Verfahrensgang
LSG für das Land Brandenburg (Urteil vom 17.09.1993) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 17. September 1993 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt ab 1. April 1992 höheres Altersübergangsgeld (Alüg).
Sie ist am 17. Oktober 1935 geboren und war seit 1968 als Grafikerin in einem Berliner Verlag tätig. Das Arbeitsverhältnis wurde aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigung vom 31. Dezember 1991 zum 31. März 1992 beendet. Am 20. März 1992 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alüg. Die vom Arbeitgeber erstellte Arbeitsbescheinigung (vom 16. März 1992) wies für die beim Ausscheiden bereits abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume (1. Januar bis 31. März 1992) ein gleichbleibendes monatliches Bruttoarbeitsentgelt von 3.276,00 DM (bei einer 40-Stunden-Woche) aus. Das Arbeitsamt (ArbA) bewilligte Alüg ab 1. April 1992 auf der Grundlage eines monatlichen Bruttoarbeitsentgelts in Höhe von 3.276,00 DM (Verfügung vom 14. April 1992).
Unter dem 14. Juli 1992 erstellte der Arbeitgeber eine neue Arbeitsbescheinigung, in der für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1992 ein gleichbleibendes monatliches Bruttoarbeitsentgelt von 3.914,00 DM (bei einer 40-Stunden-Woche) ausgewiesen wurde. Hierzu ließ er das ArbA auf entsprechende Nachfrage unter dem 10. August 1992 wissen, am 16. April 1992 sei ein neuer Gehaltstarifvertrag für Redakteure an Zeitschriftenverlagen im Tarifgebiet Ost geschlossen worden; danach erhielten Redakteure rückwirkend ab 1. Januar 1992 67 vH der Westbezüge; da das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin bis Ende März 1992 gedauert habe, treffe der Tarifvertrag auf sie zu; die Differenz sei ihr bereits ausgezahlt worden. Das ArbA teilte der Klägerin mit, Alüg werde ab 1. April 1992 weiterhin nach einem Bemessungsentgelt von 760,00 DM geleistet; nachträgliche Tariflohnerhöhungen könnten keine Berücksichtigung finden (Bescheid vom 27. August 1992). Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 1992). Das Sozialgericht (SG) hat die auf höheres Alüg gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 31. März 1993). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 17. September 1993).
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, maßgebend sei das im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Woche erzielte Arbeitsentgelt (§ 249e Abs 3 Nr 2, § 112 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz ≪AFG≫). Erzielt sei nicht das zu beanspruchende, sondern das Entgelt, das beim Ausscheiden des Arbeitnehmers abgerechnet worden sei und zur Auszahlung bereitgestanden habe. Diese Auffassung entspreche der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Sie stehe mit der allgemeinen Systematik des Sozialleistungsrechts in Einklang, ermögliche schnelle und klare Entscheidungen und trage so zur Rechtssicherheit und -klarheit bei. Die Nichtberücksichtigung nachträglich zugeflossenen Arbeitsentgelts stoße nicht auf verfassungsrechtliche Bedenken. Zwar wirke sich der Alüg-Anspruch länger als der Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) aus. Indes stehe dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Lohnersatzleistungen ein weitreichender Gestaltungsspielraum zu. Weder die Eigentumsgarantie (Art 14 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫) noch der Gleichbehandlungsgrundsatz (Art 3 Abs 1 GG) noch das Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1, 28 Abs 1 Satz 1 GG) seien verletzt. Zum einen würden alle Alg- bzw Alüg-Bezieher gleich behandelt. Zum anderen sei eine Ungleichbehandlung allenfalls gegenüber dem Personenkreis denkbar, dem die Tariflohnerhöhung im maßgeblichen Zeitraum noch zufließe. Doch schaffe § 112 AFG insoweit eine Stichtagsregelung, die dem Sozialrecht nicht fremd und deshalb verfassungsrechtlich hinzunehmen sei.
Die Klägerin rügt mit der Revision eine Verletzung von § 249e Abs 3 Nr 2 und § 112 Abs 1 und 2 AFG. Die bisherige Rechtsprechung des BSG führe zu nicht haltbaren Ergebnissen. „Erzielt” sei auch das Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose erhalte oder zu beanspruchen habe. Andernfalls hätte der Gesetzgeber nicht von „erzielt”, sondern von „zugeflossen” gesprochen. Vorliegend komme die tiefgreifende Umgestaltung des Tarifrechts bzw der Gehalts- und Lohnstrukturen in den neuen Bundesländern hinzu. Dem habe der Runderlaß (RdErl) des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit (BA) vom 31. Oktober 1991 Rechnung zu tragen versucht; er müsse, um sozialem Unfrieden vorzubeugen, auch hier zum Tragen kommen. Daß nicht jegliche Neufeststellung von Bemessungsentgelt ausgeschlossen sei, werde durch § 44 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) und § 152 AFG belegt. Ziel dieser Vorschriften sei es, eine anfänglich unrichtige Entscheidung nachträglich mit der wahren Rechtslage in Einklang zu bringen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Urteile des LSG und des SG abzuändern, den Bescheid der Beklagten vom 27. August 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 1992 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Aufhebung des Bescheides vom 14. April 1992 Alüg auf der Grundlage eines monatlichen Bruttoarbeitsentgelts von 3.914,00 DM – unter Anrechnung erbrachter Leistungen – zu zahlen und die Leistung entsprechend zu dynamisieren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das zweitinstanzliche Urteil für zutreffend und erwidert: Hätte der Gesetzgeber im Hinblick auf die Besonderheiten des Beitrittsgebietes andere Bemessungsmaßstäbe als die des § 112 AFG gewollt, hätte er dies in § 249e AFG zum Ausdruck gebracht. Der Lebensstandard werde nicht durch nachträglich zu beanspruchendes, sondern im Bemessungszeitraum tatsächlich zur Verfügung stehendes Arbeitsentgelt bestimmt. Die Höhe einer Lohnersatzleistung müsse von Anfang an richtig festgestellt werden können; nachträgliche Korrekturen seien mit erheblichem Aufwand verbunden. Die Möglichkeit einer Neufeststellung nach § 44 SGB X iVm § 152 AFG scheitere schon daran, daß eine Bewilligungsentscheidung im Fall nachträglich erbrachten Arbeitsentgelts nicht unrichtig werde. Schließlich könne sich die Klägerin nicht mit Erfolg auf den RdErl des Präsidenten der BA vom 31. Oktober 1991 berufen. Er erfasse nicht Arbeitsentgelte, die zwischen den Tarifvertragsparteien bei Ausscheiden des Arbeitnehmers noch nicht vereinbart gewesen seien. Solche Tariflohnerhöhungen fänden auch in den alten Bundesländern keine Berücksichtigung.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist iS der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Verfahrenshindernisse, die bei einer zulässigen Revision von Amts wegen zu beachten sind (BSG SozR 3-4100 § 58 Nr 6), liegen nicht vor. Insbesondere bedurfte die grundsätzlich statthafte Berufung (§ 143 SGG) nicht gemäß § 144 Abs 1 SGG (idF des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 – BGBl I 50) der Zulassung durch das SG; denn sie betraf wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs 1 Satz 2 SGG).
In der Sache mißt sich das Klagebegehren an § 249e AFG idF des Renten-Überleitungsgesetzes vom 25. Juli 1991 (BGBl I 1606) iVm der aufgrund der Ermächtigung in § 249e Abs 8 AFG erlassenen Verordnung zum Alüg vom 19. Dezember 1991 (BGBl I 2342). Danach gewährt die BA Arbeitnehmern, die in der Zeit vom 3. Oktober 1990 bis 30. Juni 1992 nach Vollendung des 55. Lebensjahres aus einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung von mindestens 90 Kalendertagen in dem in Art 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet ausscheiden und in den letzten 90 Kalendertagen der Beschäftigung ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Gebiet hatten, unter weiteren Voraussetzungen Alüg. Auf diese Leistung sind die Vorschriften über das Alg und für Empfänger von Alg nach den Maßgaben des § 249e Abs 3 AFG anzuwenden. Danach beträgt die Höhe des Alüg-Anspruchs 65 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts iS des § 112 AFG. Über die Generalverweisung des § 249e Abs 3 AFG (vgl BSGE 73, 195, 198 = SozR 3-4100 § 249e Nr 3) greifen also mit Ausnahme der (prozentualen) Nettolohnersatzquote die für das Alg geltenden Berechnungsvorschriften ein. Nach § 111 AFG iVm § 249c Abs 10 AFG bestimmt sich deshalb die Höhe des Alüg unter Berücksichtigung der Lohnsteuerklasse (§ 113 AFG) und des (zu dynamisierenden – § 112a AFG iVm § 249c Abs 13 AFG) Bemessungsentgelts (§ 112 AFG) über die jeweilige Leistungsverordnung. In den Leistungsverordnungen für die Jahre 1991 und 1992 ist beim Alüg auf die Tabelle für das Unterhaltsgeld zurückzugreifen (BSGE 73, 195, 202f = SozR 3-4100 § 249e Nr 3).
Das Bemessungsentgelt seinerseits errechnet sich aus dem Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum – abzüglich bestimmter Zuschläge und Zuwendungen – durchschnittlich in der Woche erzielt hat (§ 112 Abs 1 AFG idF, die § 112 durch das 8. AFG-ÄndG vom 14. Dezember 1987 – BGBl I 2602 – erhalten hat). Nach § 112 Abs 2 Satz 1 AFG (in der hier noch anzuwendenden, bis 31. Dezember 1993 geltenden aF) umfaßt der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden des Arbeitnehmers abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume der letzten drei Monate der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungen vor der Entstehung des Anspruchs, in denen der Arbeitslose Arbeitsentgelt erzielt hat. Nach § 112 Abs 3 AFG wird für die Berechnung des in der Woche durchschnittlich erzielten Arbeitsentgelts das im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Arbeitsstunde erzielte Arbeitsentgelt mit der Zahl der Arbeitsstunden vervielfacht, die sich als Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergibt (Satz 1). Arbeitsentgelt, das nach Monaten bemessen ist, gilt als in der Zeit von Arbeitsstunden erzielt, die sich ergibt, wenn die Zahl der vereinbarten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden mit dreizehn vervielfacht und durch drei geteilt wird (Satz 2).
Dem Gesamtzusammenhang der Ausführungen des LSG ist zu entnehmen, daß das Arbeitsentgelt der Klägerin nach Monaten bemessen und maßgebender Bemessungszeitraum die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1992 war. Hingegen enthält das zweitinstanzliche Urteil Tatsachenfeststellungen weder zum Lohn- oder Zeitfaktor, aus dem das Bemessungsentgelt zu bilden ist, noch zur Steuerklasse (§ 113 AFG), die für die Einstufung der Klägerin in eine bestimmte Leistungsgruppe (§ 111 Abs 2 Satz 2 AFG) von Bedeutung ist. Damit läßt sich die Höhe des der Klägerin ab 1. April 1992 zustehenden Alüg nicht bestimmen, mit der Konsequenz, daß das LSG die fehlenden Tatsachenfeststellungen nachzuholen haben wird.
Dagegen ist dem LSG im Ergebnis darin zuzustimmen, daß das spätere, aufgrund rückwirkender Tarifregelung von der Klägerin zu beanspruchende Entgelt für die Höhe des Alüg keine Berücksichtigung finden kann. Zwar hat der erkennende Senat seine bisherige Rechtsprechung zur sog Zuflußtheorie dahin modifiziert, daß ein in nachträglicher Vertragserfüllung gewährtes zusätzliches Entgelt, das dem Arbeitslosen nach dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis für den Bemessungszeitraum zugeflossen ist, bei der Bestimmung der Leistungshöhe zu berücksichtigen ist (vgl Urteil vom 28. Juni 1995 – 7 RAr 102/94 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Jedoch ist, wie er in einem dem vorliegenden Fall vergleichbaren Fall bereits entschieden hat, für Fälle rückwirkender Vertragsänderung an der bisherigen Rechtsprechung (BSGE 12, 55, 56 ff = SozR Nr 2 zu § 90 AVAVG; BSG SozR 4100 § 112 Nrn 1, 3, 5 und 43; SozR 3-4100 § 112 Nr 10; BSG, Urteil vom 10. Dezember 1981 – 7 RAr 6/81 –, USK 81302; Urteil vom 16. März 1983 – 7 RAr 25/82 –, DBlR Nr 2847 zu § 112 AFG; Urteil vom 23. Juli 1992 – 7 RAr 2/92 –, NZA 1993, 621; vgl auch zum Kurzarbeitergeld BSGE 28, 231 ff = SozR Nr 1 zu § 121 AVAVG) festzuhalten (BSG, Urteil vom 28. Juni 1995 – 7 RAr 20/94 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Danach ist für die Bemessung des Alg, damit ebenso für die des Alüg, eine Nachzahlung jedenfalls dann nicht zu berücksichtigen, wenn der Anspruch darauf nach der Entstehung des Stammrechts und des ersten daraus erwachsenden Leistungsanspruchs (vgl hierzu: BSGE 72, 177, 179 f = SozR 3-4100 § 112 Nr 13) begründet worden und das Entgelt danach zugeflossen ist. Ob dies auch dann anzunehmen ist, wenn die Vertragsänderung zwischen Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis und dem Ende des Arbeitsverhältnisses (oder gar der Entstehung des Stammrechts oder des ersten daraus erwachsenden Leistungsanspruchs) erfolgt, ob dies also dem Fall der nachträglichen Vertragserfüllung gleichzusetzen ist, kann offenbleiben. Die vom Senat modifizierte Rechtsprechung zur sog Zuflußtheorie, die nicht auf das Bestehen eines Arbeitsentgeltsanspruchs allein abstellt, erfaßt jedenfalls nicht den vorliegenden Fall rückwirkender Vertragsänderung, da die Klägerin am 31. März 1992 aus dem Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden ist, ihr Stammrecht und der erste daraus erwachsende Leistungsanspruch am 1. April 1992 entstanden ist, bevor durch neuen Tarifvertrag vom 16. April 1992 die vertragliche Entgeltregelung mit Wirkung ab 1. Januar 1992 geändert worden ist. Die Frage, inwieweit vertragliche Vereinbarungen oder gerichtliche Entscheidungen über zu Unrecht nicht gezahltes Entgelt von der Beklagten bzw den Sozialgerichten auf ihre Richtigkeit untersucht werden dürfen oder müssen, stellt sich bei dieser Konstellation nicht.
Die vom Senat für die Änderung seiner Rechtsprechung zur Zuflußtheorie angeführten Gründe gelten, worauf der Senat im Urteil vom 28. Juni 1995 – 7 RAr 20/94 – bereits hingewiesen hat, nicht für die rückwirkende Vertragsänderung. Im Gegensatz zur Rechtslage bei nachträglicher Vertragserfüllung sind nämlich rückwirkende Lohn- oder Gehaltsänderungen für Lohnersatzleistungen der BA schon immer als unbeachtlich angesehen worden (BSG SozR 4100 § 112 Nrn 1 und 3 mwN zur Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes). Zu Recht wurde hierfür angeführt, es entspreche einem auch für das AFG maßgeblichen Grundsatz des Sozialversicherungsrechts, daß aus Gründen der Übersichtlichkeit und Zügigkeit der Abwicklung von Ansprüchen Lohnersatzleistungen an einem Niveau auszurichten seien, das zeitnah festgestellt ist, also unmittelbar vor Beginn der Leistung gegolten hat. Dem widerspräche es, wenn erst danach begründete Ansprüche die Grundlage eines bereits entstandenen Leistungsanspruchs verändern würden und damit rückwirkend zu einer Neuberechnung verpflichteten. Dies wäre zum einem mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden, da in allen Fällen neuer Tarifabschlüsse von Amts wegen die schon für die maßgeblichen Zeiträume getroffenen Entscheidungen wiederaufgegriffen und überprüft werden müßten. Zum anderen wären nur schwerlich Gründe anführbar, die es gestatteten, rückwirkende individuelle Vertragsänderungen anders zu behandeln als die tariflichen. Hielte man aber auch diese für beachtlich, wären unerwünschten Dispositionen bzw Manipulationen zur Höhe der Leistung nach Eintritt des Leistungsfalls Tür und Tor geöffnet. Dem begegnet die Rechtsprechung zu Lohnersatzleistungen in anderen Sozialversicherungsbereichen in gleicher Weise (vgl BSG SozR 3-2200 § 182 Nr 8 mwN).
Anders als bei nachträglicher Zahlung bereits erarbeiteten, also iS eines schon zustehenden, Entgelts, dessen Vorenthaltung objektives Unrecht darstellt, gebieten, wie der Senat im Urteil vom 28. Juni 1995 – 7 RAr 20/94 – ebenfalls ausgeführt hat, auch verfassungsrechtliche Gesichtspunkte keine Berücksichtigung des Arbeitsentgelts, das erst aufgrund nachträglicher Vertragsänderung zugeflossen ist. Insbesondere ist dies nicht dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) zu entnehmen.
Er beschreibt je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen für den Gesetzgeber unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung (BVerfGE 55, 72, 88; 89, 365, 375; BVerfG, Beschluß vom 11. Januar 1995 – 1 BvR 892/88 –, EuGRZ 1995, 429 = SozR 3-2200 § 385 Nr 6 = DB 1995, 1084). Diese ist nicht auf personenbezogene Differenzierungen beschränkt; sie gilt vielmehr auch dann, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt. Die Differenzierung zwischen Arbeitslosen, die bereits vor Eintritt des dem Stammrecht folgenden ersten Leistungsanspruchs Ansprüche auf höheres (beitragspflichtiges) Arbeitsentgelt erworben haben, und denjenigen, deren Anspruch auf höheres (beitragspflichtiges) Arbeitsentgelt erst danach mit Wirkung für die Vergangenheit geschaffen worden ist, entspricht gleichwohl diesen Anforderungen. Denn für die Äquivalenzabweichung dieser beiden Versichertengruppen mit gleicher Beitragsleistung sind hinreichende sachliche Gründe ersichtlich (vgl zu dieser Voraussetzung:
BVerfG, Beschluß vom 11. Januar 1995, aaO). Sachliche Gründe in diesem Sinne sind sowohl die schon genannten Praktikabilitätserwägungen als auch die Gefahr von Manipulationen. Dem trägt der bereits beschriebene Grundsatz Rechnung, daß sich auf bereits entstandene Leistungsansprüche eine nachträgliche Umgestaltung der ihnen zugrundeliegenden arbeitsrechtlichen Verhältnisse nicht mehr auswirken kann.
Nach alldem ist die Auffassung des LSG, das aufgrund der rückwirkenden Tariflohnerhöhung von der Klägerin noch zu beanspruchende Arbeitsentgelt sei für die Höhe des Alüg nicht berücksichtigungsfähig, nicht zu beanstanden. Indes mußte das zweitinstanzliche Urteil wegen der nicht nachvollziehbaren Höhe des Alüg (Bemessungsentgelt, Steuerklasse) aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden. Dieses wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen