1 SGB VI idF der Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754; § 226 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V ; § 57 Abs 1 Satz 1 SGB XI idF des Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf vom 23.12.2014, BGBl I 2462; § 341 Abs 3 Satz 1, § 342 SGB III ) . Die Umlage für das Insolvenzgeld ist nach einem Prozentsatz des Arbeitsentgelts zu erheben ( § 358 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Satz 1 SGB III idF des Unfallversicherungsmodernisierungsgesetzes vom 30.10.2008, BGBl I 2130) . Die anlässlich der Jubiläumsfeier entstandenen Aufwendungen der Klägerin sind als Zuwendungen an die Beschäftigten Arbeitsentgelt (dazu a) und nicht ausnahmsweise beitragsfrei (dazu b) .
a) Das Arbeitsentgelt wird in § 14 Abs 1 Satz 1 SGB IV (idF der Bekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710) definiert als alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Der im Sozialversicherungsrecht nicht definierte Begriff der Einnahmen umfasst jeden geldwerten Vorteil, der dem Versicherten in ursächlichem Zusammenhang mit einer Beschäftigung zufließt. Hierzu gehören die Gegenleistungen des Arbeitgebers für die erbrachte Arbeitsleistung des Beschäftigten, in erster Linie der tarif- oder einzelvertraglich vereinbarte Bruttoverdienst, aber auch sonstige Vorteile, die mit Rücksicht auf das der Beschäftigung zugrunde liegende Rechtsverhältnis gewährt werden einschließlich Sachgütern in Geldeswert (vgl BSG Urteil vom 18.10.2022 - B 12 R 7/20 R - SozR 4-2400 § 28p Nr 8 RdNr 22, zur Veröffentlichung in BSGE 135, 65 vorgesehen; BSG Urteil vom 28.6.2022 - B 12 R 1/20 R - SozR 4-2400 § 14 Nr 26 RdNr 12, jeweils mwN) . Aufwendungen, die eine Arbeitgeberin - wie hier - anlässlich einer Betriebsveranstaltung für Güter und Dienstleistungen hat, die sie ihren Beschäftigten kostenlos zur Verfügung stellt, sind Sachgüter in Geldeswert, die mit Rücksicht auf die Beschäftigung gewährt werden, und deshalb sozialversicherungsrechtlich dem Arbeitsentgelt zuzurechnen sind.
b) Dieses Arbeitsentgelt ist nicht gemäß § 17 Abs 1 SGB IV (idF des Dritten Gesetzes zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze vom 5.8.2010, BGBl I 1127) iVm § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SvEV (idF der Verordnung zur Neuordnung der Regelungen über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt vom 21.12.2006, BGBl I 3385) beitragsfrei. Danach sind dem Arbeitsentgelt nicht zuzurechnen Einnahmen nach § 40 Abs 2 EStG (idF des Gesetzes zur Anpassung der AO an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 22.12.2014, BGBl I 2417) . Das gilt aber nur, soweit diese Einnahmen vom Arbeitgeber oder von einem Dritten mit der Entgeltabrechnung für den jeweiligen Abrechnungszeitraum lohnsteuerfrei belassen oder pauschal besteuert werden ( § 1 Abs 1 Satz 2 SvEV idF des Fünften Gesetzes zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze ≪5. SGB IV-ÄndG≫ vom 15.4.2015, BGBl I 583) . Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Aufwendungen der Klägerin für die Jubiläumsfeier sind in Höhe der dem Finanzamt gemeldeten Summe Einnahmen nach § 40 Abs 2 EStG (dazu aa) . Sie wurden auch von der Klägerin pauschal besteuert (dazu bb) . Das erfolgte jedoch nicht rechtzeitig mit der Entgeltabrechnung (dazu cc) .
aa) Der Arbeitgeber kann die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz von 25 Prozent ua erheben, soweit er Arbeitslohn aus Anlass von Betriebsveranstaltungen zahlt ( § 40 Abs 2 Satz 1 Nr 2 EStG idF der Bekanntmachung vom 8.10.2009, BGBl I 3366) . Eine Betriebsveranstaltung ist eine Veranstaltung auf betrieblicher Ebene mit gesellschaftlichem Charakter ( § 19 Abs 1 Satz 1 Nr 1a Satz 1 EStG idF des Gesetzes zur Anpassung der AO an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 22.12.2014, BGBl I 2417) . Diese Voraussetzungen erfüllte das Firmenjubiläum der Klägerin am 5.9.2015. Das Steuerrecht definiert Zuwendungen anlässlich einer solchen Betriebsveranstaltung als alle insoweit entstandenen Aufwendungen des Arbeitgebers einschließlich Umsatzsteuer unabhängig davon, ob sie einzelnen Arbeitnehmern individuell zurechenbar sind oder ob es sich um einen rechnerischen Anteil an den Kosten der Betriebsveranstaltung handelt, die der Arbeitgeber gegenüber Dritten für den äußeren Rahmen der Betriebsveranstaltung aufwendet ( § 19 Abs 1 Satz 1 Nr 1a Satz 2 EStG ) . Sie gehören nicht zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, soweit sie den Betrag von 110 Euro je Betriebsveranstaltung und je teilnehmenden Arbeitnehmer nicht übersteigen und die Teilnahme an der Veranstaltung allen Angehörigen des Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht (vgl § 19 Abs 1 Satz 1 Nr 1a Satz 3 EStG ) . Damit waren die 110 Euro pro beschäftigte Person übersteigenden Aufwendungen der Klägerin zu berücksichtigende Zuwendungen für eine Betriebsveranstaltung und der Gesamtbetrag in Höhe von 162 892,96 Euro grundsätzlich zur Pauschalbesteuerung geeignet.
bb) Die pauschale Besteuerung iS des § 1 Abs 1 Satz 2 SvEV setzt voraus, dass der Arbeitgeber - wie hier - die pauschale Steuer tatsächlich entrichtet, zumindest aber zur Lohnsteuer angemeldet hat. Für die Beitragsfreiheit von Einnahmen nach § 40 Abs 2 EStG ist es zwar notwendig, aber nicht ausreichend, diese in der Entgeltabrechnung für den Abrechnungszeitraum gegenüber den Beschäftigten nicht der Lohnsteuer zu unterwerfen. Vielmehr müssen solche Zuwendungen zumindest auch zur pauschalen Besteuerung angemeldet sein.
Die Voraussetzung "lohnsteuerfrei belassen oder pauschal besteuert" verlangt § 1 Abs 1 Satz 2 SvEV für die in § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 bis 4a, 9 bis 11, 13, 15 und 16 SvEV genannten Einnahmen, Zuwendungen und Leistungen. Damit wird auch an Formen des Arbeitsentgelts angeknüpft, für die eine pauschale Besteuerung nicht vorgesehen ist. Insoweit bestimmt sich die Lohnsteuerfreiheit allein nach den Vorschriften des EStG mit der Folge, dass Lohnsteuer vom Arbeitslohn nicht einzubehalten und abzuführen ist (vgl § 39b EStG idF des Gesetzes zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags vom 16.7.2015, BGBl I 1202) . Dagegen tritt Lohnsteuerfreiheit bei der pauschalen Besteuerung nicht per se ein; vielmehr übernimmt der Arbeitgeber die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers (vgl § 40 Abs 3 Satz 1 iVm § 38 Abs 2 Satz 1 EStG , jeweils idF der Bekanntmachung vom 8.10.2009, BGBl I 3366) . Dadurch sind die beiden Alternativen des § 1 Abs 1 Satz 2 SvEV in diesem Fall miteinander verschränkt und bedingen sich gegenseitig.
Entgegen der Ansicht der Klägerin führt das Wort "belassen" im Zusammenhang mit dem Wort "Entgeltabrechnung" nicht dazu, dass der bloße Nichtabzug von Lohnsteuer vom Entgelt des Beschäftigten auch dann ausreichend ist, um die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 2 SvEV zu erfüllen, wenn eine pauschale Besteuerung noch möglich ist. Die beiden Tatbestandsalternativen "lohnsteuerfrei belassen" und "pauschal besteuert" stehen im Fall des § 40 Abs 2 EStG nicht als echte Alternativen nebeneinander, vielmehr ist das Wort "oder" in diesem Zusammenhang als "beziehungsweise" zu verstehen. Einkommensteuerrechtlich setzt die den Beschäftigten zugutekommende Übernahme der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber ( § 40 Abs 3 Satz 2 EStG idF der Bekanntmachung vom 8.10.2009, BGBl I 3366) zumindest die Anmeldung der Pauschalbesteuerung bei den Finanzbehörden voraus. Die Steueranmeldung steht einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich ( § 168 Satz 1 AO idF der Bekanntmachung vom 1.10.2002, BGBl I 3866) . Erst dadurch bleiben der pauschal besteuerte Arbeitslohn und die pauschale Lohnsteuer bei der Veranlagung zur Einkommensteuer und beim Lohnsteuer-Jahresausgleich des Beschäftigten außer Ansatz ( § 40 Abs 3 Satz 3 EStG idF vom 8.10.2009 aaO) und sind iS des § 1 Abs 1 Satz 2 SvEV lohnsteuerfrei "belassen".
Diese Auslegung entspricht der gesetzeshistorischen Intention des Verordnungsgebers. Nach § 1 Abs 1 Satz 2 SvEV in der bis 21.4.2015 geltenden Fassung des Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes vom 7.12.2011, BGBl I 2592 sind die hier maßgeblichen Zuwendungen dann nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen, soweit der Arbeitgeber die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz "erheben kann". Demgegenüber setzt die Neuformulierung des § 1 Abs 1 Satz 2 SvEV zum 22.4.2015 (5. SGB IV- ÄndG vom 15.4.2015, BGBl I 583) voraus, dass die Zuwendungen "pauschal besteuert werden". Damit ist zum Ausdruck gebracht worden, dass nicht "die Möglichkeit der steuerfreien oder pauschalbesteuerten Erhebung der Lohnsteuer für die Beitragsfreiheit … ausreicht", sondern "es auf die tatsächliche Erhebung der Lohnsteuer ankommt" ( BT-Drucks 18/3699 S 48 zu Art 13 zu Nr 2 und 3) .
cc) Die Klägerin hat die Aufwendungen für die Betriebsfeier nicht rechtzeitig zur pauschalen Besteuerung angemeldet. "Mit der Entgeltabrechnung für den jeweiligen Abrechnungszeitraum" iS des § 1 Satz 2 SvEV setzt eine zeitliche Parallelität von Abrechnung und pauschaler Besteuerung voraus. Abrechnungszeitraum ist der zwischen Arbeitgeber und Beschäftigtem vereinbarte Zeitraum, für den Arbeitsentgelt zu zahlen und abzurechnen ist. Das ist nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG hier ein Monat, nach dessen Ende auch die Abrechnung des jeweiligen Entgelts zu erfolgen hatte.
Die Formulierung "mit der Entgeltabrechnung" bezieht sich schon nach ihrem Wortlaut auf beide Alternativen des § 1 Abs 1 Satz 2 SvEV . Der Arbeitgeber hat damit zeitgleich in der an die Beschäftigten zu richtenden Entgeltabrechnung davon abzusehen, Lohnsteuer einzubehalten, und in einer Meldung an das Finanzamt die Steuerschuld durch die Pauschalbesteuerung zu übernehmen.
Auch dieses zeitliche Erfordernis wird durch die Gesetzeshistorie belegt. Mit der Änderung des § 1 Abs 1 Satz 2 SvEV zum 22.4.2015 wollte der Verordnungsgeber die Übertragung einer Entscheidung des BFH (Urteil vom 13.11.2012 - VI R 38/11 - BFHE 239, 403 ) auf das Beitragsrecht verhindern, nach der eine Änderung der Lohnsteuerfestsetzung möglich ist, solange sie noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht ( § 164 Abs 2 Satz 1 AO ) . Das hat zur Folge, dass die pauschale Besteuerung nach § 40 Abs 2 EStG innerhalb der Steuerfestsetzungsfrist von vier Jahren noch geändert werden kann ( § 164 Abs 4, § 168 Satz 1, § 169 Abs 2 Nr 2 AO ) . Der Verordnungsgeber sah sich zu der Umformulierung veranlasst, weil es beitragsrechtlich auf die tatsächliche Erhebung der Lohnsteuer ankomme. Es sollte verhindert werden, dass eine im Nachhinein geltend gemachte Steuerfreiheit oder Pauschalbesteuerung dazu führt, dass Sozialversicherungsbeiträge zu erstatten sind ( BT-Drucks 18/3699 S 48 zu Art 13 zu Nr 2 und 3) . Die Pauschalbesteuerung und die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge sollten zeitgleich feststehen.
Diese Auslegung entspricht auch der Systematik sowie dem Sinn und Zweck des § 1 Abs 1 Satz 2 SvEV . § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SvEV über die Nichtzurechnung von Einnahmen zum Arbeitsentgelt nach § 40 Abs 2 EStG regelt eine Ausnahme zur generellen Beitragspflicht des Arbeitsentgelts ( § 17 Abs 1 Satz 1 Nr 1, § 14 Abs 1 SGB IV iVm § 162 Nr 1 SGB VI , § 226 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V , § 57 Abs 1 Satz 1 SGB XI , § 341 Abs 3 Satz 1 und § 342 SGB III ) und ist deshalb eng auszulegen. § 1 Abs 1 Satz 2 SvEV definiert in Umsetzung der Ermächtigung des § 17 SGB IV die Grenzen der grundsätzlich angestrebten Übereinstimmung des Beitragsrechts mit dem Steuerrecht. Der Verordnungsgeber darf zwar zur Wahrung der Belange der Sozialversicherung und der Arbeitsförderung oder zur Vereinfachung des Beitragseinzugs steuerfreie Einnahmen von der Zurechnung zum Arbeitsentgelt ausnehmen ( § 17 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB IV ) und bestimmen wie das Arbeitsentgelt zu ermitteln und zeitlich zuzurechnen ist (Nr 3) . Dabei hat er auch eine möglichst weitgehende Übereinstimmung mit dem Steuerrecht sicherzustellen ( § 17 Abs 1 Satz 2 SGB IV ) . Der Verordnungsgeber ist deshalb aber nicht gehindert, den Besonderheiten des Beitragsrechts gegenüber dem Steuerrecht Rechnung zu tragen.
Während die pauschalen Steuern durch den Arbeitgeber zu entrichten sind, der durch die Anmeldung der Pauschalbesteuerung beim Finanzamt eine eigene Steuerschuld auslöst ( § 40 Abs 3 EStG ), setzt sich der Gesamtsozialversicherungsbeitrag aus den Beitragsanteilen der Beschäftigten und der Arbeitgeber zusammen ( § 28d Satz 1 und 2, § 28g Satz 1 SGB IV idF der Bekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710) . Ein Beitragsjahresausgleich findet anders als im Steuerrecht nicht statt. Es bestehen keine Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitgeber; pauschale Beiträge mit besonderen Beitragssätzen sind in der GKV, sPV, GRV und Arbeitslosenversicherung nicht vorgesehen. Während steuerrechtlich der Arbeitgeber zwar für die Lohnsteuerschuld haftet ( § 42d Abs 1 Nr 1 EStG ; BFH Urteil vom 30.10.2008 - VI R 10/05 - BFHE 223, 202 ), der Abzug der Steuer vom Entgelt aber bis zu zwei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres nachgeholt werden kann und sie danach gegebenenfalls noch vom Arbeitnehmer gefordert werden kann ( § 36 Abs 4, §§ 25 ff EStG , § 426 BGB ; BAG Urteil vom 16.6.2004 - 5 AZR 521/03 - BAGE 111, 131 ), ist für ihn die Rückforderung von Beitragsanteilen von den Arbeitnehmern sozialversicherungsrechtlich nach Ablauf von drei Monaten ( § 28g Satz 2 bis 4 SGB IV ) - von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen - grundsätzlich ausgeschlossen.
Das Sozialversicherungsrecht dient zudem neben der sozialen Absicherung der Beschäftigten auch dem Schutz der die Mitglieder der Pflichtversicherungssysteme abbildenden Solidargemeinschaft und ist deshalb bedingungsfeindlich. Die Versicherungsträger müssen bei der Entstehung des Beitragsanspruchs anhand der Höhe des Arbeitsentgelts das versicherte Risiko bestimmen können ( BSG Urteil vom 7.2.2002 - B 12 KR 13/01 R - SozR 3-2400 § 14 Nr 24 S 62). Die Belange der Sozialversicherung erfordern aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit grundsätzlich, dass nach der Entstehung des Beitragsanspruchs dem Grunde nach die endgültige Höhe des Arbeitsentgelts und damit der Beiträge nicht von ungewissen in der Zukunft liegenden Ereignissen abhängig ist ( BSG Urteil vom 7.2.2002 - B 12 KR 13/01 R - SozR 3-2400 § 14 Nr 24; BSG Urteil vom 26.1.2005 - B 12 KR 3/04 R - SozR 4-2400 § 14 Nr 7 RdNr 16 mwN) . Die Anwendung unterschiedlicher Grundsätze im Steuer- und im Beitragsrecht ist insoweit verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl BVerfG Beschluss vom 15.4.1986 - 1 BvR 1304/85 - SozR 2200 § 385 Nr 15 S 73 f).
Es kann dahingestellt bleiben, ob ungeachtet der Vorschriften des SGB IV (jeweils idF der Bekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710) zur Entstehung von Beitragsansprüchen (§ 22 Abs 1 Satz 2), Fälligkeit der Beiträge (§ 23 Abs 1 Satz 2, § 23a Abs 1 Satz 3) und zum Wegfall der Zahlungspflicht (§ 76 Abs 2 und 4) die Pauschalbesteuerung von Arbeitsentgelt nach dem Monat der Entgeltabrechnung das Entstehen der Beitragspflicht hinauszögern oder die Zahlungspflicht entfallen lassen kann (so das Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 20.4.2016, Die Beiträge 2016, 513, 514 f) . Eine Pauschalbesteuerung - wie hier - erst am 31.3. des auf den Entgeltabrechnungsmonat folgenden Jahres ist dafür jedenfalls nicht ausreichend. Spätestens mit der Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung war die Pauschalbesteuerung der Zuwendungen sozialversicherungsrechtlich nicht mehr "mit" der Entgeltabrechnung möglich. Die Klägerin konnte danach weder nachträglich Lohnsteuer vom Entgelt ihrer Beschäftigten für September 2015 erheben noch die Entgeltabrechnung ihrer Beschäftigten im Hinblick auf die Sozialversicherungsbeiträge ändern und eine Zeitgleichheit mit der pauschalen Besteuerung herstellen. Die Lohnsteuerbescheinigung dient ua - darauf hat das LSG zutreffend hingewiesen - dem Beweis des Ist-Zustands (vgl BFH Urteil vom 30.10.2008 - VI R 10/05 - BFHE 223, 202 , juris RdNr 10; BFH Urteil vom 13.11.2012 - VI R 38/11 - BFHE 239, 403 , juris RdNr 16) , also der tatsächlich gezahlten Lohnsteuer ( § 41b Abs 1 Satz 2 Nr 4 EStG idF der Bekanntmachung vom 8.10.2009, BGBl I 3366) und weist das gezahlte Entgelt aus ( § 41b Abs 1 Satz 2 Nr 3 EStG idF des Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25.7.2014, BGBl I 1266) . Ähnlich dem Einkommensteuerbescheid in der freiwilligen Krankenversicherung (vgl BSG Urteil vom 28.6.2022 - B 12 KR 11/20 R - BSGE 134, 225 = SozR 4-2500 § 240 Nr 38, RdNr 32 f mwN) dient die Lohnsteuerbescheinigung auch beitragsrechtlich dem Nachweis der tatsächlich (nicht) abgeführten Lohnsteuer.
Nach Ablauf eines Kalenderjahres ist die Änderung des Lohnsteuerabzugs vom Entgelt für das vorhergehende Kalenderjahr steuerrechtlich nur bis zur Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung zulässig; die Lohnsteuerbescheinigung ist bis zum 28. Februar des Folgejahres zu übermitteln ( § 41c Abs 3 Satz 1, § 41b Abs 1 Satz 2 EStG , jeweils idF der Bekanntmachung vom 8.10.2009, BGBl I 3366) . Ein unzutreffender Lohnsteuerabzug kann danach nicht mehr ungeschehen gemacht werden ( BFH Urteil vom 13.12.2007 - VI R 57/04 - BFHE 220, 124 , juris RdNr 16) , dh eine Änderung ist dem Arbeitgeber nicht mehr möglich. Sozialversicherungsrechtlich setzt § 28g Satz 2 und 3 SGB IV (idF der Bekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710) der Änderung der Entgeltabrechnungen zeitliche Grenzen. Der Anspruch des Arbeitgebers gegen den Beschäftigten auf den von ihm zu tragenden Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag kann nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend gemacht werden. Ein unterbliebener Abzug darf - von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen - grundsätzlich nur bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltszahlungen nachgeholt werden. Diese Frist war am 31.3.2016 ebenfalls abgelaufen.
2. Die Höhe der geforderten Beiträge und Umlage ist nicht zu beanstanden ( §§ 341 f SGB III , §§ 223 , 241 ff SGB V , §§ 157 ff, 162 SGB VI , §§ 54 f SGB XI , § 358 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB III ) , insbesondere hat die Beklagte die Beitragsbemessungsgrenze in der GRV und Arbeitslosenversicherung sowie Jahresarbeitsentgeltgrenze in der GKV und sPV berücksichtigt. Die Beteiligten wenden sich auch nicht gegen die Berechnung der geforderten Beiträge und Umlage.
3. Die Beklagte hat die Beiträge und Umlagen auch rechtmäßig durch Summenbescheid ( § 28f Abs 1 Satz 1, Abs 2 Satz 1 SGB IV idF des Vierten Gesetzes zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze vom 22.12.2011, BGBl I 3057) festgesetzt. Die Klägerin hätte die Aufwendungen für die Betriebsjubiläumsfeier bei jedem teilnehmenden Beschäftigten als Arbeitsentgelt zeitlich zugeordnet aufzeichnen müssen. Aufgrund der fehlenden Zuordnung und Dokumentation der tatsächlich teilnehmenden Beschäftigten konnte die Beitragshöhe nicht - beschäftigtenbezogen - (vgl § 28d Satz 1 und 2 SGB IV und BSG Urteil vom 17.12.1985 - 12 RK 30/83 - BSGE 59, 235, 238 = SozR 2200 § 1399 Nr 16 S 38, juris RdNr 18) festgestellt werden.
4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG , § 154 Abs 1 bis 3, § 162 Abs 3 VwGO .
Fundstellen
Haufe-Index 16327019 |
BFH/NV 2024, 1408 |
BB 2024, 981 |
DStR 2024, 10 |
DStR 2024, 1621 |
NWB 2024, 1313 |
AuA 2024, 49 |
BC 2024, 243 |
BC 2024, 244 |
LGP 2024, 123 |
LGP 2024, 94 |
NZS 2024, 7 |
NZS 2024, 826 |
SGb 2024, 413 |
ASR 2024, 3 |
ArbRB 2024, 127 |
Lohn und Gehalt direkt digital 2024, 21 |