Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 25.02.1991)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Februar 1991 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Beigeladenen zu 1) auch des Revisionsverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind keine Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Zwischen den Beteiligten ist streitig, wer zuständiger Versicherungsträger für die Entschädigung des Beigeladenen zu 1) ist.

Der im Jahre 1927 geborene Beigeladene zu 1) ist polnischer Staatsangehöriger. Als sogenannter Ostarbeiter wurde er im Jahre 1944 nach Deutschland verbracht. Ab 8. September 1944 war er als Arbeiter bei der Firma V. … & S. … AG (V & S AG) in H. … beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis bestand nach Angaben der Firma bis 12. April 1945. Der Beigeladene zu 1) erhielt monatlich Lohn, zuletzt am 13. März 1945 für den Monat Februar 1945. Er war bis 30. April 1945 bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) H. … krankenversichert.

Nach schweren Bombenangriffen auf H. … wurde der Beigeladene zu 1) ab 1. März 1945 zu Arbeiten an Bahngleisen herangezogen, wo er Trümmer aufräumen und Gleisreparaturen verrichten mußte. Nach seinen Angaben wurden die in der Firma tätigen Ausländer wie zuvor von einem deutschen Betriebsangehörigen aus dem Lager für Ost- und Zwangsarbeiter zu der Firma V & S AG geführt, wo sie die Stechuhr bedienten. Danach wurden sie außerhalb des Betriebes an den Bahnanlagen zu Aufräumarbeiten eingesetzt. Hierbei standen die Arbeiter unter Aufsicht eines Beschäftigten der Firma V & S AG und wurden von Wehrmachtsangehörigen bewacht. Am 15. März 1945 wurde der Beigeladene zu 1) bei einem Bombenangriff auf die Bahnanlagen in H. … verletzt, infolgedessen ihm im Mai 1945 der rechte Arm amputiert wurde. Im Juni 1946 kehrte er nach Polen zurück.

Im Februar 1979 stellte der Beigeladene zu 1) bei der zuständigen Verbindungsstelle in Polen einen Entschädigungsantrag, der an die Klägerin weitergeleitet wurde. Die Klägerin hielt sich nicht für zuständig und gab den Vorgang an die Beklagte und die Beigeladene zu 2) ab, die sich beide ebenfalls für nicht zuständig erklärten.

Daraufhin hat die Klägerin im Jahre 1982 Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 18. November 1985 antragsgemäß festgestellt, daß die Beklagte der für die Entschädigung des Arbeitsunfalles des Beigeladenen zu 1) vom 15. März 1945 zuständige Versicherungsträger ist. Der Beigeladene zu 1) habe langfristige Notdienstarbeiten verrichtet, durch die er in eine einem Beschäftigungsverhältnis gleichkommende Beziehung zur damaligen Reichsbahn getreten sei, ohne daß es noch zum Abschluß eines schriftlichen Arbeitsvertrages habe kommen können. Dieses – zumindest faktische – Beschäftigungsverhältnis zur Deutschen Reichsbahn begründe die Zuständigkeit der Beklagten.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 25. Februar 1991 das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es zunächst ausgeführt, daß die Leistungszuständigkeit der Versorgungsverwaltung und damit des Beigeladenen zu 3) nicht gegeben sei. Obwohl das Ereignis vom 15. März 1945 begrifflich zugleich eine Schädigung iS der versorgungsrechtlichen Vorschriften darstelle, könne weder aus § 541 Nr 9 Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des 6. Unfallversicherungs-Änderungsgesetzes vom 16. April 1943 (RGBl I 267) noch aus dem gegenwärtig geltenden § 541 Abs 1 Nr 2 RVO idF des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 (BGBl I 241) noch aus § 54 Bundesversorgungsgesetz (BVG) eine vorrangige Zuständigkeit der Versorgungsverwaltung für die Entschädigung des Beigeladenen zu 1) abgeleitet werden. Der Arbeitsunfall des Beigeladenen zu 1) vom 15. März 1945 sei deshalb von einem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung zu entschädigen. Zuständig sei hierfür die Klägerin selbst, da der Beigeladene zu 1) bei den Arbeiten am 15. März 1945 in einem Beschäftigungsverhältnis zu der Firma V & S AG gestanden habe. Das Beschäftigungsverhältnis mit der Firma V & S AG habe erst am 12. April 1945 geendet, und der Beigeladene zu 1) sei bis 30. April 1945 bei der AOK H. … versichert gewesen, ohne daß dort ein anderer Arbeitgeber vermerkt gewesen wäre. Obwohl der Beigeladene zu 1) ab 1. März 1945 nicht auf seinem alten Arbeitsplatz gearbeitet habe, sei er von Angehörigen der Firma V & S AG von dem Lager zunächst zur Stechuhr der Firma geführt worden, um die Arbeitsaufnahme zu dokumentieren. Vergleichbare Anzeichen für ein Beschäftigungsverhältnis mit der Reichsbahn lägen demgegenüber nicht vor. Selbst wenn die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) als langfristiger Notdienst iS der Notdienstverordnung vom 15. Oktober 1938 (RGBl I 1441) und der 2. Durchführungsverordnung (DVO) zur Notdienstverordnung vom 10. Oktober 1939 (RGBl I 2018) betrachtet werden könnte, so folge hieraus noch nicht zwangsläufig, daß das Beschäftigungsverhältnis zu der Firma V & S AG und damit die Zuständigkeit der Klägerin durch den Notdienst beendet worden wäre. Nach der damaligen Rechtslage und Verwaltungspraxis sei die Zuständigkeit der für den Betrieb zuständigen BG bestehen geblieben, wenn das Unternehmen zur Erstellung bestimmter Werke im Rahmen von Notstandsarbeiten beauftragt gewesen sei. Dies werde in dem Rundschreiben RV 188/44 des Reichsverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften eV vom 20. Oktober 1944 ausgeführt, wonach es bei der Zuständigkeit des bisherigen Versicherungsträgers verbleibe, etwa wenn ein geschlossener Einsatz eines ganzen Betriebes im Notdienst erfolgt sei. Die Bedienung der Stechuhr in der Firma V & S AG zeige, daß die Lohnzahlung, zumindest jedoch die Lohnabrechnung für den Notdienst über den bisherigen Arbeitgeber erfolgen sollte, was ebenfalls für ein Weiterbestehen des bisherigen Unfallversicherungsschutzes bei der Klägerin spreche. Da es mithin „im höchsten Grade wahrscheinlich” sei, daß das Beschäftigungsverhältnis des Beigeladenen zu 1) bei der Firma V & S AG auch während eines möglichen Notdienstes weiterbestanden habe, scheide auch eine Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2) aus, da deren Zuständigkeit bei Notdienstarbeiten nur dann gegeben wäre, wenn kein anderer Unfallversicherungsträger für den Beigeladenen zu 1) einzustehen hätte.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer – vom Senat zugelassenen – Revision. Sie rügt eine Verletzung der §§ 54, 7, 8 BVG und §§ 539, 541 Abs 1 Nr 2 RVO. Das Beschäftigungsverhältnis des Beigeladenen zu 1) sei vorrangig der Deutschen Reichsbahn zuzuordnen. Längerfristiger Notdienst schließe ihre Verantwortlichkeit aus. Insbesondere aus § 54 BVG folge, daß für die Entschädigung des kriegsbedingten Körperschadens des Beigeladenen zu 1) die Versorgungsverwaltung und damit der Beigeladene zu 3) zuständig sei. Auch aus Art 120 Grundgesetz (GG) könne abgeleitet werden, daß kriegsbedingte Lasten vom Staat und jedenfalls nicht von der gesetzlichen Unfallversicherung zu tragen seien.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Februar 1991 (L 17 U 5/86) abzuändern und festzustellen,

daß die Beklagte für die Entschädigung des Beigeladenen zu 1) anläßlich des Ereignisses vom 15. März 1945 zuständig ist,

hilfsweise,

daß entweder der Beigeladene zu 3) oder die Beigeladene zu 2) zuständig ist.

Die Beklagte und die Beigeladene zu 2) beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladenen zu 1) und 3) haben keine Anträge gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist unbegründet.

Zu Recht hat das LSG festgestellt, daß die Klägerin den Arbeitsunfall des Beigeladenen zu 1) vom 15. März 1945 zu entschädigen hat.

Der erkennende Senat hat zur Frage, ob ausländischen – und zwar in den entschiedenen Fällen belgischen – Staatsangehörigen oder ihren Hinterbliebenen Entschädigungsleistungen für die Folgen von Arbeitsunfällen zustehen, die ausländische Beschäftigte im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit während des Zweiten Weltkrieges in Deutschland erlitten haben, bereits entschieden, daß von den im Unfallzeitpunkt geltenden Rechtsvorschriften über die gesetzliche Unfallversicherung auszugehen ist (BSG SozR 6230 Art 3 Nr 1; BSG SozR Nr 32 und Nr 34 zu § 548 RVO, jeweils mwN).

Zu Recht hat das LSG die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalles iS des § 542 RVO idF des 6. Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9. März 1942 (RGBl I 107) – RVO aF – bei dem Beigeladenen zu 1) angenommen. Er hat in einem Beschäftigungsverhältnis iS des § 537 Nr 1 RVO aF gestanden und den Unfall bei seiner versicherten Tätigkeit erlitten.

Seinem Unfallversicherungsschutz steht nicht entgegen, daß er bei einem Tieffliegerangriff verletzt worden ist. Auch schädigende Ereignisse durch Kriegseinwirkungen können rechtlich zugleich Arbeitsunfälle iS der RVO sein (BSG SozR Nr 34 zu § 548 RVO). Das Reichsversicherungsamt hatte bereits durch Verfügung vom 18. Juli 1940 (AN 1940, 268) klargestellt, daß ein Arbeitsunfall auch anzunehmen sei, wenn bei einem Luftangriff zufällig die in einem versicherten Betriebe beschäftigten Arbeiter verletzt werden (s auch Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, Geschichtliche Entwicklung, S 81 f). Der Senat hat hierzu mehrfach entschieden, daß die Kriegsgefahr keine allgemeine Gefahr, wie etwa ein Erdbeben, darstellt, die von vornherein den inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit ausschlösse (BSG SozR Nrn 32 und 34 zu § 548 RVO).

Der Beigeladene zu 1) war hinsichtlich dieses Arbeitsunfalls iS des § 542 RVO aF nicht nach § 541 Nr 9 RVO idF der Verordnung vom 16. April 1943 (RGBl I 267) – RVO aF – „versicherungsfrei” (BSG SozR Nr 34 zu § 548 RVO). Nach dieser Vorschrift bestand Versicherungsfreiheit in der Unfallversicherung, wenn wegen eines Unfalls ein Anspruch auf Fürsorge und Versorgung nach den Wehrmachtsversorgungsgesetzen oder den Reichsarbeitsdienstversorgungsgesetzen gewährleistet war. Ausländische Arbeitnehmer erhielten nach dem Erlaß des Reichsministers des Innern vom 3. Dezember 1943 (MinBl des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern – MBliV – 1943, 1872) bei Personenschäden, die zugleich Arbeitsunfälle waren, nicht Fürsorge und Versorgung nach der Personenschädenverordnung vom 10. November 1940 (RGBl I 1482), sondern nur Leistungen aus der Reichsunfallversicherung (vgl Erlaß des RAM vom 24. Januar 1944, AN 1944, 41). Somit konnte dem Beigeladenen zu 1) als polnischem Staatsangehörigen Fürsorge und Versorgung nach der Personenschädenverordnung nicht gewährleistet sein (s Lauterbach/Watermann aaO, Geschichtliche Entwicklung, S 84). Eine Zuständigkeit der Versorgungsverwaltung und damit des Beigeladenen zu 3) unter dem Gesichtspunkt des § 541 Nr 9 RVO aF ist damit nicht gegeben.

An der Zuständigkeit der gesetzlichen Unfallversicherung für die Entschädigung des Ereignisses vom 15. März 1945 hat das am 1. Oktober 1950 in Kraft getretene BVG keine Änderungen gebracht. § 54 BVG bestimmt, daß dann, wenn eine gesundheitsschädigende Einwirkung iS des § 1 BVG zugleich ein Unfall iS der gesetzlichen Unfallversicherung ist, nur ein Anspruch nach dem BVG besteht, sofern das schädigende Ereignis in der Zeit vom 1. Januar 1942 bis 8. Mai 1945 eingetreten ist (s Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 478g, h). Da der Unfall des Beigeladenen zu 1) sich am 15. März 1945 ereignet hat, fällt dieses Ereignis zwar in den sachlichen Geltungsbereich des § 54 BVG. Jedoch gehört – was die Revision nicht ausreichend berücksichtigt – der Beigeladene zu 1) nicht zu den Personenkreisen, auf die das BVG Anwendung findet (s § 7 BVG). Versorgung kann für den Beigeladenen zu 1), einen polnischen Staatsangehörigen, lediglich als Kann-Leistung gemäß § 8 Satz 1 BVG mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung gewährt werden. Die allgemeine Einbeziehung einer Kriegsopfergruppe bedarf nach § 8 Satz 2 BVG auch der Zustimmung des Bundesministers der Finanzen. Nach den Regelungen für die Versorgung von Kriegsopfern in Ost- und Südosteuropa (Richtlinien-Ost 1988, BMA – VIa 4-53340-7 –, abgedruckt in: VdKMitt 1988, Nr 4, S 6) liegt eine Allgemeinzustimmung für den Beigeladenen zu 1) nicht vor. Abschnitt A Nr 4 Abs 3 Satz 1 der Richtlinien-Ost 1988 enthält zwar eine Zustimmung zur Versorgung von Ausländern, deren Schädigung in Deutschland durch unmittelbare Kriegseinwirkung eingetreten ist. Dies gilt im Falle unmittelbarer Kriegseinwirkung jedoch nicht für ehemalige ausländische Arbeitskräfte, wenn die Schädigung zugleich einen Arbeitsunfall iS der RVO darstellt (A Nr 4 Abs 3 Satz 2 Buchst b Richtlinien-Ost 1988). Da schließlich § 541 Abs 1 Nr 2 RVO idF des UVNG ausschließlich für Arbeitsunfälle maßgeblich ist, die sich nach dem 1. Juli 1963 ereignet haben (BSG SozR 3-2200 § 541 Nr 2; Brackmann aaO S 478l), verbleibt es bei der Zuständigkeit der gesetzlichen Unfallversicherung für das Ereignis vom 15. März 1945.

Die Entschädigungslast für den Arbeitsunfall des Beigeladenen zu 1) trifft die Klägerin selbst. Der Beigeladene zu 1) stand nach den Unterlagen der Firma V & S AG im Unfallzeitpunkt in einem Arbeitsverhältnis zu dem bisherigen Arbeitgeber. Er war weiterhin während der Tätigkeit auf den Bahngleisen bei der AOK H. … versichert, wobei von dieser Krankenkasse die Firma V & S AG als Arbeitgeber genannt worden ist. Die eigentliche Tätigkeit, bei der sich der Unfall ereignete, fand zwar außerhalb des Betriebsgeländes statt, jedoch unter der Aufsicht von Betriebsangehörigen der Firma V & S AG. Dies, das Abholen der Arbeiter aus dem Lager durch Angehörige der Firma und das Betätigen der Stempeluhr in der Firma vor Arbeitsbeginn sprechen dafür, daß der Beigeladene zu 1) auch am 15. März 1945 unter der Direktionsbefugnis der Firma V & S AG arbeitete. Anzeichen für ein Beschäftigungsverhältnis mit der Deutschen Reichsbahn liegen demgegenüber nicht vor. Weder waren an den Gleisarbeiten Beschäftigte der Reichsbahn beteiligt, noch hatte die Reichsbahn – soweit vom LSG festgestellt werden konnte – Anteil an der Organisation der Arbeit. Daß – worauf die Revision besonders hinweist – die Verrichtungen des Beigeladenen zu 1) objektiv auch der Reichsbahn nützten, reicht nicht aus, um ein faktisches Beschäftigungsverhältnis zur Reichsbahn und damit eine Zuständigkeit der Beklagten zu begründen; denn jede Arbeit eines Unternehmens (hier der Firma V & S AG) für ein anderes Unternehmen (hier die Reichsbahn) nützt diesem, ohne daß dies Auswirkungen auf das Beschäftigungsverhältnis des die Arbeiten ausführenden Beschäftigten jenes Unternehmens hat. Insbesondere sind keine Belege dafür vorhanden, daß die Reichsbahn den Beigeladenen in ihren Verantwortungs- und Organisationsbereich aufgenommen hatte, etwa in die BKK-Reichsbahn. Vielmehr hat die Mitgliedsfirma der Klägerin, die Firma V & S AG, in ihrem Stammbuch den Beigeladenen zu 1) am Unfalltag als Arbeitnehmer geführt. Mithin stand der Beigeladene zu 1) am 15. März 1945 in einem Beschäftigungsverhältnis zu der Firma V & S AG, so daß sein Arbeitsunfall gemäß §§ 537 Nr 1, 542 RVO aF von der Klägerin zu entschädigen ist.

An diesem Ergebnis würde sich nichts ändern, wenn der Beigeladene zu 1) am 15. März 1945 Notdienst iS der Notdienstverordnung vom 15. Oktober 1938 (RGBl I 1441) geleistet hätte. Zwar konnte das LSG trotz umfangreicher Nachforschungen und Anfragen nicht zweifelsfrei ermitteln, ob die Tätigkeiten des Beigeladenen zu 1) an den Bahngleisen Notdienst iS dieser Verordnung darstellten, insbesondere welche Behörde gemäß § 2 Notdienstverordnung den Dienst angefordert und organisatorisch überwacht hatte. Doch selbst wenn zugunsten der Klägerin die Arbeiten an den Bahngleisen als Notdienst iS der Notdienstverordnung qualifiziert werden, verbleibt es bei ihrer Zuständigkeit. Der Beigeladene zu 1) hätte dann bei seinen seit 1. März 1945 verrichteten Aufräumarbeiten sogenannten langfristigen Notdienst gemäß § 3 Abs 2 Notdienstverordnung iVm dem Runderlaß des Reichsministers des Inneren vom 5. August 1943 (MBliV 1294) geleistet, da die Höchstdauer des sogenannten kurzfristigen Notdienstes bei einer Woche festgesetzt wurde (s auch Erlaß des RAM vom 17. Oktober 1944, II 10420/44, AN 1944, 280). Zum Sozialversicherungsschutz von langfristig Notdienstleistenden enthielt die 2. DVO zur Notdienstverordnung vom 10. Oktober 1939 (RGBl I 2018; Lauterbach, Die Unfallversicherung der Notdienstpflichtigen, BG 1939, 290, 292) in § 2 die Regelung, daß das bestehende Sozialversicherungsverhältnis unberührt bleibt, wenn für die Dauer der Beschäftigung im Notdienst die bisherigen Dienstbezüge von der früheren Beschäftigungsstelle weiterbezahlt werden. Zwar hat der Beigeladene zu 1) für den Monat März 1945 überhaupt keinen Lohn erhalten, was vom LSG aber mit Recht als Ausfluß der allgemeinen Kriegswirren und nicht einer Beendigung der Beschäftigung im Unfallzeitpunkt betrachtet worden ist. Vielmehr liegt mit dem Bedienen der Stechuhr ein objektives Anzeichen dafür vor, daß die Lohnabrechnung weiterhin über den bisherigen Betrieb erfolgen sollte, der den Beigeladenen zu 1) auch weiterhin als Beschäftigten führte (s auch das auf den Erlaß vom 17. Oktober 1944 ≪aaO≫ gestützte Rundschreiben des Reichsverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 20. Oktober 1944). Nach dem Erlaß des RAM vom 6. November 1939 (IIa 14784/39, AN 1939, 507) machte es bei Anwendung des § 2 der Notdienstverordnung keinen Unterschied, ob der Notdienstleistende die Arbeit in einem Betrieb oder außerhalb desselben verrichtete. Das Rundschreiben vom 20. Oktober 1944 (aaO) nennt als Beispiel für ein Weiterbestehen des bisherigen Versicherungsschutzes im langfristigen Notdienst „den geschlossenen Einsatz eines ganzen Betriebes im Notdienst”. Zumindest die Fremdarbeiter der Firma V & S AG wurden geschlossen auf den Bahngleisen eingesetzt, so daß auch insofern die Beziehung zu dem bisherigen Arbeitgeber bestehen blieb.

Demgegenüber sah § 3 der 2. DVO zur Notdienstverordnung (aaO) die Möglichkeit eines Notdienstverhältnisses mit Beschäftigungsverhältnis vor. Voraussetzung hierfür war, daß zwischen dem Dienstleistungsempfänger und dem Notdienstpflichtigen, der nicht unter § 2 (s oben) fiel, ein einem Arbeitsvertrag entsprechendes Beschäftigungsverhältnis begründet wurde. Die vom LSG eingeholten Auskünfte verschiedener Stellen und Archive nennen zahlreiche mögliche Empfänger der Notdienstleistung (die Organisation Todt, die Arbeitsverwaltung etc). Bedienstete der Reichsbahn waren jedenfalls an der Durchführung der Gleisarbeiten als Aufsichtsführende nicht beteiligt. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, daß der Beigeladene zu 1) faktisch für die Reichsbahn arbeitete und lediglich kein Vertragsabschluß mehr erfolgte. Somit scheidet auch nach § 3 der 2. DVO zur Notdienstverordnung (aaO) eine Zuständigkeit der Beklagten aus, zumal aus dem Wortlaut des § 3 Abs 1 aaO auch ein Vorrang des Versicherungsschutzes nach § 2 aaO abgeleitet werden könnte.

Auch die Beigeladene zu 2) hat das Ereignis vom 15. März 1945 nicht zu entschädigen. Die Beigeladene zu 2) bzw deren Rechtsvorgängerin, die Reichsausführungsbehörde für Unfallversicherung, war bei Notdienstarbeiten iS der Notdienstverordnung lediglich dann zuständig, wenn nicht die Zuständigkeit eines anderen Unfallversicherungsträgers begründet war (vgl den Erlaß des RAM vom 17. Oktober 1944 aaO). Diese subsidiäre Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2) sollte den Versicherungsschutz für diejenigen Notdienstleistenden sicherstellen, die weder gemäß § 2 noch gemäß § 3 der 2. DVO zur Notdienstverordnung geschützt waren und die zuvor nach § 4 Nr 3 dieser 2. DVO ausdrücklich vom Unfallversicherungsschutz ausgenommen worden waren (s Lauterbach BG 1939, 290, 293). Mithin hätte eine Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2) zunächst zur Voraussetzung, daß der Beigeladene zu 1) überhaupt Notdienst geleistet hat und sodann, daß er während dieses Notdienstes weder bei der Klägerin noch bei der Beklagten gegen Unfall versichert gewesen wäre. Da nach den festgestellten Tatsachen der Beigeladene zu 1) weiterhin in einem Beschäftigungsverhältnis mit Lohnzahlungspflicht zu der Firma V & S AG stand, griff diese subsidiäre Zuständigkeitsregelung zu Lasten der Beigeladenen zu 2) nicht ein.

Nach alledem war die Revision zurückzuweisen, da die Klägerin zuständig für die Entschädigung des Arbeitsunfalls des Beigeladenen zu 1) vom 15. März 1945 ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1064878

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