Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfall. Weg zur Arbeitsstätte. Weg von der Arbeitsstätte. privatwirtschaftliche Tätigkeit. Tanken. betriebliche Einflüsse
Leitsatz (amtlich)
Die Fahrt zum Aufsuchen einer Nachttankstelle steht unter Unfallversicherungsschutz, wenn die Abwägung sämtlicher betrieblicher und privatwirtschaftlicher Gesichtspunkte ergibt, daß betriebsbedingte Umstände den Handlungsablauf derart mitbestimmt haben, daß die Fahrt sachlich zu einem Weg von der oder zur Arbeitsstätte gehört.
Normenkette
RVO § 539 Abs. 1 Nr. 1, §§ 548, 550 Abs. 1
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 09.03.1994; Aktenzeichen L 8 Kn 92/93) |
SG Gießen (Entscheidung vom 08.12.1992; Aktenzeichen S 6 Kn 850/92) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 9. März 1994 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger am späten Abend des 28. Oktober 1991 gegen 22.30 Uhr auf dem Weg zu einer Nachttankstelle einen Arbeitsunfall erlitten hat. Das Sozialgericht Gießen (SG, Urteil vom 8. Dezember 1992) hat dies verneint. Das Hessische Landessozialgericht (LSG, Urteil vom 9. März 1994) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Unfalles Verletztenrente zu gewähren.
Der Kläger war im Kali-Bergbau unter Tage beschäftigt. Am Unfalltage war er für die sogenannte Mittagsschicht (Spätschicht) eingeteilt. Während der Schicht wurde ihm mitgeteilt, daß er am Folgetage entgegen dem bisherigen Plan in der Frühschicht, Beginn 6.00 Uhr, arbeiten solle.
Als er die Mitteilung von der Vorverlegung seiner Arbeitszeit erhalten hatte, beschloß der Kläger, nach dem Ende der Spätschicht zum Tanken zu fahren, weil sein Tankanzeiger schon längere Zeit im roten Bereich stand. Die 2 km von der Arbeitsstelle entfernt gelegene Automatentankstelle bekam der Kläger jedoch nicht in Gang. Daraufhin befuhr er eine Kreisstraße in einer seiner Wohnung entgegengesetzten Richtung nach B. H. …. Auf dem Wege dorthin ereignete sich der Unfall mit für den Kläger schwerwiegenden Folgen.
Objektiv war es für den Kläger unnötig, die Strecke von etwa 20 km bis zur nächsten Nachttankstelle zurückzulegen, zumal da er für den Rückweg von der nicht intakten Tankstelle nach Hause und die Fahrt zur Schachtanlage am nächsten Morgen sowie zum Tanken an der Automatentankstelle zusammen 3 km weniger hätte fahren müssen. Der Kläger ging jedoch von einer betriebsdienlichen Notwendigkeit des Nachtankens vor Beginn der Frühschicht am Folgetage aus.
In dem Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 1991 ist ausgeführt, daß der Kläger keinen Arbeitsunfall erlitten habe. Offensichtlich sei er davon ausgegangen, daß der Tankinhalt seines Pkw's noch für die 20 km weite Fahrt zur Tankstelle nach B. H. ausreiche. Dann sei es aber unlogisch gewesen anzunehmen, sein Treibstoff werde nicht mehr für die betriebsbedingten Fahrten am Folgetag ausreichen. Die Fahrt nach B. H. … zum Tanken sei daher nicht aus betrieblichen Gründen erforderlich gewesen.
In dem Urteil des SG heißt es, die Fahrt von dem mißglückten Tankversuch nach Bad Hersfeld habe nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Dieser Weg sei dem Risikobereich des Klägers zuzurechnen. Ihm hätte sich der Gedanke aufdrängen müssen, daß der Weg von der Automatentankstelle zu seinem Wohnort und die Fahrt am Folgetage zu seiner Arbeitsstätte problemlos mit dem verbliebenen Tankinhalt geschafft werden könne.
In dem angefochtenen Urteil des LSG heißt es, der Kläger habe infolge der unerwarteten Verlegung seiner Schicht am nächsten Tage befürchten müssen, daß er ohne zu tanken nicht mehr genügend Treibstoff in dem Tank seines Pkw's habe. Allerdings sei der Weg zur Tankstelle in Bad Hersfeld länger gewesen als der, den er am nächsten Tag bis zur Tankmöglichkeit nach der Arbeitsschicht hätte zurücklegen müssen. Dies hätte sich dem Kläger jedoch in der konkreten Situation am Abend des Unfalltages nicht aufdrängen müssen. Die Entfernungsunterschiede seien nicht so gravierend, als daß das Verhalten des Klägers als unverständlich anzusehen sei. Jedenfalls sei er von der betriebsdienlichen Notwendigkeit des Nachtankens ausgegangen. Der zurückgelegte Umweg sei nicht unverhältnismäßig weit gewesen. Das Gericht habe die Gesamtsituation gewürdigt und dabei vor allem berücksichtigt, daß der Arbeitgeber die Schicht am Folgetage unvorhergesehen verlegt habe. Andere Verkehrsmittel hätten ihm nicht zur Verfügung gestanden.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das LSG habe die Reichweite der Vorschrift des § 550 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) verkannt und nicht beachtet, daß auch bei Wegeunfällen ein innerer Zusammenhang zwischen dem zurückgelegten Weg und der betrieblichen Tätigkeit gegeben sein müsse. Zwar sei das LSG zutreffenderweise davon ausgegangen, daß die Handlungstendenz des Versicherten für die Frage des Versicherungsschutzes bedeutsam sei. Diese Handlungstendenz und ihre Berücksichtigung sei jedoch durch den Schutzzweck der Vorschrift begrenzt. Es fehle bereits an dem erforderlichen nahen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Tankvorgang und der Fahrt, die mit dem Nachtanken hätte gewährleistet werden sollen. In Wahrheit sei das vom Kläger beabsichtigte Tanken nur eine ungeschützte Vorbereitungshandlung gewesen, welche mit der Arbeitstätigkeit am Unfalltage nicht mehr zusammengehangen habe. Jedenfalls fehlen nach Auffassung der Beklagten objektive Umstände für die Notwendigkeit des Verhaltens des Klägers. Die wirklichen Umstände ließen den Schluß auf ein vernünftiges Verhalten des Klägers nicht zu. Damit aber fehle der innere Zusammenhang zwischen dem Unfallweg und der Arbeitsstätte.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 9. März 1994 – L 8 Kn 92/93 U – aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 8. Dezember 1992 – S 6 Kn 850/92 – zurückzuweisen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Nach seiner Überzeugung ist das angefochtene Urteil zutreffend. Es berücksichtige ausreichend die konkreten Umstände des Falles. Es komme nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht darauf an, ob das Vorgehen der Arbeitgeberin des Klägers objektiv nützlich gewesen sei. Entscheidend sei für den Kläger die unerwartete und plötzliche Schichtverlegung gewesen. Eine rückschauende objektive Betrachtungsweise sei angesichts der konkreten Situation nicht angemessen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Dem angefochtenen Urteil ist nicht klar zu entnehmen, ob das LSG den Unfallweg dem Rückweg des Klägers zu seiner Wohnung am Unfalltage (28. Oktober 1991) zugerechnet hat oder dem Weg zur Arbeitsstätte am Folgetag (29. Oktober 1991). Der erkennende Senat ist der Überzeugung, daß zwischen dem Unfallweg und der Spätschicht am Unfalltage der notwendige sachliche Zusammenhang nicht besteht. Der Unfallweg ist nach seiner Überzeugung jedoch der Frühschicht am folgenden Tage zuzurechnen und damit versichert gewesen.
Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung besteht ua bei der Erledigung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis (§ 548 Abs. 1 Satz 1 iVm § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO) und darüber hinaus bei Fahrten, welche einerseits mit dieser Tätigkeit zusammenhängen und andererseits nach und von dem Ort der Tätigkeit führen (§ 550 Abs. 1 RVO). Der Versicherungsschutz nach den genannten Vorschriften setzt voraus, daß das unfallbringende Verhalten entweder der Tätigkeit als solcher oder aber dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit sachlich zugerechnet werden kann; dh zwischen dem Vorgehen des Versicherten und seiner Arbeitsleistung bzw der Zurücklegung des Weges von und nach dem Ort der Tätigkeit muß eine Beziehung bestehen, welche sein Verhalten entweder mit der Arbeitstätigkeit als solcher oder mit der Zurücklegung des Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit sachlich zusammenfaßt.
Die vorstehend dargelegten rechtlichen Zusammenhänge sind demnach von den Beteiligten und den Gerichten richtigerweise in den Mittelpunkt der Erörterung gestellt worden. Sowohl die Beteiligten als auch die Gerichte der Vorinstanzen sind indes zu unterschiedlichen Ergebnissen ihrer Überlegungen gekommen. Die Beklagte sowohl als auch das SG halten einen Sachzusammenhang der Unfallfahrt des Klägers am 28. Oktober 1991 mit seiner Tätigkeit bzw einem damit zusammenhängenden Weg nicht für gegeben, während der Kläger in Übereinstimmung mit dem LSG in dem angefochtenen Urteil den erforderlichen Sachzusammenhang bejaht. Der letzteren Auffassung ist auch der erkennende Senat.
Bei der Feststellung einer sachlichen Verknüpfung zwischen einem zum Unfall führenden Verhalten und der versicherten Tätigkeit bzw dem gemäß § 550 RVO unter Versicherungsschutz stehenden Wege geht es um die Ermittlung der Grenze, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (s ua BSG SozR 2200 § 548 Nr. 96). Diese vom Gesetz verlangte Wertentscheidung kann – insbesondere in sogenannten Grenzfällen – von den mit ihr befaßten Behörden und Gerichten nicht allein nach objektiven Gesichtspunkten – und nicht durchweg übereinstimmend – getroffen werden. Es ist nämlich erforderlich, sämtliche Gesichtspunkte und Überlegungen einzubeziehen und sie sowohl einzeln als auch in ihrer Gesamtheit zu werten; erst daraus folgt entweder das Vorhandensein eines nach der RVO versicherten Verhaltens oder das Vorliegen privatwirtschaftlicher Verrichtungen.
Bei der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung dürfte am ehesten Einigung darüber zu erzielen sein, daß die Unfallfahrt zur Nachttankstelle am 28. Oktober 1991 weder mit der vorangegangenen Arbeitstätigkeit noch mit dem Rückweg von ihr nach Hause in einem Sachzusammenhang stand. Fahrzeug und Tankinhalt reichten für den Rückweg des Klägers zu seiner Wohnung in A. aus, ohne daß irgendwelche Vorkehrungen hätten getroffen werden müssen. Dies war dem Kläger bekannt. Es ging ihm auf der unfallbringenden Fahrt nach B. H. auch nicht darum, für den Unfalltag den Weg nach Hause sicherzustellen, so daß das Tanken an der Nachttankstelle sowohl objektiv als auch nach der Bewußtseins- und Willenslage des Klägers in keinem Zusammenhang mit der Rückfahrt nach der Mittagsschicht stand. Vielmehr unternahm der Kläger die Fahrt in Richtung B. H. mit Rücksicht auf seine Arbeitstätigkeit am Folgetage, ohne daß außerdem ein sachlicher Zusammenhang der Unfallfahrt mit der Arbeitsschicht am 28. Oktober 1991 bzw dem damit zusammenhängenden Heimweg erkennbar wäre.
Die Unfallfahrt zur Nachttankstelle am 28. Oktober 1991 wurde von dem Kläger unternommen, um sein Fahrzeug für die am Folgetage mit der Frühschicht zusammenhängenden Wege nach und von der Arbeitsstätte zu betanken bzw vorzubereiten. Ob derartige Vorbereitungshandlungen bereits der Arbeitsleistung oder einem damit sachlich zusammenhängenden Wege zu und von der Arbeit zugerechnet werden müssen, ergibt sich nicht schon aus einer losgelösten Betrachtung allein des Verhaltens des Versicherten, sondern vielmehr erst im Zusammenhang mit allgemeinen rechtlich-systematischen Überlegungen. Es ist daher nicht zweckmäßig, die Frage des Vorliegens von Versicherungsschutz auf der Fahrt nach B. H. – in erster Linie unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, ob und unter welchen tatsächlichen Voraussetzungen gerade das Tanken zu dem gesetzlich geschützten Bereich (s oben) gehört. Auch andere grundsätzlich private Verhaltensweisen wie beispielsweise die Nahrungsaufnahme können, ebenso wie das Nachtanken eines Fahrzeuges, in sachlichem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen (s zB BSG SozR 2200 § 548 Nr. 82); gleiches gilt etwa auch für die Zurücklegung eines Abstechers vom Wege, um Angelegenheiten zu erledigen, welche in erster Linie in den privaten Bereich des Versicherten gehören (s BSG SozR 2200 § 548 Nr. 68). Entscheidend ist, wie oben bereits dargelegt, in all solchen Sachverhaltsgestaltungen, ob die Gesamtumstände dafür oder dagegen sprechen, das unfallbringende Verhalten dem nach den Regeln der gesetzlichen Unfallversicherung geschützten Bereich oder der Privatsphäre des Versicherten zuzurechnen.
In diesem Zusammenhang ist der Revision ohne weiteres zuzugestehen, daß ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen der Fahrt zum Tanken und der Arbeitstätigkeit am Folgetage fehlte und überhaupt die objektive Notwendigkeit nicht gegeben war, vor Beginn der Frühschicht das Fahrzeug aufzutanken. Solche einzelnen Gesichtspunkte reichen jedoch für sich genommen, wie dargelegt, für eine abschließende Bewertung nicht aus. Im vorliegenden Falle sprechen schwerwiegende Umstände dafür, die genannten Gesichtspunkte nicht gewichtiger zu bewerten als diejenigen, welche für die Annahme von Versicherungsschutz bei der Zurücklegung des Weges nach B. H. sprechen.
Das zeitliche Auseinanderklaffen des Nachtankens am 28. Oktober 1991 mit dem Beginn der Frühschicht am Folgetage ist schon um deswillen unbedeutend, weil dazwischen lediglich eine relativ kurze und für das Nachtanken üblicherweise nicht geeignete Nachtzeit gelegen war. Bereits aus diesem Grunde vermag das Fehlen eines unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs zwischen der unfallbringenden Tätigkeit und der Arbeitstätigkeit am Folgetage einen Sachzusammenhang nicht zu beseitigen. Es ist weiterhin zu berücksichtigen, daß Versicherte jedenfalls bei ihrem nicht unmittelbar der Arbeitsleistung dienenden Verhalten einen eigenen Gestaltungsspielraum haben, dh daß sie bei derartigen Verrichtungen nicht ausschließlich fremdbestimmt tätig werden. Weder ein Unternehmer noch erst recht der Versicherungsträger kann erwarten, daß solche mit der Betriebstätigkeit oder einem Wege nach und von der Arbeitsstätte nur mittelbar zusammenhängende Handlungen nach Modalitäten erledigt werden, welche allein ihren Vorstellungen entsprechen, wenn, wie hier, bei der Vorbereitung des Weges zur Arbeitsstätte bzw nach Hause achtenswerte persönliche Bedürfnisse des Versicherten einem vernünftigen berechtigten Verlangen des Unternehmers bzw Versicherungsträgers nicht entgegenstehen.
Nicht anders verhält sich dies bezüglich der objektiv nicht gegebenen Notwendigkeit, unmittelbar nach Schichtende am 28. Oktober 1991 das Fahrzeug aufzutanken. Auch insoweit können weder der Unternehmer noch erst recht der Versicherungsträger verlangen, daß ein Versicherter den Tank seines Fahrzeuges bis zu demjenigen Rest leerfährt, welcher ihnen angemessen erscheint. Nimmt ein Versicherter an, daß er die mit der Arbeitsleistung zusammenhängenden Fahrten nach und von dem Ort der Tätigkeit vermutlich nicht mehr mit dem Restinhalt seines Tankes wird zurücklegen können, so sind weder eine rückschauende sogenannte objektive Betrachtungsweise noch Gesichtspunkte einer Fremdbestimmung durch den Unternehmer oder gar durch den Versicherungsträger für die Beantwortung der Frage maßgebend, ob eine Fahrt der Sache nach mit der Betriebstätigkeit zusammenhängt oder nicht.
Das BSG hat daher mit Recht schon immer die Auffassung vertreten, daß die Beantwortung der Frage, ob ein Verhalten versichertem Tun zugerechnet werden kann, maßgebend von den subjektiven Vorstellungen des Versicherten abhängig ist (vgl zuletzt BSG SozR 3-2200 § 550 Nrn 4 und 6). Ist das Verhalten eines Versicherten beispielsweise final in erster Linie auf die Zurücklegung des Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit gerichtet, so ist damit im allgemeinen auch der versicherungsrechtlich geforderte Sachzusammenhang mit ihr gegeben.
Allerdings kann angesichts der gegebenen Sachlage nicht außer acht gelassen werden, daß der Weg des Klägers zur Nachttankstelle nicht unmittelbar nach oder von dem Ort der Tätigkeit führte. Der Kläger wollte einen solchen Weg am 28. Oktober 1991 zunächst gar nicht zurücklegen. Insoweit sind jedoch bei der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung weitere Momente in die Wertung einzubeziehen, welche das LSG mit Recht beachtet hat und die nicht schon auf den ersten Blick im Zusammenhang mit der Frage nach dem Bestehen von Versicherungsschutz stehen. Die Fahrt in dem konkreten Verlauf wurde durch Umstände hervorgerufen und bestimmt, welche ihrerseits im Bereich der versicherten Tätigkeit lagen. Die Fahrt nach B. H. wurde nämlich in erster Linie dadurch – subjektiv – notwendig, daß der Kläger für den 29. Oktober 1991 in eine andere Schicht eingeteilt wurde als erwartet. Dies geschah ausschließlich im Interesse und auf Veranlassung seines Arbeitgebers. Damit wurde die Fahrt zum Tanken in ihrem Verlauf durch Umstände geprägt, welche ihre Herkunft in dem versicherten Tun des Klägers hatten. Bei dieser Sachlage tritt der privatwirtschaftliche Aspekt des Tankens – der Tankinhalt diente vermutlich nicht ausschließlich der Zurücklegung von versicherten Wegen – derart in den Hintergrund, daß auch insoweit ein sachlicher Bezug zur Betriebstätigkeit des Klägers ohne weiteres zu bejahen ist; denn die Modalitäten des – an sich der Privatsphäre zuzurechnenden – Tankens wurden vor allem durch Verhältnisse bestimmt, auf welche der Kläger praktisch – jedenfalls in seiner Vorstellung – keinen Einfluß hatte.
Bei der Abwägung privatwirtschaftlicher und betrieblicher Momente und der Beachtung der Gesamtumstände des den Unfall verursachenden Geschehens überwiegen nach der Überzeugung des Senats diejenigen Gesichtspunkte, welche den Sachzusammenhang zwischen der Unfallfahrt und den Fahrten am Folgetage herstellen, so daß die Fahrt nach B. H. nach der Überzeugung des Senats der Sache nach bereits Teil des Weges des Klägers nach und von der Arbeitsstätte am Folgetage war. Damit aber ist entschieden, daß der Unfallversicherungsschutz am 28. Oktober 1991 auch den Weg des Klägers zur Nachttankstelle in B. H. umfaßte, auf der er den Unfall erlitt. Anspruchsbeseitigende betriebsfremde Umstände als rechtlich wesentliche Ursache des Unfalles scheiden aus.
Sie lassen sich – entgegen der in der Revision vertretenen Meinung – auch nicht aus einem „unvernünftigen” Verhalten des Klägers herleiten. Das BSG will zwar subjektive Vorstellungen und Erwartungen des Tätigwerdenden von der Betriebsbezogenheit dann nicht mehr berücksichtigen, wenn sie offensichtlich den Rahmen vernünftigen Verhaltens überschreiten (BSGE 30, 282, 283; vgl auch BSGE 20, 215, 218). Ob sich ein Versicherter in diesem Sinne noch im Rahmen vernünftigen Handelns bewegt, beantwortet sich ebenfalls nach objektiven Gesichtspunkten: Die subjektive Meinung, betriebsdienlich tätig zu sein, ist unfallversicherungsrechtlich dann relevant, wenn diese Meinung in den objektiven Verhältnissen eine ausreichende Stütze findet (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 90; vgl auch BSG USK 91160). Derartige objektive Verhältnisse aber hat das LSG hier festgestellt: Der Pkw des Klägers fuhr bereits längere Zeit mit der Tankanzeige im roten Bereich. Dies läßt es verständlich erscheinen, daß er der Meinung war, noch vor Schichtbeginn am Folgetage tanken zu müssen, um seine Arbeitsstätte zu erreichen. Daß er dies noch in der Nacht erledigen wollte, ist wiederum durch den objektiven Umstand des vorgezogenen Arbeitsbeginns bereits um 6.00 Uhr des Folgetages erklärlich. Daß er an diesem Plan auch nach dem fehlgeschlagenen Tankversuch an der Automatentankstelle festhielt, erscheint auch wegen der Ausnahmesituation nachvollziehbar, in der sich der Kläger durch die unvorhergesehen kurze Arbeitsruhe von nur 8 Stunden (entgegen § 12 Arbeitszeitordnung ≪AZO≫ und allenfalls durch außergewöhnliche Umstände iS des § 14 AZO zu rechtfertigen) befand. Auf dieser Grundlage objektiv gegebener Umstände kann das Verhalten des Klägers nicht als derart unvernünftig bewertet werden, daß die Tätigkeit als unversichert anzusehen wäre.
Damit hat der Kläger am 28. Oktober 1991 einen Arbeitsunfall iS von §§ 548, 550 Abs. 1 iVm 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO erlitten.
Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Die Revision der Beklagten war vielmehr zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
BB 1995, 829 |
NJW 1996, 77 |