Verfahrensgang

LSG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 14.06.1995; Aktenzeichen L 1 An 21/95)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 14. Juni 1995 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist der monatliche Wert des Rechts auf eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) mit Blick darauf, ob die Zeit einer planmäßigen wissenschaftlichen Aspirantur vom 1. September 1965 bis zum 31. August 1968 als rentenrechtliche Zeit anzurechnen ist.

Der im Dezember 1932 geborene Kläger studierte vom 9. Dezember 1951 an am staatlichen Pädagogischen Institut „H. …” (wissenschaftliche Hochschule) in L. …. Mit Beschluß der dortigen staatlichen Prüfungskommission vom 28. Juni 1955 wurde ihm das Diplom eines Lehrers für Pädagogik und Psychologie an schulpädagogischen Anstalten verliehen. Vom 1. September 1955 bis 31. August 1964 war er versicherungspflichtig beschäftigt. Im streitigen Zeitraum vom 1. September 1965 bis 31. August 1968 war er planmäßiger wissenschaftlicher Aspirant am D. … P. … Z. …. Ab 1. September 1968 war er wiederum versicherungspflichtig beschäftigt. 1972 er wurde zum Doktor der Pädagogik promoviert. Ab 1991 bezog er Altersübergangsgeld.

Auf seinen Rentenantrag vom 7. Juni 1993 bewilligte ihm die Beklagte ab 1. Januar 1994 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit, ohne die streitige Zeit zu berücksichtigen (Bescheid vom 21. Februar 1994). Der eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 1994).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 16. Dezember 1994). Die Berufung blieb ohne Erfolg (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 14. Juni 1995):

Zeiten einer planmäßigen wissenschaftlichen Aspirantur seien keine Beitragszeiten, weil die Aspirantur gemäß § 1 der Verordnung über die wissenschaftliche Aspirantur an den Universitäten und Hochschulen der DDR vom 15. November 1951 zur Ausbildung von Hochschullehrern und Forschern diene und damit als Hochschulausbildung anzusehen sei und gemäß § 248 Abs 3 Satz 2 Ziff 1 SGB VI Hochschulzeiten nicht als Beitragszeiten gelten. Weiterhin seien Zeiten einer planmäßigen Aspirantur vor dem 1. Januar 1992 keine Anrechnungszeiten, weil eine Anrechnungszeit nur den Hochschulbesuch bis zu einem erstmals zu einem Beruf befähigenden Abschluß erfasse.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Die planmäßige Aspirantur stelle nach dem damaligen DDR-Recht ein weiteres Studium dar, das als Zweitstudium anzusehen sei; denn sie habe ihn befähigt, als Hochschullehrer und Forscher tätig zu sein. Obwohl das 1955 erworbene Diplom ihm den Weg in das Berufsleben eröffnet habe, sei der weitere Studiengang nicht nur eine Qualifizierungsmaßnahme nach Abschluß des Diplomstudiums, sondern ein eigenständiger Ausbildungsgang. Ein solches Zweitstudium sei aber dann als Anrechnungszeit anzusehen, wenn zur Berufsausübung zwei getrennte abgeschlossene Hochschulausbildungen erforderlich seien. Soweit es in der DDR eine andere „Gesetzlichkeit” gegeben habe, dürfe dies nicht zu seinem Nachteil in bezug auf die Anerkennung von Anrechnungszeiten führen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 14. Juni 1995 und das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 16. Dezember 1994 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 21. Februar 1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 1994 zu verurteilen, die Zeit der planmäßigen wissenschaftlichen Aspirantur vom 1. September 1965 bis zum 31. August 1968 als rentenrechtliche Zeit rentensteigernd zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet.

1. Das Rechtsmittel richtet sich dagegen, daß das LSG die Berufung gegen die Abweisung der zulässigen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage durch das SG zurückgewiesen hat. Letztere war darauf gerichtet, die im Rentenbescheid vom 21. Februar 1994 getroffene Festsetzung des monatlichen Höchstwertes der Rente aufzuheben, einen neuen monatlichen Höchstwert des Rechts auf Rente durch Anrechnung der Zeit vom 1. September 1965 bis zum 31. August 1968 als rentenrechtliche Zeit zu bestimmen und entsprechend monatlich Rente zu zahlen. Gegenstand revisionsgerichtlicher Prüfung ist damit ausschließlich, ob das LSG ohne Verletzung von Bundesrecht zutreffend angenommen hat, die Beklagte habe rechtmäßig entschieden, daß der monatliche Wert des dem Kläger seit dem 1. Januar 1994 zuerkannten subjektiven Stammrechts auf eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nach dem SGB VI ohne Anrechnung der umstrittenen Zeit der planmäßigen wissenschaftlichen Aspirantur als rentenrechtliche (Beitrags- oder Anrechnungs-)Zeit festzusetzen ist. Hingegen hat das an das geltende positive Recht gebundene Revisionsgericht nicht darüber zu befinden, ob der Bundesgesetzgeber aus Gründen des Einigungsvertrages (EinigVtr) bzw aufgrund von Grundrechten verfassungsrechtlich verpflichtet ist, in das SGB VI zusätzliche Regelungen über Begünstigungen für bestimmte Personengruppen des Beitrittsgebiets aufzunehmen; vermeintliche Ansprüche, die gegen das Parlament und auf eine bestimmte Gesetzgebung gerichtet sind, unterliegen nicht der Rechtsprechungskompetenz des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ (näher dazu schon BSGE 72, 50 = SozR 3-8570 § 10 Nr 1 mwN).

Die Entscheidung des Verwaltungsträgers über die Höhe des monatlichen Wertes eines subjektiven Stammrechts auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nach dem SGB VI, das dem Kläger erstmals mit dem Bescheid vom 21. Februar 1994 ab 1. Januar 1994 zuerkannt wurde, ist ausschließlich nach den Vorschriften des SGB VI zu beurteilen. Spezialvorschriften, welche die Anwendung des maßgeblichen Rechts des SGB VI hintanhalten könnten, gibt es nicht. Weder im EinigVtr noch im sonstigen Recht der Rentenüberleitung und auch nicht im Grundgesetz (GG) findet sich eine speziellere oder höherrangige Vorschrift darüber, welche Erwerbstatbestände als rentenrechtliche Zeiten iS des SGB VI zu qualifizieren und unter welchen Voraussetzungen sie bei einer SGB VI-Rente rentensteigernd anzurechnen sind.

Das LSG hat richtig erkannt, daß die im streitigen Zeitraum von dem Kläger zurückgelegte planmäßige wissenschaftliche Aspirantur keinen Erwerbstatbestand für eine rentenrechtliche Zeit iS des SGB VI erfüllt.

2. Eine Anerkennung als Beitragszeit (iS von § 54 Abs 1 Nr 1 iVm § 55 SGB VI) scheidet schon deswegen aus, weil der Kläger in dieser Zeit weder Pflichtbeiträge noch freiwillige Beiträge nach Bundesrecht gezahlt hat; es handelt sich auch nicht um eine Zeit, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten.

Zutreffend hat die Vorinstanz erkannt, daß auch eine Anrechnung als gleichgestellte Beitragszeit nach § 248 Abs 3 Satz 1 SGB VI ausscheidet:

a) Nach dieser Vorschrift stehen den Beitragszeiten nach Bundesrecht Zeiten nach dem 8. Mai 1945 gleich, für die Beiträge zu einem System der gesetzlichen Rentenversicherung nach vor dem Inkrafttreten von Bundesrecht geltenden Rechtsvorschriften gezahlt worden sind. Der Kläger hat in der streitigen Zeit eine (beitragslose) „Beitragszeit” im Rentenversicherungssystem der früheren DDR zurückgelegt. Nach dem in § 248 Abs 3 Satz 1 SGB VI festgeschriebenen Grundsatz wäre aber der streitige Zeitraum als gleichgestellte Beitragszeit nur anzurechnen, wenn „Beiträge gezahlt worden” wären; hierauf käme es aber nur an, wenn die Ausnahmeregelung hierzu in Abs 3 Satz 2 Nr 1 aaO nicht eingriffe. Das ist jedoch – wie das LSG richtig entschieden hat – der Fall.

b) § 248 Abs 3 Satz 2 SGB VI bestimmt, daß Beitragszeiten im Beitrittsgebiet nicht Zeiten der ua Hochschulausbildung sind. Unter „Hochschulausbildung” iS dieser Vorschrift ist jeder (in der früheren DDR als beitragspflichtige Versicherungszeit anerkannte) Erwerbstatbestand im Bereich einer Hochschule der früheren DDR bzw nach DDR-Recht gleichgestellten Einrichtungen in der ehemaligen Sowjetunion zu verstehen, soweit er dadurch geprägt ist, daß es sich um Ausbildung an der Hochschule für einen Beruf gehandelt hat.

Die Maßgeblichkeit der weiten Bedeutung des Ausdrucks „Hochschulausbildung” ergibt sich schon aus der Problemgeschichte der Norm. § 248 Abs 3 SGB VI schließt ohne inhaltliche Änderung an § 15 Abs 3 des Fremdrentengesetzes (FRG) in der ab 1. Juli 1990 gültig gewesenen Fassung an (Art 15 Abschn B Nr 1 des Rentenreformgesetzes ≪RRG≫ 1992 vom 18. Dezember 1989, BGBl I 2261); diese durch Art 14 Nr 14 Renten-Überleitungsgesetz (RÜG) vom 27. Juli 1991 (BGBl I 1606) wieder geänderte Fassung sollte die authentische Interpretation des vor dem 1. Juli 1990 geltenden, der individuellen Eingliederung und Entschädigung dienenden § 15 FRG durch die Rechtsprechung des BSG (vgl stellvertretend BSG SozR Nr 16 zu § 15 FRG; BSG SozR 5050 § 15 Nr 9), nach der die in der DDR versicherungspflichtigen, aber beitragsfreien Studienzeiten bundesdeutschen Beitragszeiten gleichstanden, einschränkend abändern (vgl BT-Drucks 11/4124 S 217). Damit soll ab Einführung einheitlichen Rentenrechts eine ungerechtfertigte Benachteiligung der Beitragszahler gegenüber den Rentenbeziehern verhindert werden. Es mußte ausgeschlossen werden, daß eine im fremden System als Versicherungspflichttatbestand anerkannte Hochschulausbildung zu Gunsten eines Teils der heutigen Rentner Bewertungsvorteile bringt, die dem größten Teil der Rentner, aber gerade auch den heute belasteten Beitragszahlern von vornherein nicht zuwachsen können. Grund hierfür ist, daß das SGB VI wie zuvor das Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) und die Reichsversicherungsordnung (RVO) Zeiten einer erstmaligen oder berufsqualifizierenden Ausbildung, die außerhalb eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses oder eines betrieblichen Ausbildungsverhältnisses zurückgelegt worden sind, nicht als Beitragszeiten (und nur teilweise und unter einschränkenden Voraussetzungen als Anrechnungszeiten) anerkennt. Hochschulausbildung ist danach schlechthin kein Erwerbstatbestand für Beitragszeiten. Es wird also eine sachgerechte Gleichbehandlung aller Versicherten und Beitragszahler gewährleistet, die Beitragszeiten nicht dadurch erlangen können, daß sie sich außerhalb eines entgeltlichen Beschäftigungs- oder eines betrieblichen Ausbildungsverhältnisses an einer Hochschule ausbilden oder qualifizieren lassen. Die Vorschrift steht der Anrechnung eines Zeitraums als SGB VI-Beitragszeit nicht entgegen, wenn die Ausbildung in ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis integriert war oder wenn neben der Ausbildung eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt oder ein anderer eine Beitragszeit begründender Tatbestand erfüllt war.

c) Der Kläger hat im hier umstrittenen Zeitraum ausschließlich eine „Hochschulausbildung” iS von § 248 Abs 3 Satz 2 Nr 1 Regelung 3 SGB VI zurückgelegt. Das LSG hat hierzu festgestellt, daß die Aspirantur zur Ausbildung von Hochschullehrern und Forschern diente. An diese tatsächliche Feststellung ist das Revisionsgericht gebunden (§§ 163, 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Der Kläger hat hiergegen keine zulässigen Verfahrensrügen erhoben; von einer Begründung wird gemäß § 170 Abs 3 Satz 1 SGG insoweit abgesehen. Der erkennende Senat tritt den Ausführungen des 11. Senats des BSG (Urteil vom 24. Juni 1993 – 11 RAr 77/93 – SozR 3-4100 § 134 Nr 11; SGb 1994, 246 ff, mit Anmerkung von Marschner, aaO S 249 ff) bei, soweit sie die Feststellung von sog generellen Tatsachen über die tatsächlichen und DDR-rechtlichen Gegebenheiten der früheren wissenschaftlichen Aspirantur enthalten. Nach dem Vorbringen des Klägers war in seinem Sozialversicherungsausweis für diese Zeit „Stipendium” eingetragen.

Der Kläger hat ferner in der hier streitigen Zeit neben seiner Aspirantur nicht zugleich in einem beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnis oder in einem betrieblichen Ausbildungsverhältnis gestanden.

Nach alledem war die Beklagte nicht befugt, die streitige Zeit als gleichgestellte Beitragszeit anzuerkennen und rentensteigernd anzurechnen.

d) Soweit der Kläger rügt, in der DDR wären die Zeiten der Aspirantur rentensteigernd berücksichtigt worden, liegt darin keine Verletzung des Eigentumsschutzes aus Art 14 Abs 1 GG.

Sogar dann, wenn man zu seinen Gunsten rechtlich unterstellt, der Eigentumsschutz des Art 14 Abs 1 GG erfasse von fremden Staaten nach deren Rechtsordnung eingeräumte bzw in Aussicht gestellte Rechtspositionen und verbiete dem Bundesgesetzgeber, sobald er über solche Materien Regelungen zu treffen hat, darin zum Nachteil der von dem fremden Staat Begünstigten Änderungen vorzunehmen, läge eine Beeinträchtigung von „Eigentum” des Klägers nicht vor. Im Rentenrecht der DDR war der streitige Zeitraum ausschließlich bei der Sozialpflichtversicherungsrente rentensteigernd berücksichtigt und wäre nur so anerkannt worden, daß die betreffenden Monate in die Zahl der Arbeitsjahre einbezogen worden wären. Besondere Vertrauensschutzregelungen über die sog Zahlbetragsgarantie hinaus waren ua schon deshalb nicht erforderlich, weil die DDR die Sozialpflichtversicherungsrente derart niedrig gehalten hatte, daß – bei einem Rentenbeginn vor dem 1. Januar 1992 – die neue SGB VI-Rente notwendig höher als diese DDR-Rente sein mußte (wegen Hochrechnung auf „West-Werte”). Bei einem späteren Rentenbeginn – wie hier vorliegend – gibt Art 2 § 19 des RÜG Vertrauensschutz, über den hier nicht zu entscheiden ist.

e) Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes (Art 3 Abs 1 GG) liegt nicht vor. § 248 Abs 3 Satz 1 und 2 SGB VI gewährleisten gerade die Gleichbehandlung aller nach dem SGB VI Versicherten und aller nach diesem Gesetzbuch mit Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung belasteten Personen. Auch solche nach dem SGB VI Versicherten, die vor dem 1. Januar 1992 nach durch Examen erfolgreich abgeschlossenem Hochschulstudium im Rahmen eines Doktoranden- oder Habilitationsverhältnisses auf Stipendienbasis im alten Bundesgebiet berufsqualifizierend an Hochschulen ausgebildet worden sind, können aufgrund dieses Tatbestandes keine Beitragszeiten (iS des SGB VI) erhalten. Auch für sie – wie für den Kläger – handelte es sich um Qualifizierungsverhältnisse, die das Ziel hatten, „die systematische Ausbildung von Hochschullehrern und -forschern” durchzuführen. Eine Privilegierung der planmäßigen Aspiranten der früheren DDR wäre mit den zukunftsgerichtet auf Gleichbehandlung gleicher Sachverhalte ausgerichteten Vorschriften des SGB VI sachlich nicht zu vereinbaren.

Auch soweit vor der Wiedervereinigung bei geflüchteten früheren Aspiranten solche Zeiten nach § 15 Abs 1 FRG als anrechenbare Beitragszeit gewertet und wie Lehrlingszeiten behandelt worden sind, so daß es zu einer sehr günstigen Rentenberechnung gekommen ist, verstößt § 248 Abs 3 Satz 2 SGB VI nicht gegen den Gleichheitssatz. Vor dem Sturz des SED-Regimes und dem Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 18. Mai 1990 war § 15 FRG die Aufgabe gestellt, die Deutschen, die aus der DDR fliehen konnten, im Wege der Einzeleingliederung in das westdeutsche Rentenversicherungssystem auch für den Verlust an in der DDR verlorenen Rentenansprüchen und Rentenanwartschaften zu entschädigen. Nachdem die deutschen Staatsbürger, die auch solche der früheren DDR sein mußten, in demokratischer Freiheit veranlaßt hatten, daß die DDR demokratisiert wurde und deshalb den Beitritt zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland nach Art 23 GG aF erklärte, mußte für die Zukunft eine einheitliche Rentenversicherung für alle Deutschen geschaffen werden, in welche die etwa 16 Millionen Bürger, die früher in der DDR leben mußten, zu gleichen Bedingungen einbezogen werden sollten. Die Entscheidung des Bundesgesetzgebers, alle Deutschen gleichzubehandeln, soweit es darum geht, durch Ausbildungs- oder Qualifizierungsverhältnisse an Hochschulen Beitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung des SGB VI zu erwerben, entspricht gerade der Regelung des Art 3 Abs 1 GG, nach der alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind; mit der Wiedervereinigung war der Rechtsgrund für die früheren Einzeleingliederungen nach dem Entschädigungsprinzip entfallen.

3. Die Beklagte durfte den umstrittenen Zeitraum auch nicht als rentenrechtliche Anrechnungszeit anerkennen und anrechnen:

Nach § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b SGB VI in der bis 31. Dezember 1996 geltenden Fassung (vgl Gesetz zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung ≪Wachstums- und Beschäftigungsgesetz-WFG≫ vom 25. September 1996, Art 1 Nr 11 Buchst a) aa), Art 12, BGBl I 1461) sind Anrechnungszeiten Zeiten, in denen der Versicherte nach dem vollendeten 16. Lebensjahr ua eine Hochschule besucht und abgeschlossen hat. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (stellvertretend SozR 3-2200 § 1259 Nr 9; SozR 2200 § 1259 Nr 100; Urteile vom 28. November 1990 – 4 RA 42/90 –, SozSich 1991, 352, und vom 29. März 1990 – 4 RA 37/89 –, SozSich 1991, 31; jeweils mwN) ist dieser Anrechnungszeittatbestand nur erfüllt, wenn ein immatrikulierter Student an einer Hochschule durch Teilnahme an den universitäts-spezifischen Lehrveranstaltungen sich die Inhalte seines Studienfaches aneignet und dieses Studium durch das vorgeschriebene oder übliche Examen oder – soweit ein solches weder vorgeschrieben noch üblich ist – durch eine gleichgestellte Leistung erfolgreich in dem Sinne abschließt, daß ihm regelmäßig der Weg in einen seiner bisherigen Ausbildung entsprechenden Beruf eröffnet ist. Diese Rechtsprechung gilt gerade auch für das am 1. Januar 1992 in Deutschland in Kraft getretene SGB VI. Der Gesamtheit der Regelungen des SGB VI ist kein Hinweis zu entnehmen – und der Kläger hat auch keinen benannt –, § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b Regelung 2 SGB VI sei anders als im Sinne der bisherigen Rechtsprechung auszulegen.

Der streitige Zeitraum erfüllt die vorgenannten Voraussetzungen an eine Anrechnungszeit wegen Hochschulausbildung nicht. Der Kläger war kein immatrikulierter Student, er hat sich die für das Studium vorgesehenen Inhalte seines Faches nicht in dieser Zeit und nicht durch Teilnahme an den für Studenten gedachten Veranstaltungen erstmalig angeeignet; er hat ferner durch die Promotion nicht den Abschluß erreicht, der ihm eine seinem Studium entsprechende Berufstätigkeit erstmals ermöglicht hätte. Den Tatbestand einer Anrechnungszeit wegen Hochschulausbildung hat er vielmehr in der Zeit vom 9. Dezember 1951 bis zum 28. Juni 1955 erfüllt, als er sein Diplom als Lehrer für Pädagogik und Psychologie an schulpädagogischen Anstalten erhielt. Die Beklagte hat diese Zeit von 43 Kalendermonaten als Hochschulausbildung anerkannt und rentensteigernd angerechnet. Im streitigen Zeitraum hat sich der Kläger vielmehr, durch ein Stipendium abgesichert, für die Aufgaben eines Hochschullehrers und Forschers qualifiziert. Ein solcher Lebenssachverhalt ist im Anwendungsbereich des SGB VI kein Erwerbstatbestand für eine Anrechnungszeit wegen Hochschulausbildung (noch – wie oben ausgeführt – für eine Beitragszeit).

Unerheblich ist, daß Lücken im Versicherungsschutz auftreten, da es nach dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung auch schon vor dem SGB VI keinen rentenversicherungsrechtlichen Grundsatz gibt, akademische Ausbildungszeiten müßten „lückenlos” anerkannt und angerechnet werden. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (stellvertretend SozR 2200 § 1259 Nr 102 S 276; Nr 75 S 202; Nr 63 S 178; Nr 38 S 101; jeweils mwN) berücksichtigt das SGB VI (wie früher AVG und RVO) nur bestimmte typische Ausbildungszeiten, wobei es „nicht das jeweils für den im Einzelfall vom Versicherten gewünschten Beruf Erforderliche, sondern lediglich ausgleichsweise das Vertretbare begünstigen will”. Die nur in den engen Grenzen des sozialen Ausgleichs zwischen den Beitragszahlern mit dem Versicherungsprinzip zu vereinbarende Berücksichtigung von Ausfallzeiten der Hochschulausbildung als Zeiten ohne Beitragsleistung ist eine auf typisierte Fallgruppen zugeschnittene Solidarleistung der Versichertengemeinschaft, die auf staatlicher Anordnung beruht und nur teilweise aus Steuermitteln bezahlt wird. Die gesetzliche Typisierung der als Ausfallzeiten zu berücksichtigenden Ausbildungsgänge ist verfassungsgemäß (BVerfG SozR 2200 § 1259 Nr 46 mwN). Eine entsprechende oder ausdehnende Anwendung des Gesetzes auf dort nicht genannte Ausbildungsgänge ist nicht möglich; im Gegensatz zur Auffassung des Klägers kann nur eine einzige erfolgreich abgeschlossene Hochschulausbildung als Ausbildungsanrechnungszeit berücksichtigt werden (BSG SozR 2200 § 1259 Nr 38 S 101). Dies ist bei dem Kläger im Blick auf die am 28. Juni 1955 abgeschlossene Ausbildung geschehen.

Nach alledem war die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 und Abs 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173918

Dieser Inhalt ist unter anderem im TVöD Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge