Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. September 1992 und des Sozialgerichts Landshut vom 24. April 1991 aufgehoben.
Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 1990 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 1990 wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die Beklagte die nach § 1268 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gewährte Witwenrente in eine solche nach § 1268 Abs 1 RVO umwandeln durfte.
Die am 9. Oktober 1949 geborene Klägerin ist die Witwe des 1987 verstorbenen Versicherten M. … Z. … (im folgenden: Versicherter). Aus der Ehe sind drei in den Jahren 1968, 1970 und am 15. Mai 1972 geborene Kinder hervorgegangen. Die Beklagte gewährte der in Kroatien lebenden Klägerin mit Bescheid vom 26. Februar 1988 die Witwenrente nach § 1268 Abs 2 RVO.
Mit Schreiben vom 15. Mai 1990, das am 17. Mai 1990 zur Post gegeben wurde, wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, daß beabsichtigt sei, die Witwenrente in eine solche nach § 1268 Abs 1 RVO umzuwandeln. Der Sohn J. … vollende am 14. Mai 1990 das 18. Lebensjahr. Die Erziehung eines waisenrentenberechtigten Kindes liege somit ab 1. Juni 1990 nicht mehr vor. In dem Schreiben sind auch die Voraussetzungen aufgeführt, nach denen alternativ ein Anspruch auf erhöhte Hinterbliebenenrente nach § 1268 Abs 2 RVO besteht. Der Klägerin wurde eine Frist bis zum 10. Juni 1990 zur Stellungnahme zu diesem Sachverhalt eingeräumt. Mit Bescheid vom 18. Mai 1990, der am 25. Mai 1990 zur Post gegeben und der Klägerin am 29. Mai 1990 zugestellt wurde, wandelte die Beklagte die Rente mit Wirkung ab 1. Juni 1990 um. Mit ihrem Widerspruch vom 12. Juni 1990 machte die Klägerin geltend, daß sie zwei waisenrentenberechtigte Kinder erziehe, denn ihre beiden anderen Kinder erhielten Waisenrente wegen Schulausbildung. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 1990 zurück. Der Eintritt der Volljährigkeit des Kindes J. … am 14. Mai 1990 stelle iS des § 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – (SGB X) eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen im Vergleich zur Zeit der Rentengewährung dar. Die nach § 24 Abs 1 SGB X vorgeschriebene Anhörung sei ordnungsgemäß durchgeführt worden.
Mit der Klage hat die Klägerin ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt. Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 24. April 1991). Es hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, daß die zwingende erforderliche Anhörung nach § 24 Abs 1 SGB X nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 22. September 1992).
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Beklagten. Die Beklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts. Sie ist der Ansicht, daß keine rechtlich beachtliche Verletzung des § 24 SGB X vorliege. Es sei ausreichend gewesen, daß sowohl im Anhörungsschreiben als auch im Umwandlungsbescheid auf die rechtserheblichen Tatsachen der Umwandlung hingewiesen worden sei und sich die Klägerin aus ihrer Sicht mit Schreiben vom 12. Juni 1990 sachgerecht geäußert habe. Gem § 41 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 SGB X müsse die Anhörung im Widerspruchsverfahren als nachgeholt angesehen werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. September 1992 und das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24. April 1991 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. September 1992 zurückzuweisen.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie macht ergänzend geltend, daß die Beklagte nicht einmal die von ihr selbst gesetzte Anhörungsfrist eingehalten habe. Damit sei ihr die Gelegenheit zur Äußerung zum gesamten entscheidungserheblichen Sachverhalt verwehrt worden. Ihre Kinder seien im Jahr 1990 noch waisenrentenberechtigt gewesen. Sie habe sich nur insofern getäuscht, als die Waisenrentenberechtigung nicht ausreiche, sondern auch der Tatbestand der Erziehung hinzukommen müsse.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das LSG das der Klage stattgebende Urteil des SG bestätigt. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide, denn sie ist durch diese nicht rechtswidrig beschwert. Soweit die Beklagte während des Verwaltungsverfahrens Vorschriften des SGB X verletzt hat, begründet dies keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide.
In bezug auf die Verletzung von Vorschriften des SGB X vor Erlaß der angefochtenen Bescheide kommt allein die von der Klägerin geltend gemachte und vom SG und LSG angenommene Verletzung der Pflicht zur Anhörung vor Erlaß eines Verwaltungsaktes nach § 24 SGB X in Betracht. Eine rechtlich beachtliche Verletzung der Anhörungspflicht liegt jedoch nicht vor. Die Beklagte hatte die Klägerin vor der beabsichtigten Umwandlung der nach § 1268 Abs 2 RVO gewährten Witwenrente in eine solche nach § 1268 Abs 1 RVO anzuhören, denn mit dem Umwandlungsbescheid griff die Beklagte in Rechte der Klägerin ein. Entgegen der im Widerspruchsbescheid geäußerten Rechtsauffassung der Beklagten ist die Anhörung auch vor Erlaß des Bescheides vom 18. Mai 1990 nicht wirksam erfolgt. Wirksam ist die Anhörung nur, wenn sie ordnungsgemäß erfolgt. Ordnungsgemäß wiederum ist die Anhörung nur, wenn das Anhörungsschreiben nicht nur die für die beabsichtigte Entscheidung erheblichen Tatsachen aufführt, sondern auch dem Betroffenen eine ausreichende Frist zur Stellungnahme gegeben wird. Die Beklagte hat ein Anhörungsschreiben zwar vor Erlaß des Bescheides an die Klägerin abgesandt. In diesem Anhörungsschreiben sind auch die für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen – Volljährigkeit des jüngsten Kindes und damit Beendigung von dessen Erziehung, sowie das Fehlen der alternativ gegebenen Anspruchsvoraussetzungen für die Rente nach § 1268 Abs 2 RVO – hinreichend deutlich bezeichnet. Die Beklagte hat aber bei Erlaß des Bescheides nicht beachtet, daß die von ihr selbst gesetzte Äußerungsfrist – 10. Juni 1990 – noch nicht abgelaufen war. Ob diese Frist angemessen war oder länger bzw kürzer hätte sein dürfen braucht hier nicht erörtert zu werden, da die Klägerin jedenfalls auf die von der Beklagten gesetzte Frist vertrauen durfte.
Die Klägerin hat gleichwohl keinen Anspruch auf Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes. Die dargestellte Verletzung der Anhörungspflicht ist nach § 41 Abs 1 SGB X unbeachtlich, denn die Anhörung ist bis zum Abschluß des Vorverfahrens wirksam nachgeholt worden iS von § 41 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 SGB X. Nachholung in diesem Sinne meint, daß den Beteiligten die für die Entscheidung maßgebenden Tatsachen so rechtzeitig vor Erlaß des Widerspruchsbescheides bekannt gegeben sind, daß die Beteiligten auf die Entscheidung der Widerspruchsbehörde noch einwirken können. Dies hat der erkennende Senat schon zu § 34 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch – (SGB I) entschieden, der Vorschrift, die die Anhörungspflicht bis zum Inkrafttreten des SGB X regelte. Der Senat hat die Anhörung als nachgeholt angesehen, wenn zwar die Anhörungsfrist unangemessen kurz war und deshalb die Anhörung nicht ordnungsgemäß war, der Betroffene jedoch nach Bescheiderteilung aber noch vor Klageerhebung sich zu den für die Entscheidung maßgebenden Tatsachen geäußert hat (SozR 1200 § 34 Nr 12). Dem Zweck der Anhörung entsprechend ist es von der Rechtsprechung deshalb bisher auch für ausreichend angesehen worden, wenn die Beklagte im Bescheid die für die Entscheidung maßgebenden Tatsachen angegeben hat, um von einem Nachholen der Anhörung im Widerspruchsverfahren auszugehen (vgl BSG SozR 1200 § 34 Nrn 1 und 13).
Dem ist der vorliegende Fall gleichzustellen, in welchem die Klägerin jedenfalls mit einem Anhörungsschreiben während des Verwaltunsverfahrens schon vor Erlaß der Entscheidung die für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen mitgeteilt bekommt und im Widerspruchsverfahren Gelegenheit hatte, zu diesen Tatsachen Stellung zu nehmen. Es ist nicht erforderlich, daß eine bisher nicht ordnungsgemäß durchgeführte Anhörung nach Erlaß des Bescheides während des Widerspruchsverfahrens vollständig neu erfolgt, um von einem Nachholen der Anhörung iS von § 41 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 SGB X sprechen zu können. Tatsachen, die dem Betroffenen schon aus dem Verwaltungsverfahren bekannt sind, können vielmehr auch im Widerspruchsverfahren als bekannt vorausgesetzt werden. Diese Auslegung des Begriffs „Nachholen” in § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X ergibt sich aus dem Zweck der Anhörung. Diese soll dem Betroffenen Gelegenheit geben, zu der beabsichtigten Entscheidung Stellung zu nehmen, bevor die Behörde ihre abschließende Entscheidung trifft. Dieser Zweck ist schon dann erreicht, wenn die für die Entscheidung maßgebenden Tatsachen dem Betroffenen bekannt gemacht worden sind und er vor der abschließenden Entscheidung hinreichend Gelegenheit hatte, dazu Stellung zu nehmen. Aus der Stellungnahme des Betroffenen im Rahmen des Widerspruchsverfahrens muß dabei auch nicht ersichtlich sein, daß er die von der Behörde für erheblich gehaltenen Tatsachen auch zutreffend erkannt hat. Das Risiko, die rechtliche Bedeutung von Tatsachen falsch zu beurteilen, trägt der Betroffene. Die Behörde ist lediglich verpflichtet, die für ihre Entscheidung maßgebenden Tatsachen richtig mitzuteilen. Aus einer Stellungnahme des Betroffenen kann auch nicht gefolgert werden, ob die im Rahmen der Anhörung mitgeteilten Tatsachen zutreffend dargestellt sind. Im vorliegenden Fall hat zB die Klägerin nicht nur in ihrem Widerspruch, sondern auch noch im Klageverfahren allein darauf abgestellt, daß zwei ihrer Kinder noch Waisenrente bezögen und in Schulausbildung seien. Nicht nur im Anhörungsschreiben, sondern auch noch im Widerspruchsbescheid ist aber ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß Erziehung eines Kindes nicht mehr vorliege, nachdem das jüngste Kind 18 Jahre alt geworden sei. Die Klägerin hat aber nach ihrer Äußerung den Eintritt der Volljährigkeit und den damit verbundenen Wegfall der Erziehung, der ihr mitgeteilt worden ist, überhaupt nicht für rechtlich maßgeblich erachtet.
Der Senat verkennt nicht, daß damit in all den Fällen, in denen das Widerspruchsverfahren durchgeführt wird, die Anhörungspflicht vor Erlaß des Verwaltungsaktes umgangen werden kann. Dies ist Folge von widersprüchlichen Wertungen des Gesetzgebers. Einerseits ist die Anhörung ein formeller Fehler des Verfahrens, der – anders als sonstige nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes führende Fehler des Verwaltungsverfahrens – stets einen Aufhebungsanspruch gibt, auch wenn die unterbliebene Anhörung nicht kausal für die Entscheidung gewesen sein kann. In § 42 Satz 2 SGB X ist insoweit eine ausdrückliche Ausnahme von dem ansonsten für den Aufhebungsanspruch in § 42 Satz 1 SGB X vorgeschriebenen Kausalitätserfordernis des Verfahrensfehlers normiert. Andererseits hat der Gesetzgeber aber die Korrektur eines Anhörungsfehlers im Widerspruchsverfahren entsprechend den Korrekturmöglichkeiten für alle anderen Verfahrensfehler in § 41 Abs 1 und Abs 2 SGB X zugelassen. Die Nachholung der Anhörung iS von § 41 Abs 1 SGB X bewirkt, daß der Verwaltungsakt von Anfang an als wirksam erlassen anzusehen ist. Der Grund für die unterbliebene Verfahrenshandlung ist für die Möglichkeit der heilenden Nachholung iS von § 41 SGB X dabei unerheblich. Der Senat hat schon in seiner zu § 34 SGB I ergangenen Entscheidung vom 24. Juli 1980 (5 RKn 9/79 = SozR 1200 § 34 Nr 13) darauf hingewiesen, daß die Beanstandung einer systematischen Verletzung von § 34 SGB I (jetzt: § 24 SGB X) durch die Verwaltung nicht der Rechtsprechung obliegt, soweit der Versicherungsträger im Widerspruchsverfahren die Anhörung nachholen kann. Die Beanstandung des Fehlverhaltens ist ausschließlich Sache der Rechtsaufsicht, wenn sich dieses Fehlverhalten – wie hier im Hinblick auf die Korrekturmöglichkeit gemäß § 41 Abs 1 und Abs 2 SGB X – auf die materielle Entscheidung nicht auswirkt.
Der hier getroffenen Entscheidung stehen auch nicht die vom LSG für seine entgegenstehende Entscheidung angeführten Urteile des 2. und 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) entgegen. In dem vom LSG angeführten Urteil des 2. Senats vom 22. November 1984 (2 RU 43/83 = SozR 1300 § 24 Nr 6) war nach dem vom BSG zugrunde gelegten Sachverhalt weder im Anhörungsschreiben noch im Bescheid der von der Behörde zugrunde gelegte Sachverhalt zutreffend wiedergegeben. Das BSG hat vielmehr darauf abgestellt, daß sowohl das Anhörungsschreiben als auch das mit dem Bescheid zugesandte zweite Schreiben objektiv unrichtig waren. Auch in dem der Entscheidung des 4. Senats vom 26. September 1991 (4 RK 4/91 = SozR 3-1300 § 24 Nr 4) war dem Betroffenen weder vor Erlaß des Verwaltungsaktes noch mit dem Verwaltungsakt selbst der zugrunde gelegte Sachverhalt mitgeteilt worden. Von daher brauchte der 4. Senat nicht zu entscheiden, ob er eine Nachholung durch Mitteilung der maßgeblichen Tatsachen im Verwaltungsakt als ausreichend ansieht, wie dies schon früher vom 2. und 5. Senat zu § 34 SGB I entschieden worden ist. Ob die weiteren Ausführungen in dieser Entscheidung zur Frage, wann die Anhörung nachgeholt ist, tatsächlich so zu verstehen sind, wie dies das LSG meint, kann offenbleiben. Dieser Teil der Gründe ist jedenfalls für die dortige Entscheidung nicht tragend gewesen.
Die angefochtenen Bescheide sind auch nicht aus anderen Gründen zu beanstanden. Die Voraussetzungen des § 1268 Abs 2 RVO waren ab Juni 1990 nicht mehr erfüllt. In diesem Zeitpunkt erzog die Klägerin kein Kind mehr, da alle ihre Kinder volljährig waren. Der Senat muß nicht entscheiden, ob für die Zeit vor Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs – Sechstes Buch – (SGB VI) die Erziehung eines Kindes iS von § 1268 Abs 2 RVO stets mit Eintritt des 18. Lebensjahres – der Volljährigkeit nach deutschem Recht – endete, oder ob auf den Eintritt der Volljährigkeit nach dem jeweils anzuwendenden Personenstandsrecht abzustellen ist. Auch nach dem im Jahr 1990 noch maßgeblichen jugoslawischen Recht wurden Kinder mit Vollendung des 18. Lebensjahres volljährig – Art 16 des jugoslawischen Gesetzes über die Beziehung zwischen Eltern und Kindern vom 1. Februar 1947 –. Da das LSG zum hier maßgebenden ausländischen Recht keine Feststellungen getroffen hat, konnte der Senat diese selbst treffen. Im übrigen hat die Klägerin die Entscheidung des LSG, daß die Voraussetzungen für die Weitergewährung der großen Witwenrente iS des § 1268 Abs 2 RVO seit dem 1. Juni 1990 nicht mehr vorliegen, auch nicht angegriffen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen