Entscheidungsstichwort (Thema)

Überschneidung von Versicherungszeiten iS von EWGV 1408/71 Art 46 Abs 2 Buchst d. Bindungswirkung von Entscheidungen ausländischer Versicherungsträger

 

Leitsatz (amtlich)

Eine deutsche Ersatzzeit, die vor dem Zeitpunkt endet, von dem ab französisches Recht erstmals anzuwenden ist, überschneidet sich iS von EWGV 1408/71 Art 46 Abs 2 Buchst d nicht mit französischen Beitragstrimestern, die in demselben Kalenderjahr erworben worden sind (Fortführung von und Abgrenzung zu BSG vom 23.4.1990 - 5 RJ 58/89 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 4).

 

Orientierungssatz

1. Die Entscheidung des ausländischen Versicherungsträgers, es seien nach seinen Rechtsvorschriften anrechenbare Versicherungszeiten nicht vorhanden, ist für den deutschen Träger grundsätzlich verbindlich (Anschluß an BSG vom 27.6.1990 - 5 RJ 79/89 = SozR 3-6050 Art 45 Nr 2).

2. Die Bindungswirkung der Entscheidung des ausländischen Versicherungsträgers beschränkt sich aber - gerade wegen der Verschiedenartigkeit der mitgliedstaatlichen Sozialversicherungssysteme - auf die Auslegung und Anwendung der jeweils für diesen Träger maßgeblichen nationalen Rechtsvorschriften. Sie erstreckt sich nicht auf die Auslegung und Anwendung der europarechtlichen Vorschriften.

 

Normenkette

EWGV 1408/71 Art 46 Abs. 2 Buchst. d; AVG § 28 Abs. 1 Nr. 1; EWGV 574/72 Art 15; EWGV 574/72 Art 46; RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 14.05.1991; Aktenzeichen L 2 An 60/90)

SG Berlin (Entscheidung vom 04.07.1990; Aktenzeichen S 6 An 2535/88)

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) für die Zeit vom 1. Mai 1987 bis zum 31. Dezember 1989 im Blick auf die Anrechnung einer Ersatzzeit vom 1. Januar 1948 bis zum 23. Juli 1948.

Der im Dezember 1924 geborene Kläger, ein deutscher Staatsbürger, legte in der Zeit zwischen dem 10. Dezember 1940 und seiner Entlassung aus französischer Kriegsgefangenschaft am 23. Juli 1948 insgesamt 19 Beitragsmonate in der deutschen Angestelltenversicherung, 68 Monate Ersatzzeiten wegen militärischen Dienstes und vier Monate Ausbildungsausfallzeit zurück. Seitdem hat er nach deutschem Recht keine versicherungsrechtlich erheblichen Zeiten erworben. Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) merkte mit Bescheid vom 5. Februar 1985 ua die Zeit vom 16. April 1943 bis zum 23. Juli 1948 als Ersatzzeit wegen militärischen Dienstes nach § 28 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) vor. Der Kläger war seit dem 1. August 1948 in Frankreich beschäftigt und nach französischem Recht bis zum 15. März 1949 in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (regime agricole), vom 18. März 1949 bis zum 30. April 1987 in der französischen allgemeinen Rentenversicherung (regime general) versichert. Seit dem 1. Mai 1987 bezieht er zwei französische Altersrenten: Die "caisse de mutualite sociale agricole de la manche" gewährt ihm aus der landwirtschaftlichen Sozialversicherung, in der er im zeitlichen Umfang von knapp drei Trimestern versichert war, wegen der Höhe seiner ab August 1948 entrichteten Beiträge Rente auf der Berechnungsgrundlage von sechs Trimestern, von denen vier dem Jahr 1948 zugeordnet sind. Die "association des caisses interprofessionelles de retraite du Groupe Mornay", die dem Jahr 1949 vier Beitragstrimester zugeordnet hat, zahlt ihm aufgrund der seit dem 18. März 1949 ausgeübten Beschäftigungen eine Altersrente. Der Kläger hat nach französischem Recht insgesamt 157 Beitragstrimester erworben.

Auf den Rentenantrag vom 14. Juli 1987 bewilligte ihm die Beklagte mit dem streitigen Bescheid vom 6. Mai 1988 Rente wegen EU ab 1. Mai 1987 wegen eines am 30. April 1987 eingetretenen Versicherungsfalls. Hierbei rechnete sie die vorgemerkte Ersatzzeit vom 1. Januar 1948 bis zum 23. Juli 1948 nicht an, weil sie nach Art 15 der EWGV 574/72 von französischen Versicherungszeiten verdrängt werde. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 15. September 1988). Mit dem - während des Klageverfahrens ergangenen - Bescheid vom 17. November 1989 gewährte die Beklagte dem Kläger anstelle der Rente wegen EU das Altersruhegeld (ARG) wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ab 1. Januar 1990. Hierbei rechnete sie die im Blick auf die Rente wegen EU streitige Ersatzzeit von sieben Monaten rentensteigernd an, weil der Anspruch auf das ARG schon allein nach deutschem Recht entstanden war.

Das Sozialgericht Berlin (SG) hat die Beklagte verurteilt, die streitige Ersatzzeit "bei der Höhe der Erwerbsunfähigkeitsrente für die Zeit vom 1. Mai 1987 bis zum 31. Dezember 1989 (Beginn ARG 1. Januar 1990) zu berücksichtigen" (Urteil vom 4. Juli 1990). Das Landessozialgericht Berlin (LSG) hat auf die - vom SG zugelassene - Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 14. Mai 1991). Das Berufungsgericht ist folgender Auffassung: Da der Kläger Rente wegen EU nur unter Berücksichtigung französischer Versicherungszeiten beanspruchen könne, sei nach Art 46 Abs 2 Buchst d der EWGV 1408/71 iVm Art 98 dieser Verordnung nach Art 46 Abs 1 der EWGV 574/72 gemäß Art 15 Abs 1 Buchst c dieser Verordnung zu verfahren. Danach werde, wenn eine nach den Rechtsvorschriften eines Staates zurückgelegte Versicherungszeit, die keine gleichgestellte Zeit ist, mit einer nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates gleichgestellten Zeit zusammentrifft, nur die Zeit berücksichtigt, die keine gleichgestellte Zeit ist. Bei der streitigen Ersatzzeit und der französischen Versicherungszeit im 1. Halbjahr 1948 handele es sich um sich überschneidende Zeiten iS von Art 46 Abs 2 Buchst d EWGV 1408/71, weil der französische Versicherungsträger das Vorliegen von vier Trimestern für das Jahr 1948 bescheinigt habe. Zwar habe dieser Träger auch den Vortrag des Klägers bestätigt, er sei tatsächlich erst seit dem 1. August 1948 in Frankreich versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Zugleich habe der französische Träger erläutert, daß dem Kläger aufgrund seines ab August 1948 erzielten Entgeltes nach französischem Recht das ganze Jahr 1948 als Versicherungszeit anzuerkennen sei. Die Mitteilung des französischen Versicherungsträgers sei von der Beklagten als verbindlich hinzunehmen (Hinweis auf Bundessozialgericht - BSG - in: SozR 3-6050 Art 45 Nr 2). Die französische Versicherungszeit im 1. Halbjahr 1948 sei keine gleichgestellte Zeit, so daß sie die deutsche Ersatzzeit, die eine gleichgestellte Zeit sei (Hinweis auf BSGE 51, 54 = SozR 6055 Art 15 Nr 3), verdränge. Hinsichtlich der Qualität der französischen Zeit als Versicherungszeit sei allein die Mitteilung des französischen Versicherungsträgers maßgeblich und verbindlich, der diese Zeit in dem Formular E 205 ausdrücklich als Versicherungszeit gekennzeichnet habe. In dem Formular habe er die Spalte für gleichgestellte Zeiten nicht ausgefüllt und die streitbefangene Zeit in der Spalte für "Versicherungszeiten" eingetragen. Aus dem Vormerkungsbescheid vom 5. Februar 1985 könne der Kläger keine für ihn günstigere Beurteilung herleiten, weil darin über die Anrechnung der vorgemerkten Zeiten nicht entschieden worden sei.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung des Art 46 EWGV 1408/71 und der allgemeinen Regeln des Verwaltungsrechts über die Gewährung von Vertrauensschutz. Die Rechtsauffassung des LSG sei unvereinbar mit der europarechtlichen Freizügigkeit der Arbeitnehmer und dem europäischen Diskriminierungsverbot. Die erworbenen Ersatzzeiten könnten durch nachträglich entstandene französische Versicherungszeiten nicht verdrängt werden, zumal die bescheinigten vier Trimester nicht die Versicherungszeit selbst, sondern ausschließlich die Höhe der erworbenen Anwartschaften beträfen. Außerdem habe die Vorinstanz die Bindungswirkung des Vormerkungsbescheides vom 5. Februar 1985 verkannt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 14. Mai 1991 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. Juli 1990 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 14. Mai 1991 zurückzuweisen.

Sie meint, das LSG habe zutreffend erkannt, daß die vom französischen Versicherungsträger für sie verbindlich anerkannte Versicherungszeit die deutsche Ersatzzeit verdränge. Der Kläger verkenne, daß er in dem streitigen Zeitraum keine Beitragszeit, sondern nur eine Ersatzzeit zurückgelegt habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Das LSG hätte die Berufung der Beklagten gegen das im Ergebnis zutreffende Urteil des SG zurückweisen müssen. Denn der Kläger hat für die Zeit vom 1. Mai 1987 bis zum 31. Dezember 1989 Anspruch auf Rente wegen EU jeweils in der Höhe, die sich ergibt, wenn auch die Ersatzzeit vom 1. Januar 1948 bis zum 23. Juli 1948 für die Ermittlung des von der BfA iS von Art 46 Abs 2 Buchst a und b EWGV 1408/71 geschuldeten Betrages angerechnet wird.

Grund hierfür ist, daß die vom französischen Versicherungsträger (nur) als Berechnungseinheiten für die Höhe der französischen Rente anerkannten vier Beitragstrimester, die er dem Jahr 1948 zugeordnet hat, die vor dem Eintritt des Klägers in die französische Versicherung (1. August 1948) zurückgelegten - hier streitigen - Ersatzzeiten deutschen Rechts nicht iS von Art 15 Abs 1 EWGV 574/72 verdrängen, weil diese Zeiten sich iS von Art 46 Abs 2 Buchst d EWGV 1408/71 nicht "überschneiden".

Keiner näheren Darlegung bedarf, worüber die Beteiligten auch nicht streiten, daß das dem Kläger seit dem 1. Januar 1990 von der Beklagten gewährte ARG wegen Vollendung des 65. Lebensjahres richtig berechnet und deswegen der Bescheid vom 17. November 1989, der gemäß § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kraft Gesetzes Gegenstand des Verfahrens geworden ist, nicht zu beanstanden ist.

Ebenso liegt auf der Hand, daß der streitige Bescheid vom 6. Mai 1988 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 1988) insoweit rechtmäßig ist, wie darin dem Kläger Rente wegen EU ab 1. Mai 1987 zuerkannt worden ist. Denn der Kläger ist seit dem 30. April 1987 iS von § 24 Abs 1 und Abs 2 AVG erwerbsunfähig, er hat allein mit deutschen Versicherungszeiten die Wartezeit von 60 Kalendermonaten (§ 24 Abs 3 Satz 1 Buchst a AVG) zurückgelegt und außerdem zuletzt vor Eintritt der EU eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt (§ 24 Abs 1 und Abs 2a iVm § 23 Abs 2a AVG), weil hierfür gemäß Art 45 Abs 1 EWGV 1408/71 zu berücksichtigen ist, daß er in den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der EU mehr als 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine in Frankreich versicherungspflichtige Beschäftigung belegt hat.

Soweit es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die Anwendung deutscher Rechtsvorschriften ankommt, sind die mit dem 1. Januar 1992 außer kraft getretenen (Art 83 Nr 1 des Rentenreformgesetzes 1992 ≪RRG 1992≫) Vorschriften des AVG, nicht die des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) weiterhin maßgeblich, weil iS von § 300 Abs 2 und Abs 3 SGB VI ausschließlich über einen bis dahin bestehenden Sozialleistungsanspruch des Klägers im Erstfeststellungsverfahren zu entscheiden ist (vgl zum Übergangsrecht: Ruland NJW 1992, 1, 7 mwN).

Das Berufungsgericht ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, daß der von der BfA dem Kläger geschuldete monatliche Zahlbetrag der Rente wegen EU nach Art 46 Abs 2 Buchst a Satz 1 und Buchst b EWGV 1408/71 zu berechnen ist. Denn der Kläger, der - wie aufgezeigt - iS von § 24 Abs 1 und Abs 2a iVm § 23 Abs 2a AVG zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalles nicht nach deutschem, sondern allein nach französischem Recht versicherungspflichtig war, hat nur nach Art 45 Abs 1 EWGV 1408/71, dh unter Berücksichtigung französischer Versicherungszeiten, Anspruch auf die deutsche Rente wegen EU.

Deswegen ist im ersten Schritt nach Art 46 Abs 2 Buchst a Satz 1 EWGV 1408/71 der "theoretische Rentenbetrag" zu berechnen, auf den der Kläger Anspruch hätte, wenn er alle in Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- und (was hier nicht in Betracht kommt) Wohnzeiten nur in Deutschland und nach dem für die BfA im Zeitpunkt der Leistungsfeststellung geltenden Recht zurückgelegt hätte. Hierbei beeinflussen die ausländischen Versicherungszeiten die für den Versicherten maßgebliche Rentenbemessungsgrundlage (§ 32 AVG) nicht, sondern erhöhen nur die Anzahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre (§ 35 AVG), die sog Versicherungsdauer (stellvertretend zur "zwischenstaatlichen" Rentenberechnung: Wiegand, Das europäische Gemeinschaftsrecht in der Sozialversicherung, 1983, S 45 f, 47 f, 154 f, mwN). Daher kommt es schon für den "theoretischen Zahlbetrag" darauf an, ob auch die streitigen, nach deutschem Recht wegen Vorversicherung anrechenbaren (§ 28 Abs 2 Satz 1 AVG) Ersatzzeitmonate mit dem Wert des Monatsdurchschnitts 10,5 (Leistungsgruppe 2 der Anlage 1 zu § 32a AVG) in die persönliche Bemessungsgrundlage des Klägers zusätzlich eingerechnet oder aber - wie die Beklagte annimmt- völlig von einer französischen Versicherungszeit vom 1. Januar 1948 bis zum 31. Juli 1948 verdrängt werden.

Von der Beantwortung dieser Frage hängt aber auch der zweite Berechnungsschritt zur Feststellung der "zwischenstaatlichen" Rente, nämlich der iS von Art 46 Abs 2 Buchst b EWGV 1408/71 "tatsächlich geschuldete Betrag" ab. Dieser ergibt sich auf der Grundlage des "theoretischen Rentenbetrages" aus dem Verhältnis der nach deutschem Recht zurückgelegten Zeiten zur Gesamtzahl aller dem "theoretischen Betrag" zugrundeliegenden Zeiten. Auf dieser Berechnungsstufe würde im Fall einer Verdrängung der streitigen Ersatzzeit der zeitliche Umfang der deutschen Versicherungsdauer, nicht der Gesamtdauer der "zwischenstaatlichen" Versicherung, und damit der deutsche Anteil an dem vom Kläger in den Mitgliedstaaten erworbenen Versicherungsschutz (Art 46 Abs 3 Unterabs 1 EWGV 1408/71) verringert.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts und der BfA handelt es sich bei den streitigen Ersatzzeitmonaten (Januar bis Juli 1948) und den vom französischen Versicherungsträger dem Jahr 1948 zugeordneten vier Beitragstrimestern nicht um solche "sich überschneidenden Zeiten" iS von Art 46 Abs 2 Buchst d EWGV 1408/71, von denen nach den Verdrängungsregeln der Art 46 Abs 1 Satz 1, Art 15 Abs 1 EWGV 574/72 nur eine zu berücksichtigen wäre. Vielmehr mußte die BfA die Ersatzzeit vom 1. Januar 1948 bis zum 23. Juli 1948 sowohl bei der Berechnung des von ihr zu ermittelnden "theoretischen" als auch bei der des "tatsächlich geschuldeten" Betrages rentensteigernd berücksichtigen. Dies ergibt sich aus folgendem:

Nach Art 46 Abs 2 Buchst d EWGV 1408/71 sind die Einzelheiten des Berechnungsverfahrens nach diesem Absatz für die Berücksichtigung der "sich überschneidenden Zeiten" in der in Art 98 vorgesehenen Durchführungsverordnung, dh der EWGV 574/72 festgelegt. Diese Durchführungsverordnung ist im vorliegenden Fall nicht anzuwenden, weil im streitigen Zeitraum keine "sich überschneidenden Zeiten" vorliegen.

"Versicherungszeiten", sind Beitrags- oder Beschäftigungszeiten, die nach den Rechtsvorschriften, nach denen sie zurückgelegt worden sind oder als zurückgelegt gelten, als Versicherungszeiten bestimmt oder anerkannt sind sowie alle gleichgestellten Zeiten, soweit sie nach diesen Rechtsvorschriften als den Versicherungszeiten gleichwertig anerkannt sind (Art 1 Buchst r EWGV 1408/71). Sie überschneiden sich iS der Koordinationsvorschrift des Art 46 Abs 2 Buchst d EWGV 1408/71 nur dann, wenn und soweit die Zeiträume identisch sind, in denen die Versicherungszeiten zurückgelegt, dh die Tatbestände erfüllt worden sind, die nach Maßgabe jeweils des mitgliedstaatlichen Rechts den Begriff einer Versicherungszeit iS von Art 1 Buchst r EWGV 1408/71 ausfüllen. Eine Überschneidung verschiedener mitgliedstaatlicher Versicherungszeiten kann daher nur eintreten, wenn und soweit die nationalen Rechtsordnungen eine Beitrags-, Beschäftigungs- oder gleichgestellte Zeit einem bestimmten Zeitraum eindeutig zuordnen (vgl Art 15 Abs 1 Buchst e, f und Abs 3 EWGV 574/72).

Gerade hieran fehlt es aber - jedenfalls innerhalb eines Kalenderjahres - bei den Beitragstrimestern französischen Rechts. Sie enthalten ausschließlich eine in der Form einer Zeiteinheit ausgedrückte Angabe über die Höhe der Jahresbeitragsleistung im jeweiligen Kalenderjahr. Sie sind also ohne zusätzliche Angaben des französischen Versicherungsträgers über den zeitlichen Umfang einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit bzw des Zeitraumes der Erfüllung von Tatbeständen einer gleichgestellten Zeit keine "überschneidungsgeeigneten" Versicherungszeiten iS von Art 46 Abs 2 Buchst d EWGV 1408/71.

Deswegen hat der französische Versicherungsträger im vorliegenden Fall - aus der Sicht des französischen Rechts widerspruchsfrei und, worauf zurückzukommen ist, für die BfA bindend - mitgeteilt , daß der Kläger erstmals am 1. August 1948 nach französischem Versicherungsrecht erhebliche Tatbestände erfüllt und erst seither wegen der Höhe seines Arbeitsentgelts für das Jahr 1948 vier Trimester erworben hat. Jedenfalls bei einer solchen Fallgestaltung können sich französische Beitragstrimester nicht mit deutschen Ersatzzeiten "überschneiden", die in Zeiten zurückgelegt worden sind, für die das französische Recht weder Geltung beansprucht noch eine Regelung getroffen hat.

Wie bereits angesprochen entbehrt das französische Beitragstrimester - innerhalb des jeweiligen Kalenderjahres - einer genauen zeitlichen Zuordnung. Es gibt (abgesehen von der Zuerkennung beitragsfreier Beitragstrimester) nur die Höhe der Jahresbeitragsleistung an, die in einem Kalenderjahr während einer - uU nur kurz dauernden - versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit erbracht worden ist. Für jeden Teil des beitragsunterworfenen Jahresarbeitsentgelts, der dem gesetzlichen Mindestlohn vom 1. Januar des jeweiligen Kalenderjahres entspricht, wird ein Beitragstrimester, höchstens aber vier Beitragstrimester für das jeweilige Jahr, gutgeschrieben. Der Erwerb von Beitragstrimestern hängt also nicht von der tatsächlichen Dauer einer Beschäftigung oder Tätigkeit während eines Kalenderjahres ab. Abgesehen vom jeweiligen Kalenderjahr als Bezugspunkt der Angabe "Trimester" besteht kein tatsächlicher oder rechtlicher Anknüpfungspunkt an den Zeitraum, in dem das Entgelt/Einkommen erzielt wurde. MaW: Das Beitragstrimester ist keine Feststellung über Zeiträume (Zeiten), in denen nach französischem Recht versicherungsrechtlich erhebliche Tatbestände erfüllt worden sind (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 4; stellvertretend zur Berechnung des französischen ARG: Weber/Leienbach, Soziale Sicherung in Europa, 1989, S 60 f; Buczko, DAngVers 1983, 319, 322). Dies zeigt sich auch im vorliegenden Fall: Der französische Träger hat die dem Jahr 1948 zugeordneten vier Trimester nur als Ausdruck der Höhe des ab August 1948 erzielten versicherungspflichtigen Entgelts qualifiziert und bescheinigt, der Kläger habe erst seit dem 1. August 1948 nach französischem Recht versicherungsrechtlich erhebliche Zeiten zurückgelegt.

Indessen hat der 5. Senat des BSG (SozR 3-2200 § 1246 Nr 4) - ohne dies abschließend zu entscheiden - für naheliegend gehalten, daß im Interesse einer weitgehenden Übereinstimmung der Berechnungsweise des französischen und deutschen Versicherungsträgers bei Anwendung von Art 46 Abs 2 EWGV 1408/71 die vom französischen Träger berücksichtigten Beitragstrimester, nicht die tatsächliche Dauer der versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit zugrunde zu legen ist. Anlaß hierfür war ein Fall, in dem ein in Frankreich versicherungspflichtiger Selbständiger wegen geringen Einkommens regelmäßig nur Beiträge in Höhe eines Beitragstrimesters je Kalenderjahr entrichtet hatte. Der 5. Senat des BSG hat zu Art 45 Abs 1 EWGV 1408/71 im Blick auf die Vorversicherungszeit iS von § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (≪RVO≫; = § 23 Abs 2a Satz 1 Nr 1 AVG) entschieden, daß als Versicherungszeit für die Aufrechterhaltung des Anspruchs die Dauer der versicherungspflichtigen Tätigkeit unabhängig von der Zahl der hierfür in einem Kalenderjahr belegten Beitragstrimester zu berücksichtigen sei. Insoweit tritt der erkennende Senat dem 5. Senat des BSG bei.

Bedenklich erscheint jedoch die - für die damalige Entscheidung nicht tragende - Ansicht des 5. Senats, bei Anwendung von Art 46 Abs 2 EWGV 1408/71 liege es nahe, anders zu verfahren und allein auf die bescheinigten Beitragstrimester abzustellen. Sie könnte mit der maßgeblichen Zielsetzung dieser Vorschrift, welche die Definition der "Versicherungszeit" in Art 1 Buchst r EWGV 1408/71 erforderlichenfalls modifiziert (EuGH SozR 6050 Art 46 Nr 13), kollidieren. Diese ist darauf gerichtet, die Zusammenrechnung "aller" nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für die Berechnung der Leistungen zu sichern (Art 51 Buchst a EWGVtr). Jedenfalls für den Begriff der "sich überschneidenden Zeiten" iS von Art 46 Abs 2 Buchst d (EWGV 1408/71) kann ihr nicht gefolgt werden, weil - wie ausgeführt - französische Beitragstrimester im Kalenderjahr keine eindeutige zeitliche Zuordnung haben. Jedenfalls in diesem Zusammenhang würde Unvergleichbares (Zeiträume mit Beitragshöhe) verglichen, weil Beitragstrimester in einer dem französischen Recht fremden Betrachtungsweise bestimmten Quartalen eines Kalenderjahres zugeordnet würden. Im vorliegenden Fall käme hinzu, daß der Kläger während des streitigen Zeitraums - wie vom französischen Träger entschieden und mitgeteilt - nach französischem Recht nicht einmal versicherungspflichtig beschäftigt oder tätig war, den französischen Versicherungsvorschriften nicht unterlag und auch keine Tatbestände erfüllt hat, denen das französische Versicherungsrecht - nachträglich und/oder rückwirkend - versicherungsrechtliche Bedeutung zuerkannt hat. Das bedeutet: französische Beitragstrimester können sich in dem Kalenderjahr, dem sie zugeordnet sind, mit "Versicherungszeiten" (Art 1 Buchst r EWGV 1408/71) deutschen Rechts iS von Art 46 Abs 2 Buchst d EWGV 1408/71 jedenfalls dann nicht "überschneiden", wenn die deutschen "Versicherungszeiten" in Zeiträumen zurückgelegt worden sind, die vor dem Zeitpunkt endeten, in dem erstmals nach französischem Recht erhebliche Versicherungszeittatbestände erfüllt wurden.

Deswegen ist auch der Ansicht der Beklagten entgegenzutreten, das ganze Jahr 1948 sei schon deswegen eine französische Versicherungszeit, die sich mit der streitigen Ersatzzeit überschneide, weil der französische Träger im Amtlichen Vordruck E-205 die von ihm für das Jahr 1948 angerechneten vier Beitragstrimester als Versicherungszeit, nicht aber nur als gleichgestellte Zeit anerkannt habe. Zwar bestimmt allein das ausländische Recht, welche Zeiten geeignet sind, in dem jeweiligen Mitgliedstaat einen Rentenanspruch zu begründen. Deshalb stellt Art 1 Buchst r EWGV 1408/71 auch zur Koordinierung der verschiedenen mitgliedstaatlichen Sozialversicherungssysteme für die Anerkennung einer "Versicherungszeit" auf die jeweiligen innerstaatlichen Vorschriften des Staates ab, in welchem diese zurückgelegt worden ist oder als zurückgelegt gilt. Dies ist ferner der Grund dafür, daß der jeweilige mitgliedstaatliche Versicherungsträger grundsätzlich verbindlich und einheitlich für alle Mitgliedstaaten über die nach seinen Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungszeiten entscheidet (BSG SozR 3-6050 Art 45 Nr 2; Wiegand, aa0, S 45). Die Bindungswirkung der Entscheidung des ausländischen Trägers entfällt nur, soweit sie - was hier nicht zu besorgen ist - auf einer Verletzung von Gemeinschaftsrecht beruht (EuGH SozR 6047 Art 16 Nr 1). Auf dieser Grundlage hat der 5. Senat des BSG (SozR 3-6050 Art 45 Nr 2) erkannt, daß die Entscheidung des ausländischen Versicherungsträgers, es seien nach seinen Rechtsvorschriften anrechenbare Versicherungszeiten nicht vorhanden, für den deutschen Träger grundsätzlich verbindlich ist. Dem schließt sich der erkennende Senat an.

Die Bindungswirkung der Entscheidung des ausländischen Versicherungsträgers beschränkt sich aber - gerade wegen der Verschiedenartigkeit der mitgliedstaatlichen Sozialversicherungssysteme - auf die Auslegung und Anwendung der jeweils für diesen Träger maßgeblichen nationalen Rechtsvorschriften. Sie erstreckt sich nicht auf die Auslegung und Anwendung der europarechtlichen Vorschriften. Hierauf ist jedoch im vorliegenden Fall deswegen nicht näher einzugehen, weil der französische Versicherungsträger nach Wortlaut und Sinn seiner amtlichen Auskünfte gerade nicht entschieden hat, der Kläger habe bereits vor seinem Eintritt in die französische Versicherung französische Versicherungszeiten oder gleichgestellte Zeiten zurückgelegt, erworben oder zuerkannt erhalten. Da - wie ausgeführt - die Anzahl der je Kalenderjahr angerechneten Beitragstrimester nur Ausdruck der Höhe der in diesem Jahr entrichteten Beiträge ist, kann der Erklärung des französischen Trägers, der Kläger habe in der Zeit ab 1. August 1948 ein versicherungspflichtiges Entgelt in Höhe von vier Beitragstrimestern erhalten, nur entnommen werden, daß für den Erwerb des Anspruchs auf französisches ARG aus dem Jahr 1948 vier Beitragstrimester anrechenbar zur Verfügung stehen. Eine - dem französischen Recht fremde - genauere Zuordnung dieser vier Trimester zu bestimmten Zeiten, insbesondere zu Zeiten vor Eintritt in die französische Versicherung ist nicht erfolgt und auch nicht mitgeteilt worden. Vielmehr hat der französische Träger entschieden, daß der Kläger erst ab August 1948 dem französischen Versicherungsrecht unterlag. Schon deswegen ist die Beklagte nicht in dem von ihr angenommenen Sinne gebunden.

Der vorliegende Fall zwingt jedoch nicht zu einer abschließenden Entscheidung, ob bei Anwendung von Art 46 Abs 2 Buchst a und b EWGV 1408/71 französische Beitragstrimester, die (nach einer dem französischen Recht fremden und allenfalls europarechtlich zu rechtfertigenden Umqualifizierung in Feststellungen über Versicherungszeiträume) nur einen Teil der Zeiträume eines Kalenderjahres abdecken, in denen tatsächlich eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt wurde, gleichwohl als "fiktive" Versicherungszeiten statt der längeren wirklichen Beschäftigungszeiten (Art 1 Buchst r und s EWGV 1408/71) für die Berechnung der "zwischenstaatlichen" Rente zugrunde zu legen sind. Zum einen war nämlich der Kläger nach den bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG seit 1948 in Frankreich versicherungspflichtig beschäftigt. Zum anderen hat der französische Versicherungsträger den Beginn der Anwendbarkeit französischer Rechtsvorschriften (hier: 1. August 1948) auf den Kläger verbindlich festgestellt und mitgeteilt.

Da also im Blick auf den streitigen Zeitraum schon keine "sich überschneidenden Zeiten" iS von Art 46 Abs 2 Buchst d EWGV 1408/71 vorliegen, so daß die Verdrängungsregeln der Art 46 Abs 1 Satz 1, 15 Abs 1 EWGV 574/72 nicht anzuwenden sind, ist die streitige Erstzeit rentensteigernd zu berücksichtigen. Schon deswegen ist nicht näher darauf einzugehen, daß die BfA diese Zeit auch bei Anwendung der Art 46 Abs 1 Satz 1, 15 Abs 1 EWGV 574/72 (gemäß Art 15 Abs 1 Buchst d EWGV 574/72) anrechnen müßte.

Dieses Ergebnis bewirkt schließlich keine durch die europarechtlichen Koordinierungsvorschriften nicht beabsichtigte Doppelbegünstigung des Klägers. Es verhindert im Gegenteil, daß die in Mitgliedstaaten erworbenen Anwartschaften des Klägers entgegen Art 51 Buchst a EWGVtr unzulässig verkürzt werden. Da - wie ausgeführt - das französische Recht "Versicherungszeiten" erst ab 1. August 1948 berücksichtigt, würde der Kläger die Anrechnung der in der Zeit davor erlangten Ersatzzeiten allein deswegen verlieren, weil er in der zweiten Hälfte des Jahres 1948 in Frankreich ein hohes versicherungspflichtiges Entgelt erarbeitet hat.

Nach alledem war der Revision des Klägers stattzugeben und das zutreffende Urteil des SG wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und Abs 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173794

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