Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe. Steuerfreibetrag für Schwerbehinderte. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Das Diskriminierungsverbot zugunsten Behinderter (Art 3 Abs 3 S 2 GG) gebietet nicht, bei der Bemessung der Arbeitslosenhilfe (entsprechendes gilt für das Arbeitslosengeld) den Steuerfreibetrag für Schwerbehinderte (§ 33b EStG) zu berücksichtigen (Fortführung von BSG vom 27.7.1989 – 11/7 RAr 101/87 = BSGE 65, 214 = SozR 4100 § 111 Nr 10).
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
AFG § 111 Abs. 2 S. 2 Nr. 1, § 136 Abs. 1 Fassung: 1993-12-21; EStG § 33b; GG Art. 3 Abs. 1, 3 S. 2 Fassung: 1994-10-27
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 2. November 1995 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Revision betrifft den Anspruch des Klägers auf höhere Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 15. November 1994.
Der Kläger macht geltend, als Schwerbehindertem (Grad der Behinderung ≪GdB≫ 90) stünden ihm höhere Leistungen zu; die Bemessungsvorschriften müßten auch den Steuerfreibetrag für Schwerbehinderte berücksichtigen. Er bezog nach Abschluß einer von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) geförderten beruflichen Rehabilitationsmaßnahme ab 30. Mai 1991 Arbeitslosengeld (Alg), danach Alhi, Unterhaltsgeld und wieder Alhi.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 10. Januar 1994 die Klage abgewiesen. Während des Berufungsverfahrens bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 17. Juni 1994 (Widerspruchsbescheid vom 30. Dezember 1994) Alhi für die Zeit ab 30. Mai 1994 bis 29. Mai 1995 nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1.340,00 DM sowie mit einem weiteren Bescheid vom 11. Mai 1995 Alhi für die Zeit ab 30. Mai 1995 bis 29. Mai 1996 nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1.380,00 DM.
Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 2. November 1995 die Berufung des Klägers zurückgewiesen sowie die Klage gegen die während des Berufungsverfahrens ergangenen Bescheide abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf höhere Leistungen. Das Bundessozialgericht (BSG) habe bereits in seinem Urteil vom 27. Juli 1989 (SozR 4100 § 111 Nr 10) entschieden, daß es verfassungsrechtlich nicht geboten sei, bei der Bestimmung des für die Höhe der Leistung maßgeblichen Bemessungsentgelts den Steuerfreibetrag für Schwerbehinderte (§ 33b Einkommensteuergesetz ≪EStG≫) zu berücksichtigen. Eine Benachteiligung des Klägers sei insbesondere auch deswegen nicht zu erkennen, weil sein maßgebliches Bemessungsentgelt fiktiv bestimmt worden sei. Der Kläger habe nie den Freibetrag für Schwerbehinderte im Rahmen der Steuerermittlung geltend gemacht, so daß dieser auf seinen wirtschaftlichen Lebensstandard vor dem Leistungsbezug keinen Einfluß gehabt habe.
Mit der – vom BSG für die Zeit ab 15. November 1994 zugelassenen – Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 136 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) iVm § 111 Abs 2 AFG und einen Verstoß gegen Art 3 Abs 3 Satz 2 Grundgesetz (GG). Er macht geltend, bei der Leistungsbemessung müsse der ihm nach § 33b Abs 3 EStG zustehende jährliche Steuerfreibetrag von 2.400,00 DM berücksichtigt werden. Daneben müsse ein jährlicher Pauschbetrag für Privatfahrten in Höhe von 1.560,00 DM Berücksichtigung finden. Das BSG habe zwar 1989 die Nichtberücksichtigung des Steuerfreibetrages bei der Bemessung des Alg als verfassungsrechtlich unbedenklich bezeichnet; diese Argumentation könne jedoch nicht mehr aufrechterhalten werden. Die Datenverarbeitung sei in den letzten Jahren fortgeschritten; der BA sei es zuzumuten, ein Rechenprogramm mit „integrierten Freibeträgen” zu nutzen. Zudem untersage inzwischen Art 3 Abs 3 Satz 2 GG (idF vom 27. Oktober 1994, BGBl I 3146) ausdrücklich eine Benachteiligung wegen einer Behinderung.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 2. November 1995, den Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 1994 idF des Widerspruchsbescheids vom 30. Dezember 1994 und den Bescheid vom 11. Mai 1995 abzuändern sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 15. November 1994 höhere Arbeitslosenhilfe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Dem Kläger steht ab 15. November 1994 keine höhere Alhi zu.
Die Höhe der Alhi bestimmt sich nach § 136 Abs 1 AFG in der hier maßgeblichen Fassung des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar- Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 2353). Nach dieser Vorschrift beträgt die Alhi für Arbeitslose, die mindestens ein Kind iS des § 32 Abs 1, 4 und 5 EStG haben, 57 vH (Nr 1) und für die übrigen Arbeitslosen – wie hier für den ledigen Kläger – 53 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts (Nr 2). Arbeitsentgelt ist im Falle der sog Anschluß-Alhi (§ 134 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a AFG) das Arbeitsentgelt, nach dem sich zuletzt das Alg gerichtet hat (§ 136 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AFG). Gemäß § 136 Abs 2b Satz 1 AFG ist das für die Bemessung der Alhi maßgebende Arbeitsentgelt jeweils nach Ablauf von drei Jahren seit dem Ende des Bemessungszeitraumes nach § 112 Abs 7 neu festzusetzen.
Da bei dem Kläger der Bemessungszeitraum, auf dem sein Anspruch auf Alg und die Anschluß-Alhi beruhte, – wie vom LSG festgestellt – am 29. Mai 1991 endete, war entsprechend dem dreijährigen Zeitrhythmus zum 30. Mai 1994 das Bemessungsentgelt neu festzusetzen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die nicht angegriffen und daher für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), ergibt die turnusmäßige Neubemessung keinen Anspruch auf Festsetzung eines höheren Bemessungsentgelts, sondern ist das auf der Grundlage von 5.000,00 DM dynamisierte Bemessungsentgelt weiterhin zutreffend. Dementsprechend hat die Beklagte die Alhi für die hier streitige Zeit ab 15. November 1994 zutreffend nach einer Nettolohnersatzquote von 53 vH und, was gemäß § 136 Abs 3, § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 Buchstabe a, § 113 AFG zutrifft, nach den Leistungssätzen der Leistungsgruppe A gewährt. Das alles wird von dem Kläger im Revisionsverfahren nicht mehr beanstandet. Die Beteiligten streiten jedoch darüber, ob bei der Bestimmung der Alhi-Leistungssätze auch der Freibetrag für Schwerbehinderte nach § 33b EStG berücksichtigt werden muß. Die einschlägigen Bemessungsvorschriften sehen dies nicht vor.
Der Gesetzgeber knüpft bei der Bemessung der Alhi (entsprechendes gilt beim Alg) nicht an die individuelle steuerliche Situation des Arbeitslosen an. Vielmehr ist nach § 136 Abs 1 AFG Grundlage ein Nettoarbeitsentgelt, das sich errechnet aus dem zugrunde zu legenden Bruttoarbeitsentgelt, „vermindert um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen”. Mit dieser Formulierung macht der Gesetzgeber deutlich, daß es sich um Abzüge handeln muß, die „üblicherweise”, „in der Regel” vorzunehmen sind (vgl BT-Drucks 7/2722 S 32 f; ebenso BSGE 51, 10, 16 = SozR 4100 § 111 Nr 4; BSGE 76, 207, 210 f = SozR 3-4100 § 136 Nr 4; bestätigend BVerfG SozR 3-4100 § 136 Nr 5; BSGE 79, 14, 19 f = SozR 3-4100 § 111 Nr 14). Die Ausrichtung am Üblichen bzw Regelmäßigen erklärt, weshalb bei der Bildung der Leistungssätze nur diejenigen steuerlichen Freibeträge und Kostenpauschalen zugrunde gelegt werden, die bereits in die der jeweiligen Lohnsteuerklasse zugeordneten Lohnsteuertabelle eingearbeitet sind und den laufenden Lohnsteuerabzug ohne weiteres vermindern (vgl §§ 38b, 38c Abs 1 Nrn 1 bis 4, 6 EStG). Hingegen bleiben alle sonstigen – individuellen – Freibeträge, die kraft besonderer Eintragung auf der Lohnsteuerkarte vom Arbeitslohn abgezogen werden können (§ 39a EStG) sowie sonstige Steuervergünstigungen, die erst im Lohnsteuerjahresausgleich bzw bei einer Veranlagung zur Einkommensteuer zu einer Steuerentlastung führen, grundsätzlich unberücksichtigt. Demzufolge werden – wie der Senat bereits ausgeführt hat (BSGE 79, 14, 19 f = SozR 3-4100 § 111 Nr 14) – bei einem Arbeitslosen die steuerlichen Kinderfreibeträge (§ 32 Abs 6 EStG) nicht berücksichtigt. Bei dem Steuerfreibetrag für Schwerbehinderte (§ 33b EStG) handelt es sich ebenfalls um keinen gesetzlichen Abzug, der bei Arbeitnehmern „gewöhnlich” anfällt.
Entgegen der Rechtsansicht des Klägers ist es auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß bei der Bemessung der Alhi (entsprechendes gilt für das Alg) der Steuerfreibetrag für Schwerbehinderte nicht berücksichtigt wird.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG ist nicht verletzt.
Nach dem allgemeinen Gleichheitssatz sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Art 3 Abs 1 GG enthält die allgemeine Weisung an den Gesetzgeber, „Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden” zu behandeln (BVerfGE 3, 58, 135; 18, 38, 46). Dabei liegt es grundsätzlich in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die er also im Rechtssinn als gleichbehandelt ansehen will. Allerdings muß er die Auswahl sachgerecht treffen. Was dabei in Anwendung des Gleichheitssatzes sachlich vertretbar oder sachfremd und deshalb willkürlich ist, läßt sich nicht abstrakt und allgemein feststellen, sondern nur stets in bezug auf die Eigenart des konkreten Sachverhalts, der geregelt werden soll (BVerfGE 75, 108, 157; stRspr). Der normative Gehalt der Gleichheitsbindung erfährt daher seine Präzisierung jeweils im Hinblick auf die Eigenart des zu regelnden Sachbereichs (BVerfGE 90, 226, 239 = SozR 3-4100 § 111 Nr 6 mwN; BSGE 79, 14, 17 f = SozR 3-4100 § 111 Nr 14). Grenzen gesetzlicher Individualisierung durch Typisierungen und Pauschalierungen können – insbesondere bei der Regelung von Massenerscheinungen – durch Erwägungen der Verwaltungsvereinfachung und Praktikabilität gerechtfertigt sein (BSGE aaO). Diese Grenzen liegen dort, wo ein sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung wesentlich gleicher oder die gesetzliche Gleichbehandlung wesentlich ungleicher Sachverhalte fehlt (BVerfGE 90, 236, 239 = SozR 3-4100 § 111 Nr 4 mwN).
Die hier einschlägigen Bemessungsvorschriften verletzen diese Maßstäbe nicht. Denn der Gesetzgeber hat sich im Bereich des AFG aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität für ein typisierendes Bemessungssystem entschieden, wonach zwar für die Bemessung der Alhi bzw des Alg grundsätzlich an den Nettolohn angeknüpft wird, jedoch die Lohnabzüge für die Berechnung des Nettolohnes nicht individuell ermittelt werden. Wie das BVerfG ausgeführt hat, ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn im Rahmen dieses Systems ein gesetzlicher Abzug, der „gewöhnlich” (dh bei der Mehrzahl der Arbeitnehmer) anfällt, in die Berechnung des maßgeblichen Nettoarbeitsentgelts auch bei solchen Arbeitslosen einfließt, die nach ihren individuellen Gegebenheiten (hier: Nichtzugehörigkeit zu einer Kirchensteuer erhebenden Kirche) keinen entsprechenden Abzug vom Bruttolohn hätten, falls sie in einem Arbeitsverhältnis stünden (BVerfGE 90, 226, 237 f = SozR 3-4100 § 111 Nr 6). Gleichermaßen verletzt – wie der Senat 1996 dargelegt hat – die Nichtberücksichtigung der Kinderfreibeträge des Steuerrechts (§ 32 Abs 6 EStG) bei der Bestimmung des für die Höhe des Alg und der Alhi maßgeblichen Nettoarbeitsentgelts (§ 111 Abs 2 AFG) nicht Art 3 Abs 1 GG (vgl BSGE 79, 14, 17 f = SozR 3-4100 § 111 Nr 14). Nichts anderes gilt für den hier in Rede stehenden Freibetrag für Schwerbehinderte nach § 33b EStG. Dies hat der Senat bereits 1989 entschieden (BSGE 65, 214 = SozR 4100 § 111 Nr 10). An dieser Rechtsprechung ist nach erneuter Überprüfung im Ergebnis festzuhalten.
Die Nichtberücksichtigung des Steuerfreibetrages für Schwerbehinderte führt zwar zu einem prozentual höheren Nettoeinkommensverlust als bei anderen Arbeitnehmern. Im Fall des Klägers hätte der Pauschbetrag nach § 33b EStG bei dem festgestellten GdB (90) 2.400,00 DM jährlich betragen (§ 33b Abs 3 Satz 2 EStG). Statt dessen erhält der Kläger Alhi nur in der Höhe, die auch dem nicht Schwerbehinderten zusteht. Dies beruht darauf, daß trotz einer Anbindung der Leistungssätze an das Lohnsteuersystem andere Grundsätze gelten als im Steuerrecht. Die steuerliche Berücksichtigung außergewöhnlicher Belastungen iS des § 33 EStG, zu denen auch behinderungsbedingte Mehraufwendungen gehören, soll zwangsläufige und existentiell notwendige Aufwendungen erfassen, die über die gewöhnlichen Lebenshaltungskosten hinausgehen. Sie beruht auf der Erwägung, daß in bestimmten Fällen das von der Besteuerung auszunehmende Existenzminimum aufgrund außergewöhnlicher Umstände höher liegt als im Normalfall (vgl Schmidt, Komm zum EStG, 16. Aufl 1997, § 33 Anm 1). Demgegenüber geht es dem Gesetzgeber im AFG nicht darum, den individuellen Mehrbedarf des Arbeitslosen auszugleichen. Bei der Bemessung der Alhi bzw des Alg werden nur die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallenden Abzüge berücksichtigt mit der Folge, daß die geringere Steuerlast von Personen nicht zu höheren Leistungen führt, denen wegen außergewöhnlicher Belastungen eingeräumt wird, einen Teil ihrer außergewöhnlichen Aufwendungen vom Gesamtbetrag zu versteuernder Einkünfte abzuziehen. Diese Grundentscheidung und die hierauf beruhenden Folgen sind jedoch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auf die (geringe) Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen Nettoentgelt und Alhi bzw Alg, auf die der Senat 1989 (BSGE 65, 214 = SozR 4100 § 111 Nr 10) abgehoben hat, kommt es deshalb letztlich nicht an. Dasselbe gilt für die finanziellen Auswirkungen der steuerlichen Pauschale für Kfz-Kosten von 1.560,00 DM jährlich, die im übrigen – soweit ersichtlich – vom Kläger erstmals in der Revisionsinstanz geltend gemacht worden ist.
Auch der Einwand des Klägers, im Hinblick auf den Fortschritt in der Datenverarbeitung sei die Nichtberücksichtigung des Steuerfreibetrags für Schwerbehinderte nicht mehr hinzunehmen, greift nicht durch. Zwar mag es zutreffen, daß die Berücksichtigung der Behindertenpauschbeträge nach § 33b EStG – wie der Kläger geltend macht – bei der Leistungsberechnung keinen sehr großen Verwaltungsaufwand erfordern würde. Immerhin müßten – gestaffelt nach dem Grad der Behinderung – acht verschiedene Pauschbeträge (vgl § 33b Abs 3 Satz 2 EStG) in die jeweiligen Leistungssätze eingearbeitet werden und in jedem Leistungsfall nach dem Grad der Behinderung gefragt und dieser ggf bearbeitet werden. Doch kann die Frage der technischen Umsetzbarkeit solcher Gestaltungen und des damit verbundenen Verwaltungsaufwands letztlich auf sich beruhen. Hierauf hat der Senat bereits 1989 (BSGE 65, 214 = SozR 4100 § 111 Nr 10) hingewiesen. Der allgemeine Gleichheitssatz ist nicht schon dann verletzt, wenn der Gesetzgeber Differenzierungen, die er vornehmen darf, nicht vornimmt. Es ist vielmehr grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die er also im Rechtssinn als gleich ansehen will (vgl BVerfGE 90, 236, 239 = SozR 3-4100 § 111 Nr 4, stRspr). Wie das BVerfG und das BSG wiederholt entschieden haben, hat der Gesetzgeber gerade im Bereich der Alg- bzw Alhi-Bemessung einen erheblichen Gestaltungsspielraum zur Pauschalierung und Typisierung (vgl BVerfGE aaO sowie BSGE 79, 14, 20 = SozR 3-4100 § 111 Nr 14 mwN). Für eine derartige pauschalisierende bzw typisierende Regelung bestehen auch sachlich einleuchtende Gründe. Entsprechend der Funktion der Alhi bzw des Alg, ausfallendes Arbeitseinkommen angemessen auszugleichen, müssen diese Leistungen schnell berechnet und ausgezahlt werden. Dies zwingt zu möglichst einfachen Maßstäben bei der Leistungsberechnung. Für eine praktische Handhabung bieten sich daher von Bruttoentgelten abhängige Leistungssätze an, die in Anlehnung an die nach Lohnsteuerklassen aufgebauten Lohnsteuertabellen entwickelt werden können (BSGE aaO).
Schließlich erfordert auch der mit Wirkung ab 15. November 1994 durch das Gesetz vom 27. Oktober 1994 (BGBl I 3146) eingefügte Art 3 Abs 3 Satz 2 GG keine abweichende Beurteilung. Hiernach darf „niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden”. Entgegen der Rechtsansicht des Klägers läßt sich aus dieser Vorschrift nicht ableiten, daß der Gesetzgeber nunmehr verpflichtet wäre, die im Steuerrecht vorgesehenen Begünstigungen für Behinderte auf die Bemessung von Lohnersatzleistungen nach dem AFG zu übertragen und die Leistungssätze für Behinderte in der Weise anzuheben, daß der ihnen bei Arbeitslosigkeit „entgehende” Steuervorteil ausgeglichen wird. Schon nach ihrem Wortlaut enthält die Neuregelung lediglich ein Benachteiligungsverbot. Der Gesetzgeber wird hierdurch nicht zu einem bestimmten begünstigenden Handeln verpflichtet. So wird die Vorschrift auch in der Literatur verstanden (vgl BSG-Urteil vom 24. April 1996 – 5 RJ 34/95 – unter Verweis auf BAG DB 1996, 580, 581; Maunz/Dürig/Scholz, Kommentar zum GG, Art 3 RdNr 174, 175; Bonner Kommentar, GG Art 3 RdNr 874, 884). Die Materialien zur Gesetzesgeschichte stehen dem nicht entgegen. Zunächst war umstritten, ob in das GG überhaupt eine Bestimmung zum Behindertenschutz aufzunehmen war (vgl BT-Drucks 12/600 S 53 zu III und IV). Dann waren Inhalt und Tragweite der schließlich auf Empfehlung des Rechtsausschusses zustande gekommenen Regelung umstritten (vgl BT-Drucks 12/8165 S 28, 29). Diese im Gesetzgebungsverfahren zum Ausdruck kommenden unterschiedlichen Auffassungen zwingen nicht dazu, die Vorschrift über ihren ein Benachteiligungsverbot aussprechenden Wortlaut hinaus auszulegen. Eine Benachteiligung des Klägers enthalten die einschlägigen Bemessungsvorschriften jedoch ersichtlich nicht. Dem Kläger ist in derselben Höhe Alhi bewilligt worden, wie sie bei ansonsten gleichen Voraussetzungen auch nicht behinderten Arbeitslosen gewährt wird. Die Bemessungsvorschriften benachteiligen den Kläger nicht wegen seiner Behinderung, wenn sie diesbezüglich keine Begünstigung vorsehen.
Es ist allerdings nicht zu verkennen, daß – wie bereits 1989 (BSGE 65, 214 = SozR 4100 § 111 Nr 10) angesprochen – unterschiedliche Differenzen zwischen bisherigem Nettoarbeitsentgelt und Alhi bzw Alg zu einem besonderen wirtschaftlichen Druck auf den Schwerbehinderten führen können, alsbald auch eine dem Berufs- oder Arbeitsplatzwunsch nicht entsprechende Arbeit aufzunehmen. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber für diesen Personenkreis die Möglichkeit einer speziellen Förderung der Arbeitsaufnahme vorgesehen hat. Nach § 54 Abs 1 AFG kann die BA Arbeitgebern zur beruflichen Eingliederung von arbeitslosen und von Arbeitslosigkeit unmittelbar bedrohten Arbeitsuchenden, deren Unterbringung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes erschwert ist, Darlehen oder Zuschüsse gewähren. Hierzu gehören auch Personen nach § 1 oder 2 Schwerbehindertengesetz (vgl § 20 Abs 2 der Anordnung des Verwaltungsrats der BA zur Förderung der Arbeitsaufnahme vom 19. Mai 1989, ANBA 997, idF der 2. Änderungsanordnung vom 27. Januar 1993, ANBA 394). Ansonsten bleibt dem arbeitslosen Schwerbehinderten die Inanspruchnahme von Sozialhilfe, falls seine höheren Bedürfnisse durch die Alhi nicht gedeckt werden können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1172844 |
HFR 1999, 305 |
SozR 3-4100 § 136, Nr.7 |