Entscheidungsstichwort (Thema)
Umschulungsmaßnahme. Rückforderung von Förderungsmitteln, Abbruch der Maßnahme aus wichtigem Grund
Leitsatz (amtlich)
Bricht ein Teilnehmer einen beruflichen Bildungsgang aus wichtigem Grund ab, können von ihm weder wegen dieses Abbruchs noch wegen Nichterfüllung einer anschließenden Beschäftigungsverpflichtung Förderungsleistungen zurückverlangt werden.
Normenkette
AFG § 46 Abs 2 S 2 Fassung: 1975-12-18; AFG § 46 Abs 3 S 2 Fassung: 1985-12-20
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist die Verpflichtung des Klägers zur Rückzahlung von Förderungsmitteln, die er für eine später abgebrochene Umschulung erhalten hat.
Die Beklagte gewährte dem Kläger, der eine Ausbildung zum Landwirtschaftsgehilfen absolviert hat, ab 7. Januar 1977 eine Umschulung zum Gehilfen in wirtschafts- und steuerberatenden Berufen. Zuvor hatte der Kläger sich verpflichten müssen, innerhalb von vier Jahren nach Abschluß der Maßnahme mindestens drei Jahre lang eine die Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung begründende Beschäftigung auszuüben, anderenfalls er die Leistungen zurückzuzahlen habe. Der Kläger erhielt Unterhaltsgeld (Uhg) und Fahrkostenerstattung. Außerdem führte die Beklagte für ihn Beiträge zur Krankenversicherung ab. Anfang 1978 mußte der Kläger die Umschulung aus gesundheitlichen Gründen abbrechen. Die Beklagte erkannte einen wichtigen Grund an und sah deshalb davon ab, die Kosten der Umschulung zurückzufordern. Im Juli 1981 forderte sie den Kläger auf nachzuweisen, daß er seine Verpflichtung, nach Abschluß der Maßnahmen mindestens drei Jahre lang eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung auszuüben, erfüllt habe. Als der Kläger erklärt hatte, daß er seit Januar 1980 als selbständiger Landwirt tätig sei, forderte die Beklagte mit Bescheid vom 11. Dezember 1984 die Leistungen in der Gesamthöhe von ..925,-- DM zurück. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 3. April 1985). Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 20. Mai 1987). Es hielt für eine auf § 46 Abs 3 Satz 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) gestützte Rückforderung die Aufhebung der zugrundeliegenden Bescheide nach § 151 AFG für notwendig und die Beklagte hierzu nach Ablauf der Jahresfrist des entsprechend anzuwendenden § 45 Abs 4 Satz 2 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) nicht mehr für befugt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Zwar sei für die Rückforderung der gezahlten Leistungen die Aufhebung der Bewilligungsbescheide nicht erforderlich (Hinweis auf BSG SozR 4100 § 46 Nr 9). Die Voraussetzungen des § 46 Abs 2 Satz 3 AFG für eine Rückforderung seien gegeben, weil der Kläger die eingegangene Verpflichtung ohne wichtigen Grund nicht erfüllt habe. Seine gesundheitlichen Verhältnisse hätten leichte bis mittelschwere körperliche Betätigungen zugelassen, und mit diesen Einschränkungen hätte er auch einen entsprechenden Arbeitsplatz finden können. Es hätte im übrigen schon genügt, wenn sich der Kläger beim Arbeitsamt gemeldet hätte; statt dessen habe er die Hilfe des Arbeitsamtes überhaupt nicht in Anspruch genommen. Im Ergebnis habe jedoch das SG zutreffend entschieden, daß die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X entsprechend anzuwenden sei. Die Beklagte habe diese Frist, die mit Ablauf des vierjährigen Beschäftigungszeitraumes am 28. Februar 1982 begonnen habe, versäumt, weil die Rückforderung erst im Dezember 1984 erfolgt sei.
Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, beschränkt auf die Rückforderung des Uhg und der Fahrkosten. Sie wendet sich gegen die Rechtsauffassung des LSG, § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X sei entsprechend anzuwenden.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Bayerischen LSG vom 25. Oktober 1988 und des SG Augsburg vom 20. Mai 1987 zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen die Rückforderung des über 1.662,40 DM hinausgehenden Betrages richtet.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, daß der Beklagten ein Anspruch auf Rückzahlung der gewährten Förderungsleistungen, soweit er noch im Streit ist, nicht zusteht. Das folgt allerdings nicht daraus, daß die Beklagte die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X für die Rücknahme der Bewilligung oder für die Rückforderung - wie das LSG meint - versäumt habe, sondern schon daraus, daß die Voraussetzungen des § 46 Abs 2 Satz 2 AFG idF durch das Haushaltsstrukturgesetz-AFG vom 18. Dezember 1975 - BGBl I 3113 - (seit dem 7. AFG-Änderungsgesetz vom 20. Dezember 1985 - BGBl I 2484 - ohne inhaltliche Änderung zum Absatz 3 Satz 2 geworden) nicht erfüllt sind. Nach dieser Vorschrift sind die gewährten Leistungen zurückzuzahlen, wenn der Antragsteller innerhalb von vier Jahren "nach Abschluß" der Maßnahme ohne wichtigen Grund nicht mindestens drei Jahre lang eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung ausgeübt hat. Solche mit einer Auflage verbundenen Leistungen erhalten Antragsteller wie der Kläger, deren Umschulung zwar notwendig ist (§ 44 Abs 2 Satz 2 AFG), die aber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 46 Abs 1 AFG), nicht erfüllen. Sie müssen sich verpflichten, "im Anschluß" an die Maßnahme mindestens drei Jahre lang eine beitragspflichtige Beschäftigung auszuüben (§ 46 Abs 2 Satz 1 AFG). Das LSG hat angenommen, der Kläger habe diese Verpflichtung nicht erfüllt, weil er sich schon seit Anfang 1980 als Landwirt betätigt habe, und er habe auch keinen wichtigen Grund dazu gehabt. Dem folgt der Senat nicht; die Beschäftigungsverpflichtung ist nicht entstanden. Die Rückforderung scheitert bereits daran, daß der Kläger die Maßnahme nicht abgeschlossen, sondern aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen hat. Wer eine Maßnahme abbricht, erreicht keinen "Abschluß" (§ 46 Abs 2 Satz 2 AFG), an den sich die Beschäftigungspflicht anschließen könnte (§ 46 Abs 2 Satz 1 AFG).
Zwar ist einzuräumen, daß vom Begriff her "Abschluß" auch im Sinne von Beendigung durch persönlichen Entschluß verstanden werden kann und dann auch ein Abbruch darunter fiele (in diesem Sinne Hoppe/Berlinger, Förderung der beruflichen Bildung, Stand: Januar 1990, § 46 Anm 10). Auch hat sich der Kläger entsprechend dem Wortlaut des § 46 Abs 3 Satz 1 AFG selbst schriftlich verpflichtet, im "Anschluß" an die Maßnahme eine beitragspflichtige Beschäftigung auszuüben, was es vom Wortverständnis her nicht ausschließt, daß auch eine nicht erfolgreich abgeschlossene Maßnahme die Verpflichtung auslöst. Eine solche Auslegung ist aber nicht möglich, weil das Gesetz selbst die Folgen des Abbruchs anders regelt als die des Abschlusses:
Wird die Maßnahme von dem Umschüler ohne wichtigen Grund vor ihrer Beendigung abgebrochen oder wird er durch maßnahmewidriges Verhalten von der Maßnahme ausgeschlossen, kann nach § 44 Abs 6 Satz 1 AFG das gezahlte Uhg zurückgefordert werden, soweit nicht für die gleiche Zeit Arbeitslosengeld (Alg) oder Arbeitslosenhilfe (Alhi) zu zahlen gewesen wäre. Die Beklagte hat geprüft, ob diese Voraussetzungen vorliegen und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß der Abbruch der Maßnahme keinen Rückzahlungsanspruch gegen den Kläger ausgelöst hat. Sind die Aufwendungen der Beklagten für die vorzeitig beendete Förderungsmaßnahme ohne Verschulden des Teilnehmers ganz oder teilweise fehlgeschlagen, besteht für diesen keine Verpflichtung zur Erstattung des Uhg. Diese Befreiung wirkt unabhängig davon, ob der Geförderte zuvor die Anwartschaft gemäß § 46 Abs 1 Satz 1 AFG erfüllt hatte oder nur wegen der zusätzlichen Verpflichtung zur nachträglichen Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung von bestimmter Dauer die Leistungen erhalten hat. Es besteht kein einleuchtender Grund, eine nach § 44 Abs 6 Satz 1 AFG nicht begründbare Rückzahlungspflicht mit Hilfe des § 46 Abs 2 AFG doch zu begründen und sie über das Uhg hinaus auf sämtliche Leistungen zu erstrecken. Das läßt sich insbesondere nicht mit dem besonderen Zweck dieser Rückzahlungsverpflichtung vereinbaren. Wie der Senat in seinem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil vom 28. März 1990 (9b/11 RAr 91/88) entschieden hat, hat derjenige, der die üblicherweise zu fordernde Vorbeschäftigung und die damit verbundene längere Zugehörigkeit zum Kreis der beitragspflichtigen Arbeitnehmer nicht aufzuweisen hat, im Hinblick auf den Zweck der Umschulung nicht irgendeine beitragspflichtige, möglicherweise sogar unterwertige Beschäftigung innerhalb der Rahmenfrist nachzuholen. Die Beitragsleistung als Folge jeglicher beitragspflichtigen Beschäftigung ist keine Gegenleistung für die Umschulung. Jede Beitragsleistung, auch in einem umschulungsgerechten Beruf, ist nur eine Nebenfolge der Beschäftigung, zu der der Umgeschulte verpflichtet ist. Der Hauptzweck jeder Umschulung bleibt die dauerhafte Beschäftigung im Umschulungsberuf, durch die der Umschüler vor allem in seinem eigenen Interesse dauerhaft beruflich eingegliedert, aber auch dem allgemeinen Interesse an einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt Rechnung getragen wird. Wird dieses Ziel ohne Verschulden des Umschülers verfehlt, entfällt auch die Grundlage für die eingegangene Verpflichtung zur Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung.
Der Senat hat dies bislang zu Fällen ausgeführt, in denen die Umschüler zwar die Maßnahme erfolgreich abgeschlossen hatten, jedoch im Anschluß daran keinen dauerhaften Arbeitsplatz im Umschulungsberuf hatten finden können (vgl Urteile des Senats vom 28. März 1990 - 9b/11 RAr 91/88, 9b/7 RAr 140/88 und 9b/7 RAr 4/89 -). In diesen Fällen hat der Senat die Umschulungsmaßnahme als gescheitert angesehen, weil sich die Prognose über die Beschaffenheit des Arbeitsmarktes, die von der Beklagten vor der Bewilligung der Maßnahme zu stellen ist, als unzutreffend herausgestellt hat. Die Unsicherheiten, die mit jeder derartigen Prognose verbunden sind, können schon insofern zu Lasten des Umschulungswilligen gehen, als er in Kauf nehmen muß, Jahre der Umschulung nutzlos vertan zu haben. Ihm dürfen dann nicht auch noch die Kosten der Umschulung nachträglich aufgebürdet werden. Nichts anderes kann aber gelten, wenn sich eine weitere Voraussetzung für die Bewilligung der Förderleistungen, nämlich die Eignung des Umschulungswilligen, später als nicht gegeben herausstellt. Dem Kläger hätte wegen Fehlens der erforderlichen gesundheitlichen Belastbarkeit die Umschulungsmaßnahme von vornherein nicht bewilligt werden dürfen. Der Irrtum darüber hat dazu geführt, daß er schon die Maßnahme nicht erfolgreich beenden konnte. Damit fehlte es von vornherein an einer Voraussetzung für eine dauerhafte Beschäftigung im Umschulungsberuf. Zwar mag die fehlerhafte Einschätzung der Eignung oft auch durch eine Selbstüberschätzung der Umschulungswilligen mitbewirkt werden. Die Prüfung der Eignung ist aber vorrangig Aufgabe der Beklagten. Ihr stehen auch im allgemeinen fachlich gesicherte Erkenntnismöglichkeiten offen. Wird der Umschulungswillige trotz fehlender Eignung zu einer bestimmten Umschulung veranlaßt, ist es ebensowenig wie in den Fällen einer erfolgreich abgeschlossenen Maßnahme, aber fehlerhaften Prognose über den Arbeitsmarkt gerechtfertigt, die Ausübung einer dreijährigen beitragspflichtigen Beschäftigung zu verlangen und die Nichterfüllung dieser Verpflichtung mit der Rückforderung der Maßnahmekosten zu ahnden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen