Entscheidungsstichwort (Thema)
Höhe der Krankenversicherungsbeiträge für freiwillig Versicherten
Beteiligte
…, Klägerin und Revisionsbeklagte |
Bundespostbetriebskrankenkasse - Hauptverwaltung -, Stuttgart 30, Maybachstraße 54-56, Beklagte und Revisionsklägerin |
Stadt Dortmund - Sozialamt -, Dortmund, Luisenstraße 11 - 13 |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Krankenversicherungsbeiträge für die freiwillig versicherte Klägerin.
Die Klägerin war vom 15. Januar 1985 bis 31. Juli 1990 freiwilliges Mitglied bei der beklagten Betriebskrankenkasse; sie hat eine minderjährige Tochter, die bei ihr wohnt. Im Jahr 1989 bezog die Klägerin Sozialhilfeleistungen in Höhe von 636,30 DM monatlich, im Jahr 1990 erhielt sie einschließlich des vom Ehemann gezahlten Unterhalts monatlich insgesamt 764,91 DM. Das gewährte Wohngeld ist dabei nicht berücksichtigt. Für die Tochter wurden ebenfalls Sozialhilfe- und Unterhaltsleistungen (im Jahr 1990 in Höhe von zusammen 277,65 DM monatlich) erbracht. Nachdem die Beklagte den Versicherungsbeitrag der Klägerin mit Bescheid vom 20. Dezember 1988 ab Januar 1989 auf monatlich 112,35 DM festgesetzt hatte, erhöhte sie den Beitrag mit Bescheid vom 28. August 1989 (Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 1989) ab 1. September 1989 auf 146,06 DM und mit Bescheid vom 18. Dezember 1989 ab 1. Januar 1990 auf 152,56 DM. Zur Begründung berief sie sich auf eine Änderung von § 22 Abs 3 Nr 2 ihrer Satzung, wonach bei Sozialhilfeempfängern mit einem zu unterhaltenden Familienangehörigen als beitragspflichtige Einnahmen die gesetzlichen Mindesteinnahmen und zusätzlich 10% der monatlichen Bezugsgröße, also 1050 + 315 = 1365 DM für das Jahr 1989 (bzw 1096,67 + 329 = 1425,67 DM für das Jahr 1990) anzusetzen seien.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 12. März 1991 abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) hat ihr mit Urteil vom 23. Januar 1992 stattgegeben und die Beitragsbescheide für 1989 und 1990 aufgehoben, soweit darin Beiträge nach höheren Einnahmen als den Mindesteinnahmen gemäß § 240 Abs 4 des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) erhoben werden. Die Satzungsregelung verstoße gegen § 240 des SGB V.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 75 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesversicherungsamt, nicht beigeladen sei, denn diese Behörde habe die fragliche Satzungsänderung genehmigt und müsse verpflichtet werden, eine eventuell notwendig werdende Satzungsanpassung zu genehmigen. In der Sache vertritt sie die Auffassung, daß das LSG § 240 SGB V falsch angewandt habe.
Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Januar 1992 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 12. März 1991 zurückzuweisen. |
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Die Beigeladene beantragt,
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die Revision zurückzuweisen. |
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Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Mit Recht hat das LSG die Berücksichtigung von unterhaltsberechtigten Angehörigen bei der Beitragsbemessung für freiwillig versicherte Sozialhilfeempfänger für unzulässig erklärt.
Der Senat kann sachlich entscheiden, ohne daß die Bundesrepublik Deutschland zum Rechtsstreit beizuladen wäre. Nach der allein in Betracht kommenden 1. Alternative des § 75 Abs 2 SGG sind Dritte zu einem Sozialgerichtsverfahren beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies setzt die Identität des Streitgegenstands im Verhältnis beider Hauptbeteiligten und dem Dritten voraus (BSG SozR 3-1500 § 75 Nr 7 unter Hinweis auf BSG SozR 1500 § 75 Nr 71 mwN). Der - mögliche - Streit um die Genehmigung einer Satzung zwischen der Beklagten und der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesversicherungsamt, betrifft einen anderen Gegenstand als der Streit um die Rechtmäßigkeit eines Beitragsbescheids, auch wenn der Bescheid auf der Satzung beruht. Zwar kann es in beiden Fällen notwendig sein, die Übereinstimmung der Satzung mit dem Gesetz zu überprüfen; im Verhältnis zum jeweiligen Streitgegenstand handelt es sich aber lediglich um Vorfragen, die daher an der Rechtskraft der getroffenen Entscheidung nicht teilnehmen (Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl § 154 III 2 S 980 mwN) und in unterschiedlichen Verfahren anders entschieden werden könnten. Die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit der Beitragsfestsetzung hat auch keine Auswirkungen, die unmittelbar in die Rechtssphäre der Bundesrepublik Deutschland eingreifen könnten, denn mögliche aufsichtsrechtliche Folgerungen für ein Genehmigungsverfahren über eine künftige Satzung der Beklagten sind lediglich als mittelbar zu qualifizieren. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) hinsichtlich der Auswirkungen eines aufsichtsrechtlichen Genehmigungsverfahrens auf die Mitgliedschaftsrechte der Versicherten angenommen (SozR 3 aaO), so daß für den hier vorliegenden umgekehrten Fall nichts anderes gelten kann.
Der angefochtene Bescheid vom 28. August 1989 bedeutet eine Abänderung des vorangegangenen Beitragsbescheids vom 20. Dezember 1988, die nur unter den Voraussetzungen des § 48 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren -(SGB X) zulässig ist (BSGE 69, 255 = SozR 3-1300 § 48 Nr 13). Die Klägerin hat mit ihrem Rechtsbehelf von Anfang an nur erreichen wollen, daß ihre Beiträge die sich aus § 240 Abs 4 SGB V ergebende Mindesthöhe nicht überschreiten (vgl Widerspruchsbegründung vom 23. Oktober 1989); hierfür ist die vom LSG angenommene (Teil-)Anfechtungsklage die richtige Klageart (vgl BSGE 64, 100, 102 = SozR 2200 § 180 Nr 44). Auf diese Frage hat sich die gerichtliche Überprüfung daher zu beschränken.
Für die Beitragserhöhung ab 1. September 1989 fehlt eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage; als solche kommt über § 48 SGB X nur die Einführung von § 22 Abs 3 Nr 2 der Satzung der Beklagten durch deren 74. Nachtrag in Betracht. Die zitierte Satzungsbestimmung verstößt gegen höherrangiges Recht und kann daher den angefochtenen Bescheid nicht stützen.
§ 240 Abs 1 SGB V ermächtigt alle gesetzlichen Krankenkassen, also auch die Beklagte, die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder durch Satzung zu regeln, verpflichtet sie aber gleichzeitig dazu, dabei die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds zu berücksichtigen. § 3 Satz 3 und § 243 Abs 2 S 2 SGB V stellen in diesem Zusammenhang klar, daß für versicherte Familienangehörige Beiträge nicht erhoben werden und daß Beitragsabstufungen nach dem Familienstand oder der Zahl der Angehörigen, für die eine Versicherung nach § 10 SGB V besteht, unzulässig sind. Zu dem vom 1. Oktober 1974 bis 31. Dezember 1988 geltenden Recht hat das BSG für freiwillige Mitglieder sowohl von Ersatzkassen als auch von Allgemeinen Ortskrankenkassen entschieden, daß eine Beitragsdifferenzierung nach der Zahl der Angehörigen rechtswidrig ist (BSGE 48, 135 = SozR 5428 § 4 Nr 6; BSGE 56, 259 = SozR 2200 § 385 Nr 8) und daß Beitragsgestaltungen im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung verfassungsrechtlich nicht hingenommen werden können, wenn sie Familien mit höherer Kinderzahl auch nur mittelbar benachteiligen (BSGE 58, 183, 201 = SozR 2200 § 180 Nr 27). Nachdem die von der früheren Rechtsprechung auch für freiwillige Mitglieder entwickelten Grundsätze in der seit 1989 geltenden gesetzlichen Regelung ihren ausdrücklichen Niederschlag gefunden haben, ist es ausgeschlossen, im Gegensatz zum früheren Recht eine Beitragsdifferenzierung nach der Zahl der Angehörigen für zulässig zu halten.
Eine demnach unzulässige Differenzierung enthält aber die Satzung der Beklagten in der hier streitigen Bestimmung. Durch § 22 Abs 3 Nr 2 der Satzung der Beklagten werden freiwillig versicherte Sozialhilfeempfänger in vier Beitragsklassen (B bis E) eingeteilt, nämlich in solche ohne zu unterhaltende Familienangehörige (B) und solche mit einem, zwei bzw drei oder mehr als drei zu unterhaltenden Familienangehörigen (C, D und E). In der Klasse B wird der Beitragsbemessung (wie in § 240 Abs 4 SGB V vorgesehen) ein Drittel der monatlichen Bezugsgröße zugrunde gelegt; in den anderen Klassen gilt eine um 10, 20 bzw 30% der Bezugsgröße erhöhte Beitragsbemessungsgrundlage. Das bedeutet, daß sich der Beitrag des freiwillig versicherten Sozialhilfeempfängers für jeden Angehörigen um fast ein Drittel des Mindestbeitrags (beim Beitragssatz der Beklagten im Jahre 1989 und bei einem Mindestbeitrag von 112,35 DM um knapp 34,-- DM) erhöht; ein Mitglied mit drei oder mehr Angehörigen müßte (in der Beitragsklasse E) nahezu den doppelten Mindestbeitrag zahlen. Diese Beitragsbemessung verstößt gegen den schon für das alte Recht geltenden Grundsatz der beitragsfreien Familienversicherung, der im neuen Recht im Hinblick auf die ausdrückliche Regelung in §§ 3 Satz 3, 243 Abs 2 S 2 SGB V erst recht gilt. Dabei kann offenbleiben, ob die Satzung der Beklagten so auszulegen wäre, daß die Beitragsklassen C, D und E nur dann gelten, wenn Familienangehörige zu unterhalten sind, die nach § 10 SGB V familienversichert sind, weil eine Beitragserhöhung im Hinblick auf nicht versicherte (aber zu unterhaltende) Familienangehörige - beispielsweise die Eltern des freiwilligen Mitglieds - noch weniger zu rechtfertigen wäre.
Die streitige Satzungsvorschrift kann auch mit der in § 240 Abs 1 Satz 2 SGB V angeordneten Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht gerechtfertigt werden. Zwar sind die insgesamt gewährten Sozialhilfeleistungen höher, wenn zwei oder mehr hilfsbedürftige Familienangehörige gemeinsam versorgt werden müssen, als wenn Alleinstehende unterstützt werden. Daraus kann aber nicht ohne weiteres auf eine erhöhte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit geschlossen werden. Die Beklagte scheint in diesem Zusammenhang anzunehmen, es komme auf die Höhe der Einnahmen an, die der Familie als Ganzes zufließen. Der Senat hat jedoch bereits entschieden, daß Sozialhilfeleistungen, die dem Kind eines freiwilligen Mitglieds gewährt werden, dem Mitglied nicht als beitragspflichtige Einnahmen zugerechnet werden dürfen (Urteil vom 22. September 1988 - 12 RK 14/86 - USK 88153). Das entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG), nach der jeder Hilfsbedürftige - auch dem in der Familie lebenden Kind - einen eigenständigen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt hat (BVerwGE 55, 148 mwN; in neuerer Zeit bestätigt durch BVerwG Buchholz 436.0 § 11 BSHG Nr 13). Die Beklagte hat keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die diese Rechtsprechung als korrekturbedürftig erscheinen lassen. Der Senat hat auch keine Anhaltspunkte dafür, daß die seinerzeit aufgestellten Grundsätze durch das am 1. Januar 1989 in Kraft getretene Gesundheits-Reformgesetz überholt wären. Unter diesen Umständen ist es der Beklagten nicht gestattet, von der Klägerin deshalb höhere Beiträge zu fordern, weil ihrer Tochter ebenfalls Sozialhilfe gewährt wird (im Jahr 1990 in Höhe von monatlich 67,65 DM).
Bei der Berücksichtigung von Angehörigen steigen allerdings nicht nur die Sozialhilfeleistungen an die Familie insgesamt, sondern auch der speziell dem Haushaltsvorstand zuzurechnende Einzelanspruch; insbesondere wird Alleinerziehenden (wie auch der Klägerin) je nach Alter und Zahl der zu betreuenden Kinder ein Mehrbedarfszuschlag nach § 23 Abs 2 BSHG gewährt. Ob dieser Zuschlag wie der Mehrbedarfszuschlag nach § 23 Abs 1 Nr 2 BSHG (vgl BSGE 64, 100 = SozR 2200 § 180 Nr 44) zu den beitragspflichtigen Einnahmen des Hilfeempfängers zu zählen ist, kann bei der Klägerin offenbleiben. Denn im Hinblick auf die Rechtsprechung des Senats könnte er nur dann zu einem höheren Beitrag als dem durch § 240 Abs 4 SGB V veranlaßten führen, wenn die monatlichen Einnahmen der Klägerin mit dem Zuschlag ein Drittel der monatlichen Bezugsgröße überschritten. Der Senat hat nämlich weder in Abs 1 noch in Abs 2 von § 240 SGB V eine Rechtsgrundlage dafür gesehen, der Beitragsbemessung oberhalb der in § 240 Abs 4 SGB V festgelegten Mindestgrenze fiktive Einnahmen zugrundezulegen,
weil dies dem in § 240 Abs 1 S 2 SGB V enthaltenen Grundsatz der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit widerspricht, die nur nach den tatsächlich erzielten Einnahmen beurteilt werden kann (Urteil vom 15. September 1992 in SozR 3-2500 § 240 Nr 9, demnächst auch in BSGE Bd 71). Wie den unangefochtenen und daher für den Senat bindenden Feststellungen des Berufungsurteils (§ 163 SGG) zu entnehmen ist, lagen die jeweiligen Einnahmen der Klägerin einschließlich des Mehrbedarfszuschlags unter dem jeweiligen Grenzbetrag nach § 240 Abs 4 SGB V; dieser betrug 1050,-- DM im Jahr 1989 und 1096,-- DM im Jahr 1990. Die Vorstellung der Beklagten, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Sozialhilfeempfängers würde sich durch Angehörige verbessern, entbehrt daher sowohl der rechtlichen als auch der tatsächlichen Grundlage. Ihre Satzung verstößt insoweit gegen höherrangiges Recht. Das LSG hat den Bescheid vom 28. August 1989 zu Recht insoweit aufgehoben, als darin höhere Beiträge als nach den gesetzlichen Mindesteinnahmen festgesetzt wurden.
Das LSG hat auch zu Recht im gleichen Sinne über den Bescheid vom 18. Dezember 1989 entschieden, wobei offenbleiben kann, ob dieser Bescheid gemäß § 86 Abs 1 SGG Gegenstand des Vorverfahrens (weil nach Erlaß des Widerspruchsbescheids ergangen - vgl BSGE 47, 28 = SozR 1500 § 86 Nr 1) oder gemäß § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens (weil nach der Klageerhebung am 27. Dezember 1989 ergangen) geworden ist. Er ist jedenfalls nach einer der genannten Vorschriften in das Verfahren einbezogen worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen