Entscheidungsstichwort (Thema)
Spanien. Wohnsitz. Familienversicherung. Krankenversicherung der Rentner. Zahnersatz. Zahnbehandlung. Heil- und Kostenplan. Genehmigung
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Voraussetzungen, unter denen die Krankenkasse eine Zahnersatzbehandlung auch ohne vorherige Genehmigung bezuschussen muß.
2. Kann im Revisionsverfahren wegen unzureichender Aufklärung der innerstaatlichen Anspruchsvoraussetzungen nicht beurteilt werden, ob es für die Entscheidung auf die Auslegung europäischen Gemeinschaftsrechts ankommt, so ist die Revision iS der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (Anschluß an BSGE 37, 104 = SozR 1500 § 170 Nr. 1).
3. Zur Zulässigkeit von Klagen Familienversicherter gegen Bescheide, die gegenüber dem Stammversicherten erlassen wurden.
Normenkette
SGB IV § 3 Nr. 2; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 11, §§ 10, 13 Abs. 3, § 16 Abs. 1 Nr. 1, § 30 Abs. 1; SGG § 54 Abs. 4, §§ 78, 85, 170 Abs. 2; BMV-Z Anl. 12
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revisionen der Kläger wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. September 1995 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I.
Die in Spanien wohnenden Kläger begehren Zuschüsse zu in Deutschland durchgeführten Zahnersatzbehandlungen.
Der Kläger zu 1) ist Rentner und hat zusammen mit seiner Ehefrau, der Klägerin zu 2), seinen Wohnsitz in Spanien. In Spanien werden die Eheleute vom Krankenversicherungsträger ihres Wohnorts betreut. Die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) nimmt die Aufgaben einer Verbindungsstelle wahr.
Im Mai 1990 ließen die Eheleute umfangreiche Zahn- und Zahnersatzbehandlungen bei einem Zahnarzt in Deutschland durchführen. Während die damals örtlich zuständige AOK, die inzwischen mit anderen Kassen zur Beklagten vereinigt wurde, die Zahnbehandlungen als Sachleistung übernahm, lehnte sie die beantragten Zuschüsse zum jeweiligen Zahnersatz gegenüber dem Kläger zu 1) ab, nachdem der spanische Versicherungsträger mitgeteilt hatte, daß die Leistung nicht gewährt werde (Bescheid vom 18. September 1990). Auf den Widerspruch des Klägers teilte sie mit, die Widerspruchsstelle sei zum Ergebnis gekommen, daß für einen Widerspruch kein Raum sei. Der Leistungsanspruch hänge europarechtlich von der Zustimmung des ausländischen Trägers ab, die möglicherweise noch erteilt werde (Schreiben vom 14. November 1990).
Der vom Kläger zu 1) erhobenen Klage hat sich dessen Ehefrau im Mai 1993 als Klägerin zu 2) angeschlossen. Mit Urteil vom 27. Oktober 1994 hat das Sozialgericht (SG) die Klagen abgewiesen, mit Urteil vom 7. September 1995 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufungen zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) seien die Kläger als Arbeitnehmer iS des Art. 19 Abs. 1 Buchst a der europäischen Verordnung 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie auf deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71), zu behandeln. Das führe zur Anwendung der spanischen Vorschriften auch bei einem vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland. Insofern unterscheide die Verordnung zwischen Arbeitnehmern, die bei vorübergehendem Aufenthalt im Heimatstaat Leistungen beanspruchen könnten, und Rentnern, bei denen dies nicht der Fall sei. Dieses Ergebnis sei nicht verfassungswidrig. Bei in der Europäischen Union (EU) wohnenden versicherten Rentnern sei die generelle Anwendung des Krankenversicherungsrechts des Wohnsitzstaats nicht zu beanstanden; ohne die genannten Regelungen würde der Leistungsanspruch ruhen. Dadurch sei die unterschiedliche Behandlung von in Deutschland und im Ausland wohnenden Rentnern gerechtfertigt. Auch die Unterscheidung von Arbeitnehmern und Rentnern und die Anwendung des spanischen Leistungsrechts trotz deutschen Beitragsrechts sei nicht willkürlich.
Mit ihren Revisionen rügen die Kläger die Verletzung des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG), weil sie nach deutschem Sozialversicherungsrecht Beiträge entrichteten und nicht schlechter gestellt werden dürften als die im Inland wohnenden Mitglieder der Beklagten.
Sie beantragen,
das Urteil des LSG vom 7. September 1995 und das Urteil des SG vom 27. Oktober 1994 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 18. September bzw 14. November 1990 zu verurteilen. 60% der in den Heil- und Kostenplanen des Zahnarztes Dr. G. aufgeführten Kosten zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revisionen der Kläger sind im Sinne der Zurückverweisung begründet. Die Tatsachenfeststellungen des LSG reichen nicht aus, um abschließend oder im Sinne einer Vorlage an den EuGH entscheiden bzw den Sachverhalt verfassungsrechtlich bewerten zu können.
Einer sachlichen Entscheidung steht das Fehlen eines förmlichen Widerspruchsbescheids nicht entgegen. Allerdings war der angefochtene Bescheid nach § 78 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vor Erhebung der Klage in einem Vorverfahren zu überprüfen: einer der Fälle, in denen § 78 Abs. 1 Satz 2 SGG die Klage ausnahmsweise ohne Vorverfahren zuläßt, liegt nicht vor. Die Tatsache, daß bei der Entscheidung über den Leistungsanspruch möglicherweise spanisches Recht anzuwenden oder die Zustimmung des spanischen Leistungsträgers einzuholen ist, hat nichts mit der Vorverfahrenspflicht zu tun. Das Vorverfahren ist aber dadurch abgeschlossen, daß die Widerspruchsstelle der Beklagten entschieden hat, ein Widerspruch finde nicht statt, und daß diese Entscheidung dem Kläger mitgeteilt wurde. Inhaltlich bedeutet dies die Zurückweisung des Widerspruchs als unzulässig. Zwar hätte nach § 85 Abs. 2 Nr. 2 SGG die Widerspruchsstelle einen Widerspruchsbescheid erlassen müssen, der nach § 85 Abs. 3 SGG zu begründen, von einem Mitglied des Widerspruchsausschusses zu unterschreiben (BSGE 47, 3, 5 = SozR 1500 § 85 Nr. 5) und dem Kläger zuzustellen gewesen wäre. Die Nichteinhaltung dieser Formvorschriften führt jedoch weder zur Nichtigkeit noch zur Aufhebung mit der Verpflichtung zur Nachholung eines ordnungsgemäßen Vorverfahrens. Es handelt sich nicht um schwerwiegende, offenkundige Fehler iS des § 40 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), wie das Bundessozialgericht (BSG) in einem vergleichbaren Fall bereits entschieden hat (BSGE 75, 241, 244 = SozR 3-5850 § 1 Nr. 1 S. 3 f mwN). Die Aufhebung kann nach § 42 SGB X nicht verlangt werden, weil eine gebundene Entscheidung vorliegt und weil ein Anhörungsfehler nicht in Betracht kommt (vgl. zur Rechtslage vor dem Inkrafttreten des SGB X: BSGE 47, 278 = SozR 1500 § 85 Nr. 7 mwN). Bei durchgeführtem Vorverfahren kann offenbleiben, ob über den geltend gemachten Anspruch auch unter dem Gesichtspunkt der Untätigkeitsklage sachlich hatte entschieden werden müssen (vgl. einerseits BVerwG FEVS 15, 447, 449 – in BVerwGE 29, 229 nicht abgedruckt; BVerwGE 37, 87, 88; 39, 261, 265; BSGE 75, 262, 268 = SozR 3-8560 § 26 Nr. 2 S. 18; andererseits: BSGE 19, 164 = SozR Nr. 1 zu § 88 SGG; BSG SGb 1978, 68 = SozR 1750 § 301 Nr. 1).
Nach der Zurückverweisung wird das LSG zu klären haben, ob die Klage der Ehefrau mangels Verwaltungsverfahrens unzulässig ist. Da die Zulässigkeit vom versicherungsrechtlichen Status der Klägerin und dieser von demjenigen ihres Ehemanns abhängt und mit dem Status außerdem die geltend gemachten materiell-rechtlichen Ansprüche zusammenhängen, deretwegen der Rechtsstreit ohnedies zurückzuverweisen ist, hat der Senat – auch aus prozeßökonomischen Gründen – davon abgesehen, diese Frage bereits im jetzigen Revisionsverfahren abschließend zu klären. Streitgegenstand der Klage der Ehefrau ist ebenso wie beim klagenden Ehemann ein Anspruch auf einen Zuschuß zum Zahnersatz nach § 30 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), den die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden nur gegenüber dem Kläger und nicht gegenüber seiner Ehefrau abgelehnt hat. Diese hat sich im Mai 1993 der im Januar 1991 erhobenen Klage „angeschlossen”, wie es im entsprechenden Schriftsatz heißt. Eine Vertretung im Verwaltungsverfahren durch den Ehemann kommt nicht in Frage, weil die Beklagte nicht klargestellt hat, daß der Bescheid (auch) für die Ehefrau bestimmt sei (vgl. BSG SozR 1300 § 37 Nr. 1 mwN). Der Senat hat bisher das gegenüber einem anderen Antragsteller durchgeführte Verwaltungsverfahren ausnahmsweise dem Kläger zugerechnet, wenn Ansprüche aus der Familienversicherung nach § 10 SGB V im Streit waren. Aus prozeßökonomischen Gründen wollte er die Beteiligten nicht zu einer vermutlich unergiebigen Nachholung des Verwaltungsverfahrens zwingen, nur weil die Krankenkasse ihre nach früherem Recht zutreffende Praxis unter der Geltung des SGB V vorübergehend fortgesetzt und sich ausschließlich an den Stammversicherten gewandt hatte (BSG vom 18. Januar 1996 – 1 RK 25/94; im Ergebnis auch BSGE 77, 102, 103 = SozR 3-2500 § 38 Nr. 1 S. 2, bei einem vom späteren Kläger eingelegten Widerspruch vgl. aber BSG USK 93109). Antragsteller, die aus dem jeweils eigenen Versicherungsverhältnis Rechte herleiten, können sich auf diese Rechtsprechung nicht berufen. Auch in Fällen der Familienversicherung kann die angesprochene Verwaltungspraxis nicht auf unbestimmte Zeit hingenommen werden, denn nach § 54 Abs. 4 und Abs. 5 SGG ist über den erhobenen Anspruch zunächst durch Verwaltungsakt zu entscheiden, der gegenüber dem Anspruchsteller zu ergehen hat. Nachdem bisher eine Übergangsfrist nicht genannt war wird der Senat die zum Zeitpunkt der jetzigen Entscheidung bereits laufenden Verfahren weiterhin als zulässig behandeln, um den Betroffenen und den Instanzgerichten Gelegenheit zu geben, sich auf diese Rechtsprechung einzustellen. Für Verwaltungsverfahren, die nach dem 31. Juli 1997 enden, kann jedoch eine Berufung auf den Rechtszustand vor dem 1. Januar 1989 nicht mehr zugelassen werden. Klagen gegen Bescheide, die gegenüber dem Stammversicherten statt gegenüber dem klagenden Familienversicherten erlassen werden, sind dann unzulässig
Da dies den vorliegenden Fall nicht betrifft, ist die Klage der Ehefrau zulässig, wenn für sie nach den Vorschriften der EWGV 1408/71 iVm § 10 SGB V nur ein Anspruch aus der Familienversicherung in Betracht kommt. Das kann dem angefochtenen Urteil nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnommen werden denn dann werden beide Kläger als „bei der Beklagten pflichtversichert” bezeichnet. Im Rahmen der weiteren Ausführungen ist zwar nur von der Rentnereigenschaft des Ehemanns die Rede: daraus muß jedoch nicht geschlossen werden, daß die Klägerin nur als Familienversicherte leistungsberechtigt sein kann. Auf die Rückfrage des Senats hat die Klägerin vorgetragen, sie beziehe keine Rente und sei bei ihrem Ehemann familienversichert; die Beklagte hat zu den Voraussetzungen des § 10 SGB V nicht Stellung genommen und lediglich darauf verwiesen, daß die Klägerin bei der spanischen Krankenkasse als „anspruchsberechtigter Familienangehöriger” eingetragen sei.
Die materiell-rechtliche Beurteilung hängt zunächst vom ungeklärten versicherungsrechtlichen Status der Kläger ab. Auf die Auslegung der Vorschriften der EWGV 1408/71 kommt es nicht an, wenn die Kläger wirklich „bei der Beklagten pflichtversichert” sind. Denn § 30 SGB V enthält keine Leistungseinschränkung für Versicherte, die im Ausland wohnen; § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V schließt Ansprüche nur aus, solange sich der Versicherte im Ausland aufhält. Die Vorschriften der EWGV 1408/71 können Leistungsansprüche eines Pflichtmitglieds gegen seine Krankenkasse ebenfalls nicht ausschließen, auch wenn diese „den spanischen Sozialversicherungsträger mit der Durchführung der Krankenversicherung beauftragt hat”, wie das LSG ergänzend zur „Pflichtversicherung” ausführt.
Der Senat entnimmt den unangegriffenen Feststellungen des angefochtenen Urteils, daß nach spanischem Recht Ansprüche auf Leistungen bei Zahnersatz allgemein ausgeschlossen sind. Nach deutschem Recht kommt ein Leistungsausschluß wegen des Wohnsitzes der Kläger im Ausland lediglich dann in Betracht, wenn der Wohnsitz das (jeweilige) Versicherungsverhältnis berührt. Das ist bei der Familienversicherung der Fall, denn diese erfaßt nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 SGBV nur Familienangehörige, die im Inland wohnen. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 SGBV wird die Familienversicherung jedoch durch bestimmte Versicherungspflicht-Tatbestände des § 5 Abs. 1 SGB V verdrängt. Insoweit läßt sich die behauptete Familienversicherung mit der Aussage, die Klägerin zu 2) sei pflichtversichert, nicht in Einklang bringen. Bevor feststeht, daß die Klägerin ihre Ansprüche nur auf die Familienversicherung zu stützen vermag, kann über den streitigen Leistungsausschluß nicht abschließend entschieden werden.
Über den Anspruch des klagenden Ehemanns läßt sich mangels klaren Versicherungsverhältnisses ebenfalls nicht entscheiden. Die Beklagte hat auf Anfrage mitgeteilt, er sei bis zum 31. Dezember 1988 nach innerstaatlichen Vorschriften als Rentner bei der AOK München versichert gewesen; der Kläger hat hierzu keine Angaben gemacht. In Verbindung mit der auch vom LSG gebrauchten Bezeichnung als Rentner muß sich die mitgeteilte Versicherungspflicht auf die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGBV beziehen. Diese steht aber zum Wohnsitz im Ausland im Widerspruch: Die KVdR setzt keine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit voraus, so daß nach § 3 Nr. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) für die Versicherungspflicht der Wohnsitz oder ständige Aufenthalt des Rentners im Geltungsbereich des SGB maßgebend ist. Die Aussage des LSG kann nicht in eine Feststellung der Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V umgedeutet werden, weil die Beteiligten sie nicht in diesem Sinne verstanden haben, wie die Antwort der Beklagten auf die Anfrage des Senats zeigt.
Da die mögliche Berechtigung beider Kläger nicht mit letzter Sicherheit auf die erwähnten wohnsitzabhängigen Versicherungstatbestände beschränkt werden kann, muß zunächst der versicherungsrechtliche Status der Kläger festgestellt werden, wobei gegen die Verwertung einer unbestrittenen Auskunft der Beklagten keine Bedenken bestehen. Die gebotene Feststellung umfaßt neben einer hier eher unwahrscheinlichen vorrangigen Versicherungspflicht (vgl. § 5 Abs. 8 SGB V) alle Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V (bzw des Übergangsrechts zum SGBV) und des § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 5 SGBV. Für diese und alle weiteren innerstaatlichen Anspruchsvoraussetzungen kommt es auf die Auslegung von Gemeinschaftsrecht nicht an.
Die geltend gemachten Ansprüche hängen nicht nur von der Versicherteneigenschaft ab, die im folgenden unterstellt wird. Nach der Schilderung des LSG wurde der Zahnersatz vollständig eingegliedert, ohne daß die Beklagte in irgendeiner Form in die Abwicklung des Leistungsfalls eingeschaltet gewesen wäre. Dieser äußere Ablauf legt die Prüfung nahe, ob es sich noch um eine Leistung „im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung” iS des § 30 Abs. 1 Satz 1 SGB V oder vielmehr um eine „selbstbeschaffte Leistung” iS des § 13 Abs. 3 (damals Abs. 2) SGB V gehandelt hat, deren Kosten die Beklagte nur unter zusätzlichen Voraussetzungen erstatten muß. Der Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung ist jedenfalls dann eingehalten, wenn der Zahnarzt die im konkreten Fall einschlägigen Vorschriften des Leistungserbringerrechts beachtet hat Abgesehen davon, daß nicht feststeht, ob Dr. G. als Vertragszahnarzt zugelassen ist, kann auch im übrigen nicht entschieden werden, ob die Leistungsansprüche auf diesem Weg entstanden sind. Umfangreichen Zahnersatz darf der Zahnarzt in der Regel nicht ohne Zustimmung der Krankenkasse veranlassen. Der zwischen der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der Krankenkassen geschlossene Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z), der aufgrund der Ermächtigung in § 72 Abs. 2 SGB V Einzelheiten der vertragszahnärztlichen Versorgung regelt, verpflichtet den Zahnarzt, vor der Durchführung einer Zahnersatzbehandlung einen Heil- und Kostenplan aufzustehen, der der Krankenkasse vorzulegen ist (§ 1 Abs. 1 der Anlage 12 zum BMV-Z). Nach § 2 Abs. 1 und 2 aaO soll mit der prothetischen Behandlung erst nach Rückgabe des genehmigten Heil- und Kostenplanes an den Zahnarzt begonnen werden. Für bestimmte Leistungen ist die vorherige Genehmigung durch die Krankenkasse nicht erforderlich (§ 1 Aus 2 aaO). Der Umfang der bei den Klägern durchgeführten Behandlung läßt eine Genehmigung erforderlich erscheinen; ob sie erteilt wurde, kann dem angefochtenen Urteil nicht entnommen werden. Im Revisionsverfahren ist behauptet worden, die Krankenkasse habe der Behandlung fernmündlich zugestimmt (zur Anspruchsbegründung durch Genehmigung: BSG SozR 3-5555 § 9 Nr. 1 S. 5; bei kieferorthopädischer Behandlung: BSGE 77, 227, 228 = SozR 3-2500 § 29 Nr. 3 S. 11; durch Erfüllung von in Richtlinien aufgestellten Voraussetzungen: BSG vom 20. März 1996 – 6 RKa 62/94, zur Veröffentlichung bestimmt).
Allerdings sind die eingeklagten Ansprüche auch bei fehlender Genehmigung entstanden, wenn die Krankenkasse für die durchgeführte Behandlung infolge der Ermächtigung des Vertragszahnarztes zur Feststellung von Leistungsansprüchen einzustehen hat. Das kann ebenfalls auf Grund der bisherigen Feststellungen nicht abschließend entschieden werden. Ebenso wie die meisten anderen Leistungsvorschriften des SGB V sieht § 30 Abs. 1 lediglich ein ausfüllungsbedürftiges Rahmenrecht vor, das sich erst durch die Maßnahmen des Leistungserbringers zum Anspruch verdichtet. Ob bei diesem Konkretisierungsvorgang alle gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen (also auch eventuelle Genehmigungsvorbehalte nach Anlage 12 zum BMV-Z) beachtet werden, hat für die Entstehung des Anspruchs des Versicherten grundsätzlich keine Bedeutung; allerdings kann ihre Nichtbefolgung dazu führen, daß der Vertrags(zahn)arzt den Honoraranspruch für seine Behandlung ganz oder teilweise verliert und gegebenenfalls in Regreß genommen wird. Auf diese – nachträglichen – Kontrollmöglichkeiten ist die Krankenkasse bzw das dazu berufene Kontrollorgan der Selbstverwaltung beschränkt, wenn der Anspruch des Versicherten durch Konkretisierung entstanden ist. Das ist Folge des Sachleistungsgrundsatzes, der beinhaltet, daß die Krankenkassen ihre Leistungen durch eigens zugelassene und einer besonderen Aufsicht unterworfenen Personen und Einrichtungen erbringen lassen, die ihrerseits ermächtigt sind, den Leistungsfall festzustellen, die erforderlichen Behandlungsmaßnahmen anzuordnen und damit über die Ansprüche des Versicherten mit Wirkung für die jeweilige Kasse verbindlich zu entscheiden (vgl. BSG SozR 3-2500 § 39 Nr. 3, auch für BSGE vorgesehen; vgl. zum Ganzen auch BSGE 73, 271, 277 ff = SozR 3-2500 § 13 Nr. 4 S. 15 ff). Die Rechtsmacht, Ansprüche des Versicherten gegen seine Krankenkasse zu begründen, kann nicht davon abhängig sein, daß die das Verhalten des Arztes regelnden Vorschriften eingehalten werden. Deren Vorgaben sollen die Kontrolle der Behandlungsweise des Arztes ermöglichen, die vom Versicherten nicht in gleicher Weise erwartet werden kann. Würde der Versicherte durch eine vorschriftswidrige Leistung den Versicherungsschutz verlieren, hätte er für das Risiko aufzukommen, daß Kontrollmechanismen versagen, obwohl sie seinem Einflußbereich entzogen sind.
Von den dargestellten Grundsätzen ist auch bei der Zahnersatzbehandlung auszugehen, ohne daß letztlich geklärt werden muß, ob bei einem vorschriftswidrigen Vorgehen des Leistungserbringers der „Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung” iS des § 30 Abs. 1 Satz 1 SGB V noch gewahrt ist. Die Lage des Versicherten ist bei der Zahnersatzbehandlung die gleiche wie bei allen anderen Behandlungen: Er muß sich nach § 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V an einen zugelassenen Zahnarzt wenden und ist auf dessen Beachtung der vertragszahnärztlichen Bestimmungen angewiesen, weil diese sich auf medizinische und abrechnungstechnische Tatbestände beziehen, deren Bewertung ihn in aller Regel überfordert. Die Folgen einer unzutreffenden Bewertung können nur den Zahnarzt und nicht den Versicherten treffen.
Für die Einordnung des § 30 SGB V unter die dargestellten allgemeinen Regeln der Leistungskonkretisierung ist unerheblich, daß das Gesetz lediglich einen Zuschuß gewährt, weil es einen Teil des Krankheitsrisikos der Eigenverantwortung des Versicherten zurechnet, und daß Zahnersatz nicht mehr als „Sachleistung” angesehen werden kann, wenn der Zuschuß nicht über die Kassenzahnärztliche Vereinigung, sondern über den Versicherten abgerechnet wird, wie es in den Jahren 1989 bis 1992 möglich war, aber nicht überall praktiziert wurde (vgl. BSGE 66, 284 = SozR 3-2500 § 29 Nr. 1; Liebold/Raff/Wissing, BEMA-Z, Stand: Januar 1996, III/388(6); inzwischen durch § 30 Abs. 3 SGB V in der seit 1. Januar 1993 geltenden Fassung des Gesundheits-Strukturgesetzes überholt). Die Abkehr vom Sachleistungsgrundsatz, die § 30 SGB V in der von 1989 bis 1992 geltenden Fassung möglicherweise zu entnehmen war berechtigte den Versicherten nicht, sich von nicht zugelassenen Zahnärzten auf Kosten der Krankenkasse behandeln zu lassen, so daß sie auch keine Handhabe bot, die Risiken der Leistungsbeschaffung stärker als nach allgemeinen Grundsätzen auf den Versicherten zu verlagern.
Hat die Krankenkasse danach grundsätzlich auch für rechtswidrige Anordnungen des zugelassenen Leistungserbringers einzustehen, so kann ausnahmsweise etwas anderes gelten, wenn sich der Versicherte bewußt eine außerhalb des gesetzlichen Rahmens hegende Leistung verschafft hat. Als Indiz in diesem Sinne hat der Senat die schriftliche Erklärung eines Versicherten über die Losung vom vertragszahnärztlichen Gebührenrahmen gewertet, aber auch dort die Umstände des Einzelfalls für maßgebend erklärt (BSG SozR 3-2500 § 30 Nr. 7). Nach längerer Krankenhausbehandlung kann die Mitteilung der Krankenkasse über den Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen genügen, um die Einstandspflicht der Kasse für zukünftige Leistungen auszuschließen, BSG SozR 3-2500 § 39 Nr. 3). Ohne nähere Kenntnis der – angeblichen – Erklärung der Krankenkasse und eventueller Erläuterungen des Arztes sowie dessen möglicher Absprachen mit den Patienten einschließlich der Gründe, warum diese den jeweiligen Heil- und Kostenplan an der hierfür vorgesehenen Steile nicht unterschrieben haben, Können die durch die Leistungskonkretisierung aufgeworfenen Rechtsfragen nicht beantwortet werden Weitere Ermittlungen würden sich freilich erübrigen, wenn die Krankenkasse die Genehmigung (vorbehaltlich der Prüfung der Versicherteneigenschaft) bereits erklärt hat oder – auch im anhängigen Verfahren – noch erklärt oder wenn der behandelnde Zahnarzt nicht zugelassen gewesen sein sollte. Der Vortrag der Beklagten im Revisionsverfahren läßt Rückschlüsse in dieser Richtung nicht zu. Demgegenüber ist nicht entscheidungserheblich ob die Leistung als medizinisch notwendig einzustufen ist Ebenso wie die Einhaltung der vertragsärztlichen Vorschriften spielt diese Frage bei vertragsärztlich angeordneten Leistungen grundsätzlich nur für die Auseinandersetzung zwischen Kontrollorgan und Arzt eine Rolle
Sollten die weiteren Ermittlungen ergeben daß von einer selbstbeschafften Leistung außerhalb der allgemeinen Einstandspflicht der Krankenkasse auszugehen ist, können die Ansprüche nur noch unter dem Gesichtspunkt der unaufschiebbar notwendigen Leistung begründet sein (vgl. § 13 Abs. 3 Voraussetzung 1 SGB V). Abgesehen von denkbaren medizinischen Gründen, dürfte die Eilbedürftigkeit der Leistung im vorliegenden Fall die Eigenbeschaffung nicht rechtfertigen. Insbesondere ist eine bevorstehende Rückkehr nach Spanien kein Grund, die Eingliederung des Zahnersatzes für unaufschiebbar zu halten Sonst würden die Kläger nicht nur genauso behandelt wie Versicherte mit Wohnsitz in Deutschland, sondern besser. Hierfür fehlt die rechtliche Grundlage.
Vor Klärung der Anspruchsvoraussetzungen des innerstaatlichen Rechts hält es der Senat für untunlich, zu den für die jetzige Entscheidung nur hypothetischen Fragen des Gemeinschaftsrechts Stellung zu nehmen. Als höherrangigem Recht zugehörig sind diese Fragen grundsätzlich erst dann zu klären oder durch den EuGH klären zu lassen, wenn die übrigen Anspruchsvoraussetzungen festgestellt sind, so daß die Entscheidung nur noch von der Auslegung des Gemeinschaftsrechts abhängt (vgl. BSGE 37, 104 = SozR 1500 § 170 Nr. 1). Scheitert der Anspruch bereits an einfachrechtlichen Voraussetzungen, ist es mit der Aufgabe des EuGH und dem Gebot der Prozeßökonomie nicht zu vereinbaren, diese Voraussetzungen ungeklärt zu lassen (vgl. EuGHE 1995, I-513 RdNr. 12; EuGHE 1992, I-4919 RdNr. 26; EuGHE 1992, I-4703 RdNr. 19 jeweils mwN; zu den insoweit vergleichbaren Voraussetzungen einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht: BVerfGE 89, 329, 336; 88, 70, 74 jeweils mwN). Gemeinschaftsrechtlich wird das Verhältnis des Art. 21 EWGV 1408/71 (Aufenthalt von „Arbeitnehmern” im „zuständigen” Staat) zu Art. 31 EWGV 1408/71 (Aufenthalt von „Rentnern” in einem anderen als dem Wohnsitzstaat) zu klären sein. Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten könnte der Frage nachzugehen sein, auf welcher Rechtsgrundlage die Beklagte Versorgungsbezüge als beitragspflichtig behandelt, falls die entsprechende Behauptung des Klägers zutrifft.
Die Kostenentscheidung bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen
SozSi 1997, 397 |
SozSi 1997, 400 |