Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 25.09.1992) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. September 1992 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Klägerin macht als Witwe und Sonderrechtsnachfolgerin ihres am 30. Juli 1993 verstorbenen Ehemannes (Versicherter) dessen Anspruch auf Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit (EU/BU) geltend.
Der im Jahre 1938 geborene Versicherte war von 1952 bis 1969 als Arbeiter im Hoch-, Straßen- und Bergbau, anschließend nach einer halbjährigen Anlernzeit bis zum 30. Juni 1980 im Karosseriebau tätig. Auf Anraten seines Arztes gab er diese Arbeit auf und meldete sich arbeitslos. Von September 1982 bis August 1983 war der Versicherte im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme als städtischer Arbeiter beschäftigt. Im Anschluß daran bezog er zunächst wieder Arbeitslosengeld (Alg), dann Arbeitslosenhilfe (Alhi). Wegen der Operation eines Plattenepithelkarzinoms im rechten Lungenoberlappen war er dann arbeitsunfähig krank. Auf seinen Antrag gewährte die Beklagte dem Versicherten EU-Rente auf Zeit ab 15. Dezember 1987, die mehrmals – zuletzt nach einem Herzinfarkt bis zum 30. April 1990 – verlängert wurde. Die Weitergewährung von EU-Rente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 6. April 1990 mit der Begründung ab, der Versicherte sei nunmehr wieder in der Lage, leichte körperliche Arbeiten vollschichtig zu verrichten.
Das daraufhin vom Versicherten angerufene Sozialgericht Münster (SG) hat die Beklagte unter Abweisung der Klage im übrigen verurteilt, ihm über den 30. April 1990 hinaus EU-Rente auf Zeit bis längstens 30. April 1993 zu gewähren. Im Urteil des SG vom 4. Juli 1991 wird ausgeführt, der Versicherte könne noch leichte körperliche Arbeiten in wechselnder Haltung, überwiegend im Sitzen, vollschichtig verrichten. Daher könne er zwar nicht mehr in seinem Hauptberuf als Arbeiter im Karosseriebau, aber noch als Montierer, Sortierer von Kleinteilen oder als Telefonist arbeiten. Da er als angelernter Arbeiter, dessen Tätigkeit eine Anlernzeit von etwa einem Jahr erfordert habe, keinen Berufsschutz genieße und auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei, liege bei ihm aus medizinischer Sicht weder EU noch BU vor. Dennoch stehe ihm EU-Rente zu, weil für ihn der Arbeitsmarkt verschlossen sei. Zwar sei die bisherige Rechtsprechung des Großen Senats (GrS) des Bundessozialgerichts (BSG) zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes für Teilzeitkräfte auf noch vollschichtig erwerbsfähige Versicherte wie ihn grundsätzlich nicht anwendbar. Sie müsse jedoch angesichts der drastisch veränderten Arbeitsmarktlage, die ua durch einen hohen Anteil älterer Langzeitarbeitsloser und einen ständig steigenden Anteil von Arbeitslosen gekennzeichnet sei, die statt von Alg von Alhi oder sogar Sozialhilfe leben müßten, fortentwickelt werden. Für Langzeitarbeitslose über 50 Jahre, die vollschichtig nur noch körperlich leichte Arbeiten verrichten könnten, sei von einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auszugehen. Ein Anspruch auf EU-Rente bestehe, wenn der Versicherte kein Alg mehr beziehe, weil diese Leistung in der Regel noch zur angemessenen sozialen Absicherung genüge. Der Versicherte erfülle diese Voraussetzungen. Die Rente sei nur auf Zeit zu gewähren, weil die EU nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand des Versicherten beruhe.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das Berufungsurteil vom 25. September 1992 ist auf folgende Erwägungen gestützt: Das SG habe zwar zutreffend ausgeführt, der Versicherte sei weder erwerbs- noch berufsunfähig, weil er als angelernter Karosserieschlosser auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen sei, wo er noch vollschichtig körperlich leichte Tätigkeiten in wechselnder Haltung, überwiegend im Sitzen und ohne Belastung durch Wechselschicht, Zeitdruck und extreme Klimaeinflüsse verrichten könne. Nicht gefolgt werden könne aber seiner Weiterentwicklung der Rechtsprechung des BSG, weil dem der Wille des Gesetzgebers entgegenstehe. Über die bereits anerkannten Fallgruppen einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes hinaus, deren Voraussetzungen hier nicht vorlägen, sei eine Ausweitung auf weitere Sachverhalte unzulässig.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend: Für ältere Langzeitarbeitslose mit gesundheitlichen Einschränkungen stünden keine Arbeitsplätze zur Verfügung, so daß deren Verweisung auf körperlich zumutbare Tätigkeiten sinnlos sei. Die bisherige Rechtsprechung des BSG müsse daher im Sinne des überzeugenden erstinstanzlichen Urteils revidiert werden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. September 1992 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 4. Juli 1991 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der erkennende Senat hat zu den Verhältnissen des allgemeinen Arbeitsmarktes – insbesondere soweit er für erheblich leistungsgeminderte Arbeiter in Betracht kommt – die Arbeitswissenschaftler Prof. Dr. F. (Gesamthochschule Kassel – Universität –, Institut für Arbeitswissenschaft) und Prof. Dr. L. (Universität Hohenheim, Institut für Arbeitswissenschaft und Haushaltstechnologie) sowie Dr. P. und Dr. B. (beide aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit) schriftlich und (in der Sitzung vom 22. November 1994) mündlich als Sachverständige gehört.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig. Als Sonderrechtsnachfolgerin ihres während des anhängigen Revisionsverfahrens verstorbenen Ehemannes (§ 56 Abs 1 Nr 1 des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil – ≪SGB I≫) ist sie gemäß § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm §§ 239, 250 der Zivilprozeßordnung (ZPO) in das Verfahren eingetreten.
Die Revision ist auch begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Es sind ergänzende Feststellungen zur Wertigkeit des bisherigen Berufs des Versicherten und ggf zu einer zumutbaren Verweisungstätigkeit erforderlich.
Der Anspruch des Versicherten auf Versichertenrente wegen EU oder BU richtet sich noch nach §§ 1246, 1247 der Reichsversicherungsordnung (RVO), denn der Rentenantrag ist bis zum 31. März 1992 gestellt worden und bezieht sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 (§ 300 Abs 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung – ≪SGB VI≫; vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 29).
Berufsunfähig ist nach § 1246 Abs 2 RVO ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.
Ausgangspunkt für die Prüfung der BU ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der „bisherige Beruf”, den der Versicherte ausgeübt hat (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 107, 169). In der Regel ist dies die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, von der auch bei nur kurzfristiger Ausübung auszugehen ist, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 130, 164). Eine Aufgabe der bisherigen Berufstätigkeit ist grundsätzlich rechtlich unerheblich und führt nicht zum Verlust des Berufsschutzes, wenn der Versicherte sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben konnte (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 38 mwN).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, daß der bisherige Beruf des Versicherten der eines „angelernten Karosseriebauschlossers” war. Es ist nicht ersichtlich, daß andere Tätigkeiten, die der Versicherte im Laufe seines Berufslebens verrichtet hat, eine höhere Wertigkeit gehabt hätten. Ausdrückliche Feststellungen des LSG, ob er sich von diesem Beruf aus gesundheitlichen Gründen gelöst hat und ob er ihn angesichts seiner gesundheitlichen Einschränkungen in der Zeit ab Mai 1990 noch ausüben konnte, fehlen zwar. Das Berufungsgericht hat aber die Ausführungen des SG, der Versicherte sei nicht berufsunfähig, weil er als angelernter Karosserieschlosser keinen Berufsschutz genieße und auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei, als zutreffend bezeichnet. Damit hat es sich auch die Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil zueigen gemacht, der Versicherte habe diese Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben und später nicht mehr verrichten können. Diese nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen sind für den erkennenden Senat bindend (§ 163 SGG).
Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 138, 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, dh der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl zB BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn 27, 33). Grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächstniedrige Gruppe verwiesen werden (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 143 mwN; SozR 3-2200 § 1246 Nr 5).
Das LSG hat den bisherigen Beruf des Versicherten offenbar mit dem SG dem unteren Bereich der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters zugeordnet; anderenfalls wäre es nicht zu einer Verweisbarkeit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gekommen, denn dies ist bei Versicherten, deren bisheriger Beruf dem oberen Bereich dieser Gruppe zuzuordnen ist, nicht zulässig (st Rspr, vgl Senatsurteil vom 29. März 1994 – 13 RJ 35/93 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 45 mwN). Ob diese Zuordnung zutreffend ist oder ob der bisherige Beruf des Versicherten dem oberen Bereich der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters oder sogar der mit dem Leitberuf des Facharbeiters zugehörig ist, kann indes nicht abschließend beurteilt werden.
Der Beruf des „angelernten Karosseriebauschlossers” ist nicht staatlich als Ausbildungsberuf anerkannt. Die vom SG festgestellte und vom LSG übernommene Notwendigkeit einer Anlernzeit von etwa einem Jahr liegt innerhalb des die Stufe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters (unterer Bereich) kennzeichnenden zeitlichen Rahmens von drei Monaten bis zu einem Jahr (vgl Senatsurteil vom 29. März 1994 aaO). Für die Annahme einer Zugehörigkeit zum oberen Bereich dieser Gruppe oder eine Facharbeiterqualifikation reicht sie nicht aus.
Da die Einordnung des bisherigen Berufes in das Mehrstufenschema sich aber nicht allein nach der Dauer der absolvierten oder erforderlichen Berufsausbildung, sondern nach dem Gesamtbild der Tätigkeit richtet, darf sich die Prüfung der Wertigkeit nicht auf den Faktor Ausbildungsdauer beschränken. Auch bei Versicherten, die keine vorgeschriebene qualifizierte Ausbildung durchlaufen und sich auch nicht durch die praktische Berufsausübung die Kenntnisse und Fähigkeiten zur vollwertigen Ausübung einer bestimmten Facharbeitertätigkeit auf dem Arbeitsmarkt angeeignet haben (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 167, 168), kann gleichwohl eine Zuordnung in die Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters erfolgen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ihr bisheriger Beruf einer Facharbeitertätigkeit tarifvertraglich qualitativ gleichgestellt war. Entsprechendes gilt, soweit Berufsschutz als Angehöriger des oberen Bereichs der Gruppe der angelernten Arbeiter in Betracht kommt.
Soweit die Tarifvertragsparteien eine bestimmte Tätigkeit im Tarifvertrag aufführen und einer Tarifgruppe zuordnen, kann in der Regel davon ausgegangen werden, daß diese tarifvertragliche Einstufung auf deren Qualität beruht (vgl Senatsurteil vom 17. Juni 1993 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 32 mwN). Denn die Tarifpartner als die unmittelbar am Arbeitsleben Beteiligten nehmen relativ zuverlässig eine Bewertung von Berufstätigkeiten vor, die den Anforderungen auch des Mehrstufenschemas und der Qualität des Berufs in bezug auf die nach § 1246 Abs 2 RVO maßgeblichen Merkmale entspricht. Demgemäß läßt die abstrakte (tarifvertragliche) Einordnung einer bestimmten Berufstätigkeit in eine Tarifgruppe, die hinsichtlich der Qualität der hier aufgeführten Arbeiten durch den Leitberuf des Facharbeiters geprägt ist, in der Regel den Schluß zu, daß diese Berufstätigkeit als Facharbeitertätigkeit zu qualifizieren ist (vgl Senatsurteil vom 17. Juni 1993 aaO). Dies gilt jedenfalls auch entsprechend für Tätigkeiten, die tarifvertraglich Berufstätigkeiten gleichgestellt sind, die der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters im unteren oder oberen Bereich angehören.
Diesen Leitlinien haben das SG und ihm folgend das LSG nicht hinreichend Rechnung getragen, indem sie lediglich auf die Dauer der erforderlichen Anlernzeit abgestellt und die tarifvertragliche Einstufung nicht berücksichtigt haben. Dazu hätte hier aber besonderer Anlaß bestanden. Der Arbeitgeber des Versicherten hatte dem SG mit Schreiben von 18. Juli 1990 die Auskunft erteilt, der Versicherte sei in Lohngruppe 3 des Metalltarifvertrages eingestuft gewesen; in dieser Tarifgruppe befänden sich Arbeitnehmer, die eine mit Erfolg abgelegte Gesellen- bzw Facharbeiterprüfung in einem der im fachlichen Geltungsbereich dieses Lohntarifvertrages aufgeführten Handwerk nachweisen könnten. Im Hinblick auf diese Auskunft erscheint eine tarifvertragliche Gleichstellung der maßgeblichen Tätigkeit des Versicherten mit einer Facharbeitertätigkeit oder jedenfalls einer Angelerntentätigkeit im oberen Bereich naheliegend. Die berufungsgerichtlichen Feststellungen reichen jedoch nicht aus, um dies zu entscheiden. Da der erkennende Senat die erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann, ist eine Zurückverweisung der Sache an das LSG geboten.
Bei der erneuten Behandlung der Sache wird das LSG den einschlägigen Tarifvertrag, der bei der Beendigung der versicherungspflichtigen Beschäftigung des Versicherten als angelernter Karosseriebauschlosser galt (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn 22, 32), heranzuziehen und zu prüfen haben, ob dieser nach Qualitätsstufen geordnet war (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 22 mwN). Kommt der Tarifvertrag danach als Grundlage für die Beurteilung der Wertigkeit der in ihm aufgeführten Tätigkeiten in Betracht, ist zu prüfen, in welcher Lohngruppe die Berufstätigkeit des Versicherten (abstrakt) eingruppiert war. Handelte es sich dabei um eine Gruppe, in die Handwerksgesellen oder Facharbeiter eingestuft waren, so wurde die Qualität auch der übrigen darin enthaltenen Tätigkeiten durch das Leitbild des Facharbeiters geprägt. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn die Einstufung durch qualitätsfremde Merkmale bestimmt war (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 13) oder wenn eine „Berufsanfängerlohngruppe” vorlag (vgl Senatsurteil vom 17. Juni 1993 – 13 RJ 23/92 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 32). Handelte es sich danach nicht um eine Facharbeiterlohngruppe, so ist zu prüfen, ob die Lohngruppe durch Tätigkeiten mit dem Leitbild des Angelernten im oberen Bereich (Anlernzeit von über einem Jahr bis zu zwei Jahren) geprägt war.
Falls die Tätigkeit des Versicherten als angelernter Karosseriebauschlosser nicht als bestimmte Berufsart im Tarifvertrag aufgeführt war, läßt sich aus der Eingruppierung durch den Arbeitgeber kein verläßliches Indiz für die Wertigkeit der ausgeübten Berufstätigkeit ableiten. Die Eingruppierung ist dann anhand der im Tarifvertrag aufgeführten abstrakten Tätigkeitsmerkmale zu überprüfen und nur noch im Zweifel entscheidend (vgl Senatsurteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 14/90 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 21).
Sofern der Versicherte danach als Facharbeiter einzustufen war, wären ihm nur Tätigkeiten sozial zuzumuten gewesen, die zumindest angelernten Tätigkeiten tarifvertraglich gleichgestellt waren (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 17). War er einem Angelernten im oberen Bereich gleich zu achten, konnte er ebenfalls nicht schlechthin auf das allgemeine Arbeitsfeld verwiesen werden. Vielmehr schieden ungelernte Tätigkeiten nur ganz geringen qualitativen Wertes aus; die zumutbaren Verweisungstätigkeiten müßten sich durch Qualitätsmerkmale, zB das Erfordernis einer Einweisung und Einarbeitung oder die Notwendigkeit beruflicher und betrieblicher Vorkenntnisse auszeichnen (vgl Senatsurteil vom 29. März 1994 aaO mwN). Aus der Einschränkung der Verweisbarkeit folgt in beiden Fällen, daß mindestens eine danach in Betracht kommende Verweisungstätigkeit konkret zu bezeichnen ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 98; Senatsurteil vom 29. März 1994 aaO).
Sollten die Ermittlungen des LSG ergeben, daß der bisherige Beruf des Versicherten lediglich dem unteren Bereich der Gruppe mit dem Leitbild des angelernten Arbeiters zuzuordnen war, so konnte der Versicherte zwar nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG auf das allgemeine Arbeitsfeld verwiesen werden, wobei nur Tätigkeiten mit qualitativ ganz geringem Wert ausschieden (vgl BSGE 43, 243, 246 f = SozR 2200 § 1246 Nr 16); eine in Betracht kommende Verweisungstätigkeit mußte grundsätzlich nicht konkret bezeichnet werden (vgl etwa BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 30, 90, 104, 117, 136).
Angesichts des Ergebnisses der Anhörung der Sachverständigen hat der erkennende Senat jedoch Zweifel, ob diese Rechtsprechung uneingeschränkt aufrechterhalten werden kann. Es haben sich nämlich erhebliche Anhaltspunkte dafür ergeben, daß für ungelernte Arbeiter und angelernte Arbeiter des unteren Bereichs wegen der Veränderungen in der Struktur des allgemeinen Arbeitsmarktes, wie bereits für die Versicherten der höheren Stufen des Mehrstufenschemas, nur ein eingeengtes Verweisungsspektrum zur Verfügung steht, soweit diese – wie es bei dem Versicherten der Fall war – nur noch körperlich leichte Arbeiten mit weiteren Einschränkungen verrichten können.
Bereits nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG war die erhebliche Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes bei Tätigkeiten anzunehmen, bei denen es sich um „typische Schonarbeitsplätze” handelte, die regelmäßig leistungsgeminderten Angehörigen des eigenen Betriebes vorbehalten und damit als Eingangsstelle für Betriebsfremde außer Betracht blieben (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 139 mwN). Die Ergebnisse der Anhörung deuten darauf hin, daß dies in weit größerem Umfang der Fall ist als bisher angenommen.
Der erkennende Senat hat daher in vier anderen anhängigen Revisionsverfahren dem GrS des BSG wegen grundsätzlicher Bedeutung folgende Fragen vorgelegt (vgl die Beschlüsse des erkennenden Senats vom 23. November 1994 – 13 RJ 19/93, 13 RJ 71/93, 13 RJ 73/93 und 13 RJ 1/94 –):
- Ist für die Beurteilung, ob ein Versicherter der Gruppe mit dem Leitbild des angelernten Arbeiters im unteren Bereich oder der Gruppe mit dem Leitbild des ungelernten Arbeiters berufs- oder erwerbsunfähig ist, die konkrete Benennung von Verweisungstätigkeiten erforderlich, wenn er seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben und auch sonst nur noch körperlich leichte Arbeiten mit weiteren Einschränkungen verrichten kann?
- Sind die Fallgruppen, bei denen das Bundessozialgericht bisher die erhebliche Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes angenommen hat, als abschließend anzusehen?
Das LSG wird ggf zu prüfen haben, ob es diese Bedenken teilt und wie die aufgeworfenen Fragen – uU nach weiteren Ermittlungen – im Hinblick auf den vorliegenden Rechtsstreit zu beantworten sind.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen