Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Die Klägerin, ein Elektrizitätsversorgungsunternehmen, begehrt von der Beklagten die Genehmigung zur Herabsetzung der Einsatzzeit ihres Betriebsarztes um die Hälfte. Ihren entsprechenden Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 1. März 1979, Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 1979), weil die Unfallgefahren bei der Klägerin eine Herabsetzung der Einsatzzeiten nicht rechtfertigten; in den letzten drei Jahren sei ihr nicht der höchstmögliche Beitragsnachlaß gewährt worden.
Die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Augsburg abgewiesen (Urteil vom 9. Mai 1980). Die Berufung der Klägerin hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 6. Juli 1982 im wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, die Unfallverhütungsvorschriften "Betriebsärzte" (UVV Betriebsärzte) der Beklagten entsprächen der in § 708 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erteilten Ermächtigung. Die Orientierung an der Höhe des nach der Satzung zu bestimmenden Beitragsnachlasses sei im Falle der Herabsetzung der Einsatzzeit von Betriebsärzten sachgerecht.
Der erkennende Senat hat auf die Revision der Klägerin durch Urteil vom 31. August 1983 - 2 RU 65/82 - die Entscheidung des LSG aufgehoben und die Sache wegen unterlassener notwendiger Beiladung der zuständigen Arbeitsschutzbehörde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Nach Beiladung des Freistaates Bayern hat das LSG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 11. Dezember 1984). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die in der UVV Betriebsärzte und insbesondere die in § 2 getroffenen Regelungen entsprächen der ihr durch § 708 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 RVO eingeräumten Ermächtigung zum Erlaß von Unfallverhütungsvorschriften. Die in der Tabelle zu § 2 Abs. 1 der UVV Betriebsärzte zum Ausdruck kommende Differenzierung bei der Festlegung betriebsärztlicher Einsatzzeiten sei nicht zu beanstanden; gegen eine einheitliche Behandlung der ganz überwiegenden Zahl der Mitgliedsbetriebe bestünden keine Bedenken, zumal sich der Umfang der gesetzlichen Aufgaben der Betriebsärzte nach § 3 Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) grundsätzlich nicht nach dem Unfallrisiko im konkreten Unternehmen richte. Bei der Festlegung der betriebsärztlichen Einsatzzeit auf 0,4 Stunden pro Jahr und Arbeitnehmer im Betrieb der Klägerin handele es sich um Mindestarbeitszeiten, die nach den bisherigen Erfahrungen mit dem ASiG nicht als, ausreichend angesehen werden könnten. Im übrigen biete § 2 Abs. 2 der UVV Betriebsärzte (a.F. § 2 Abs. 3 der UVV Betriebsärzte) die Möglichkeit, besonderen von bisherigen Erfahrungen abweichenden Verhältnissen in einem Einzelunternehmen durch Herabsetzung oder Erhöhung der Einsatzzeiten Rechnung zu tragen. In diesem Rahmen sei der Vorstand der Beklagten nach § 2 Abs. 2 Satz 3 UVV Betriebsärzte a.F. im Interesse der Gleichbehandlung aller Mitglieder befugt gewesen, einen allgemeinen Maßstab für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung aufzustellen. Die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Herabsetzung der betriebsärztlichen Einsatzzeit nur in den Fällen, in denen der in Betracht kommende Mitgliedsbetrieb während der letzten drei Jahre den höchstmöglichen Beitragsnachlaß erhalten habe, trage den Erfordernissen des § 2 Abs. 2 Satz 1 UVV Betriebsärzte a.F. insoweit Rechnung, als nach § 27 Abs. 1 Nrn. 2 bis 6 der Satzung der Beklagten einerseits dem Gesichtspunkt der Arbeitssicherheit und Unfallverhütung und andererseits der konkreten Unfallbelastung des Unternehmens rechtserhebliche Bedeutung zukomme. Es sei zwar nicht zu verkennen, daß der Zweck des § 2 Abs. 2 Satz 1 UVV Betriebsärzte a.F. auch auf anderem Weg erreicht werden könne und die Erwägungen der Klägerin hierzu nicht sachfremd seien; im Rahmen der begrenzten Nachprüfung nach § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) könnten die Einwendungen der Klägerin jedoch nicht berücksichtigt werden. Schließlich rechtfertige auch der Forschungsbericht "Betriebsärztliche Tätigkeiten und Zeitwerte für deren Durchführung" des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung die von der Beklagten getroffene Regelung, denn nach dem dort niedergelegten Untersuchungsergebnis sei es nicht möglich, eine auf den Einzelfall zugeschnittene Einsatzzeit für die betriebsärztliche Tätigkeit festzulegen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision vertritt die Klägerin die Auffassung, die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 UVV Betriebsärzte a.F. für die Herabsetzung der betriebsärztlichen Einsatzzeit seien gegeben, da die Unfall- und Gesundheitsgefahren in ihrem Betrieb, verglichen mit Betrieben der gleichen Art, unterdurchschnittlich gering seien. Jede - noch so geringfügige - Unterschreitung des Durchschnitts der Unfall- und Gesundheitsgefahren erfülle die in § 2 Abs. 2 UVV Betriebsärzte a.F. genannten Voraussetzungen. Die Beklagte könne nicht ohne Verstoß gegen die von ihr selbst erlassene Vorschrift erklären, unterdurchschnittlich gering sei die Gefahr nur dann, wenn das Unternehmen in den vergangenen drei Umlagejahren den höchstmöglichen Beitragsnachlaß erzielt habe. Die durch § 2 UVV Betriebsärzte getroffene Regelung sei zudem nicht von der Ermächtigungsnorm des § 708 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 RVO gedeckt, da die von der Beklagten im Rahmen der UVV getroffene Regelung pauschal und schematisch ausgestaltet sei und die im Einzelfall konkret für jedes Unternehmen zu prüfende Notwendigkeit i.S. des § 2 ASiG unzureichend berücksichtige. Die Erforderlichkeit der Bestellung eines Betriebsarztes und der Umfang der Tätigkeit hänge von den Betriebsräumen, den Maschinen, den Werkzeugen, den verwendeten Rohstoffen und den im Herstellungsverfahren anfallenden Zwischenerzeugnissen ab und bedürfe in jedem konkreten Einzelfalle der Überprüfung. Dies dürfe mit der Setzung pauschaler Modalitäten im Einzelfalle nicht unterlaufen werden. Im übrigen bestünden an der Erforderlichkeit der festgelegten Einsatzzeit von 0,4 Stunden pro Jahr und Arbeitnehmer nach dem Forschungsbericht "Betriebsärztliche Tätigkeit und Zeitwerte für deren Durchführung" erhebliche Zweifel. Hiernach weiche nämlich der Zeitbedarf des Betriebsarztes vom arithmetischen Mittel je nach Betriebsstruktur um +- 45% bis +- 65% ab, auch sei der arithmetische Mittelwert nicht identisch mit dem nach der UVV Betriebsärzte geforderten Zeitbedarf. Der Forschungsbericht widerlege wissenschaftlich, daß es sich bei den festgesetzten Einsatzzeiten um Mindestzeiten handele; auch bestehe hiernach ein Gebot zur differenzierten Behandlung der einzelnen Unternehmen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 9. Mai 1980, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Dezember 1984 sowie den Bescheid der Beklagten vom 1. März 1979 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 1979 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Nach ihrer Überzeugung entsprechen ihre Satzungsbestimmungen sowohl der gesetzlichen Ermächtigung als auch den Anforderungen für den konkreten Einzelfall. Insbesondere die Voraussetzungen für die Herabsetzung der Einsatzzeit der Betriebsärzte seien sach- und ermessensgerecht festgesetzt worden, weil sie an den tatsächlich vorhandenen Unfallgefahren ausgerichtet seien und den Besonderheiten im Einzelfall Rechnung trügen.
Der Beigeladene unterstützt das Vorbringen der Beklagten.
II
Die Revision der Klägerin ist begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 1. März 1979 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 1979 ist rechtswidrig und daher ebenso wie die Urteile des SG und des LSG aufzuheben.
Rechtsgrundlage des streitigen Bescheides ist § 2 Abs. 3 (bis zu der am 1. April 1982 in Kraft getretenen Neufassung: § 2 Abs. 2 - a.F. -) der UVV Betriebsärzte der Beklagten. Nach § 708 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 RVO (eingefügt durch § 21 Nr. 1 des Gesetzes über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit - ASiG - vom 12. Dezember 1973, BGBl. I S. 1885) ist die Beklagte zum Erlaß der UVV Betriebsärzte ermächtigt. Hiernach erlassen die Berufsgenossenschaften Vorschriften über die Maßnahmen, die der Unternehmer zur Erfüllung der sich aus dem ASiG ergebenden Pflichten zu treffen hat. Die Vorschriften werden von der Vertreterversammlung beschlossen.
Die UVV Betriebsärzte der Beklagten gelten nach deren § 1 für diejenigen Unternehmer, die Betriebsärzte zu bestellen haben. Hierzu regelt § 2 Abs. 1 der UVV Betriebsärzte, daß der Unternehmer Betriebsärzte zur Wahrnehmung der in § 3 ASiG bezeichneten Aufgaben für die sich aus den Merkmalen der nachstehenden Tabelle ergebenden erforderlichen Einsatzzeiten schriftlich zu bestellen oder zu verpflichten hat. Eine Verpflichtung besteht nicht, wenn ein Unternehmer durchschnittlich weniger als 51 Arbeitnehmer hat (s. § 2 Abs. 2 UVV Betriebsärzte; früher: weniger als 101 Arbeitnehmer). Die Tabelle in § 2 Abs. 1 UVV Betriebsärzte unterscheidet nach Betriebsarten und ist in zwei Gruppen unterteilt. Der Gruppe 1 sind Verwaltungszentren und Forschungsinstitute, Betriebe zur Herstellung von Zeichen- und Trickfilmen, Synchronisierbetriebe und Betriebe für sonstige Tonaufnahmen sowie Lichtspieltheater zugeordnet. In der Gruppe 2 werden alle übrigen Gewerbezweige zusammengefaßt. Die Tabelle legt die erforderliche Einsatzzeit der Betriebsärzte in der Gruppe 1 auf 0,2 Stunden pro Jahr und Arbeitnehmer und in der Gruppe 2 auf 0,4 Stunden pro Jahr und Arbeitnehmer fest.
Unfallverhütungsvorschriften sind, soweit die Berufsgenossenschaften zu ihrem Erlaß ermächtigt sind, autonome Rechtsnormen, die für die Mitglieder der Berufsgenossenschaft und für die Versicherten verbindlich sind und diesen gegenüber normativen Charakter haben (BSGE 27, 237, 240; 50, 171, 172; 54, 243, 244; 55, 26, 27; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 708 Anm. 4a m.w.N.; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl., S. 154 d, 551; Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 4. Aufl., § 708 Anm. 2; Graeff, ASiG, 2. Aufl. 1979, § 21 Anm. 2). Wie auch der erkennende Senat wiederholt entschieden hat, ist bei einem Streit über die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts, der auf von den Unfallversicherungsträgern erlassenen autonomen Rechtsnormen beruht, das von den Versicherungsträgern erlassene autonome Recht darauf zu prüfen, ob es mit dem Gesetz, auf dem die Berechtigung beruht und dessen Erfüllung es dient, und mit sonstigem höherrangigen Recht vereinbar ist (vgl. BSGE a.a.O.). Zwar ist den Trägern der Sozialversicherung innerhalb der ihnen gesetzlich erteilten Ermächtigung gewöhnlich ein großer Regelungsspielraum eingeräumt; dieser darf allerdings nur ausgefüllt, dagegen nicht überschritten werden.
Der Senat teilt die Auffassung der Vorinstanzen, daß die Träger der Unfallversicherung berechtigt sind, im Rahmen von UVV auch die Einsatzzeit der Betriebsärzte zu regeln. Zu den Maßnahmen i.S. des § 708 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 RVO, die der Unternehmer zur Erfüllung der sich aus dem ASiG ergebenden Pflichten zu treffen hat, gehören nicht nur der Einsatz von Betriebsärzten überhaupt, sondern auch die den Zielen dieses Gesetzes entsprechende Sicherstellung der Aufgabenerfüllung durch einen ausreichenden Einsatz der Betriebsärzte (s. § 2 Abs. 1 und 2 ASiG; Giese/Ibels/Rehkopf, Kommentar zum ASiG, 3. Aufl. 1977, § 2 Rd.Nr. 2, § 21 Rd.Nr. 5; Graeff a.a.O. § 14 Anm. 2, § 21 Anm. 2; Kliesch/Nöthlichs/Wagner, ASiG, 1978, § 21 Anm. 4; Krebs, ASiG, § 21 Anm. II; Buss BG 1974, 106, 112; Löwisch RdA 1984, 197, 204). Da nach der Auffassung des Senats die Befugnis, die Einsatzzeiten der Betriebsärzte in UVV zu regeln, aus der gesetzlichen Ermächtigung des § 708 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 RVO folgt, vermag der - alle UVV betreffende - Hinweis auf die für die Genehmigung einer Satzung und für die Genehmigung der UVV vorgesehenen unterschiedlichen Stellen keine andere Entscheidung zu rechtfertigen (a.A. SG Frankfurt, Breithaupt 1980, 660). Ebenso ist der schon vor Inkrafttreten des ASiG bestehenden Sonderregelung für die Bestellung technischer Aufsichtsbeamter in § 719 Abs. 1 RVO nichts anderes zu entnehmen (a.A. SG Frankfurt a.a.O.), da es sich auch inhaltlich um eine von § 708 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 RVO abweichende Sonderregelung handelt.
Die von der Beklagten in ihren UVV Betriebsärzte für die Einsatzzeit der Betriebsärzte getroffene Unterteilung ihrer Mitgliedsunternehmen in zwei Gruppen und die damit verbundene unterschiedliche Einsatzzeit pro Arbeitnehmer stehen unter Beachtung des weiten Regelungsspielraums der Vertreterversammlung der Beklagten als Sozialversicherungsträger (vgl. BSGE 54, 243, 245) noch im Einklang mit den insbesondere in § 2 ASiG enthaltenen gesetzlichen Vorgaben. Danach muß zwar auch die Einsatzzeit der Betriebsärzte unter Beachtung der für die Bestellung von Betriebsärzten nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ASiG maßgebenden Kriterien festgelegt werden; es darf hierbei also nicht nur eines der Tatbestandsmerkmale des § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ASiG zugrunde gelegt werden (Giese/Ibels/Rehkopf a.a.O. § 2 Rd.Nr. 3; Krebs a.a.O. § 2 Anm. III). Neben der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer (s. § 2 Abs. 1 Nr. 2 ASiG) sind jedoch die Betriebsart (s. § 2 Abs. 1 Nr. 1 ASiG) und die Betriebsorganisation (s. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ASiG) nicht nur durch die fachliche Gliederung der die UVV Betriebsärzte jeweils für ihren Bereich erlassenden Berufsgenossenschaften (BG) berücksichtigt, sondern durch die weitere Einteilung der Betriebe in zwei Gruppen in der UVV Betriebsärzte der Beklagten noch ausreichend beachtet. Der Senat verkennt dabei in Übereinstimmung mit dem Forschungsbericht 24 "Betriebsärztliche Tätigkeiten und Zeitwerte für deren Durchführung" (hrsg. vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 1980, S. 107) nicht, daß die Zugehörigkeit eines Unternehmens zu einer bestimmten BG noch nicht bedeutet, daß es sich hierbei um einen für diese Branche typischen Betrieb handelt. Die Beklagte hat jedoch, wie bereits aufgezeigt, eine weitere Unterteilung, wenn auch nur in zwei Gruppen, vorgenommen., Welche und wieviel Gruppen der Betriebe für den Zuständigkeitsbereich einer BG in den UVV gebildet werden, richtet sich nach den Besonderheiten des fachlichen Bereichs der jeweiligen BG und steht grundsätzlich in der Regelungsbefugnis des zuständigen Selbstverwaltungsorgans, das der Beurteilung der besonderen Umstände seines Fachgebietes auch nach seiner Zusammensetzung am nächsten steht. Auch der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, daß bei der Festlegung der Einsatzzeiten der Betriebsärzte eine Typisierung und Pauschalierung für eine praktikable Handhabung des Gesetzes erforderlich ist. Die bei Unterbleiben entsprechender UVV vorgesehene Rechtsverordnung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (s. § 14 Abs. 1 ASiG wäre bei den insgesamt in Betracht kommenden vielen hunderttausend verschiedenartigsten Betrieben zwangsläufig sogar zu einer noch stärkeren Typisierung und Pauschalierung gezwungen gewesen. Der Senat hat nicht zu prüfen, ob die Vertreterversammlung der Beklagten die zweckmäßigste, vernünftigste und geeignetste Lösung gefunden hat (BVerfGE 4, 7, 18; 17, 319, 330; 31, 119, 130; BSGE 54, 232, 235). Dies gilt auch für die Dauer der Einsatzzeit. Daß die in den UVV Betriebsärzte angenommenen Einsatzzeiten der Betriebsärzte nach dem Forschungsbericht 24 (a.a.0.) erheblich von dem tatsächlichen, aufgrund der betrieblichen Besonderheiten bestehenden Bedarf nach oben, aber auch nach unten abweichen können (s. S. 173 des Forschungsberichts), rechtfertigt schon deshalb keine andere Entscheidung, weil ein Abweichen im Einzelfall einer durchschnittlichen Einsatzzeit eigen ist. Bei der Einteilung in zwei Gruppen von Betrieben und bei der Einsatzzeit pro Arbeitnehmer und der damit verbundenen Typisierung und Pauschalierung nach dem Durchschnitt sind gewisse Härten hinzunehmen, ohne daß eine Verletzung des Gleichheitssatzes anzunehmen ist (s. BVerfGE 51, 115, 122; BSGE 50, 179, 184; 54, 243, 247). Der Forschungsbericht legt aber nicht dar, daß die von der Beklagten errechneten Durchschnittszahlen im wesentlichen Umfang untragbar von den tatsächlichen Gegebenheiten abweichen. Weder der Forschungsbericht 24 ( a.a.O.) noch die Klägerin haben andere sowohl den Gesetzeszweck als auch die bei mehr als 50.000 Mitgliedern der Beklagten notwendige praktische Handhabung beachtende Maßstäbe aufgezeigt, die der von der Beklagten getroffenen Regelung so überlegen sind, daß ihre Nichtbeachtung als willkürlich und deshalb die von der Beklagten getroffene Regelung als rechtswidrig bezeichnet werden müßte. Auch der Forschungsbericht 24 ( a.a.O. S. 173) kommt letztlich zu dem Ergebnis, daß eine optimale Berechnung der tatsächlich erforderlichen Einsatzzeit eine Berechnung im Einzelfall voraussetzt. Dieses Ergebnis ist aber einer zur Praktikabilität erforderlichen abstrakten Regelung nicht zugänglich.
Im Hinblick auf die mit einer Typisierung und Pauschalierung gerade bei einer den Gesetzeszweck eben noch ausreichend berücksichtigenden Regelung verbundenen Härten kommt der Vorschrift der UVV Betriebsärzte besondere Bedeutung zu, die im Einzelfall von den Pauschalsätzen abweichende Einsatzzeiten vorsieht (vgl. zur Berücksichtigung von Härteklauseln BVerfGE 35, 283, 291; BSGE 54, 232, 235/236). Je geringer die Grundregelung differenziert, um so größeren Ausgleichsraum hat die Härteklausel zu sichern. § 2 Abs. 3 UVV Betriebsärzte (= § 2 Abs. 2 a.F.) enthält folgende Regelung: Die BG kann im Einzelfall im Einvernehmen mit der nach § 12 ASiG zuständigen Behörde eine Ausnahme von Absatz 1 bewilligen und geringere Einsätze festsetzen, soweit im Betrieb, verglichen mit Betrieben der gleichen Art, die Unfall- und Gesundheitsgefahren unterdurchschnittlich gering sind (§ 2 Abs. 3 Satz 1 UVV Betriebsärzte). Die BG kann ferner im Einzelfall im Einvernehmen mit der nach § 12 ASiG zuständigen Behörde abweichend von Absatz 1 höhere Einsatzzeiten festsetzen, soweit im Betrieb, verglichen mit Betrieben der gleichen Art, überdurchschnittliche Unfall- und Gesundheitsgefahren bestehen (§ 2 Abs. 3 Satz 2 UVV Betriebsärzte).
Das in diesen Vorschriften vorgesehene Prüfungsverfahren über die Herab- bzw. Heraufsetzung der Einsatzzeiten des Betriebsarztes, nämlich der Vergleich der Unfall- und Gesundheitsgefahren in einem bestimmten Betrieb mit denjenigen in vergleichbaren Unternehmen, entspricht noch dem insbesondere in § 2 ASiG zum Ausdruck kommenden Grundgedanken des ASiG. Zwar stellt § 2 UVV Betriebsärzte zunächst ausschließlich auf die unterdurchschnittliche Unfall- und Betriebsgefahr ab. Die Verhütung oder wenigstens Verringerung der Unfall- und Gesundheitsgefahren ist jedoch das wesentliche Ziel des ASiG. Sind diese Gefahren trotz des bisherigen Einsatzes des Betriebsarztes nicht unterdurchschnittlich gering, ist das Bestehen auf der durchschnittlichen Einsatzzeit nicht rechtswidrig. Bei unterdurchschnittlich geringen Unfall- und Gesundheitsgefahren hat die Beklagte im Rahmen der Ausnahmevorschriften des § 2 Abs. 3 UVV Betriebsärzte bei der Festsetzung der Einsatzzeit alle in § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und § 3 ASiG angeführten Kriterien zu beachten.
Der Vorstand der Beklagten hat § 2 Abs. 3 Satz 1 UVV Betriebsärzte jedoch unrichtig ausgelegt, soweit er eine Herabsetzung der Einsatzzeit nur dann für zulässig erachtet, wenn der Betrieb den höchstmöglichen Beitragsnachlaß erreicht hat. Die Auslegung des autonomen Rechts der BG unterliegt der - wie bei jeder Rechtsnorm - vollen Nachprüfbarkeit des Gerichts. Auch der Vorstand der BG ist nicht berechtigt, § 2 Abs. 3 Sätze 1 und 2 UVV Betriebsärzte authentisch auszulegen oder gar zu ergänzen. Da der Erlaß autonomen Rechts, auch soweit es die UVV Betriebsärzte betrifft, der Vertreterversammlung obliegt und eine Weitergabe der Ermächtigung zur Rechtsetzung auch an den Vorstand unzulässig ist, darf § 2 Abs. 3 Satz 3 UVV Betriebsärzte ("Das Verfahren regelt der Vorstand".) gesetzesgemäß insoweit nur dahin ausgelegt werden, daß damit für die Entscheidung über eine von § 2 Abs. 1 UVV Betriebsärzte abweichende Regelung nach 3 2 Abs. 3 Sätze 1 und 2 UVV Betriebsärzte ausdrücklich die Entscheidung des Vorstandes vorbehalten und nicht die des Geschäftsführers gegeben ist und der Vorstand lediglich den Ablauf des Festsetzungsverfahrens - im Einklang mit dem geltenden Recht, insbesondere dem SGB X - regeln darf.
Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 UVV Betriebsärzte setzt die von der Klägerin begehrte Festsetzung einer niedrigeren Einsatzzeit für Betriebsärzte voraus, daß in ihrem Betrieb, "verglichen mit Betrieben der gleichen Art, die Unfall- und Gesundheitsgefahren unterdurchschnittlich gering sind". Was unter "Betrieben der gleichen Art" in § 2 Abs. 3 Sätze 1 und 2 UVV Betriebsärzte zu verstehen ist, ergibt sich aus dem Zusammenhang, in den die Bestimmung gestellt ist und insbesondere aus § 2 Abs. 1 UVV Betriebsärzte mit der hierzu gehörenden Tabelle. Durch diese Regelung hat die Beklagte, gestützt auf ihre Erfahrungen; im Rahmen der ihr eingeräumten Normsetzungsbefugnis ihre Mitgliedsbetriebe entsprechend der gewöhnlich erforderlichen Einsatzzeit für Betriebsärzte in zwei Gruppen geteilt. Die hieran im Rahmen des § 2 Abs. 3 Sätze 1 und 2 UVV Betriebsärzte anschließende Frage, ob in einem Betrieb die Unfall- bzw. Gesundheitsgefahren unterdurchschnittlich gering sind, kann folgerichtig nur innerhalb der jeweiligen Gruppe geklärt werden. Die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Berücksichtigung eines Beitragsnachlasses nach § 27 der Satzung der Beklagten ist deshalb kein geeigneter Maßstab. Zwar kennzeichnet die Gewährung eines Beitragsnachlasses das Maß der Unfall- oder Gesundheitsgefahren in einem Einzelbetrieb, da sie ebenso wie die Auferlegung von Zuschlägen unter Berücksichtigung der anzuzeigenden Arbeitsunfälle zu erfolgen hat. Für den hier zu entscheidenden Sachverhalt ist aber zu berücksichtigen, daß sich nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 der Satzung der Beklagten die Höhe der Beitragsnachlässe aus der Gegenüberstellung der Eigenbelastung des einzelnen Unternehmens und der Durchschnittsbelastung "aller" Unternehmen ohne Rücksicht auf die Gruppeneinteilung in § 2 Abs. 1 UVV Betriebsärzte ergibt. Zum Vergleich werden somit nicht nur Betriebe aus der jeweiligen Gruppe der Tabelle des § 2 Abs. 1 UVV Betriebsärzte, sondern vielmehr alle Mitgliedsbetriebe der Beklagten herangezogen. Das widerspricht § 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 der UVV Betriebsärzte.
Da der Senat die erforderliche Ermessensentscheidung des Vorstandes nicht treffen darf, waren das angefochtene Urteil sowie die Bescheide der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu einer erneuten Entscheidung über den Antrag der Klägerin zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §193 SGG.2 RU 13/85
Bundessozialgericht
Verkündet am
24. Oktober 1985
Fundstellen